Startseite | Impressum | Kontakt
predigt[e].de

Die Predigt vom 25. Dezember 2003 (Weihnachten):
»Mensch, werde Mensch!«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Der 25. Dezember ist der eigentliche Weihnachtstag, das Christfest. Sein Thema ist die Menschwerdung Gottes. Evangelium dieses Sonntags ist der zweite Teil der Weihnachtsgeschichte, wo die Hirten sich in Bewegung setzen lassen. Epistel und Predigttext (s.u.) war die „Weihnachtsgeschichte“ des Titusbriefs im Kapitel 3:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, 5 machte er uns selig - nicht um der Werke der Gerechtigkeit willen, die wir getan hatten, sondern nach seiner Barmherzigkeit - durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im heiligen Geist, 6 den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland,
7 damit wir, durch dessen Gnade gerecht geworden, Erben des ewigen Lebens würden nach unsrer Hoffnung.
Predigt
Aktuelle Predigten

Gesamtübersicht der Predigten

Stichwortverzeichnis
zu den Predigten

Die Predigt

Die Weihnachtsgeschichte für Erwachsene

"Mensch, werde Mensch, weil auch Gott Mensch geworden ist." Die heilige Nacht ist vorbei. Gott ist dir und mir ein Mensch geworden. Werde du nun selbst Mensch für andere. Als eine solche herzliche Einladung verstehe ich die Weihnachtsbotschaft im Brief des Paulus an seinen Mitarbeiter Titus:
4 Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes, 5 machte er uns selig ...
Hier steht nichts von Engeln und Hirten, von Ochs und Esel, von Krippe und Stall, von einem kleinen Kind, ja nicht einmal etwas von einer Menschwerdung. Am Morgen nach der heiligen Nacht kommt die Weihnachtsgeschichte für die ausgeschlafenen Gottesdienstbesucher, sozusagen die Weihnachtsgeschichte für Erwachsene:

Das Christkind und der Kaiser

"Als aber erschien", diese drei Worte sind die ganze Weihnachtsgeschichte. Doch wer damals genau hinhörte, hat mehr gehört als nur diese drei Worte, denn: "Er erschien" - das war damals ein Spezialbegriff für etwas ganz anderes, nämlich für das Auftreten des als Gott verehrten Kaisers bei seinen Untertanen. "Epiphanie" mit dem griechischen Fremdwort.
Wie aus einer anderen Welt erschien der Kaiser damals seinen Untertanen. Wie aus dem Himmel kommend begab er sich in eine bestimmte Ecke seines Reiches. Er ließ sich gnädig herab. Er gab sich die Ehre. Er war da, aber er war eigentlich nicht da: Er war seinen Menschen nicht nah. Er war oben, sie waren unten. Er war keiner von ihnen. Wer vor ihm stand, senkte seinen Blick und warf sich zu Boden.

So nicht!

So nicht, sagt Paulus. So ist Gott nicht erschienen. So ist Gott nicht Mensch geworden: Nicht wie ein Staatsmann, der sich gnädig herablässt zum jubelnden Volk, das vielleicht extra herbeigekarrt worden ist und dafür Urlaub bekommen hat.
Nicht wie die Päpste des Mittelalters, die sich in einer Sänfte zu ihren Gläubigen haben tragen und Ring oder Füße küssen lassen. Oder die noch bis in das vergangene Jahrhundert hinein die dreifache Krone getragen haben als Zeichen ihrer Herrschaft nicht nur über die Kirche, sondern über die ganze Welt.
Auch nicht wie ein Geschäftsführer oder Vorgesetzter, der sich bei einer Weihnachtsfeier oder einem Betriebsfasching leutselig unter die Mitarbeiter mischt, um dann am Montag sich wieder unnahbar in seiner Chefetage zu verschanzen.
Auch nicht wie jene schulterklopfende Verbrüderung und Menschlichkeit, wie sie manchmal beim Alkohol zustande kommt, und am nächsten Tag will der Verbrüderte nichts mehr davon wissen.

Ein König und doch nicht

"Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes."
Jesu Erscheinung war eine ganz andere, genau das Gegenteil dessen, was man damals vom göttlichen Kaiser gewohnt war: armselig kam er, nackt,
ganz menschlich und ganz nah. Das ist das Geheimnis, der Kern der Weihnachtsgeschichte. Ein Herrscher? Ein König? Ja! Aber doch ganz ganz anders. Er war unten. Er war einer der Ihren. Und der ließ sich anfassen und in die Augen schauen.
Sollte jemand, wenn im Laufe seines Lebens sein Kinderglaube erwachsener wird, auf einmal Schwierigkeiten bekommen mit dieser Geschichte von Ochs und Esel: ... Oder besser, sollte jemand Schwierigkeiten bekommen mit der idyllischen Vermarktung dieser Geschichte: Dann lasst die Geschichte, das Drumherum zur Not fahren, aber behaltet diesen Kern, wie radikal und kompromisslos sich Gott darin dir und mir zugewandt hat.

