Evang.-Luth. Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche

Die Predigt vom 14. Dezember 1997: „Gegen den Adventstrend“

Sorry: eine der ersten Predigten, deshalb noch im alten Layout.


Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Sonntag im Advent. „Advent“ heißt auf deutsch „Ankunft“: Warten auf das Kommen Gottes als Mensch unter Menschen. Epistellesung und Predigttext dieses Sonntags war die Warnung des Apostels Paulus, das Gericht über andere Menschen Gott zu überlassen. Wenn er kommt (Advent!) dann wird er alles richten (im doppelten Sinn des Wortes). 1. Brief an die Korinther Kapitel 4, Vers 1-5:

Predigttext

1 Dafür halte uns jedermann: für Diener Christi und Haushalter über Gottes Geheimnisse. 2 Nun fordert man nicht mehr von den Haushaltern, als daß sie für treu befunden werden. 3 Mir aber ist's ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht. 4 Ich bin mir zwar nichts bewußt, aber darin bin ich nicht gerechtfertigt; der Herr ist's aber, der mich richtet. 5 Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen. Dann wird einem jeden von Gott sein Lob zuteil werden.

Predigt

Wie eine Faust auf das adventliche Auge mögen manchen von Ihnen vielleicht die Worte der vorigen Epistel vorgekommen sein: Nicht "Süßer die Glocken nie klingen", sondern ernste Worte. Nicht "Gottes Sohn, o wie lacht", sondern Worte vom Gericht. Worte fast wie Spielverderber. Wären sie einem nicht vorgegeben, würde man sie sich in diesen Tagen wohl nicht aussuchen. Zur Erinnerung nur noch einmal ein paar Sätze: "Mir aber ist's ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht; der Herr ist's aber, der mich richtet. Darum richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt, der auch ans Licht bringen wird, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen."

Was ist Advent für Sie? Wenn Advent in erster Linie etwas zu tun hat mit friedlich brennenden Kerzen, mit leuchtenden Kinderaugen, mit Glühweinduft und Weihnachtsmärkten mit süßen Melodien - dann wird hier das alles gehörig durcheinandergeworfen. Diese Adventsstimmung, wenn es sie so einseitig überhaupt für jemanden gibt, wird hier enttäuscht. Sie wird ent-täuscht im tieferen und eigentlichen Wortsinn: Die Täuschung, der jemand erlegen ist, wird offenbar, sie wird aufgedeckt und korrigiert. So sind diese Worte vom Gericht nur auf den ersten Blick eine Themaverfehlung in diesen Tagen, auf den zweiten Blick und von der Bibel her aber geradezu richtig und auch wichtig:

Advent heißt ja: Gott kommt. Gott kommt auch zu mir. Mit einem Fremdwort: Ich werde im Advent mit Gott konfrontiert. Kon- frontiert im wörtlichen Sinn: Front an Front, Stirn an Stirn, Auge in Auge begegnet mir Gott. Aber darf ich mir als Mensch allen Ernstes einbilden, ich könne bestimmen, wie eine solche Begegnung auszusehen hat? Kann ich Gott Auge in Auge begegnen, ohne daß es ein Gericht gibt? Mit anderen Worten: Kann ich ihm begegnen, ohne, daß mir die Augen aufgehen, wer und wie ich vor ihm bin? Ernste Worte vom Kommen Gottes also. Aber für den Apostel Paulus, der hier redet, keine harte und spielverderbende Botschaft, sondern gute Botschaft, tröstenden Botschaft. Warum? "Mir aber ist's ein Geringes, daß ich von euch gerichtet werde oder von einem menschlichen Gericht; auch richte ich mich selbst nicht; der Herr ist's aber, der mich richtet." Wenn Gott allein richtet, heißt das für Paulus: Das Urteil, das seine Gemeindeglieder über ihn fällen, oder auch einzelne unter ihnen, ist nicht ausschlaggebend für ihn.

Dazu muß man wissen, daß die beiden Korintherbriefe zum Hintergrund haben, daß einzelne Gemeindeglieder in Korinth den Paulus hart angegangen sind und ihn vor anderen wohl auch niedergemacht haben. Und ist das nicht letztlich tröstende Botschaft, daß es nicht darauf ankommt, was und wer ich in den Augen anderer Menschen bin? Daß meine Würde und meine Ehre nicht abhängig sind vom Urteil anderer? Wenn Gott allein richtet, so sagt Paulus, dann interessiert ihn nicht einmal ein menschliches Gericht. Damit ist nun nicht gemeint, daß ihn der Richterspruch eines irdischen Gerichts nicht interessieren würde. (Er betont an anderer Stelle im Römerbrief gerade ganz bewußt, daß Christen der staatlichen Autorität gehorchen sollen.) Doch Menschen können damit nie einen Urteilsspruch über ein ganzes Menschenleben fällen. Ob ein Leben ge-lungen oder miß-lungen ist, ob es einen Sinn hatte, darüber urteilt Gott allein. Und ist nicht auch das letztlich tröstende Botschaft, daß weltliche Justiz bei allen möglichen Urteilssprüchen einem Menschen letztlich nicht die Ehre nehmen kann?

