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predigt[e].de

Die Predigt vom 13. November 2005 (Vorletzter Sonntag des Kirchenjahres):
»Es ist fünf vor zwölf«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Sein Thema ist die Verantwortung des Menschen vor Gott. Evangelium (1. Lesung) war das sog. Gleichnis vom jüngsten Gericht und Epistel (2. Lesung) die Worte des Paulus von der leidenden Schöpfung. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war ein Gleichnis Jesu nach Lukas 16:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
1 Jesus sprach zu den Jüngern: Es war ein reicher Mann, der hatte einen Verwalter; der wurde bei ihm beschuldigt, er verschleudere ihm seinen Besitz. 2 Und er ließ ihn rufen und sprach zu ihm: Was höre ich da von dir? Gib Rechenschaft über deine Verwaltung; denn du kannst hinfort nicht Verwalter sein.
3 Der Verwalter sprach bei sich selbst: Was soll ich tun? Mein Herr nimmt mir das Amt; graben kann ich nicht, auch schäme ich mich zu betteln. 4 Ich weiß, was ich tun will, damit sie mich in ihre Häuser aufnehmen, wenn ich von dem Amt abgesetzt werde. 5 Und er rief zu sich die Schuldner seines Herrn, einen jeden für sich, und fragte den ersten: Wie viel bist du meinem Herrn schuldig? 6 Er sprach: Hundert Eimer Öl. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein, setz dich hin und schreib flugs fünfzig. 7 Danach fragte er den zweiten: Du aber, wie viel bist du schuldig? Er sprach: Hundert Sack Weizen. Und er sprach zu ihm: Nimm deinen Schuldschein und schreib achtzig.
8 Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte; denn die Kinder dieser Welt sind unter ihresgleichen klüger als die Kinder des Lichts.
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Die Predigt
Jesus und seine Gleichnisse

Nirgends merkt man wohl so deutlich wie in dieser Geschichte, dass man die Gleichnisse Jesu nicht einfach wörtlich verstehen kann. Gerne erzählt Jesus typische Beispielgeschichten aus dem Alltag bzw. solche, die so geschehen sein könnten. Und dann sagt er: So ähnlich verhält es sich mit Gott. Man muss also hinter den Sinn seiner Worte sehen. Man muss die übertragene Bedeutung der Gleichnisrede entdecken, den springenden Punkt, auf den es Jesus ankommt.
Darunter sind auch überraschende und anstößige Geschichten, die zum Zuhören und zur Aufmerksamkeit herausfordern. So ähnlich vielleicht wie die fetten Überschriften einer bekannten Zeitung. Wenn Jesus z.B. von den Weinbergsarbeitern erzählt, bei denen der nur eine Stunde gearbeitet hat, genauso viel bekommt wie der, der den ganzen Tag gearbeitet hat. Was könnte man sich als Gewerkschafter über diese Geschichte aufregen, wenn man nicht ihren springenden Punkt beachten würde.

