St.
Martin für Erwachsene?
11. November: Martinstag. Ein Tag für Kinder mit Laternenumzug
und Beschenkt werden. Ein Tag auch für Erwachsene? Nachdenken
über einen Heiligen im evangelischen Gottesdienst? Sind Heilige
wie der Hl. Martin für uns als evangelische Christen wichtig?
– Ja, sie sind auch für uns wichtig. Aber natürlich
muss dieses Ja zu den Heiligen näher begründet werden:
Was bedeutet „heilig“?
Zuerst: Was sind überhaupt Heilige? In unserem alltäglichen
Sprachgebrauch sind es übertrieben fromme und eher weltfremde
Menschen. So möchte man lieber nicht sein. Oder es sind einmalige,
herausragend gute Menschen. So können wir nicht sein.
Nach der Bibel aber sind wir alle Heilige. Alle sind wir Heilige,
weil wir getauft sind und dadurch zu Gott gehören. Alles, was
zu Gott gehört oder mit ihm in Verbindung bringt, wird in der
Bibel heilig genannt.
Doch wer zu Gott gehört, soll auch entsprechend leben. Deswegen
hat heilig sein auch etwas damit zu tun, dass Reden und Tun bei
uns zusammenpassen. Jeder von uns muss seinen Weg finden, auf dem
er vor sich selbst und vor Gott bestehen kann.
Kurz gesagt: Von Gott her sind wir heilig. Wir müssen es uns
nicht erst erarbeiten. Aber wir müssen uns immer wieder neu
einüben und bewähren.
Evangelische Heiligenverehrung?
Aber nun reden wir halt auch in einem speziellen Sinn von Heiligen,
wenn wir an den Hl. Martin denken oder an andere herausragende Gestalten
der christlichen Geschichte. Heiligenverehrung – ist das nicht
typisch katholisch? Ich will Ihnen aus dem Augsburgischen Bekenntnis
vorlesen, in dem in der Reformationszeit die Evangelischen ihren
Glauben formuliert haben. (Sie finden es zusammen mit dem Kleinen
Katechismus übrigens hinten im Gesangbuch:)
„Vom Heiligendienst wird von den Unseren gelehrt, dass
man der Heiligen gedenken soll, damit wir unseren Glauben stärken,
wenn wir sehen, wie ihnen Gnade widerfahren ist. Dann kann auch
ein jeder ein Beispiel nehmen an ihren guten Werken. Durch die Schrift
vermag man aber nicht zu beweisen, dass man die Heiligen anrufen
oder Hilfe bei ihnen suchen soll. Denn es ist ein einziger Versöhner
und Mittler zwischen Gott und den Menschen: Jesus Christus.“
Einfacher kann man es eigentlich nicht sagen wie hier: Eine Heiligenanrufung
oder Heiligenverehrung ist nach evangelischem Verständnis nicht
bibelgemäß, aber das Heiligengedenken: Heilige als Vorbild
im Glauben und Handeln sind auch für uns gedenkens- und bedenkenswert.
In diesem evangelischen Sinn wollen wir also heute nachdenken über
den Hl. Martin. Inwiefern kann er uns Anregung und Vorbild sein,
unseren eigenen Weg des Glaubens zu gehen?
Der Heilige Martin von Tours
Wer war dieser Martin? Martin lebte im frühen Mittelalter,
im 4. Jhd. nach Christus. 316 geboren wuchs er in Italien auf und
neigte dem christlichen Glauben zu. Sein Vater war Berufsoffizier,
so musste auch er mehr oder weniger freiwillig römischer Soldat
werden. Von Anfang an überraschte er durch seine dienende Lebensweise.
Militärische Rangordnung war ihm nicht wichtig. Im Alter von
ungefähr 40 Jahren verweigerte er vor einer Schlacht endgültig
den Kriegsdienst und ließ sich taufen. Er wollte Soldat Christi
werden, weiter kämpfen, aber für eine bessere Sache. Er
wurde Schüler eines damals bekannten Theologen und lebte als
Mönch.
370 wurde er eher gegen seinen Willen zum Bischof von Tours gewählt,
einer Stadt in der Mitte Frankreichs. In diesen Zusammenhang gehört
die Legende von den Martinsgänsen: Sie hätten ihn nämlich
durch ihr Gezeter verraten, als er sich in einem Stall versteckte,
um nicht gefunden zu werden.
Herrschen wollte er als Bischof nicht. Er gründete ein Kloster
und setzte sich kämpferisch für die Christianisierung
des damaligen Frankenreiches ein. 397 starb er mit 80 Jahren. Schon
bald wurde er zu einem der volkstümlichsten Heiligen.
Wichtig wurde den Menschen damals sein furchtloses Auftreten vor
den politischen Machthabern. Machtausübung hat Martin von Tours
immer hinterfragt, auch in der Kirche, die ja davon nicht frei war
und heute nicht frei ist. So war er einer der wenigen, die die Todesurteile
gegen Ketzer entschieden ablehnten. Andererseits jedoch konnte Martin
von Tours bei der Zerstörung heidnischer Heiligtümer auch
sehr unbarmherzig sein.
