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Die Predigt |
Was für eine
Geschichte
Einfach und klar, bildhaft und verständlich. Solche Predigttexte
wünscht man sich als Gemeindeglied, könnte ich mir denken.
Nicht wie die Bibelabschnitte, die man gleich wieder vergessen hat,
sofort nachdem sie vorgelesen worden sind. Zwei Hauptpersonen. Wenig
Worte. Dafür mehr Taten. Das kann man sich vorstellen. Für
den, der bildhaft denkt, erscheint diese Geschichte von Jesus und
dem Blinden schon beim Hören vor dem inneren Auge.
Warum mögen die anderen Evangelisten, die sonst fast alles aus
dem älteren Markusevangelium übernommen und auf ihre Weise
neu erzählt haben, diese Erzählung weggelassen haben? Man
kann nur vermuten:
Im Gegensatz zu anderen Heilungsgeschichten ist Jesus mit dem Blinden
ganz allein. So fehlt das Staunen und Jubeln der Umstehenden.
Und: Meistens wird die Heilung mit dem Glauben des Kranken zusammen
gebracht oder wenigstens dem Glauben derer, die ihn bringen. Hier
ist vom Glauben nicht die Rede.
Und: Klang die Geschichte für manche vielleicht peinlich, weil
Jesus die Heilung vordergründig nicht gleich gelungen ist?
Das mag vielleicht alles so sein, doch diesen Defiziten, wenn sie
welche sind, steht so viel Wichtiges entgegen: In ihrer Klarheit und
Schlichtheit fasst die Geschichte schön zusammen, was an Jesus
und seinem Handeln wichtig ist. Und: Deutlicher als anderswo wird
hier, wie liebevoll und geduldig Jesus mit Menschen umging.
Sehen wir genauer hin:
Haben wir noch Hoffnung?
Jesus und seine Jünger kamen nach Betsaida. Und
sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre.
Warum macht der Mensch nicht selber auf sich aufmerksam wie der blinde
Bartimäus, der vom Wegrand aus Jesus nachschreit? Ist er durch
seine Blindheit, d.h. auch Ausgestoßenheit und Bettlerdasein,
schon so passiv geworden, dass ihm alles egal ist? Hat er vielleicht
schon lange keine Hoffnung auf Heilung mehr? Hat er Gott schon so
oft vergeblich angerufen, dass er nun resigniert ist?
Es gibt solche Menschen, es gibt sie auch heute: Menschen, die sich
von Gott nichts mehr erwarten. Und auch Menschen, die so tief von
Gott enttäuscht sind, dass sie nicht einmal mehr beten können.
Aber Gott sei Dank, es gibt auch die anderen, die Gott aus ganzem
Herzen etwas zutrauen, und die den, der nicht mehr selber gehen kann
oder will, zu Gott hinhelfen. Es gibt sie, die Stillen in unseren
Gemeinden, die stellvertretend für den beten, der selber nicht
mehr beten kann.
Kranke brauchen Zuwendung
Und Jesus nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus
vor das Dorf.
Die Bibel ist nicht das einzige Buch, das aus der damaligen Zeit erzählt,
aber für die meisten von uns das einzig bekannte. Die zeitgenössischen
römischen Schriftsteller berichten uns, dass es zur Zeit Jesu
viele Wunderheiler gab, die durch die Lande zogen, „Gottesmänner“
genannt. Die Menschen brachten ihnen Vertrauen entgegen. Ein Ruf eilte
ihnen voraus. Auch von diesen Heilern wurden Wunder berichtet, wie
wir sie von Jesus kennen. Doch wir hören, dass ihnen v.a. der
Showeffekt vor der Menge und der gute Verdienst wichtig waren. Eine
Heilung ohne Zuschauer kann man sich bei ihnen nicht vorstellen.
Ganz anders Jesus: Er zieht sich mit dem Blinden zurück. Es geht
ihm nicht um seine eigene Ehre. Es geht ihm um den Menschen. Jesus
nimmt den Kranken bei der Hand und führt ihn an den Ortsrand,
wo er mit ihm alleine ist. Er fasst ihn an und nimmt sich Zeit für
ihn. Das hat der Kranke, der durch seine Krankheit damals ja auch
ausgestoßen und isoliert gewesen ist, vielleicht lange nicht
mehr erlebt. Was brauchen Kranke? Zuwendung und Zeit.
