Adventskalender
für Erwachsene?
Sie
müssen jetzt nicht laut antworten, aber Sie dürfen es
im Stillen tun: Wer von Ihnen hat einen Adventskalender, wo er Tag
für Tag neugierig und erwartungsvoll sein Türchen öffnet?
Ja, vielleicht von den Kindern oder
Enkeln geschenkt, die einem eine Freude machen wollen. Aber ein
selbst gekaufter Kalender? Vermute ich richtig, dass die meisten
Erwachsenen keinen solchen mehr haben? Er soll ja das ungeduldige
Warten auf Weihnachten erleichtern oder auch steigern. Wir brauchen
das offenbar nicht mehr. Wir gönnen ihn den Kindern, aber selber
stehen wir drüber. Ich schließe mich da ganz mit ein.
Warten auf das Christkind?
Ich
frage weiter: Wie steht es überhaupt mit unserem ungeduldigen
Warten in der Adventszeit, mit unserem Warten auf Weihnachten? Kinder
fragen schon lange vorher: Wann ist denn endlich Weihnachten? Schüler
fragen: Wann kommen denn endlich die Ferien? Und die Ungeduld wird
von Mal zu Mal größer.
Aber wir Großen, wir Älteren: Ungeduldig auf Weihnachten
warten? Auf das Christkind? Auf Gott, der uns besuchen und beschenken
will? ... Brauchen wir das Christkind nicht mehr? Brauchen wir Gott
nicht mehr? ...
Wenn Advent nicht im Advent ist
Doch doch!
Aber vielleicht nicht unbedingt dann, wenn es im Advent im Kalender
steht. Warten auf Gott. Ungeduldig warten auf Erlösung, auf
einen guten Ausgang: Vielleicht, wenn jemand krank im Bett liegt
oder gar im
Krankenhaus. Wenn jemand auf eine wichtige Entscheidung wartet,
die er nicht beschleunigen kann. Wenn jemand einen Operationstermin
vor
sich hat, und es ist noch lange hin. Wenn die Not eines Menschen,
den man pflegt, unerträglich wird, und man nur noch hilflos
zusehen kann. ...
Advent damals
Die
Worte unseres heutigen Predigttextes sind an adventliche Menschen,
an ungeduldig wartende Menschen gerichtet:
7 So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis
zum Kommen
des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde
und
ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
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Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen
des
Herrn ist nahe.
Diese Worte aus dem Jakobusbrief entführen uns gedanklich in
die Zeit am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus, also ungefähr
60 Jahre nach Jesus und 40 Jahre nach dem Wirken des Apostels Paulus.
Die Worte des Briefes
lassen uns ein wenig hinter die Kulissen schauen, wie damals die
Christen gelebt haben, wie sie gehofft und geglaubt haben:
Vom
Ausbleiben Gottes
Offensichtlich bereitet es ihnen eine große seelische Not
und auch eine Glaubensnot, dass die versprochene und sehnsüchtig
erwartete Wiederkunft Jesu – sein zweites Kommen, sein zweiter
Advent – sich so lang hinauszögerte. Das Warten hat sie
ungeduldig, mürbe und kleinmütig
gemacht. Sie haben die Worte Jesu vor zwei Generationen im Ohr:
Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist herbeigekommen.
Tut Buße
und glaubt an das Evangelium! (Matthäus 4,17) Oder:
Wahrlich, ich sage euch: Dieses Geschlecht wird nicht vergehen,
bis dies alles geschieht. (Matthäus 24,34)
Sie haben die Worte des Paulus im Ohr: Unser Heil ist jetzt
näher als zu der Zeit, da wir zum Glauben gekommen sind. Die
Nacht ist vorgerückt, der Tag aber nahe herbeigekommen.
(Römer 13,11-12)
60 Jahre, zwei Generationen. Es ist nicht ganz vergleichbar: Aber
stellen Sie sich vor, nach dem 2. Weltkrieg hätte man den Menschen
Hoffnung auf einen Wiederaufbau gemacht. Und bis jetzt wäre
es noch nicht richtig vorangegangen!
Ist es ein Wunder, dass sich viele Christen am Ende des 1. Jhd.
gefragt haben: "Haben wir mit unserem Glauben an diesen Jesus
Christus
vielleicht gar auf das falsche Pferd gesetzt. Ist all unser Glauben
und Hoffen umsonst?"
Vielleicht mussten sie sich auch das Gespött anderer anhören,
wie es uns aus einem anderen Brief aus dieser späteren Zeit,
dem 2. Petrusbrief, berichtet wird: Ihr sollt vor allem wissen,
dass in den letzten Tagen Spötter kommen werden, die ihren
Spott treiben, ihren eigenen Begierden nachgehen und sagen: Wo bleibt
die Verheißung seines Kommens? Denn nachdem die
Väter entschlafen sind, bleibt es alles, wie es von Anfang
der Schöpfung gewesen ist. (2. Petrus 3,3-4)
Wir brauchen einen langen Atem
Die
einen, so scheint es, hatten deswegen schon lange resigniert. Die
anderen wollten offenbar in ihrer Ungeduld dem Kommen der Gerechtigkeit
ein wenig nachhelfen. Wenn man in den Jakobsbrief hinein schaut,
kann man lesen, dass die Nichtchristen in ihrer Umgebung sehr selbstsicher
gelebt haben und dass es auch viele Reiche gegeben hat, die die
Armen vergessen
haben. Das alte Leiden: Denen, die mit Gott schon lange abgeschlossen
haben, scheint es gut zu gehen. Und die noch geduldig auf ihn warten,
scheinen leer auszugehen.
