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Die Predigt |
Jesus und seine
Gleichnisse
Nirgends merkt man wohl so deutlich wie in dieser Geschichte, dass
man die Gleichnisse Jesu nicht einfach wörtlich verstehen kann.
Gerne erzählt Jesus typische Beispielgeschichten aus dem Alltag
bzw. solche, die so geschehen sein könnten. Und dann sagt er:
So ähnlich verhält es sich mit Gott. Man muss also hinter
den Sinn seiner Worte sehen. Man muss die übertragene Bedeutung
der Gleichnisrede entdecken, den springenden Punkt, auf den es Jesus
ankommt.
Darunter sind auch überraschende und anstößige Geschichten,
die zum Zuhören und zur Aufmerksamkeit herausfordern. So ähnlich
vielleicht wie die fetten Überschriften einer bekannten Zeitung.
Wenn Jesus z.B. von den Weinbergsarbeitern erzählt, bei denen
der nur eine Stunde gearbeitet hat, genauso viel bekommt wie der,
der den ganzen Tag gearbeitet hat. Was könnte man sich als Gewerkschafter
über diese Geschichte aufregen, wenn man nicht ihren springenden
Punkt beachten würde.
Ein Betrüger als Vorbild
Wenn man die Reaktionen der Ausleger über die Jahrhunderte anschaut,
haben wir hier vielleicht die anstößigste Beispielgeschichte
Jesu vor uns. Da wird jemand öffentlich gelobt, der ganz ungeniert
betrogen, unterschlagen und gefälscht hat:
Da hat ein reicher Großgrundbesitzer seine Ländereien irgendwo
in Israel einem Verwalter anvertraut. Er selber sitzt weit weg, vielleicht
in einer Villa am Mittelmeer und lässt sein Geld - oder besser
seinen Verwalter - für sich arbeiten. Der hatte relativ freie
Hand. Hauptsache, er mehrt ihm sein Vermögen. Dann kommt dem
Besitzer aber gerüchteweise zu Ohren, sein Verwalter würde
das ihm anvertraute Hab und Gut verschleudern. Wie genau, steht nicht
da. Er bestellt ihn zu sich und fordert ihn auf, Rechenschaft abzulegen.
Der Verwalter soll die Bücher offen legen, um dann entlassen
zu werden. Nicht fristlos, aber in kürzester Frist.
Er geht und weiß, dass er verspielt hat. Alles würde herauskommen
bei der Rechnungsprüfung. Er hat seine Stellung praktisch schon
verloren und muss sich Gedanken um seine persönliche Zukunft
machen. Nur eine Galgenfrist bleibt ihm noch. Die will er nützen,
um das Beste aus seiner verfahrenen Situation zu machen. Die möglichen
Alternativen, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, gefallen ihm nicht:
auf dem Feld arbeiten oder gar betteln. So versucht er sich durch
die Fälschung der Schuldscheine Freunde zu verschaffen für
die Zeit danach. Weil wir die genannten Maße nicht kennen, merken
wir nicht, dass es sich um beträchtliche Summen handelt. Die
Schuldner werden es ihm wohl nicht vergessen.
Und dann endet die Geschichte: „Und der Herr lobte den ungetreuen
Verwalter, weil er klug gehandelt hatte.“ Und Jesus: Kein Wort
der Kritik, sondern eher Bewunderung: „Wenn doch die Kinder
des Lichts, also die Christen, auf ihre Art und in ihrem Bereich genauso
klug wären wie dieser Betrüger!“
Es ist fünf vor zwölf
„Es ist fünf vor zwölf.“ Diese Überschrift
könnte man über die Geschichte setzen. Und so verstehen
die meisten Ausleger diese Geschichte auch. Gelobt wird nicht der
Betrug des Verwalters, sondern wie klug und konsequent er mit seiner
Galgenfrist umgegangen ist.
Was meint Jesus hier mit klug? Was müssten die Christen, die
Kinder des Lichts, lernen? Klug ist, wer den Ernst der Lage erfasst
und handelt. „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen,
auf dass wir klug werden.“ (Psalm 90,12) Klug werden von Jesus
z.B. jene fünf Brautjungfern beschrieben, die sich, als der Bräutigam
sich verspätete, trotzdem bereithalten und vorbereiten. Mit diesem
überraschend kommenden Bräutigam meint Jesus Gott, der überraschend
kommen und von den Menschen Rechenschaft verlangen kann. Da wird es
sich zeigen, ob man vorbereitet ist oder nicht, ob man sein Leben
darauf eingerichtet hat oder nicht.
Es ist fünf vor zwölf für dich, sagt Jesus mit dieser
Beispielgeschichte. Es könnte sein, dass du dich ganz plötzlich
zu verantworten hast. Es könnte sein, dass du nur noch wenig
Zeit hast, nur noch eine Galgenfrist.
