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Die Predigt |
Ein Liebeslied
auf den Gekreuzigten!?
„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und
ihrer Kinder.“ In eine eher fremde Welt entführt uns dieses
Lied von Paul Gerhardt: fremd von der Sprache und ihren Bildern her
und fremd vom theologischen Denken. Aus Anlass seines 400. Geburtstages
in diesem Jahr lade ich sie immer wieder ein, sich auf seine Lieder
tiefer einzulassen. Lieder von Paul Gerhardt sind vom Singen her oft
sehr bekannt, ihr Inhalt aber kommt über dem Singen leicht zu
kurz.
„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und
ihrer Kinder. – Das Lämmlein ist der große Freund
und Heiland meiner Seelen. – Mein Lebetage will ich dich aus
meinem Sinn nicht lassen. – Ich will von deiner Lieblichkeit
bei Nacht und Tage singen.“ Ein Liebeslied für den gekreuzigten
Jesus haben wir vor uns. Ein Lob auf seinen Tod.
400 Jahre Paul Gerhardt
Wie kann man so innerlich und glaubensvoll von dem schrecklichen Geschehen
der Kreuzigung sprechen? Wir dürfen die damalige Zeit nicht vergessen:
1647, so können Sie es unter dem Lied lesen, sind diese Verse
veröffentlicht worden. 1647, kurz vor dem Ende des schrecklichen
30-jährigen Krieges. In diesem Krieg hat Paul Gerhard viel sinnloses
und erzwungenes Leiden und Sterben gesehen. In Jesu Leiden dagegen
findet er einen tiefen Sinn. Und sein Tod war nicht erzwungen, sondern
er hat diesen Weg freiwillig auf sich genommen.
1647 war Paul Gerhardt 40 Jahre alt und verdiente sich sein Geld als
Hauslehrer in Berlin, weil aufgrund der Kriegswirren lange keine Pfarrstelle
zu bekommen war. 1647 brachte Johann Crüger, Kirchenmusiker an
der Berliner Kirche St. Nicolai, eine neue Auflage seines Gesangbuchs
heraus und machte damit einige Gedichte des noch weitgehend unbekannten
Paul Gerhardt bekannt. 15 Lieder waren es in dieser Auflage. 88 würden
es dann am Ende sein. Und insgesamt 134 deutsche Gedichte und Lieder
Paul Gerhardts sind uns bekannt.
„Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld der Welt und
ihrer Kinder.“ Wir singen und bedenken die Strophen dieses Liedes
im Einzelnen.
Auf der Suche nach dem Sinn des Kreuzes
1. Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld / der Welt
und ihrer Kinder; / es geht und büßet in Geduld / die Sünden
aller Sünder; / es geht dahin, wird matt und krank, / ergibt
sich auf die Würgebank, / entsaget allen Freuden, / es nimmet
an Schmach, Hohn und Spott, / Angst, Wunden, Striemen, Kreuz und Tod
/ und spricht: »Ich will's gern leiden.«
Gedichtet sind diese Verse nach dem Propheten Jesaja im 53. Kapitel
So ist es auch unter der ersten Strophe zu lesen.
Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.
Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen
und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet
und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf
ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind
wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah
auf seinen Weg. Aber der HERR warf unser aller Sünde auf ihn.
Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht
auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie
ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht
auf.
Diese Worte des Jesaja, wiewohl 500 Jahre vor Christus geschrieben,
haben die ersten Christen auf Jesus bezogen, als sie versucht haben,
seinen Tod zu verstehen. Sein Tod, das war zuallererst eine totale
Enttäuschung ihrer Hoffnungen. Erst nach der Auferstehung haben
sie zaghaft zu fragen begonnen, wo und wie in diesem auf den ersten
Blick unsinnigen und sinnlosen Tod doch ein verborgener Sinn liegen
könnte.
Hier bei Jesaja haben sie entdeckt: So wie früher, als es noch
einen Tempel in Jerusalem gab, Lämmer geopfert wurden für
die Sünden der Menschen, so hat sich Jesus selbst freiwillig
als Opferlamm für die Menschen zur Verfügung gestellt. Wie
beim Passafest, dem Fest der Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten,
ein Lamm geschlachtet wird, so stirbt Jesus zur Befreiung der Menschen.
Und so wie der Sündenbock damals einmal im Jahr am großen
Versöhnungstag vom Priester die Sünden des Volkes aufgelegt
bekam und mit ihnen in die Wüste geschickt wurde, so hat Jesus
freiwillig die Sünden der Menschen auf sich genommen.
