Startseite | Impressum | Kontakt
predigt[e].de

Die Predigt vom 26. August 2007 (12. Sonntag nach Trinitatis):
»Kranke brauchen Zärtlichkeit«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den 12. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist das Heilwerden. Evangelium (1. Lesung) war die Heilung eines Taubstummen und Epistel (2. Lesung) die „Bekehrung“ des Paulus. Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Blindenheilung nach Markus 8:
Predigttext
Sie können Texte auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
22 Und Jesus kam mit seinen Jüngern nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre. 23 Und er nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, legte seine Hände auf ihn und fragte ihn: Siehst du etwas? 24 Und er sah auf und sprach: Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen. 25 Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte. 26 Und er schickte ihn heim und sprach: Geh nicht hinein in das Dorf!
Predigt
Aktuelle Predigten

Gesamtübersicht der Predigten

Stichwortverzeichnis
zu den Predigten

Die Predigt
Was für eine Geschichte

Einfach und klar, bildhaft und verständlich. Solche Predigttexte wünscht man sich als Gemeindeglied, könnte ich mir denken. Nicht wie die Bibelabschnitte, die man gleich wieder vergessen hat, sofort nachdem sie vorgelesen worden sind. Zwei Hauptpersonen. Wenig Worte. Dafür mehr Taten. Das kann man sich vorstellen. Für den, der bildhaft denkt, erscheint diese Geschichte von Jesus und dem Blinden schon beim Hören vor dem inneren Auge.
Warum mögen die anderen Evangelisten, die sonst fast alles aus dem älteren Markusevangelium übernommen und auf ihre Weise neu erzählt haben, diese Erzählung weggelassen haben? Man kann nur vermuten:
Im Gegensatz zu anderen Heilungsgeschichten ist Jesus mit dem Blinden ganz allein. So fehlt das Staunen und Jubeln der Umstehenden.
Und: Meistens wird die Heilung mit dem Glauben des Kranken zusammen gebracht oder wenigstens dem Glauben derer, die ihn bringen. Hier ist vom Glauben nicht die Rede.
Und: Klang die Geschichte für manche vielleicht peinlich, weil Jesus die Heilung vordergründig nicht gleich gelungen ist?
Das mag vielleicht alles so sein, doch diesen Defiziten, wenn sie welche sind, steht so viel Wichtiges entgegen: In ihrer Klarheit und Schlichtheit fasst die Geschichte schön zusammen, was an Jesus und seinem Handeln wichtig ist. Und: Deutlicher als anderswo wird hier, wie liebevoll und geduldig Jesus mit Menschen umging.
Sehen wir genauer hin:

Haben wir noch Hoffnung?

Jesus und seine Jünger kamen nach Betsaida. Und sie brachten zu ihm einen Blinden und baten ihn, dass er ihn anrühre.
Warum macht der Mensch nicht selber auf sich aufmerksam wie der blinde Bartimäus, der vom Wegrand aus Jesus nachschreit? Ist er durch seine Blindheit, d.h. auch Ausgestoßenheit und Bettlerdasein, schon so passiv geworden, dass ihm alles egal ist? Hat er vielleicht schon lange keine Hoffnung auf Heilung mehr? Hat er Gott schon so oft vergeblich angerufen, dass er nun resigniert ist?
Es gibt solche Menschen, es gibt sie auch heute: Menschen, die sich von Gott nichts mehr erwarten. Und auch Menschen, die so tief von Gott enttäuscht sind, dass sie nicht einmal mehr beten können. Aber Gott sei Dank, es gibt auch die anderen, die Gott aus ganzem Herzen etwas zutrauen, und die den, der nicht mehr selber gehen kann oder will, zu Gott hinhelfen. Es gibt sie, die Stillen in unseren Gemeinden, die stellvertretend für den beten, der selber nicht mehr beten kann.