"Gemach, gemach!" sagt Jakobus sowohl denen, die gerne
dreinschlagen würden, als auch denen, die resignieren. "Ihr
wisst doch, wie es in der
Natur zu geht, und dass es Dinge gibt, da kann man nur warten:"
Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde und
ist dabei
geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
Ein Bauer, der gesät hat, kann weiter nichts tun als warten.
Die Jahreszeiten sind in Israel ein wenig anders als bei uns, und
Wasser ist dort ein noch kostbareres Gut: Mit Frühregen und
Spätregen sind die beiden Regenperioden November/Dezember und
März/April gemeint, die zum einen für die Aussaat und
zum andern für das Wachstum unentbehrlich sind. Einfach gesagt:
Ein Bauer kann es nicht regnen lassen. Er kann die Sonne nicht scheinen
lassen. Er kann nicht das Rad des Jahreskreislaufes ankurbeln und
auch nicht den Halmen durch Ziehen oder Zureden beim
Wachsen helfen. Wenn er das Seine getan hat, dann muss er warten.
Und genauso müssen auch Christen warten und einen langen Atem
haben, bis
sich ihre Hoffnungen erfüllen.
Advent damals und heute
Adventliche
Menschen werden uns im Jakobsbrief geschildert. Menschen, die ungeduldig
auf das Kommen ihres Herrn warten wie die kleinen Kinder heute.
Menschen, die vor dem Kommen ihres Herrn keine Angst haben, sondern
sich endlich Erlösung und Gerechtigkeit davon erwarten. Ihr
ganzes Christenleben war Advent.
Wenn sie geahnt hätten, wie wir Advent feiern: vier Wochen
im Jahr und weil es gerade im Kalender steht – sie hätten
wohl nur den Kopf geschüttelt.
Advent. Gott ist nahe. Was heißt das nun noch einmal 2000
Jahr später?
Advent. Adventskranz. Kerzen. Stille Zeit. Bekannte Lieder. Vorweihnachtliche
Feiern. Ein paar Schneeflöckchen. Alles schön und gut.
Aber: Advent = Gott kommt zu dir? Wie stellen wir uns das vor? Was
erwarten wir wirklich? Erwarten wir überhaupt noch etwas?
Advent nicht nur im Advent
Ich
kann mir verschiedene Möglichkeiten vorstellen:
Es
gibt Christen – nicht nur in Ländern, wo sie verfolgt
werden – die halten die Hoffnung auf Gottes sichtbares und
majestätisches Kommen möglichst bald und noch zu ihren
Lebzeiten ungeduldig offen. "Komm doch, Gott, und schaffe endlich
Gerechtigkeit!"
"Gott kommt." Das heißt für andere: "Gott,
komm doch endlich zu mir und steh mir bei in meiner Krankheit, meiner
Not, meinen Sorgen, meinen Schmerzen."
Oder:
"Komm doch, Gott, und schau dir das Elend meiner Frau, Mutter,
Tante oder Oma an, wie sie da liegt, und es ist schon lange kein
Leben mehr!"
Oder: "Komm doch, Gott! Es ist Zeit. Hol mich endlich!"
7
So seid nun geduldig, liebe Schwestern und Brüder, bis zum
Kommen
des Herrn. Siehe, der Bauer wartet auf die kostbare Frucht der Erde
und
ist dabei geduldig, bis sie empfange den Frühregen und Spätregen.
8
Seid auch ihr geduldig und stärkt eure Herzen; denn das Kommen
des
Herrn ist nahe.
Gebt
die Hoffnung nicht auf. Habt einen langen Atem. Wisst, dass alles
seine Zeit braucht und in Gottes Hand liegt. Und vertraut darauf:
Er hat euch noch nicht vergessen. Schaut euch die Gelassenheit des
Bauern an, der weiß: Es wird schon werden.
Advent hier und heute
Gott
kommt. Das kann für die, die gerade keine Not leiden und ungeduldig
hoffen, bedeuten: Hier und jetzt will dir Gott still und unauffällig
in deinem Alltag begegnen, vielleicht in einem Menschen, der dich
braucht. Ein Mensch, an dem du über der Vielzahl deiner Vorbereitungen
nicht vorbeirennen sollst. Der ein wenig Zeit braucht, ein wenig
Liebe, ein wenig Ansprache und Aufmerksamkeit.
Hier
und jetzt will dir Gott still und unauffällig in deinem Alltag
begegnen, dir und nur dir, vielleicht im Abendmahl, in einem Gottesdienst,
in einer stillen Stunde, beim Singen eines Liedes, beim Betrachten
einer Kerze. Vielleicht ist er dir näher als du denkst, wenn
du dich der Hektik verschließt und
Ruhe, Gelassenheit und Langsamkeit wiederfindest. Gott kommt zu
dir. Vielleicht gerade heute. |