„Ich will’s gern leiden.“ lässt Paul Gerhardt
Jesus sagen und legt damit die Jesajaworte „litt er doch willig“
aus, aber man darf doch nicht vergessen, wie Jesus im Garten Gethsemane
um den Weg gekämpft hat, der da auf ihn zu kam. Ein Weg, in der
am Ende einstimmen konnten mit den Worten: „Nicht mein, sondern
dein Wille geschehe.“
Wir singen die erste Strophe des Liedes.
Einem innergöttlichen Gespräch lauschen
2. Das Lämmlein ist der große Freund / und Heiland
meiner Seelen; / den, den hat Gott zum Sündenfeind / und Sühner
wollen wählen: / »Geh hin, mein Kind, und nimm dich an
/ der Kinder, die ich ausgetan / zur Straf und Zornesruten; / die
Straf ist schwer, der Zorn ist groß, / du kannst und sollst
sie machen los / durch Sterben und durch Bluten.«
Paul Gerhardt redet von sich, wie so oft in seinen Liedern. Er bekennt
seinen Glauben. Aber er hofft wohl auch, dass Menschen, die seine
Lieder singen, seine Worte nachvollziehen und sie zu ihren eigenen
Worten machen können. Das kann von Ihnen, die Sie mitsingen,
nur jeder im Stillen für sich selbst beantworten: Wie weit singe
ich da Worte von Paul Gerhardt? Und wie weit werden sie zu meinen
eigenen Worten?
Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen.
... er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde
willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden
hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
So lesen wir bei Jesaja. Und weil Jesus auch seine, Paul Gerhardts,
Sünden gerne auf sich genommen hat, ist er sein Freund und Heiland.
Mehr können Freunde füreinander nicht tun, als dass einer
für die Schulden des anderen einsteht.
Damit wird Schuld nicht klein geredet. Sie steht als Hindernis zwischen
Gott und Mensch. Sie ist wie eine Brücke, die da war und nun
abgebrochen ist. Wie kann dieses Verhältnis in Ordnung gebracht
werden? Wie finden Gott und Mensch wieder zueinander?
Paul Gerhardt lässt uns sozusagen einem innergöttlichen
Gespräch zwischen Gott-Vater und Gott-Sohn lauschen, wo es darum
geht, wie die Schuld der Menschen wieder in Ordnung gebracht werden
kann. Und sie kann nicht durch die Menschen in Ordnung gebracht werden,
sondern durch Gott allein, durch Gott in Jesus.
Einem innergöttlichen Gespräch lässt uns Paul Gerhardt
lauschen. Er lebt in einer Zeit, wo die Theologen ganz genau zu wissen
meinten, warum Jesus damals hat sterben müssen. Mathematisch-logisch
wurde das ganze Geschehen nachvollziehbar begründet. Wir reden
heute viel viel vorsichtiger.
Wir singen die zweite Strophe des Liedes.
Jesus geht seinen Weg freiwillig
3. »Ja, Vater, ja von Herzensgrund, / leg auf, ich will
dir's tragen; / mein Wollen hängt an deinem Mund, / mein Wirken
ist dein Sagen.« / O Wunderlieb, o Liebesmacht, / du kannst
- was nie kein Mensch gedacht - / Gott seinen Sohn abzwingen. / O
Liebe, Liebe, du bist stark, / du streckest den in Grab und Sarg,
/ vor dem die Felsen springen.
Die Fortsetzung dieses innergöttlichen Gespräches zwischen
Gott-Vater und Gott-Sohn:
Freiwillig, von Herzensgrund, eins mit seinem Vater und dessen Willen,
nimmt Jesus den Tod auf sich. Er stimmt ein in die einzige Lösung,
die bleibt, denn eine Lösung von menschlicher Seite gibt es nicht.
Paul Gerhardt betont die Freiwilligkeit, mit der Jesus alles auf sich
genommen hat, ganz bewusst, um deutlich zu machen, dass allein Liebe
als Triebkraft dahinter steht. Jesus war nicht Opfer eines bösen,
allmächtigen Vaters im Himmel, sondern freiwillig ist er seinen
Weg der Versöhnung gegangen.
Und dann im zweiten Teil der Strophe Paul Gerhardts Reaktion als Zuhörer
dieses innergöttlichen Gesprächs: Er kann nur staunen über
die Liebe, die dahinter steht. Die Liebe steckt als Triebkraft hinter
allem. Die Liebe schafft und erreicht Dinge, die sonst nicht zu schaffen
wären.
