Evang.-Luth. Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche

Die Predigt vom 16. Januar 2000: »Ohne Wegweiser geht's nicht«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

  Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den 2. Sonntag nach Epiphanias. Wie bei den anderen Epiphanias-Sonntagen auch steht das Wirken Christi im Mittelpunkt. Im Predigttext aus dem 1. Brief an die Gemeinde in Korinth im 2. Kapitel hebt Paulus die zentrale Bedeutung des Kreuzes hervor. Er versteht sich als Wegweiser auf Christus hin:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  2 1 Liebe Brüder, als ich (damals) zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

Predigt

  An zwei Bilder habe ich mich erinnert, als ich mich mit den Bibelworten für den heutigen Sonntag beschäftigt habe. Die will ich Ihnen zum Einstieg zeigen:

Martin Luther zeigt auf den Gekreuzigten

Die Predella der Stadtkirche in Wittenberg

Die Stadt Wittenberg ist die Wiege der Reformation. In Wittenberg trat Martin Luther ins Kloster ein. Später lebte er dort mit seiner Familie. An der Tür der Schloßkirche schlug er seine 95 Thesen an. Ein Jahr nach seinem Tod im Jahr 1546 schuf der große Kronacher Künstler Lucas Cranach d.Ä. für die Stadtkirche in Wittenberg diesen Flügelaltar. Wie in einem Bilder-Katechismus stellt er dort die vier zentralen Themen des evangelischen Glaubens dar: Taufe, Abendmahl, Beichte und Predigt.

Die sog. Predella dieses Flügelaltars, das ist das Bild unmittelbar über dem Altartisch, trägt dieses Motiv: In der Mitte des Bildes der gekreuzigte Christus. So wie er hier zeichnerisch genau ausgemessen in der Mitte ist, so ist er auch für Martin Luther und die Reformation die Mitte des Glaubens gewesen. Luther steht als Prediger im Talar in der Kanzel. Seine linke Hand ruht auf der aufgeschlagenen Bibel. Nicht Menschenwort, sondern Gottes Wort hat er zu verkündigen. Mit der rechten Hand deutet er mit zwei Fingern auf den Gekreuzigten. Zwei Finger, das weist symbolisch auf die sog. zwei "Naturen" Christi hin: Er ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Wer nur das Kreuz sieht und die Auferstehung vergißt, der sieht nur einen Teil der Wahrheit. Auf der linken Seite steht die Gemeinde: Kinder, Frauen und Männer. In vorderster Reihe Luthers Frau Käthe und seine Kinder, dazu wichtige lutherische Theologen der damaligen Zeit. Auch die Theologen haben Gottes Wort nötig.

Die Älteren unter uns kennen noch das "heitere Beruferaten", die Fernsehsendung "Was bin ich?", wo sich die zu Erratenden mit einer typischen Handbewegung vorgestellt haben. Hätte man Martin Luther nach der typischen Handbewegung des Predigers gefragt, vielleicht hätte er diese ausgestreckte, auf Christus weisende Hand gewählt.

Der Finger von Johannes dem Täufer

Johannes der Täufer auf dem Isenheimer Altar

Das zweite Bild: Ein Ausschnitt aus dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald, 30 Jahre vor dem Wittenberger Altar entstanden. Wie sich die beiden Bilder an dem einen Punkt ähneln! Hier Johannes der Täufer, der sog. Vorläufer von Jesus, der Ankündiger, der Wegbereiter. Der barfüßige bärtige Asket, nur mit einem Mantel bekleidet. Auch er trägt die Bibel in der linken Hand. Auch seine rechte Hand weist auf den Gekreuzigten. Hier aber mit nur einem Finger, mit einem überlangen, unnatürlich langen Zeigefinger.

Darüber auf Lateinisch das dazugehörige Bibelwort: "Illum oportet crescere, me autum minui." "Er muß wachsen, ich aber muß abnehmen." Mit anderen Worten: "Auf Jesus kommt es an, nicht auf mich. Schaut nicht mich an, sondern ihn. Er muß in den Vordergrund gestellt werden, ich in den Hintergrund."

Gegen die Gefahr der Pfarrer-Eitelkeit

Genauso hat sich auch Martin Luther verstanden. Predigt ist nicht dazu da, einen Prediger groß zu machen, sondern Gott groß zu machen. Der Gottesdienst ist nicht dazu da, Personenkult zu treiben. Nicht der Pfarrer steht im Mittelpunkt. Und die Gemeindeglieder sollten den Gottesdienst nicht des Pfarrers wegen, sondern Gottes wegen besuchen. Natürlich ist die Versuchung der Eitelkeit groß, wenn außer dem Pfarrer niemand anders an der Leitung des Gottesdienstes beteiligt ist. Vielleicht hat Lucas Cranach deshalb dem Pfarrer dieses Bild über dem Altartisch so direkt vor die Augen gesetzt, damit er sich immer dessen bewußt bleibt. So heißt es u.a. in einem Gebet Martin Luthers zur Vorbereitung des Pfarrers auf den Gottesdienst:

"Gefällt es dir dann, durch mich etwas auszurichten zu deiner Ehre und nicht zu meiner oder der Menschen Ruhm, so verleihe mir auch aus lauter Gnade und Barmherzigkeit, daß ich dein Wort recht verstehe und viel mehr, daß ichs auch tun möge."