Kranke brauchen Zuwendung

Und Jesus nahm den Blinden bei der Hand und führte ihn hinaus vor das Dorf.
Die Bibel ist nicht das einzige Buch, das aus der damaligen Zeit erzählt, aber für die meisten von uns das einzig bekannte. Die zeitgenössischen römischen Schriftsteller berichten uns, dass es zur Zeit Jesu viele Wunderheiler gab, die durch die Lande zogen, „Gottesmänner“ genannt. Die Menschen brachten ihnen Vertrauen entgegen. Ein Ruf eilte ihnen voraus. Auch von diesen Heilern wurden Wunder berichtet, wie wir sie von Jesus kennen. Doch wir hören, dass ihnen v.a. der Showeffekt vor der Menge und der gute Verdienst wichtig waren. Eine Heilung ohne Zuschauer kann man sich bei ihnen nicht vorstellen.
Ganz anders Jesus: Er zieht sich mit dem Blinden zurück. Es geht ihm nicht um seine eigene Ehre. Es geht ihm um den Menschen. Jesus nimmt den Kranken bei der Hand und führt ihn an den Ortsrand, wo er mit ihm alleine ist. Er fasst ihn an und nimmt sich Zeit für ihn. Das hat der Kranke, der durch seine Krankheit damals ja auch ausgestoßen und isoliert gewesen ist, vielleicht lange nicht mehr erlebt. Was brauchen Kranke? Zuwendung und Zeit.
Und: Jesus wartet nicht darauf und verlangt nicht, dass der Kranke erst seinen Glauben bekennt. Auch das war radikal damals als sonst damals: Man meinte, dass Gott seine Nähe nur dem schenkt, der sich seiner würdig erweist.

Kranke brauchen Vertrauen

Und (Jesus) führte ihn hinaus vor das Dorf, tat Speichel auf seine Augen, und legte seine Hände auf ihn.
Wörtlich steht da: Und er spuckte ihm auf seine Augen. Was uns eklig scheinen mag, war damals selbstverständlich. Dem Speichel wurde Heilkraft zugeschrieben. Das war nicht Aberglaube, sondern Alltagserfahrung. Auch heute noch ist für viele bei einem Mückenstich oder eine kleine Verletzung Speichel das erste und einfachste Heilmittel.
Jesus behandelt den Kranken so, wie er es verstehen kann. Er tut etwas Selbstverständliches, etwas, was der Kranke erwarten und einordnen kann. Wenn einem geholfen werden soll, braucht es Vertrauen. Vertrauen in das, was geschieht. Der Blinde kann nicht sehen. Also muss er etwas spüren, damit er deutlich merkt, dass Jesus sich ihm heilend zuwendet.

Kranke brauchen Zärtlichkeit

Jesus legt ihm die Hände auf und fragte ihn: „Siehst du etwas?“ Und er sah auf und sprach: „Ich sehe die Menschen, als sähe ich Bäume umhergehen.“ Danach legte er abermals die Hände auf seine Augen. Da sah er deutlich und wurde wieder zurechtgebracht, so dass er alles scharf sehen konnte.
Offenbar war der Blinde nicht von Geburt an blind. Er kann sich noch erinnern, wie Bäume und Menschen ausgesehen haben. Dass die Heilung nicht gleich gelingt, bedeutet nicht unbedingt, dass Jesus als der Heilende einen Fehler gemacht hat. Vielleicht war die Blindheit dieses Menschen sehr tief. Und: Heilwerden ist ein Prozess. Heilwerden vollzieht sich in Schritten:
Mit großer Behutsamkeit, Einfühlsamkeit, ja Zärtlichkeit kümmert sich Jesus um diesen Menschen. Er nimmt ihn ernst. Er stülpt ihm nichts über. Er ist nicht das Objekt, an dem er seine heilende Kraft beweist. Schritt für Schritt führt er ihn zum Ziel, gerade so schnell, wie der andere es verkraften kann.

Vom Blindsein im übertragenen Sinn

Zum Schluss: Diese Erzählung von Jesus und dem Blinden und seine langsame und schrittweise Heilung ist von den Bibellesern vergangener Zeit auch immer wieder in einer übertragenen Art verstanden worden:
Das kommt von der Beobachtung, dass man unmittelbar vor dieser Erzählung lesen kann, dass Jesus seine Jünger tadelt hat, sie seien blind, blind im übertragenen Sinn. So lange gehen sie jetzt schon mit ihm. So viel haben sie mit ihm schon erlebt, und doch haben sie nichts begriffen. Immer noch hoffen einige, er könne ein neuer König werden und die Macht ergreifen. Und unmittelbar nach dieser Erzählung heißt es dann, Petrus habe als erster begriffen, worum es geht.
So hat der Evangelist Markus wohl diese Blindenheilung bewusst an diese Stelle gesetzt, um darauf hinzuweisen, dass es auch Blindheit im übertragenen Sinn gibt, dass auch in Bezug auf den Glauben Menschen mit Gottes Hilfe Schritt für Schritt die Augen aufgehen können.
Das erbitten wir mit dieser Geschichte von Gott: Dass wir im Glauben nicht stehen bleiben, sondern Schritt für Schritt fester und gewisser werden. Dass er uns die Augen öffnet und wir noch deutlicher sehen können, was er in Freud und Leid mit uns vorhat. Dass wir Gott in unserem Leben auch Dinge zutrauen, die wir sonst für menschenunmöglich halten. Ich denke, dann könnten wir noch ganz andere Dinge erleben. Amen

nach oben

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de