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Die Predigt |
Das Trauerjahr
als Weg
Mit den Namen, die wir soeben verlesen haben, ist auch manche Erinnerung
wieder aufgewühlt worden. Für manche ist es noch ganz frisch.
Für andere ist es schon fast ein Jahr her. Aber auch, wenn es
bereits ein Jahr her ist, kann es noch frisch sein.
Mitten im sog. Trauerjahr stehen einige unter Ihnen, eine jede und
ein jeder von Ihnen an einer anderen Station dieses Weges, der Trauer
heißt.
Ein Weg ist die Trauer, ein Weg, der gegangen sein will. Trauer ist
nicht nur eine Sache des Herzens, sondern in diesem ersten Jahr v.a.
eine Sache der Füße. Abschied nehmen von einem Menschen,
Loslassenkönnen braucht Wege und braucht Zeit. Ziel des Weges
ist, einen Menschen einmal in Frieden loslassen können. Für
jeden ist der Weg dorthin verschieden lang. Doch abkürzen kann
ihn niemand, auch nicht durch einen Umweg umgehen.
Die Wegstationen der Trauer
Manche dieser verschiedenen Wegstationen des Abschieds werden an diesem
Tag noch einmal intensiv vor Ihrem inneren Auge vorüberziehen:
Die Todesnachricht, die Sie zuerst ganz einfach nicht wahrhaben wollten,
nicht fassen konnten; auch dann, wenn es vielleicht ein erwartbarer
Abschied war. Das Verhandeln mit Gott. Der Protest gegen ihn. Die
innere Auflehnung gegen eine Tatsache, die langsam und sicher von
einem Besitz ergreift. Die vielen Dinge, die zu regeln, die Menschen,
die zu benachrichtigen sind. Das Gefühl: Wenn nur dieser Tag
der Beerdigung oder der Trauerfeier schon vorbei wäre! Das tiefe
Loch, in das mancher fällt, wenn dann alles geschehen ist, wenn
die Gäste wieder abgereist sind und das Haus so leer ist.
Jedes Kleidungsstück, jeder Einrichtungsgegenstand, sie erinnern
nun an den, der nicht mehr da ist. Jeder Weg, jede kleine alltägliche
Verrichtung, die man gemeinsam getan hat. Jede Frage, die man gemeinsam
besprochen hat.
Dann der regelmäßige Weg zum Grab. Für manche fast
ein täglicher Weg in diesem ersten Jahr. Die Nachbarn und Freunde,
die es gut meinen und sagen: „Geh doch nicht dauernd auf den
Friedhof. Du machst es doch bloß noch schlimmer.“ Ein
guter Rat, der zwar das Ohr und den Verstand erreicht. Aber doch spüren
sie: Ich kann nicht anders. Es zieht mit hin. Ich habe sonst den ganzen
Tag keine Ruhe.
Und Sie spüren ganz deutlich und sagen es vielleicht auch manchem
im Gespräch: Ich kann noch nicht loslassen. Ich bin noch nicht
soweit. Wenn ich mit ihm, mit ihr, geredet habe, ist mir leichter.
Und doch wissen Sie, der Kopf weiß es: Der Zeitpunkt muss kommen,
wo ich loslassen muss, in Frieden loslassen muss; ihm, ihr, auch mir
die Ruhe gönnen, nach vorne blicken und eine neue Sicht des Lebens
gewinnen.
Einmal loslassen können
Jemand in Frieden gehen lassen, ihn loslassen können, weil man
ihn geborgen weiß bei Gott, das ist das Ziel des Trauerweges.
Worte des Apostels Paulus an die Christen im griechischen Thessalonich:
13 Wir wollen euch aber, liebe Schwestern und Brüder, nicht
im Ungewissen lassen über die, die entschlafen sind, damit ihr
nicht traurig sein müsst wie die andern, die keine Hoffnung haben.
14 Denn wenn wir glauben, dass Jesus gestorben und auferstanden ist,
so glauben wir, wird Gott auch die, die entschlafen sind, mit Jesus
einherführen. 17b Und so werden wir bei dem Herrn sein allezeit.
18 So tröstet euch mit diesen Worten untereinander.
Auf das letztgenannte kommt es Paulus an. Das ist, was der Trauer
Hoffnung gibt: Wir werden bei dem Herrn sein allezeit. Wer das weiß
und glaubt, dass er mitsamt seinen Verstorbenen bei Gott geborgen
und aufgehoben ist, für den hat der Weg der Trauer auch ein Ende,
und er kann ihn mit hoffnungsvollem Blick nach vorn gehen.
Nicht hoffnungslos trauern
Das heißt nun nicht, dass die Trauer für Paulus keine Bedeutung
hätte. Der Tod und die Abgründe, in die er einen stürzt,
sind auch für ihn bittere Realität. Das kann man schon daraus
ersehen, dass er die Verstorbenen als „Entschlafene“ bezeichnet.
„Entschlafene“ - davon hat ja auch der heutige „Gedenktag
der Entschlafenen“ seinen Namen bekommen. „Entschlafene“,
das war schon damals zur Zeit des Paulus eine Beschönigung, ein
Versuch, sich die Härte und die Endgültigkeit dieses Wortes
„Tod“ vom Leibe zu halten. Erst nur zaghaft kann man also
aus dieser Wortwahl heraushören, dass der Tod doch noch nicht
das Letzte ist.
Auch seine Formulierung, „damit ihr nicht traurig sein müsst
wie die anderen“, bedeutet nicht, dass Christen nicht trauern
dürften. Aber er sagt, und das sagt er sehr deutlich: Christen
trauern nicht hoffnungslos. Christen trauern nicht mit ungewissem
Ausgang, sondern mit einem Ziel.
Nicht um Gefühle geht es also letztlich. Gefühle wie die
Trauer kann man weder befehlen noch verbieten. Sie sind ganz einfach
da, überfallen einen und ziehen einen in ihren Bann. Vielmehr
geht es Paulus um einen festen Grund inmitten allen Trauerns. Und
da ist der deutlich: Christen trauern, aber sie trauern nicht ratlos
und sie trauern nicht hoffnungslos.
In Gottes Hand
„Damit ihr nicht traurig sein müsst wie die andern, die
keine Hoffnung haben.“
Worauf gründet sich seine Hoffnung? Sie gründet sich nach
Paulus auf den Glauben an den Tod und die Auferstehung Jesu. Wer nämlich
daran glaubt, dass der Tod Jesus nicht festhalten konnte, der weiß
etwas davon, dass der Tod im Leben eines Menschen nicht das Letzte,
sondern nur das Vorletzte ist. So wie Gott Jesus den Händen des
Todes entrissen hat, so wird er es auch bei den Verstorbenen tun.
Wie das gehen wird, darüber macht auch Paulus nicht viele Worte.
Der Kern dieser Worte: „Wir werden bei dem Herrn sein allezeit.“
Ich verstehe Paulus so: Nicht „was“ da nach dem Tod kommt,
ist die entscheidende Frage, sondern „wer“: Bei Gott sein,
das ist die Zukunft unserer Verstorbenen und auch unsere. „Bei
Gott sein“ - das verbindet uns beide, uns Lebende und die Verstorbenen.
Dass Sie mitsamt Ihren Verstorbenen in Gottes Hand stehen, das schenke
Ihrer Trauer Hoffnung und Richtung, und mache Sie fähig, in Frieden
loszulassen. Amen |
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