Martin teilt seinen Mantel
Am bekanntesten jedoch wurde er durch ein Ereignis vom Ende seiner
Soldatenzeit: Am Stadttor von Amiens in Nordfrankreich teilte er
an einem eiskalten Wintertag seinen Soldatenmantel mit einem armen
Bettler, dem er wohl dadurch das Leben rettete. Viele waren vor
ihm schon vorbeigegangen, wie auch in der Erzählung vom barmherzigen
Samariter. In seiner Lebensbeschreibung heißt es:
„Da fingen manche der Umstehenden an zu lachen, weil er im
halben Mantel ihnen verunstaltet vorkam. Viele aber, die mehr Einsicht
besaßen, seufzten tief, dass sie es ihm nicht gleich getan
und den Armen nicht bekleidet hatten, zumal sie bei ihrem Reichtum
keine Blöße befürchten mussten.“
Diese Szene vor dem Stadttor sehen Sie auf der Postkarte, die Sie
am Eingang bekommen haben. Eine Martinsdarstellung auf einem Altar
aus der Gegend um den Bodensee, heute im Museum in Rottenburg bei
Stuttgart. Martin sitzt prächtig gekleidet auf seinem Pferd.
Das Bild zeigt eher den späteren Heiligen als den damaligen
einfachen Soldaten. Auf einem Schimmel, wie ihn die Könige
ritten, wird er normalerweise dargestellt. (Vielleicht ist die weiße
Farbe auch ein Zeichen für das Gute und Reine.) Mit seinem
Schwert teilt er soeben seinen Mantel in zwei Stücke. Sonst
dient das Schwert zum Kampf, jetzt rettet es Leben. Sonst dient
es der Vermehrung von Land und Besitz, nun dem Teilen.
Zu seinen Füßen der Bettler in einer bedauernswerten
Lage. Sein Mund zum Hilferuf geöffnet. Aussätzig vielleicht
mit den roten Flecken im Gesicht und den abgefaulten Füßen.
Prothesen gab es nicht. Auf den Unterschenkeln muss er sich vorwärts
bewegen. Seine ganze Habe trägt er in seiner Bettlertasche
über der Schulter.
Aber auch die spätere Fortsetzung der Legende ist auf dem Bild
zu sehen. Im Traum nämlich erscheint Jesus dem Martin und erinnert
ihn an das Wort: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen
geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan. – Ich bin
nackt gewesen und ihr habt mich bekleidet.“ In dem roten Mantel
der Liebe, der da quer durch das Bild geht, gibt Martin die von
Christus empfangene Liebe weiter. Er gibt sie Christus zurück.
Und indem Liebe geschieht, wird die kalte Welt um Martin herum grün.
Den Menschen und seine Bedürfnisse sehen
Was kann uns dieser Hl. Martin heute sagen? Es geht, so meine ich,
in erster Linie um sein lebendiges Beispiel des Teilens. Da ist
einer, der Hilfe braucht. Die, die allein von ihrem Überfluss
geben könnten, ohne selbst ärmer zu werden, gehen vorbei.
Er aber teilt mit dem Bedürftigen, was er selber zum Leben
braucht. Kurz vor seinem Ziel denkt er nicht an sich selbst, will
nicht möglichst schnell nach Hause in die Wärme kommen.
Er speist den Bettler auch nicht einfach nur mit ein paar Almosen
ab. Er sieht, was der andere braucht. Er sieht nicht so sehr die
gute Tat. Er sieht den Menschen.
Gerechtigkeit und Teilen sind Zauberworte der heutigen Zeit. Über
mangelnde Aufmerksamkeit unter Menschen wird geklagt, über
mangelnde Anteilnahme, Hartherzigkeit, Ellenbogendenken, Streben
nach oben ohne Rücksicht auf die Schwachen. Wären da nicht
gerade heute eine Menge solcher Martins und auch Martinas nötig?
Martins, die Geld teilen mit den Ärmeren in anderen Ländern
und auch in der eigenen Nachbarschaft? Martins, die Zeit teilen
mit einem Einsamen? Martins, die das Leid teilen mit einem Trauernden?
Wenn man so recht darüber nachdenkt, kann man eigentlich viel
mehr teilen als nur Geld. Die Gefahr ist groß, dass wir mit
Geld und Almosen unser Gewissen freikaufen. Mir geht es genauso:
Wenn ich einem Hilfsbedürftigen an der Pfarrhaustür Geld
gebe, dann habe ich ihn schnell los und muss mich nicht allzu lange
mit ihm beschäftigen.
Was
gegen das Teilen spricht
Vielleicht werden einige sagen: Teilen ist ja doch nur ein Herumdoktern
an Symptomen und trifft nicht die Wurzel. Müssten nicht die
Politiker und Arbeitgeber bei den sprudelnden Einnahmen für
mehr Gerechtigkeit sorgen?
Vielleicht werden einige sagen: Woher weiß ich denn, dass
der Hilfsbedürftige vor meiner Tür oder in der Fußgängerzone
wirklich arm ist und nicht nur ein Betrüger?
Es ist sicher richtig: Wir brauchen und sollen beim Helfen unseren
gesunden Menschenverstand nicht ausschalten. Aber wir dürfen
auch nicht unser Herz und unsere Hände ausschalten.
Wer ist mein Nächster?
„Wem soll ich denn helfen? Wer ist denn mein Nächster?"
hat der Schriftgelehrte Jesus gefragt im Gleichnis vom barmherzigen
Samariter. Und Jesus hat ihm keine Antwort gegeben als die: Mach
im Alltag deine Augen auf. Dein Nächster ist näher als
du denkst.
„Wer ist denn mein Nächster?" Das meditative Orgelstück
hilft uns zum Nachdenken. Gott öffne uns die Augen. Amen
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