Weihnachten im Alltag

"Als aber erschien die Freundlichkeit und Menschenliebe Gottes, unseres Heilandes."
"Freundlichkeit", "Menschenliebe". Paulus kann sich so kurz fassen und so knapp ausdrücken, weil seine Hörer all die Geschichten ja kennen. Die Jesuserzählungen des Neuen Testaments füllen diese beiden Worte mit Inhalt. Allesamt Geschichten, wie Gott sich in Jesus den Menschen seiner Zeit zugewandt hat: den körperlich Kranken, den seelisch Kranken, den
Ausgestoßenen, den in der Gesellschaft an den Rand gedrängten, denen, die keine Leistung bringen konnten, und von denen man auch gar keine mehr erwartete. Da wird es jedesmal Weihnachten für die mit Menschlichkeit und Nähe Beschenkten.
Weihnachten, Menschwerdung im dunklen und kalten Alltag, nicht nur in der einen idyllischen Heiligen Nacht: Das war dem ältesten Evangelisten, Markus, offenbar so wichtig, dass er uns in seinem Evangelium gar keine
Weihnachtsgeschichte hinterlässt.

Jesus der „Heiland“

Zum Heiland wurde Jesus durch diese Menschenliebe und Freundlichkeit, heißt es hier. Heiland, dieses Wort hat Martin Luther bei seiner Bibelübersetzung ausgewählt, weil es alle Hoffnungen der Menschen seines Mittelalters enthielt: Einer der Heil bringt, der alles wieder heil macht, der die Sehnsüchte der Menschen erfüllt, die Sehnsüchte nach Frieden, nach Gerechtigkeit ... Nicht umsonst hat sich ein anderer Messias vor 70 Jahren mit dem Wort "Heil" grüßen lassen.
Heiland. Im Griechischen steht hier ein Wort, das auf deutsch wörtlich: "Herausreißer, Retter" heißt. "Soter", so ließ sich damals der Kaiser anreden, wenn er als göttlicher Wohltäter in einen Landstrich seines Reiches kam und Wohltaten verteilte.
"Retter", diese Bezeichnung nahmen damals die Christen ganz bewusst auf. Sie nahmen sie sozusagen dem Kaiser weg und gaben sie ihrem Herrn Jesus. Für die Christen damals ein Bekenntnis ihres Glaubens, für die Herrschenden natürlich Majestätsbeleidigung und ein Beweis politischer Unzuverlässigkeit.
Aber diese Nähe und Menschlichkeit Gottes, die sie in diesem Jesus erfahren hatten, machte sie stark, auch die Folgen zu tragen, die dieser
Protest gegen die menschlichen Herrscher mit sich brachte.

Dem Menschen ein Mensch werden

"Menschlich", damit sind wir beim springenden Punkt: Die menschlichen Herrscher damals – wie es heute ist, wäre zu überprüfen – sind Menschen gewesen, aber ob sie menschlich in einem tieferen Sinn waren, das ist die Frage.
Das ist aber nun auch die Frage an uns, die wir uns Christen nach diesem Christus Jesus nennen und an Weihnachten seine Menschwerdung
und Menschlichkeit feiern.

Die Weihnachtsbotschaft von der Menschwerdung Gottes will uns so durchdringen, dass auch wir Menschen werden: menschliche Menschen, echte Menschen, von der Menschenliebe und Freundlichkeit dessen geprägt, der damals erschien. Zu Menschen werden für andere, als Mensch greifbar werden, als Mensch erkannt werden, als Mensch erlebt werden, anfassbar werden und nahe, so wie er damals.

Gott wird Mensch und verlässt seinen Himmel: Das lädt uns ein, auch unsere Himmel zu verlassen: Die sog. "besseren Kreise", in denen mancher verkehrt und den Kontakt zu den Menschen verliert.

Die Schneckenhäuser, in die sich manche zurückgezogen haben und sich vor dem Mitmenschen verstecken.

Die Einsamkeit, in die sich manche zurückgezogen haben und sich darin
bemitleiden lassen.

Die Eigenbrötelei, in der es sich manche eingerichtet haben, so dass keiner
mehr ihnen etwas recht machen kann.

Gott wird Mensch und verlässt seinen Himmel: Das lädt uns ein, einander zum Mitmenschen werden: in der Ehe, in der Familie, in der Nachbarschaft, unter Freunden und Bekannten, im Berufsleben, im Vereinsleben, in der Gemeinde.

Und wenn nun jemand sagt: Das ist ja alles eigentlich ganz klar. In der Theorie weiß ich es auch. Aber, lieber Gott, du kennst doch meinen
Partner, du kennst doch meinen Nachbarn, du kennst doch meinen Kollegen ...
Ich traue dieser Botschaft von der Menschenliebe und Freundlichkeit Gottes so viel verändernde Kraft zu. Kraft, die noch gar nicht ausgeschöpft ist. Wenn das Weihnachtsfest und die Weihnachtsgeschichte nicht jedes Jahr neu die Chance hätten, Menschen zu verändern, würde es ja reichen, wenn man es einmal feiert und nicht alle Jahr wieder. Immer wieder neu können wir einander Menschen werden, weil Gott uns Mensch geworden ist.

nach oben

Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de