Ein Betrüger als Vorbild

Wenn man die Reaktionen der Ausleger über die Jahrhunderte anschaut, haben wir hier vielleicht die anstößigste Beispielgeschichte Jesu vor uns. Da wird jemand öffentlich gelobt, der ganz ungeniert betrogen, unterschlagen und gefälscht hat:
Da hat ein reicher Großgrundbesitzer seine Ländereien irgendwo in Israel einem Verwalter anvertraut. Er selber sitzt weit weg, vielleicht in einer Villa am Mittelmeer und lässt sein Geld - oder besser seinen Verwalter - für sich arbeiten. Der hatte relativ freie Hand. Hauptsache, er mehrt ihm sein Vermögen. Dann kommt dem Besitzer aber gerüchteweise zu Ohren, sein Verwalter würde das ihm anvertraute Hab und Gut verschleudern. Wie genau, steht nicht da. Er bestellt ihn zu sich und fordert ihn auf, Rechenschaft abzulegen. Der Verwalter soll die Bücher offen legen, um dann entlassen zu werden. Nicht fristlos, aber in kürzester Frist.
Er geht und weiß, dass er verspielt hat. Alles würde herauskommen bei der Rechnungsprüfung. Er hat seine Stellung praktisch schon verloren und muss sich Gedanken um seine persönliche Zukunft machen. Nur eine Galgenfrist bleibt ihm noch. Die will er nützen, um das Beste aus seiner verfahrenen Situation zu machen. Die möglichen Alternativen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gefallen ihm nicht: auf dem Feld arbeiten oder gar betteln. So versucht er sich durch die Fälschung der Schuldscheine Freunde zu verschaffen für die Zeit danach. Weil wir die genannten Maße nicht kennen, merken wir nicht, dass es sich um beträchtliche Summen handelt. Die Schuldner werden es ihm wohl nicht vergessen.
Und dann endet die Geschichte: „Und der Herr lobte den ungetreuen Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Und Jesus: Kein Wort der Kritik, sondern eher Bewunderung: „Wenn doch die Kinder des Lichts, also die Christen, auf ihre Art und in ihrem Bereich genauso klug wären wie dieser Betrüger!“

Es ist fünf vor zwölf

„Es ist fünf vor zwölf.“ Diese Überschrift könnte man über die Geschichte setzen. Und so verstehen die meisten Ausleger diese Geschichte auch. Gelobt wird nicht der Betrug des Verwalters, sondern wie klug und konsequent er mit seiner Galgenfrist umgegangen ist.

Was meint Jesus hier mit klug? Was müssten die Christen, die Kinder des Lichts, lernen? Klug ist, wer den Ernst der Lage erfasst und handelt. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12) Klug werden von Jesus z.B. jene fünf Brautjungfern beschrieben, die sich, als der Bräutigam sich verspätete, trotzdem bereithalten und vorbereiten. Mit diesem überraschend kommenden Bräutigam meint Jesus Gott, der überraschend kommen und von den Menschen Rechenschaft verlangen kann. Da wird es sich zeigen, ob man vorbereitet ist oder nicht, ob man sein Leben darauf eingerichtet hat oder nicht.
Es ist fünf vor zwölf für dich, sagt Jesus mit dieser Beispielgeschichte. Es könnte sein, dass du dich ganz plötzlich zu verantworten hast. Es könnte sein, dass du nur noch wenig Zeit hast, nur noch eine Galgenfrist.
Wenn wir als Verwalter der Gaben Gottes die Rechnung unseres Lebens Punkt für Punkt und gnadenlos offen legen müssen, wird es uns nicht anders gehen. In dieser Lage klug handeln wie der Verwalter im Gleichnis könnte bedeuten: Den Ernst der Lage sehen. Schnell und klug handeln. Natürlich nicht in einer verbrecherischen Klugheit wie der Verwalter im Gleichnis, sondern mit christlicher Klugheit und Cleverness entsprechend dem Wort Jesu an anderer Stelle: „Seid klug wie die Schlangen aber ohne Fehl wie die Tauben.“

Leben im Angesicht der Endlichkeit

Christliche Klugheit ist gefragt. Wie könnte sie aussehen? Ihr Gegenteil wäre eine Lebenshaltung, die sagt: „Ich kann ja an dem allen doch nichts machen.“ Oder scheinbar noch ein bisschen frömmer: „Es ist ja doch alles vorherbestimmt.“ Oder: „Der Herrgott wird’s schon richten.“

Vielleicht hilft die immer wieder einmal theoretisch gestellte Frage: „Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass ich nur noch ein paar Monate zu leben habe?" Vor diese Frage kann ja theoretisch jeder von uns heutzutage bei einem Arztbesuch gestellt werden.

