Wie
lebt ein Christ?
Eine Frage zum Nachdenken zu Anfang. Sie müssen sie natürlich
nicht laut beantworten: Wie sollte Ihrer Meinung nach ein Christ
leben? ... Ober vielleicht besser persönlich: Was ist Ihr Weg?
Wo zeigt sich Ihr Christsein im Alltag? ...
Da werden Ihnen vielleicht Worte durch den Kopf gehen wie Helfen,
Vergeben, Zeit haben, Anhören, Trösten, Spenden und ähnliche.
Vielleicht bringt es auch jemand zusammenfassend auf diesen eine
zentralen christlichen Begriff: Liebe. Ein Christ muss Liebe leben,
da sind wir uns sehr schnell einig. Und dann beginnen erst die Fragen:
Was heißt denn Liebe nun im einzelnen? Was heißt es
ganz praktisch?
Der folgende Abschnitt aus dem Brief des Petrus ist ein Versuch,
für den Alltag auszulegen, was Liebe heißen könnte.
Das Wort „Liebe“ kommt in diesem Abschnitt überhaupt
nicht vor, aber es ist überdeutlich das heimliche Thema. (Text
siehe oben)
Alltagstaten statt Sonntagsreden
Ich will mich wegen der Vielzahl der Gedanken bewusst mit den ersten
beiden Versen begnügen:
8 Seid allesamt gleichgesinnt, mitleidig, brüderlich, barmherzig,
demütig. 9 Vergeltet nicht Böses mit Bösem oder Scheltwort
mit Scheltwort, sondern segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid,
dass ihr den Segen ererbt.
Das ist ein schwieriger Text. Schwierig nicht in dem Sinn, dass
man nicht verstünde, was da steht. Sondern schwierig im Sinne
des Schriftstellers Mark Twain, der einmal gesagt hat:
Die meisten Menschen haben Schwierigkeiten mit den Bibelstellen,
die sie nicht verstehen. Ich für meinen Teil muss zugeben,
dass gerade mich gerade diejenigen Bibelstellen beunruhigen, die
ich verstehe.
Weil man über Liebe nicht einfach nur reden, sondern sie tun
soll, kann ich diese Worte nur mit Hausaufgaben auslegen. Sonst
halten wir Sonntagsreden, und wenn wir nach Hause kommen, bleibt
alles beim alten. Aus unseren Sonntagsreden müssen Alltagstaten
werden.
Liebe konkret nach dem 1. Petrusbrief. Erstens:
Liebe heißt: Gleichgesinnt sein.
„Eines Sinnes“ sein, sagt Paulus ähnlich an anderer
Stelle. Heißt das, dass alle gleich denken sollen, eine einheitliche
Meinung haben, gleichgeschaltet sein sollen? Das heißt es
bestimmt nicht. Das würde alles verwischen. Gott hat jeden
einzelnen von uns zu einem eigenen Geschöpf mit eigener Art
und eigenen Gaben gemacht. Das kann man nicht glatt bügeln.
Das kann man nicht wie mit einem Rasenmäher alles auf die einheitliche
Länge bringen.
Gleichgesinnt sein, heißt mehr: in dieselbe Richtung denken,
gleiche Ziele haben, miteinander an einem Strang ziehen, und auf
diesem Weg die vielen verschiedenen Gaben und Fähigkeiten auch
zur Entfaltung kommen lassen.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Was ist in unserer Gemeinde unsere
gemeinsame Richtung?
Zweitens: Liebe heißt, mitleidig sein.
Mitleid, damit ist nicht nur ein Gefühl gemeint: Ich empfinde
Mitleid mit jemandem. Mitleidig sein heißt wirklich mit-leiden.
Das Leid eines anderen sich zu Herzen nehmen. Nicht einfach außen
abtropfen und herunterrinnen lassen, wie das Wasser einer Dusche.
Und dann schüttelt man sich wie ein Hund den Pelz; und alles
ist wieder wie zuvor. Nein, nach innen muss es gehen.
Das heißt natürlich in der Praxis und im Alltag: Ich
kann ehrlicherweise nicht mit einem Dutzend Menschen Mitleid haben.
Beim echten Mitleid ist einer, ist eine genug und manchmal schon
fast zu viel. Wenn das Wort Mitleid nicht zum Geschwätz werden
soll, dann müssen wir uns auf wenig konzentrieren.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Welcher konkrete Mensch ist es,
der mein Mitleiden braucht?
Drittens: Liebe heißt, brüderlich sein, (besser:
geschwisterlich).
Damit ist so etwas wie der tiefere Grund der Liebe gemeint: Warum
soll ich überhaupt lieben? Warum kann ich lieben? Ich soll
und ich kann lieben, wenn ich mich vergewissere, dass die Menschen
um mich herum von Gott her gesehen meine Schwestern und Brüder
sind. Ich bin nicht mehr und nicht weniger wert als sie. Ich bin
ein Mensch wie sie. Ich habe mir mein Leben nicht selbst geschenkt.