Und: Jesus wartet nicht darauf und verlangt nicht, dass der Kranke
erst seinen Glauben bekennt. Auch das war radikal damals als sonst
damals: Man meinte, dass Gott seine Nähe nur dem schenkt, der
sich seiner würdig erweist.
Kranke brauchen Vertrauen
Und (Jesus) führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel
auf seine Augen, und legte seine Hände auf ihn.
Wörtlich steht da: Und er spuckte ihm auf seine Augen. Was uns
eklig scheinen mag, war damals selbstverständlich. Dem Speichel
wurde Heilkraft zugeschrieben. Das war nicht Aberglaube, sondern Alltagserfahrung.
Auch heute noch ist für viele bei einem Mückenstich oder
eine kleine Verletzung Speichel das erste und einfachste Heilmittel.
Jesus behandelt den Kranken so, wie er es verstehen kann. Er tut etwas
Selbstverständliches, etwas, was der Kranke erwarten und einordnen
kann. Wenn einem geholfen werden soll, braucht es Vertrauen. Vertrauen
in das, was geschieht. Der Blinde kann nicht sehen. Also muss er etwas
spüren, damit er deutlich merkt, dass Jesus sich ihm heilend
zuwendet.
Kranke brauchen Zärtlichkeit
Jesus legt ihm die Hände auf und fragte ihn: „Siehst
du etwas?“ Und er sah auf und sprach: „Ich sehe die Menschen,
als sähe ich Bäume umhergehen.“ Danach legte er abermals
die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder
zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.
Offenbar war der Blinde nicht von Geburt an blind. Er kann sich noch
erinnern, wie Bäume und Menschen ausgesehen haben. Dass die Heilung
nicht gleich gelingt, bedeutet nicht unbedingt, dass Jesus als der
Heilende einen Fehler gemacht hat. Vielleicht war die Blindheit dieses
Menschen sehr tief. Und: Heilwerden ist ein Prozess. Heilwerden vollzieht
sich in Schritten:
Mit großer Behutsamkeit, Einfühlsamkeit, ja Zärtlichkeit
kümmert sich Jesus um diesen Menschen. Er nimmt ihn ernst. Er
stülpt ihm nichts über. Er ist nicht das Objekt, an dem
er seine heilende Kraft beweist. Schritt für Schritt führt
er ihn zum Ziel, gerade so schnell, wie der andere es verkraften kann.
Vom Blindsein im übertragenen Sinn
Zum Schluss: Diese Erzählung von Jesus und dem Blinden und seine
langsame und schrittweise Heilung ist von den Bibellesern vergangener
Zeit auch immer wieder in einer übertragenen Art verstanden worden:
Das kommt von der Beobachtung, dass man unmittelbar vor dieser Erzählung
lesen kann, dass Jesus seine Jünger tadelt hat, sie seien blind,
blind im übertragenen Sinn. So lange gehen sie jetzt schon mit
ihm. So viel haben sie mit ihm schon erlebt, und doch haben sie nichts
begriffen. Immer noch hoffen einige, er könne ein neuer König
werden und die Macht ergreifen. Und unmittelbar nach dieser Erzählung
heißt es dann, Petrus habe als erster begriffen, worum es geht.
So hat der Evangelist Markus wohl diese Blindenheilung bewusst an
diese Stelle gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass es auch Blindheit
im übertragenen Sinn gibt, dass auch in Bezug auf den Glauben
Menschen mit Gottes Hilfe Schritt für Schritt die Augen aufgehen
können.
Das erbitten wir mit dieser Geschichte von Gott: Dass wir im Glauben
nicht stehen bleiben, sondern Schritt für Schritt fester und
gewisser werden. Dass er uns die Augen öffnet und wir noch deutlicher
sehen können, was er in Freud und Leid mit uns vorhat. Dass wir
Gott in unserem Leben auch Dinge zutrauen, die wir sonst für
menschenunmöglich halten. Ich denke, dann könnten wir noch
ganz andere Dinge erleben. Amen |
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