Was könnte man tun? Viele Möglichkeiten gibt es, die alle irgendwann schon einmal wahr gemacht wurden. Ich will mit dem Äußersten anfangen: Man könnte sich umbringen, weil man den Gedanken nicht aushält und weil ja doch alles zu spät ist und es dann auf die paar Monate weniger auch nicht mehr ankommt. Und dann gibt es sogar solche, die auch andere mit sich in den Tod reißen, weil sie dann angeblich ohne sie nicht leben können.
Wieder andere lassen sich gehen und betäuben sich. Leben in den Tag hinein, bis der Tag kommt.
Noch andere raffen schnell alles zusammen, was das Leben noch zu bieten hat, und was sie schon immer versäumt haben: Jede Reise, jedes Vergnügen, jede Spezialität, alles was man sich schon lange einmal leisten wollte.

Nicht gottvergessen leben

Allen diesen Möglichkeiten ist gemeinsam, dass sie egoistisch sind. Man sieht nur seinen eigenen Schmerz oder seine eigene Freude. Alle Menschen um einen herum sind ausgeblendet.
Und: Allen ist gemeinsam, dass sie vergessen, dass es einen Gott gibt. Einen Gott, vor dem man sich verantworten muss. Einen Gott aber auch, in dessen Arme man sich flüchten kann, wie der verlorene Sohn in einem weiteren Gleichnis Jesu. (Es steht übrigens unmittelbar vor diesem hier mit dem untreuen Verwalter.) Auch der hätte sich fünf vor zwölf am Tiefpunkt seines Lebens im Schweinepfuhl umbringen und alle Hoffnung fahren lassen können. Nein, er macht sich auf den Weg: „Vater, ich habe gesündigt gegen den Himmel und vor dir.“ (Lk 15,21)

Klug handeln, weil es vielleicht fünf vor zwölf ist. Ich kann Ihnen nicht von der Kanzel herab sagen, was das im einzelnen bedeutet. Jedes Leben ist anders. Und nicht in jede und jeden kann ich mich wirklich hinein versetzen.

Das Leben nicht vermehren, sondern vertiefen

Für mich selber würde ich mir wünschen, das Leben in dieser Situation nicht krampfhaft zu vermehren, sondern zu vertiefen: also nicht allem und jedem noch schnell hinterher zu rennen. Die Zeit, die noch bleibt, ganz bewusst zu leben und nützen. Mein Verhältnis und meine Nähe zu Gott und zu den Menschen zu prüfen und zu ordnen.

Und noch ein weiteres, damit neben dem persönlichen Leben und der Innerlichkeit die Welt nicht vergessen wird: Es sei fünf vor zwölf, dieser Ausdruck wird ja auch gerne im Blick auf die Umwelt verwendet. Auch im Blick auf die sozialen Sicherungssysteme in unserer Gesellschaft.

Auch in diesem Sinne sind wir als Christen ja Verwalter, denen von unserem Herrn etwas zu treuen Händen anvertraut ist. Es sind uns nicht nur Lebenszeit anvertraut oder Talente und Fähigkeiten, sondern auch Menschen in der Nähe und in der Ferne, die Kinder und Jugendlichen, die eine Zukunft brauchen, und auch Welt und Schöpfung mit ihrer Zukunft.
Klug handeln, die Zeit auskaufen im Sinne Jesu, kann nicht bedeuten, die Hände in den Schoß zu legen, oder zu schreien „Rette sich, wer kann.“ und selber möglichst ungeschoren durchzukommen.

Zu guter Letzt: Weltlich begehen wir heute den sog. Volkstrauertag, der der Opfer gedenkt und aufgrund der Geschichte eindringlich zum Frieden mahnt. Auch der Friede im Kleinen und im Großen braucht immer wieder dieses kluge Handeln in der Verantwortung vor Gott. Ein Handeln, das die Zeichen der Zeit erkennt und nicht die Hände in den Schoß legt.

Mutig und getrost im Vertrauen auf die Begleitung Gottes:

Du schenkst uns Zeit!
Wir wollen sie gestalten,
als dein Geschenk in unsern Händen halten.
Herr, lass uns stille werden, dass wir sehn:
Du willst zu aller Zeit
mit uns durchs Leben gehn.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de