Paulus als Wegweiser

Warum habe ich diese beiden Bilder, die für die Evangelische Kirche so wichtig geworden sind, gezeigt. Ich habe sie gezeigt, weil ich den Kern dieser Bilder auch in den Worten des Paulus entdecke, die uns für den heutigen Tag aufgegeben sind. Er schreibt in seinem 1. Brief an die Gemeindeglieder in Korinth:

2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten.

Da ist er wieder, mit Worten, dieser Zeigefinger, der auf Jesus hindeutet. So hat auch Paulus sich verstanden. Er selber ist nicht wichtig, sondern allein der, auf den er hinweist. Der Bote muß hinter seine Botschaft zurücktreten. Wie kam es dazu? Paulus hat auf seiner 2. Missionsreise die christliche Gemeinde in der griechischen Stadt Korinth gegründet. Ein brillanter Redner scheint er im Vergleich mit den Philosophen dieser Weltstadt nicht gewesen zu sein. Überhaupt ist er nach seinen eigenen Worten keine ansehnliche Erscheinung gewesen. Und trotz dieser schlechten Voraussetzungen hat das Evangelium in Korinth die Herzen erreicht. Nachdem die Gemeinde dort einigermaßen gefestigt ist, zieht er, ruhelos wie er war, wieder weiter, und hält noch durch Briefe Kontakt. Nach ihm scheinen hervorragende christliche Redner gekommen zu sein, die die Gemeinde für sich eingenommen haben. Offenbar haben sie sich auf ihre Weisheit etwas eingebildet und den Paulus madig gemacht. Als der davon erfährt, schreibt er unter anderem:

2 1 Liebe Brüder, als ich (damals) zu euch kam, kam ich nicht mit hohen Worten und hoher Weisheit, euch das Geheimnis Gottes zu verkündigen. 2 Denn ich hielt es für richtig, unter euch nichts zu wissen als allein Jesus Christus, den Gekreuzigten. 3 Und ich war bei euch in Schwachheit und in Furcht und mit großem Zittern; 4 und mein Wort und meine Predigt geschahen nicht mit überredenden Worten menschlicher Weisheit, sondern in Erweisung des Geistes und der Kraft, 5 damit euer Glaube nicht stehe auf Menschenweisheit, sondern auf Gottes Kraft.

Daß die Menschen in Korinth zum Glauben gekommen sind, versteht er nicht als sein Verdienst. Nicht er selbst soll dadurch groß werden, sondern entscheidend ist, daß die Menschen das Leben finden. In einem Bild gesprochen versteht sich Paulus als eine Art Wegweiser. So wie Luther auf seiner Kanzel. So wie Johannes der Täufer zu Füßen des Kreuzes. Sie sind mit ihrer Handbewegung wie lebendige Wegweiser.

Und der Sinn und Lebenszweck eines Wegweisers, wenn man das so sagen kann, ist, Menschen von sich weg zu weisen, Menschen in eine bestimmte Richtung zu weisen. Der Wegweiser soll die Menschen gerade nicht bei sich behalten, sondern sie ermutigen, den gezeigten Weg einzuschlagen. Das kann man dem Menschen nicht ersparen. Das können uns Paulus, Johannes der Täufer oder Luther nicht ersparen: daß wir den Weg, den sie weisen, selbst beschreiten.

Vom Geheimnis des Glaubens

Was ist zu entdecken, wenn man sich auf den Weg zum Gekreuzigten macht? In den Worten des Paulus: Man findet "das Geheimnis Gottes". Man findet es "in Erweisung des Geistes und der Kraft". Wer sich auf den Weg macht, findet dort ein Geheimnis. Wer sich auf den Weg macht, kann erleben, wie sich Gott selber durch Geist und Kraft wirksam erweist.

Vom Geheimnis des Kreuzes

Was könnte das für ein Geheimnis sein, das beim Gekreuzigten verborgen liegt? Vielleicht das Geheimnis, daß auch im Leiden und in der Schwachheit Sinn zu finden ist: Rein äußerlich ist der Gekreuzigte der Verlierer, der Gescheiterte. Und doch hat er in 2000 Jahren Geschichte die Welt umgekrempelt wie kein anderer. Der Apostel Paulus, eine unansehnliche Erscheinung, ein schlechter Redner, ein Menschen mit einer chronischen Krankheit, die ihm Gott trotz dreifacher Bitte nicht abnimmt. Er erhält von Gott als persönliche Botschaft: "Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." (2. Korinther 12,9)

Immer wieder entdecken Menschen das Geheimnis, daß auch Krankheit und Leiden einen Sinn bekommen können: dadurch, daß man die wahren Freunde entdeckt, dadurch, daß Menschen sich einander zuwenden, dadurch, daß man auf einmal Nebensächliches und Entscheidendes besser unterscheiden kann, dadurch, daß man entdeckt, daß die Welt nicht nur aus Egoisten besteht, daß man vielleicht sogar getröstet und gestärkt wird, wenn man sieht, wie jemand anders mit seinem Schicksal umgeht. Und dann läßt sich auf einmal mitten im Leiden ungeahnte Kraft finden und der Glaube wiederentdecken.

Das ist die einzige Antwort, die man einem Menschen geben kann, der fragt, ob sich das Glauben lohnt: "Probier es aus. Probier es aus, ob sich, wie Paulus sagt, bei dir Gott durch Geist und Kraft wirksam erweist. Probier es aus. Geh in die Richtung, die der Wegweiser zeigt. Aber geh."

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen uns Sinne in Christus Jesus. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de