Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche Pfarrer Michael Thein
Die Predigt vom 4. Januar 1998: „Sei dankbar für deine Krisen!“
Predigttext
Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den „2. Sonntag nach dem Christfest“. Es ging um die Frage, was von Weihnachten bleibt. Epistellesung und Predigttext aus dem 1. Brief des Johannes Kapitel 5, Vers 11-13:
11 Und das ist das Zeugnis, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Das habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt, die ihr glaubt an den Namen des Sohnes Gottes.
Predigt
Es ist üblich, einander zu Beginn eines neuen Jahres Gutes zu wünschen. Doch weil es nicht nur eine Floskel ist, sondern auch einen guten und tiefen Sinn hat, soll es auch überlegt und von Herzen geschehen. Was wünschen Sie also anderen Menschen zum Neuen Jahr? (Vielleicht müssen Sie jetzt kurz nachdenken, denn wie beim Begrüßen überhaupt geht es ja eher automatisch.) Wünschen Sie "Prosit Neujahr", also "Zum Wohl"? Wünschen Sie "einen guten Rutsch", der hoffentlich nicht auf die Nase geht? Ein "Gutes Neues Jahr"? Ein "Gesegnetes Neues Jahr"? Ein "Gesundes Neues Jahr"? Oder formulieren Sie Ihren Wunsch ganz individuell, je nachdem, wer vor Ihnen steht und was dieser Mensch braucht?
Der häufigste Wunsch für dieses Neue Jahr dürfte wohl die Gesundheit gewesen sein. Die wünscht man sich selber und anderen. "Hauptsache gesund." "Die Gesundheit ist das Wichtigste." "Gesundheit - danke, das kann ich brauchen." So höre ich es immer wieder, wenn ich Besuche zum Geburtstag mache. Gerne wünsche ich auch Gesundheit. Doch ganz wohl ist mir dabei nicht, weil ich Angst habe, dieser Wunsch wird zu einer Art Beschwörung: Wir wissen ja alle nur zu gut, daß zum Leben auch die Krankheit und das Leiden gehören. Gerade bei alten Menschen, wo ich die meisten Besuche mache, ist Krankheit in irgendeiner Form ständiger Begleiter. Auch wenn ich jemand Gesundheit wünsche, auch wenn er es gerne hört, ich kann die Krankheit doch nicht weg wünschen und es wird ihn wohl auch nicht vor neuer Krankheit bewahren.
Ist denn ein neuen Lebensjahr (bei Geburtstagswünschen), ist denn ein neues Kalenderjahr (bei Neujahrswünschen) sinnlos, wenn es an der Gesundheit fehlt? Ist ein zufriedenes Leben, ist innere Gelassenheit und Zuversicht nur bei blühender Gesundheit denkbar? Was sollen dann die sagen, die mit einer bleibenden Krankheit oder Behinderung leben müssen?
Ja, was ist überhaupt wahres, sinnvolles und zufriedenes Leben? Jugendliche schauen die Generation ihrer Eltern an und fragen: Soll das alles sein? Schule, Beruf, Heiraten, Kinder kriegen, arbeiten, keine Zeit für die Kinder haben, fernsehen, auf dem Sofa einschlafen und ins Bett. Oder Menschen im mittleren Alter fragen auf einmal, z.B. wenn die Kinder aus dem Haus sind, oder eine Ehe zu kriseln beginnt: Soll das nun alles gewesen sein und bis zum Ende so weiter plätschern? Oder alte Menschen fragen: Was bleibt denn nun, wenn ich eins nach dem anderen hergeben muß, was mir einmal wichtig war: Kinder, Arbeit, den Partner, die Gesundheit ...?
Wo ist wahres und sinnvolles Leben und worin besteht es? Eine fertige, endgültige Antwort gibt es nicht. Doch ein wenig weiter zu kommen mit dieser Frage, dazu lädt der heutige Predigttext ein. Der Evangelist Johannes schreibt an eine verschüchterte und fragende Gemeinde folgende Zeilen:
11 Das bezeuge ich euch, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und dieses Leben ist in seinem Sohn. 12 Wer den Sohn hat, der hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, der hat das Leben nicht. 13 Den Brief habe ich euch geschrieben, damit ihr wißt, daß ihr das ewige Leben habt, die ihr an den Namen des Sohnes Gottes glaubt.