Der „vor dem die Felsen springen“, also der, den drei
Tage später auch das Felsengrab mit dem schweren Stein davor
nicht halten kann, der geht freiwillig in den Tod.
Wir singen die dritte Strophe dieses Liedes.
Sich in das Kreuz versenken?
4. Mein Lebetage will ich dich / aus meinem Sinn nicht lassen,
/ dich will ich stets, gleich wie du mich, / mit Liebesarmen fassen.
/ Du sollst sein meines Herzens Licht, / und wenn mein Herz in Stücke
bricht, / sollst du mein Herze bleiben; / ich will mich dir, mein
höchster Ruhm, / hiermit zu deinem Eigentum / beständiglich
verschreiben.
Was Jesus für ihn getan hat, empfindet Paul Gerhardt als Liebestat,
eine Liebestat, auf die er selber nur mit Liebe antworten kann: Liebe
mit Herz und Händen.
So hat man es zur Zeit des Paul Gerhardt ausgelegt: Jesus, der die
Arme am Kreuz ausbreitet, der breitet sie zu uns hin aus. Der Gekreuzigte
umarmt uns und wir ihn. Man hat sich mystisch-meditativ in das Kreuzesgeschehen
hinein vertieft.
Empfangene Liebe weitergeben
5. Ich will von deiner Lieblichkeit / bei Nacht und Tage singen,
/ mich selbst auch dir nach Möglichkeit / zum Freudenopfer bringen.
/ Mein Bach des Lebens soll sich dir / und deinem Namen für und
für / in Dankbarkeit ergießen; / und was du mir zugut getan,
/ das will ich stets, so tief ich kann, / in mein Gedächtnis
schließen.
Doch es geht nicht nur darum, sich geistlich mit dem Gekreuzigten
zu vereinen. Die von ihm empfangene Liebe kann man nicht für
sich behalten. Sie muss zur Tat werden. Sie soll weitergegeben werden
an andere Menschen: Sich selbst mit den ihm gegebenen Möglichkeiten
will Paul Gerhardt als Dank- und Freudenopfer darbringen.
Lebenskraft aus dem Abendmahl
6. Das soll und will ich mir zunutz / zu allen Zeiten machen;
/ im Streite soll es sein mein Schutz, / in Traurigkeit mein Lachen,
/ in Fröhlichkeit mein Saitenspiel; / und wenn mir nichts mehr
schmecken will, / soll mich dies Manna speisen; / im Durst soll's
sein mein Wasserquell, / in Einsamkeit mein Sprachgesell / zu Haus
und auch auf Reisen.
Nachdem an dieser Stelle zwei Strophen des Originals wegen ihrer altertümlichen
Sprache herausgenommen wurden, kann man nicht mehr auf Anhieb erkennen,
dass Paul Gerhardt hier vom Blut Jesu und damit vom Abendmahl redet:
Das Blut Jesu, das Abendmahl, wird ihm zur Lebenskraft: Wenn er das
hat, kann ihm niemand schaden. In der Traurigkeit gibt es ihm Grund
zur Freude. Ja, wenn ihm kein Essen mehr schmeckt, dann wird ihm das
Abendmahl zum Lebensmittel. Es ist ihm so wichtig wie das Wasser für
den Verdurstenden und wie ein lieber Gesprächspartner für
einen Einsamen.
... und am Ende die Vereinigung mit Gott
7. Wenn endlich ich soll treten ein / in deines Reiches Freuden,
/ so soll dein Blut mein Purpur sein, / ich will mich darein kleiden;
/ es soll sein meines Hauptes Kron, / in welcher ich will vor den
Thron / des höchsten Vaters gehen / und dir, dem er mich anvertraut,
/ als eine wohlgeschmückte Braut / an deiner Seite stehen.
Und wenn er dann einmal sterben wird und vor Gott treten darf, verlässt
er sich zuallerletzt auf das Blut Jesu im Abendmahl. Mit seinen Sprachbildern
erinnert er an Jesus: Ihm haben die Soldaten damals einen purpurgefärbten
Königsmantel umgehängt – purpurrot war die teuerste
Farbe – und eine Dornenkrone aufgesetzt und ihn als König
verhöhnt. Sie meinten, ihn zu verhöhnen, konnten ihm aber
seine Würde nicht nehmen. Mit gleicher königlicher Würde
darf auch Paul Gerhardt vor Gottes Thron treten, denn durch Jesus
sind ihm alle Sünden vergeben und er steht rein vor Gott. Und
so ist Sterben am Ende wie eine Art himmlische Hochzeit, eine Vereinigung
mit Christus, auf die er sich freut. |
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