|
Die Predigt |
Der Karfreitag
und die Warum-Frage
"Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?" Die
Warum-Frage Jesu am Kreuz ist die Karfreitagsfrage vieler Menschen.
Nicht nur beim Karfreitag Jesu, sondern auch bei den anderen Karfreitagen
der Geschichte und des eigenen Lebens. Die Karfreitage haben nicht
aufgehört und hören nicht auf. Durch die 60. Jahrestage
sind uns die Bombardierung Dresdens
und jetzt Würzburgs wieder vor Augen geführt worden. Fassungslos
sind wir durch die Einzelheiten des Prozesses an das Martyrium des
kleinen Mädchens erinnert worden, das von seinen Eltern zu Tode
gequält wurde. Schon wieder hat ein Jugendlicher lächelnd
ein Massaker angerichtet. Und da sind die namenlosen Karfreitage im
Leben Einzelner, die nicht nach
außen dringen, sondern die jeder mit sich selber ausmacht.
Die Passion aus verschiedener Sicht
Die vier Evangelisten, die die Passion Jesu beschreiben, jeder aus
seiner Sicht, lehren den Umgang mit dem Leid. "Mein Gott, mein
Gott, warum hast du mich verlassen?" So beendet Jesus nach den
Worten des Markusevangeliums sein Leben am Kreuz. Jesus fragt "warum?"
Er kennt das Gefühl der Gottverlassenheit und weiß doch,
er ist nicht verlassen. "Mein Gott, mein Gott." Er bleibt
an Gott und gibt sich ihm trotz aller seiner Fragen in die Hände.
Der Evangelist Johannes, dessen Evangelium wir vorhin gehört
haben, hebt den Sieg Jesu hervor. Bis zuletzt, bis zum letzten Atemzug,
ist er seiner Sendung treu geblieben. "Es ist vollbracht!"
Er diente den Menschen, und er
diente ihnen bis zum Tode.
Heute sind wir eingeladen, die Passion nach dem Evangelisten Lukas
zu bedenken. Für ihn ist noch entscheidender als wie für
Johannes, dass Jesus sich treu bleibt: dass der, der zu Lebzeiten
für die Menschen da war, auch in
seinen letzten Stunden für andere da ist. Da ist keine Warum-Frage.
Jesus setzt sich nicht mit seinem eigenen Leiden auseinander, sondern
er hat Augen nur für die, die um ihn sind. Drei der sog. sieben
Worte am Kreuz, die sich nur bei Lukas finden, sind der Kern und zeigen
seine Sicht der Dinge:
Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!
Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.
Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
... und das Volk stand da und schaute zu
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte,
kreuzig¬
ten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten
und einen
zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie
wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen
das Los darum. 35 Und das Volk stand da und sah zu.
Eigentlich ist ja Jesus das Opfer und die anderen sind die Täter:
Die Soldaten und das Volk. Und doch ist es andersherum: Der Ohnmächtige
am Kreuz ist der Tätige, der Handelnde. Und die Umstehenden sind
eigentlich
die Ohnmächtigen, die Passiven: "Das Volk stand da und
sah zu." Und die Soldaten, sie gehorchten ihren Befehlen
und fragten nicht viel. Wer weiß,
ob sie überhaupt gerne mitgegangen sind. Man musste ihnen die
Arbeit versüßen, indem sie sich hinterher die wenigen Habseligkeiten
des Toten
teilen durften.
"Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun."
Die Soldaten sind
Befehlsempfänger. Sie machen ihre Arbeit wie viele andere, die
heute als Befehlsempfänger ihrer Pflicht nachgehen. Und das Volk,
es steht da und gafft. So wie es heute noch den Verkehr behindert,
wenn auf der anderen Autobahnspur etwas passiert ist. So wie es auch
heute noch den Rettern im Weg steht.
Wie geht Jesus mit seinem Leiden um? Das Leid macht ihn nicht ohnmächtig.
Es lässt ihn handeln. Es öffnet ihm die Augen für die
anderen. Für die Zwänge, in denen sie stehen und für
ihre Ohnmacht. Leid ist nicht dazu da, theoretisch durchdacht zu werden.
Leid ist da, dass man anpackt.
Der Spott trifft ihn nicht
Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen;
er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.
36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten
ihm Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir
selber! 38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist
der Juden König.
Die dritte Gruppe neben den Befehlsempfängern, die ihre Pflicht
tun, und
neben den ohnmächtigen Zuschauern: Die Spötter. Die, die
sich über dem Leiden der anderen noch das Maul zerreißen.