Und das dritte: Wenn Gott allein richtet, dann will Paulus auch selbst nicht über sich richten bzw. sich freisprechen, auch wenn er, wie er sagt, sich subjektiv keiner Schuld bewußt ist. Und ist auch das nicht letztlich tröstende Botschaft, daß alle negativen Urteile, die ich mir selbst spreche: alle Skrupel, Lebenszweifel, Fragen nach meinem Wert im Vergleich zu anderen, letztlich nicht zählen. Ebenso alle meine positiven Urteile: meine Selbstgerechtigkeit, mein Stolz über das mir Gelungene, sie sind nicht das letzte Wort. Ist das nicht letztlich tröstende Botschaft, daß dieses Auf und Ab meiner eigenen persönlichen Selbsteinschätzung und Stimmung mich nicht irre zu machen braucht, weil Gott, mein Schöpfer, mich letztlich viel besser kennt als ich mich selbst kenne? Der adventliche Gott, der mir hautnah begegnen wird, der allein hat das Recht eines Richterspruchs über mein Leben, das ist des Paulus Fazit. Deswegen: "Richtet nicht vor der Zeit, bis der Herr kommt." Legt andere nicht fest und legt Euch selbst nicht fest in Eurer momentanen Stimmung, sei sie depressiv oder himmelhoch jauchzend. Noch sind nicht alle Puzzleteile Eures Lebens hingelegt. Und vor allem: Laßt Euch vom Urteil anderer nicht ins Bockshorn jagen. Laßt Euch nicht einordnen, in Schubladen sperren und festlegen.

Aber an einem geht es nun doch nicht vorbei: Wenn ich begriffen habe, daß ich in Gottes Namen frei sein darf vom Urteil anderer und auch von meinem eigenen, dann muß ich mich im gleichen Maße dem Urteil Gottes aussetzen, denn keiner kann leben ohne Halt und Bestätigung. Wie kann das aber ganz konkret aussehen, mich Gottes Kommen, Gottes Advent auszusetzen? Das Kommen Gottes zum Gericht, von dem Paulus hier spricht, erwartete er wie die meisten Christen seiner Epoche am Ende der Zeiten, das sie sehr nahe glaubten. Diese Hoffnung des Paulus auf das ganz nahe und unmittelbar bevorstehende Kommen Gottes erfüllte sich nicht. Erst der Evangelist Johannes löst dann diese Anfechtung, indem er die Adventsbotschaft noch einmal anders sagt: Advent, Kommen Gottes, ist nicht die Frage irgendeines ungewissen Zeitpunkts in der Zukunft, so sagt Johannes, sondern Advent ist hier und heute schon. Über meinem skeptischen Fragen: Wann kommt denn Gott wohl? und: Kommt er überhaupt noch? übersehe ich vielleicht, daß er mir schon längst begegnet ist und auch noch begegnet. So sagt Jesus im Johannesevangelium: "Jetzt schon ergeht das Gericht über diese Welt." (Joh 12,31) Und: "Das ist aber das Gericht, daß ich als das Licht in die Welt gekommen bin." (Joh 3,19) Und: "Wer meint Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht." (Joh 5,24)

Hier und heute also wird es Advent. Hier und heute begegnet mir Gott, wo ich mit diesem Jesus und seinem Wort und seinem Anspruch an mich konfrontiert werde: im Kinder in der Krippe, im Wort einer Predigt, in einer Lesung aus der Bibel, in Lied und Gebet auch dieses Gottesdienstes jetzt. Wie der Apostel Paulus möchte ich dieses Kommen Gottes zu mir, dieses konfrontiert werden mit ihm als eine tröstliche und Mut machende Botschaft verstehen: Auch und gerade weil dieser adventliche Gott, der mir hautnah begegnet, mich richtet, wie es hier steht: "Er wird auch ans Licht bringen, was im Finstern verborgen ist, und wird das Trachten der Herzen offenbar machen." So will ich Gericht im Sinne des Evangeliums verstehen: daß Gott mich zurechtrichtet, richtig und gerade macht. So wie auch unser Wort "hinrichten" eine doppelte Bedeutung hat: Ich kann jemanden hinrichten zum Tode. Ich kann aber auch eine Sache hin-richten, so machen und plazieren, daß sie richtig ist, wie sie sein soll. Was kann ich mir mehr wünschen, als daß das an mir geschieht, daß Gott mich zurechtrichtet? Daß ich so werde, wie ich sein soll? Was kann ich mir mehr wünschen, als daß Gott hell macht, was in mir finster ist. Daß Gott mir meine Schattenseiten aufzeigt. Daß er mir mehr Klarheit schenkt über mich selbst. Auch wenn dann das alles womöglich mit Schmerzen, Enttäuschungen und Verletzungen verbunden ist. Was kann ich mir mehr wünschen, als daß Gott kommt und das Trachten der Herzen offenbar macht: Daß er mir begegnet und mir eine tiefere Einsicht schenkt in mein persönliches Wesen. Daß er mir die Motive meines Handelns und Unterlassens offenbart, aus denen heraus ich Vieles unbewußt, ja geradezu bewußt- und besinnungslos tue. Das wünsche ich mir, daß der zu mir kommt und mich zurechtrichtet.

"Gott will im Dunkel wohnen und hat es doch erhellt. Als wollte er belohnen, so richtet er die Welt. Der sich den Erdkreis baute, der läßt den Sünder nicht. Wer hier dem Sohn vertraute, kommt dort aus dem Gericht." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de