Evang.-Luth. Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche

Die Predigt vom 21. November 1999: »Von der Flüchtigkeit des Lebens«


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Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

  Die evangelische Kirche beging am Sonntag den Letzten Sonntag des Kirchenjahres (Ewigkeitssonntag). Er wird in der Kirchengemeinde auch als Gedenktag der Entschlafenen (Totensonntag) begangen. Der Predigt lag das Kirchenlied „Ach wie flüchtig, ach wie nichtig“ zugrunde:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben!
Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet,
so ist unser Leben, sehet!

2. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Tage!
Wie ein Strom beginnt zu rinnen und mit Laufen nicht hält innen,
so fährt unsre Zeit von hinnen.

3. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Freude!
Wie sich wechseln Stund und Zeiten, Licht und Dunkel, Fried und Streiten, so sind unsre Fröhlichkeiten.

4. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Schöne!
Wie ein Blümlein bald vergehet, wenn ein rauhes Lüftlein wehet,
so ist unsre Schöne, sehet!

5. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Glücke!
Wie sich eine Kugel drehet, die bald da, bald dorten stehet,
so ist unser Glücke, sehet!

6. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Schätze!
Es kann Glut und Flut entstehen, dadurch, eh wir uns versehen,
alles muß zu Trümmern gehen.

7. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Prangen!
Der in Purpur hoch vermessen ist als wie ein Gott gesessen,
dessen wird im Tod vergessen.

8. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen!
Alles, alles, was wir sehen, das muß fallen und vergehen.
Wer Gott fürcht', wird ewig stehen.

Predigt

  Von einem Tag auf den anderen ...

"Der Mensch, vom Weibe geboren, lebt kurze Zeit und ist voll Unruhe, geht auf wie eine Blume und fällt ab, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht." (Hiob 14,1-2)

So heißt es im Buch Hiob. Und bei einigen unter Ihnen, die Sie im vergangenen Jahr einen lieben Menschen verloren haben, ist es genauso gewesen. Von heute auf morgen wurden Sie auf einmal mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Über Nacht können sich Dinge ändern. Von einem Tag auf den anderen bekommt das Leben eine neue Richtung. Was eben noch geblüht hat, fällt auf einmal ab. Man greift auf einmal ins Leere wie bei einem Schatten, den man nicht festhalten kann.

"Ach wie flüchtig, ach wie nichtig"

Diese Seite des Lebens wird in einem unserer Kirchenlieder ganz eindringlich beschrieben. Es gehört eher zu den unbekannteren, aber ich möchte es ihnen heute ans Herz legen. "Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist des Menschen Leben." Die Nummer 528 in unserem Gesangbuch. Ich will die Strophen Stück für Stück bedenken, und wir werden in die Predigt hinein immer wieder von diesem Lied singen. Deswegen bitte ich Sie, das Gesangbuch aufgeschlagen vor sich liegen zu lassen.

1. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Leben! Wie ein Nebel bald entstehet und auch wieder bald vergehet, so ist unser Leben, sehet!

Die Bilder dieser Strophe stammen aus der Bibel, z.B. aus Versen wie diesen: "Du lässest sie dahinfahren wie einen Strom, sie sind wie ein Schlaf, wie ein Gras, das am Morgen noch sproßt, das am Morgen blüht und sproßt und des Abends welkt und verdorrt." (Psalm 90,5-6) Oder: "Unser Leben fährt dahin, als wäre nur eine Wolke dagewesen, und zergeht wie Nebel, der von den Strahlen der Sonne verjagt und von ihrer Hitze zu Boden gedrückt wird." (Weisheit 2,4)

Nicht immer ist so das Leben. Da waren, Gott sei Dank, auch einige, die in der Fülle ihres Lebens sterben durften. Von den 47 Namen, die verlesen wurden, waren sechs Menschen über 90 Jahre, die älteste war 100. Doch einige von Ihnen können in diese Klage, wie ein Mensch von einem Tag zum anderen verwelkt, doch ganz intensiv einstimmen. So kann das Leben sein. Verschließt davor nicht eure Augen. Das ist wie im Psalm 90 die Botschaft dieses Liedes. Eindringlich fordert uns der Liederdichter auf, unsere Augen auf zu machen, wenn drei Strophen so wie die erste enden: "Sehet". Das erinnert mich an den bekannten Vers aus dem 90. Psalm: "Herr, lehre uns bedenken, daß wir sterben müssen, auf daß wir klug werden."