Die Oberen. Die Oberen des
Volkes, die Jesus loshaben wollen, und die Drecksarbeit andere machen
lassen. Die auf Kosten des Volkes und auf Kosten der Soldaten spotten.
"Hilf dir selber." spotten sie und kosten ihre teuflische
Macht aus. Und Jesus
lässt die Spötter gewähren und geht nicht auf sie ein.
Auch das wirft nach Lukas ein Licht auf den Umgang Jesu mit dem Leiden:
Er könnte sich helfen. Er könnte sich von Gott helfen lassen.
Aber er würde seine Sendung verraten, denn dann wäre er
im Mittelpunkt und nicht die Menschen, um die es ihm geht.
Auch wir haben mitgemischt
39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte
ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!
40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest
dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?
41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten
verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42 Und er sprach:
Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und Jesus
sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies
sein.
Jesus bleibt sich treu: Anstatt auf das Gespött der Menge einzugehen,
anstatt auf das Gespött des einen Verbrechers einzugehen, nimmt
er sich des anderen Verurteilten an. Ob die beiden Verurteilten Gute
oder Böse waren, ob sie aus heutiger Sicht Freiheitskämpfer
oder Terroristen waren, wissen wir nicht. Das ist auch nicht entscheidend,
denn der eine der beiden redet sich ja nicht heraus. Er versucht sich
nicht zu ent-schuldigen, sondern er bekennt im Gegensatz zur gaffenden
Menge, im Gegensatz zu den Befehlsempfängern, im Gegensatz zu
den Oberen: Ich habe mitgemischt. Ich bin in Schuld verflochten. Ich
kann mich nicht herausreden.
Leid ist also nach Lukas nicht da, dass man sich entschuldigt, sondern
dass man seine Verflechtung in die Dinge wahrnimmt und bekennt, ob
man es nun wirklich hätte ändern können oder nicht.
Behörden und Nachbarn, die über Jahre hinweg nicht merken
oder nicht gemerkt haben wollen, wie ein Kind gequält wird. Verwandte,
Mitschüler und Nachbarn, die nicht spüren, welche unheilvolle
Entwicklung sich in einem
Jugendlichen anbahnt. Oder die Verflechtungen der modernen Zeit, an
denen wir alle teilhaben: Als Autofahrer an der Feinstaubkonzentration,
die in Bayreuth die höchste ist. Als Bürger der westlichen
Welt, die zuschaut bei Völkermorden und Hunger in Afrika.
Jesus bleibt sich und Gott treu
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis
über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne
verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei.
46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!
Und als er das gesagt hatte, verschied er.
Die Menschen merken nicht, was da geschieht, so könnte man sagen.
Sie schauen zu. Sie spotten. Sie reden sich heraus. Sie waschen ihre
Hände in Unschuld. Doch die Schöpfung, die Natur trauert
mit. Sie nimmt Anteil am Tod Jesu. Zur sechsten Stunde, also mittags
um 12, will die Sonne nicht mehr scheinen. Und mit Psalm 31, dem Abendgebet
des frommen Juden, gibt Jesus sein Leben in Gottes Hände.
Offene Augen trotz des eigenen Leids
Jesus bleibt sich treu bis zuletzt. Jesus bleibt Gott treu bis zuletzt.
Ein Teil der Umstehenden, so lesen wir, begreift:
47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und
sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und
als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah,
schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen
aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus
Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Karfreitage sind nicht dazu da, unbeteiligt zuzuschauen oder sich
herauszureden. Sie sind da, sich an die Brust zu schlagen und umzukehren.
Umkehren, das hieß nur vordergründig: Wieder nach Hause
gehen. Mancher
hat offenbar gelernt aus diesem Geschehen.
Ich hoffe inständig, dass uns solche Karfreitage erspart bleiben,
wo Kinder in
unserer Nachbarschaft missachtet werden, wo wir die unheilvolle Entwicklung
Jugendlicher nicht spüren, wo wir die Anzeichen eines sich anbahnenden
Suizids nicht erkennen, wo Menschen in unserer Nähe leiden und
ungetröstet bleiben. Ich hoffe, dass es dann nicht nachträglich
heißen muss: "Und das Volk stand da und sah zu." Gott
schenke, dass wir trotz eigenen Leids offene Augen haben wie Jesus
am Kreuz für das Leid der Menschen um uns herum. |
|