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Die Predigt |
Jeder hat seine
Stärken und seine Schwächen
Jeder von uns hat seine Stärken - und natürlich auch seine
Schwächen. Jeder von uns hat seine Potentiale, aber auch seine
Grenzen. Jeder von uns kann etwas.
Wo haben wir es her? Neutral gesagt: Von Natur aus. Durch Vererbung.
Oder wie man so schön sagt: In die Wiege gelegt. Geistlich gesagt:
Von Gott geschenkt, der uns geschaffen hat, wie wir sind.
Wenn es nicht so wäre, wenn nicht verschiedene Talente zusammenkämen
und zusammenhelfen würden, könnte Gemeinschaft nicht gelingen:
Die Ehe lebt von verschiedenen Polen. In einer Familie wundert man
sich, wie ganz verschiedene Kinder von denselben Eltern sein sollen.
Vereine und auch Kirchengemeinden leben von dieser Vielfalt.
Die Talente sind verschieden ausgeprägt und auch verschieden
verteilt. Es gibt geistige Stärken und körperliche Stärken.
Es gibt verwalterische und es gibt handwerkliche Begabungen.
Sie wissen: Dem einen kann man eine Kasse anvertrauen, den kann man
in einem Verkaufsstand zu einem Kassier machen, doch ein Werkzeug
sollte man ihm besser nicht in die Hand drücken.
Einem anderen gelingt alles, was er mit seinen Händen anpackt,
auch wenn er es nicht speziell gelernt hat. Doch wenn es ums Rechnen,
Schreiben oder gar ums Reden geht, dann wird er sich vornehm zurückhalten.
Jeder hat Talent
Jeder hat ein Talent. Jeder kann etwas, und er soll sein Können
nicht für sich behalten, sondern es auch einsetzen. Das ist das
Geheimnis einer jeden Gemeinschaft.
Das Wort „Talent" ist ein Fremdwort. Wir meinen damit eine
Fähigkeit, eine Begabung, ein Können, das ein Mensch hat
und das ihn oft vor anderen auszeichnet.
Talent. Woher kommt dieses Fremdwort? Es kommt aus der Bibel. Es kommt
von diesem Gleichnis Jesu, das wir vorhin als Evangelium gehört
haben:
Wenn es dort heißt, ein Angestellter habe von seinem Chef fünf
Zentner Silber bekommen, um damit selbständig zu wirtschaften,
dann steht im Urtext dafür das Wort „Talent“. Ein
Talent, von Martin Luther übersetzt mit dem deutschen Wort „Zentner“,
das war im Altertum eine Maßeinheit, und dann auch eine Währungseinheit.
Talente sind eine Verpflichtung
So ein Talent, das ein Mensch hat, ist eine Verpflichtung. Das weiß
schon der Volksmund, der sagt, dass man mit seinen Pfunden wuchern
soll. „Mit seinen Pfunden wuchern.“ das hat nicht mit
den Pfunden zu tun, die man um die Hüfte trägt. Auch dieser
Ausdruck stammt aus der Bibel: So, wie der Evangelist Matthäus
hier von den anvertrauten Talenten, den anvertrauten Zentnern spricht,
spricht der Evangelist Lukas in seiner Version der Geschichte von
den anvertrauten Pfunden.
14 Denn es ist wie mit einem Menschen, der außer Landes
ging: er rief seine Knechte und vertraute ihnen sein Vermögen
an; 15 dem einen gab er fünf Zentner Silber, dem andern zwei,
dem dritten einen, jedem nach seiner Tüchtigkeit, und zog fort.
So beginnt es.
Warum ist ein solches Talent eine Verpflichtung? Warum soll ein Talent
der Gemeinschaft zugute kommen? Mit den Worten dieses Gleichnisses:
Weil dein Talent nicht dein Besitz ist, mit dem du machen könntest,
was du willst. Sondern weil dein Talent eine dir von Gott, deinem
Schöpfer anvertraute Leihgabe ist. „Er vertraute ihnen
sein Vermögen an.“
Und so verstehen wir es ja auch im Alltag: Wir meinen mit einem Talent
nicht die Fähigkeit, die jemand mühsam und fleißig
gelernt und sich angeeignet hat, so dass sie Folge seines eigenen
Fleißes wäre. Sondern wir meinen die Begabungen, die jemand
in die Wiege gelegt sind. Ein Können, das einfach da ist, oder
auch nicht da ist.
Der Apostel Paulus redet deswegen in diesem Zusammenhang von den Gnadengaben,
von den aus Gottes Gnade geschenkten Fähigkeiten. Und jede angeblich
noch so unscheinbare und einfache Fähigkeit kann für ihn
zu einer Gottesgabe werden, indem sie ein Mensch für die Gemeinde
einsetzt.
Die Größe des Talents ist nicht entscheidend
„Vermögen“ – da merkt man noch die doppelte
Bedeutung des deutschen Wortes: Vermögen, das ist wie im Gleichnis
vordergründig erst einmal Geld, Habe, Besitz. Aber hintergründig
bedeutet „Vermögen“: Ich vermag etwas. Ich kann etwas.
Ich habe eine Fähigkeit.