Wir hören ein Vorspiel zu diesem Lied und singen dann die erste Strophe miteinander. Nr. 528: "Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist des Menschen Leben."

Wie Sand zwischen den Fingern

2. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Tage! Wie ein Strom beginnt zu rinnen und mit Laufen nicht hält innen, so fährt unsre Zeit von hinnen.

Noch einmal ein deutlicher Anklang an den Psalm 90: "Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn's hoch kommt, so sind's achtzig Jahre, und was daran köstlich scheint, ist doch nur vergebliche Mühe; denn es fähret schnell dahin, als flögen wir davon." (Psalm 90,10) Die Zeit des Lebens, sie rinnt manchmal durch die Finger wie das Wasser, das man nicht greifen und aufhalten kann. Ich werde an die Sanduhr erinnert, an der dieses Laufen und Vergehen der Zeit so deutlich zu sehen ist. Was durchgeronnen und durchgerieselt ist, können wir nicht aufhalten. Wir können die Sanduhr unseres Lebens nicht umdrehen, um sie erneut laufen zu lassen. Wir wissen nicht, wieviel Sand noch da ist, wieviel Zeit wir noch vor uns haben. Das mag depressiv klingen, ist aber doch v.a. ein Aufruf, jeden neuen Tag und jede Stunde unseres Lebens bewußt und dankbar anzunehmen.

Die guten und die bösen Tage

3. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Freude! Wie sich wechseln Stund und Zeiten, Licht und Dunkel, Fried und Streiten, so sind unsre Fröhlichkeiten.

So wie die Tage gehen und die Stunden rinnen, so wechselt auch ihr Aussehen. Licht und Dunkel gehören zum Leben, Friede und Streit. Wieder ein Anklang an einen biblischen Text aus dem Prediger Salomo: "Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit; pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit; weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit; klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit; herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit; schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit; lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit; Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit." (Prediger 3)

Das ist wie die sprichwörtlichen guten und bösen Tage, die Ehepartner sich vor dem Altar versprechen, ohne schon zu wissen, was damit wirklich gesagt ist. Von den 28 Gemeindegliedern, die ich vorhin verlesen habe, haben 16 einen Ehepartner zurückgelassen. Die können intensiv nachempfinden, was hier steht.

Der Dichter des Liedes

Vielleicht haben Sie gespürt, daß die Melodie dieses Liedes nicht gleich ins Ohr geht. So ging es mir zumindest. Doch über der Beschäftigung mit diesem Lied hat sich das geändert. Sie mag spröde sein, hat aber viel Tiefe durch die enge Verbindung mit dem Text. Michael Franck, von dem Lied und Melodie stammen, gehörte zu den sog. Dichter-Musikern, die - wie der Name sagt - sowohl die Texte als auch die Melodien ihrer Lieder selbst geschrieben haben. Ihr großes Vorbild war Martin Luther, der Vater des Evangelischen Kirchenliedes. Mit seinen Melodien geht es vielen Menschen ähnlich. Andere bekannte Liederdichter haben ihre Texte durch Berufsmusiker vertonen lassen. Die bei vielen so bekannten und beliebten Lieder von Paul Gerhard z.B. wären ohne den Kirchenmusiker Johann Crüger gar nicht bekannt geworden. Denken Sie an Verse, die auch bei Bestattungen oft gesungen werden wie "Befiehl du deine Wege", "Ich bin ein Gast auf Erden" oder "Wenn ich einmal soll scheiden."

Auf der anderen Seite gehören bei den Dichter-Musikern Text und Melodie intensiv zusammen. Wenn wir nun die Strophen 2 und 3 singen, beachten Sie doch einmal den Mittelteil: Da meint das unaufhaltsame Laufen der Zeit oder - in der 3. Strophe - den unaufhörlichen Wechsel zwischen guten und bösen Tagen, so richtig zu spüren.