Wenn wir als Verwalter der Gaben Gottes die Rechnung unseres Lebens
Punkt für Punkt und gnadenlos offen legen müssen, wird es
uns nicht anders gehen. In dieser Lage klug handeln wie der Verwalter
im Gleichnis könnte bedeuten: Den Ernst der Lage sehen. Schnell
und klug handeln. Natürlich nicht in einer verbrecherischen Klugheit
wie der Verwalter im Gleichnis, sondern mit christlicher Klugheit
und Cleverness entsprechend dem Wort Jesu an anderer Stelle: „Seid
klug wie die Schlangen aber ohne Fehl wie die Tauben.“
Leben im Angesicht der Endlichkeit
Christliche Klugheit ist gefragt. Wie könnte sie aussehen? Ihr
Gegenteil wäre eine Lebenshaltung, die sagt: „Ich kann
ja an dem allen doch nichts machen.“ Oder scheinbar noch ein
bisschen frömmer: „Es ist ja doch alles vorherbestimmt.“
Oder: „Der Herrgott wird’s schon richten.“
Vielleicht hilft die immer wieder einmal theoretisch gestellte Frage:
„Was würde ich tun, wenn ich wüsste, dass ich nur
noch ein paar Monate zu leben habe?" Vor diese Frage kann ja
theoretisch jeder von uns heutzutage bei einem Arztbesuch gestellt
werden.
Was könnte man tun? Viele Möglichkeiten gibt es, die alle
irgendwann schon einmal wahr gemacht wurden. Ich will mit dem Äußersten
anfangen: Man könnte sich umbringen, weil man den Gedanken nicht
aushält und weil ja doch alles zu spät ist und es dann auf
die paar Monate weniger auch nicht mehr ankommt. Und dann gibt es
sogar solche, die auch andere mit sich in den Tod reißen, weil
sie dann angeblich ohne sie nicht leben können.
Wieder andere lassen sich gehen und betäuben sich. Leben in den
Tag hinein, bis der Tag kommt.
Noch andere raffen schnell alles zusammen, was das Leben noch zu bieten
hat, und was sie schon immer versäumt haben: Jede Reise, jedes
Vergnügen, jede Spezialität, alles was man sich schon lange
einmal leisten wollte.
Nicht gottvergessen leben
Allen diesen Möglichkeiten ist gemeinsam, dass sie egoistisch
sind. Man sieht nur seinen eigenen Schmerz oder seine eigene Freude.
Alle Menschen um einen herum sind ausgeblendet.
Und: Allen ist gemeinsam, dass sie vergessen, dass es einen Gott gibt.
Einen Gott, vor dem man sich verantworten muss. Einen Gott aber auch,
in dessen Arme man sich flüchten kann, wie der verlorene Sohn
in einem weiteren Gleichnis Jesu. (Es steht übrigens unmittelbar
vor diesem hier mit dem untreuen Verwalter.) Auch der hätte sich
fünf vor zwölf am Tiefpunkt seines Lebens im Schweinepfuhl
umbringen und alle Hoffnung fahren lassen können. Nein, er macht
sich auf den Weg: „Vater, ich habe gesündigt gegen den
Himmel und vor dir.“ (Lk 15,21)
Klug handeln, weil es vielleicht fünf vor zwölf ist. Ich
kann Ihnen nicht von der Kanzel herab sagen, was das im einzelnen
bedeutet. Jedes Leben ist anders. Und nicht in jede und jeden kann
ich mich wirklich hinein versetzen.
Das Leben nicht vermehren, sondern vertiefen
Für mich selber würde ich mir wünschen, das Leben in
dieser Situation nicht krampfhaft zu vermehren, sondern zu vertiefen:
also nicht allem und jedem noch schnell hinterher zu rennen. Die Zeit,
die noch bleibt, ganz bewusst zu leben und nützen. Mein Verhältnis
und meine Nähe zu Gott und zu den Menschen zu prüfen und
zu ordnen.
Und noch ein weiteres, damit neben dem persönlichen Leben und
der Innerlichkeit die Welt nicht vergessen wird: Es sei fünf
vor zwölf, dieser Ausdruck wird ja auch gerne im Blick auf die
Umwelt verwendet. Auch im Blick auf die sozialen Sicherungssysteme
in unserer Gesellschaft.
Auch in diesem Sinne sind wir als Christen ja Verwalter, denen von
unserem Herrn etwas zu treuen Händen anvertraut ist. Es sind
uns nicht nur Lebenszeit anvertraut oder Talente und Fähigkeiten,
sondern auch Menschen in der Nähe und in der Ferne, die Kinder
und Jugendlichen, die eine Zukunft brauchen, und auch Welt und Schöpfung
mit ihrer Zukunft.
Klug handeln, die Zeit auskaufen im Sinne Jesu, kann nicht bedeuten,
die Hände in den Schoß zu legen, oder zu schreien „Rette
sich, wer kann.“ und selber möglichst ungeschoren durchzukommen.
Zu guter Letzt: Weltlich begehen wir heute den sog. Volkstrauertag,
der der Opfer gedenkt und aufgrund der Geschichte eindringlich zum
Frieden mahnt. Auch der Friede im Kleinen und im Großen braucht
immer wieder dieses kluge Handeln in der Verantwortung vor Gott. Ein
Handeln, das die Zeichen der Zeit erkennt und nicht die Hände
in den Schoß legt.
Mutig und getrost im Vertrauen auf die Begleitung Gottes:
Du schenkst uns Zeit!
Wir wollen sie gestalten,
als dein Geschenk in unsern Händen halten.
Herr, lass uns stille werden, dass wir sehn:
Du willst zu aller Zeit
mit uns durchs Leben gehn. |
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