Auf die Größe, auf die Wichtigkeit und auf die Bedeutung
eines Talents kommt es letztlich nicht an, sondern einzig und allein
darauf, dass man es als eine Aufgabe betrachtet und es nicht egoistisch
nur für sich behält. Talente sind nun einmal verschieden
verteilt. Das wird in diesem Gleichnis deutlich, indem es heißt,
dem einen seien fünf, dem anderen zwei und dem dritten nur ein
Zentner anvertraut „entsprechend ihrer Tüchtigkeit“.
Und ebenso kommt es in der Fortsetzung der Geschichte auch nicht auf
die Höhe des Ergebnisses an, nicht auf die Menge dessen, was
jemand erwirtschaftet hat, sondern entscheidend ist, ob jemand überhaupt
etwas aus seinen Fähigkeiten macht.
Der in der Geschichte mit den vielen Talenten hat entsprechend viel
erreicht, und der mit den weniger Talenten hat halt weniger erreicht.
Doch beide werden sie mit den gleichen Worten gelobt.
20 Da trat herzu, der fünf Zentner empfangen hatte, und legte
weitere fünf Zentner dazu und sprach: Herr, du hast mir fünf
Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit weitere fünf Zentner
gewonnen. 21 Da sprach sein Herr zu ihm: Recht so, du tüchtiger
und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will
dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
22 Da trat auch herzu, der zwei Zentner empfangen hatte, und sprach:
Herr, du hast mir zwei Zentner anvertraut; siehe da, ich habe damit
zwei weitere gewonnen. 23 Sein Herr sprach zu ihm: Recht so, du tüchtiger
und treuer Knecht, du bist über wenigem treu gewesen, ich will
dich über viel setzen; geh hinein zu deines Herrn Freude!
Wenn einer sein Talent verkommen lässt
Soweit so gut. Doch nun zu dem ernsten und eher erschreckenden Abschluss
der Geschichte. Der dritte Knecht, dem nur wenig anvertraut war, der
nur ein kleines Talent hatte, geht am Ende nicht nur leer aus, sondern
er wird auch aus der Gemeinschaft verstoßen. Seine Strafe ist
sozusagen, dass er erleben muss, was er gelebt hat: Er hat sich und
seine Talente der Gemeinschaft entzogen und muss nun auch ohne diese
Gemeinschaft auskommen. Seine Knauserigkeit fällt sozusagen auf
ihn zurück. Er hat sich sein Urteil selbst gesprochen.
19 Nach langer Zeit kam der Herr dieser Knechte und forderte Rechenschaft
von ihnen.
„Jüngstes Gericht“ nennt das das Neue Testament an
anderer Stelle: Dass nämlich ein jeder von uns einmal wird Rechenschaft
ablegen müssen für sein Tun und sein Unterlassen.
Und dann könnte es sein, sagt Jesus mit diesem Gleichnis, dass
Gott zu dir sagt: Du hast in einer Gemeinschaft gelebt. Du hattest
auch etwas davon. Du hast von dieser Gemeinschaft gelebt. Du hast
gerne davon profitiert. Du hast dir gerne helfen lassen. Doch was
hast du aus deinen Talenten gemacht? Was hast du eingebracht an der
Stelle, wo ich dich im Leben hingesetzt habe? In deiner Familie, in
deiner Nachbarschaft, in deiner Stadt, in deinem Verein, in deiner
Kirchengemeinde? Wo haben die anderen von deinen Talenten profitiert,
so wie du von den ihren profitiert hast?
Verstehen kann man den dritten Knecht, der sich ängstlich und
mutlos zurückgezogen hat, schon: Er will kein Risiko eingehen.
Denn das ist ja bekannt:
Wer sich engagiert, wer eine Aufgabe übernimmt, wer sich in einen
Posten wählen lässt, der erfährt nicht nur Lob, nicht
nur Zustimmung, nicht nur Schulterklopfen. Es gibt auch die Undankbarkeit
und vor allem die vielen, die es besser wissen. Die es natürlich
leicht besser wissen können, weil sie den Beweis nicht anzutreten
brauchen, ob sie es wirklich besser machen würden.
Also: Eigentlich kein Wunder und ganz verständlich, wenn sich
jemand vor der Übernahme von Verantwortung scheut. Doch: Wie
soll es dann weitergehen in einer Kirchengemeinde, in einem Verein,
in einer Partei, wenn jeder so ängstlich denkt?
Du wirst gebraucht!
Deswegen möchte ich aus den Worten Jesu hier mehr die Einladung
als die Drohung heraushören. Nicht so sehr: Wehe, wenn du dich
nicht einsetzt. Wehe, wenn du deine Zeit, deine Kraft, dein Talent
für dich behältst. Denn diese Wehe-Botschaften mit dem erhobenen
Zeigefinder sind ja nicht gerade ermunternd.
Eher will ich die gute Botschaft und die Ermutigung heraushören:
Auch du kannst etwas. Auch du hast ein Talent. Zieh dich nicht zurück.
Verkriech dich nicht in dein Schneckenhaus. Jeder Mensch braucht Lob.
Jeder braucht körperliche und seelische Streicheleinheiten. Doch
wie willst du die bekommen, wenn du dich nirgends einsetzt?
Gönne dir doch die Befriedigung, die es bringen kann, sich einzusetzen,
zu sehen, dass etwas wächst und dass man dazu seinen Teil hat
beitragen können.
Du bist etwas in den Augen Gottes. Du kannst etwas und du wirst gebraucht.
Amen |
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