Ein Lied nach dem 30jährigen Krieg

4. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Schöne! Wie ein Blümlein bald vergehet, wenn ein rauhes Lüftlein wehet, so ist unsre Schöne, sehet!

5. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Glücke! Wie sich eine Kugel drehet, die bald da, bald dorten stehet, so ist unser Glücke, sehet!

Was für ein trauriges, was für ein melancholisches Lied!, so werden Sie sich vielleicht schon gedacht haben. Es lohnt sich, seine Entstehungszeit anzuschauen: Im Jahr 1652 gedichtet steht das Lied noch ganz unter dem Eindruck des 30jährigen Krieges, der erst vier Jahre zu Ende war. Fast zwei Drittel der deutschen Bevölkerung hat dieser Krieg zusammen mit den damit verbundenen Seuchen das Leben gekostet. Das Land war verwüstet, und der Wiederaufbau ging nur langsam voran. Michael Franck, ein Thüringer, 1609 in Schleusingen geboren, 1667 in Coburg gestorben, verbrachte also von seinen 58 Lebensjahren 30 Jahre, mehr als die Hälfte, in der Kriegszeit. Kein Wunder, daß sein Lied so deutlich davon geprägt ist.

"Wir machen die meisten Millionäre"

Wie schnell können Schönheit und auch Glück vergehen. So heißt es hier. Auch das ist für mich weniger eine depressive Klage, als vielmehr die Aufforderung, genau hinzuschauen, worauf es im Leben ankommt. Kann man ein Leben allein auf Schönheit und Glück bauen? Ist es mit dem Glück nicht wirklich wie mit jenen Kugeln, die jede Woche neu Menschen in ihren Bann ziehen? Die meisten Millionäre würden damit gemacht, verspricht die Werbung. Doch was die Millionen mit den Millionären machen, mit denen, die sie haben, und denen, die sie nicht haben, davon ist nicht die Rede. Wir singen die 4. und die 5. Strophe dieses Liedes miteinander.

Vom Totenhemd, das keine Taschen hat

6. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Schätze! Es kann Glut und Flut entstehen, dadurch, eh wir uns versehen, alles muß zu Trümmern gehen.

7. Ach wie flüchtig, ach wie nichtig ist der Menschen Prangen! Der in Purpur hoch vermessen ist als wie ein Gott gesessen, dessen wird im Tod vergessen.

Mit dieser letzten Gerechtigkeit trösten sich immer wieder Menschen: auch Schätze sind flüchtig. Auch Schätze können das Leben nicht kaufen. Sie können die Gesundheit nicht bewahren. Krankheit und Tod machen die reichen Menschen den armen gleich. Davon leben viele unseres Sprichwörter, die sagen, daß man nichts mitnehmen kann, daß das letzte Hemd keine Taschen hat, und daß man lieber mit warmen Händen geben solle.

So ist noch einmal dieses "Ach wie flüchtig, ach wie nichtig" nicht so sehr eine traurige Klage als eine Aufforderung zum aufmerksamen Leben. Zu einem Leben, das sich nicht von äußeren Fassaden blenden läßt, sondern hinter die Kulissen schaut. Wir singen die 6. und 7. Strophe des Liedes miteinander.

8. Ach wie nichtig, ach wie flüchtig sind der Menschen Sachen! Alles, alles, was wir sehen, das muß fallen und vergehen. Wer Gott fürcht', wird ewig stehen.

Sehr eindringlich und sehr ungeschminkt sagt dieses Lied die Wahrheit über das Leben. Im letzten Vers nun, in der letzten Zeile, fast ein wenig spät, aber nicht zu spät, kommt der Ausblick, kommt der Blick über den Horizont: Alles fällt und vergeht, aber wer Gott fürchtet, wird ewig stehen. Gott fürchten in der Sprache des Mittelalters: Das ist nicht Angst haben vor Gott, sondern: Ehrfurcht haben. Sich auf ihn verlassen als einen, der einem nicht gleichgültig ist.

Daß Gott der ist, der alles Fallende in seiner Hand hält, - das Herbst-Gedicht von Rainer Maria Rilke, das Sie auch auf einem Poster im Gemeindehaus lesen können:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.
Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Gesangbuch S. 934)

Wir singen die letzte Strophe des angefangenen Liedes.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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