Er hat aus meiner Sicht dasselbe Recht zu leben und glücklich
zu sein, wie ich aus seiner Sicht.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Bei wem tue ich mich besonders
schwer, sie oder ihn als Schwester oder Bruder zu akzeptieren?
Viertens: Liebe heißt, barmherzig sein.
Ähnlich wie beim Mitleid: Barmherzig sein hat etwas mit meinen
Gefühlen ganz tief drinnen zu tun. Das deutsche Wort Herz steckt
darin. Barmherzigkeit muss einen anderen Menschen, muss eine fremde
Not an das eigene Herz heranlassen. Barmherzigkeit muss sich öffnen.
Vom Gegenteil hartherzig her könnte man sagen: barmherzig ist
weichherzig, offenherzig, warmherzig.
Im griechischen Text steckt in diesem Wort nicht der Begriff „Herz“,
sondern „Eingeweide“: Also ganz tief nach drinnen, das
wo die Gefühle sind, da wo es mir bis an die Nieren geht, muss
ich einen Menschen mit seiner Not lassen.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Wer ganz konkret in meiner Nähe
hat solche Barmherzigkeit nötig?
Fünftens: Liebe heißt, demütig sein.
Demut, mit diesem alten Wort ist nicht Unterwürfigkeit gemeint,
katzbuckeln oder schleimen. Demut heißt auch nicht, dauernd
mit einer Büßermiene oder einem, ins Gesicht geschriebenen,
schlechtem Gewissen umherzulaufen. Demut heißt von seinem
Gegenteil Hochmut her: sich nicht überheben gegen andere. Oder
anders: Das alte deutsche Wort Demut heißt eigentlich in neues
Deutsch übersetzt Dienst-mut, Dienstbereitschaft, Bereitschaft
für andere da zu sein. Also wiederum nichts anderes, als in
die Tat umzusetzen, dass der andere neben mir als Geschöpf
des gleichen Gottes nicht mehr und auch nicht weniger wert ist als
ich.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Gegenüber welchen Menschen
fehlt es mir an solcher Demut?
Sechstens: Liebe heißt, nicht böse Taten oder
Worten wieder mit bösen Taten und Worten zu vergelten.
Ganz nahe ist hier der Petrusbrief an dem dran, was Jesus in der
Bergpredigt sagt. Handeln nach der alten Maxime „Wie du mir,
so ich dir.“ oder: „Auf einen groben Klotz gehört
ein grober Keil.“ führt zu einem Teufelskreis, aus dem
niemand heraus kommt. Wir können es im Land der Bibel zwischen
Israelis und Palästinensern täglich studieren. Das ist
dann das eigentlich Teuflische am Bösen, dass es immer wieder
Böses hervorbringt. Oder mit den Worten des deutschen Dichters
Schiller: „Das ist der Fluch der bösen Tat, dass sie
fortzeugend Böses muss gebären.“
Und noch etwas, was oft vergessen wird: Wer auf Böses mit Bösem
reagiert, ist nicht, wie er vielleicht meint, der Stärkere,
der sich nichts gefallen lässt, sondern er ist der Schwächere,
weil er sich provozieren und vom anderen sein Handeln aufzwingen
lässt.
Die Frage bleibt als Hausaufgabe: Bei wem muss ich vielleicht schon
lange den ersten Schritt tun und versuchen, Böses mit Gutem
zu vergelten?
Siebtens und letztens: Liebe heißt, zu segnen.
„Segnet vielmehr, weil ihr dazu berufen seid, den Segen Gottes
zu empfangen.“ Das griechische Wort für Segnen, das hier
steht, heißt wörtlich: gut reden. So könnte man
sagen: Böse Worte vergiften die Atmosphäre. Böse
Worte machen krank. Gute Worte dagegen heilen Beziehungen und machen
gesund. Wie viele Menschen mögen deswegen so verstockt sein,
weil sie immer nur böse Worte hören, weil sie immer nur
Ablehnung erfahren. Könnten gute, liebe und segnende Worte
nicht vielleicht den harten Panzer aufbrechen, den jemand um sein
Herz herum hat?
Doch segnen ist auch noch ein wenig mehr, als Gutes reden. Segnen
heißt auch, Gottes Liebe für einen Menschen erbitten,
Gottes Liebe auf ihn herabflehen. In diesem Sinne ist zu segnen
nicht nur die Aufgabe und das Recht eines Pfarrers, sondern Recht
und Aufgabe eines jeden Christen.
So bleibt wiederum als Hausaufgabe: Für wen in meiner Nähe
will ich still und geduldig den Segen Gottes erbitten, weil das
vielleicht das einzige ist, das ihn noch heilen kann?
„Lass mich mit jedermann in Fried und Freundschaft leben,
soweit es christlich ist. Willst du mir etwas geben an Reichtum,
Gut und Geld, so gib auch dies dabei, dass von unrechtem Gut nichts
untermenget sei.“ Amen
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