Hier ist nicht vom wahren, vom erfüllten, vom sinnvollen Leben die Rede, sondern vom "ewigen Leben". Aber genau das meint in der Wortwahl des Johannes "ewiges Leben". "Ewig" ist bei Johannes keine Beschreibung für den Zeitpunkt oder für die Dauer, sondern für die Qualität. "Ewiges Leben" als Leben irgendwann einmal nach dem Tod, d.h. jetzt gerade nicht, wäre reine Vertröstung und billige Hoffnung. Oft genug war es die Botschaft kirchlicher Scharlatane, die die Menschen beruhigen und still halten wollten. Nein, ewiges Leben nach der Beschreibung des Johannes, ewiges Leben nach der Vorstellung Jesu, auch wenn er dieses Wort nicht gebraucht hat, wahres und erfülltes Leben ist bereits hier und jetzt zu finden.
Wo denn? Haben die Hörer des Johannes damals gefragt? Und er sagt: Schaut nur hin, Ihr habt es schon. Ihr habt es, indem Ihr Jesus habt. "Wer den Sohn Gottes hat, der hat das Leben." Und es steht nicht da, doch es ist gemeint: Den Sohn Gottes hat, wer getauft ist und dann dazu ja sagt. Ich denke, daß da einige innerlich widersprechen: "Natürlich bin ich getauft. Alle sind getauft. Doch das macht mich noch lange nicht glücklicher und zufriedener." Wie kann man etwas haben, aber doch nichts davon merken? Vielleicht wird es durch ein Gleichnis ein wenig deutlicher: Stellen Sie sich das wahre, das sinnvolle Leben als ein unausge- packtes Geschenk vor. Man hat es einmal bekommen. Doch weil man noch nicht reif war für seinen Inhalt, legt man es zur Seite (wie das junge Mädchen seine Aussteuertischwäsche). Aber trotzdem: Das Geschenk gehört einem. Es bleibt einem. Keiner kann es einem nehmen. Keiner kann es einem streitig machen. Mag es auch lange weggeräumt sein, vergessen in einem Schrank liegen. Und dann ergibt es sich irgendwie: Man wird älter, vielleicht auch reifer. Interessen wandeln sich, und man entdeckt das alte, vergessene und verstaubte Geschenk wie einen Schatz: Du bist getauft. Du bist bejaht. Du hast Gott und er hat dich. Das steht. Entdecke und höre es wieder neu. Und sage ja dazu.
Oder noch mit einem anderen Bild, weil derzeit ja die Telekommunikation in aller Munde und in allen Nachrichten ist: Seit der Taufe steht eine Verbindung. Eine Standleitung. Ein rotes Telefon. Ein heißer Draht. Auch wenn du sie nicht benützt, sie bleibt geschaltet. Und der am anderen Ende, der hat Geduld, Gott sei Dank, viel Geduld. Geduld, daß da jemand vielleicht nach langer Zeit diese Verbindung wieder entdeckt und den Hörer zum ersten mal wieder abnehmen könnte.
Wie könnte das gehen: diese schon immer bestehende und fast tot geglaubte Verbindung wieder aufnehmen? Wie könnte das gehen: sich an das lange vergessene Geschenk auf einmal wieder zu erinnern? Das erste: Sei dankbar für deine Krisen. Sei dankbar, wenn dich irgend etwas auf einmal aus deinem Trott und aus der Bahn wirft. Gewinne einer Krise, einer Krankheit, einem Versagen etwas Gutes ab. Es läßt dich vielleicht ganz neu fragen. Und hinter der Frage nach dem Sinn, nach dem Warum verbirgt sich dann auch die zaghafte Frage nach Gott. Und dann das zweite: Geh nach der Krise nicht gleich wieder zur Tagesordnung über. Laß die Frage nach Gott nicht gleich wieder einschlafen. Erinnere dich an die alten, längst vergessenen Schätze. Nimm Verbindung auf: Bete, rede mit ihm, und wenn es am Anfang das reinste Gestammel ist.
Jetzt habe ich mehr in die Richtung derer geredet, die sich nach einem neuen Anfang sehnen, oder sich darüber freuen würden. Deswegen noch etwas zum Nachdenken für die anderen, die das große Geschenk schon lange kennen und schätzen, zu denen, die die Verbindung nie haben abreißen lassen:
Unser Reformator Martin Luther hatte ein sehr wechselvolles Gemüt von himmelhoch jauchzend bis zu Tode betrübt. Er hatte auch immer wieder, so würden wir es heute nennen, depressive Phasen, oft verbunden mit körperlichen Beschwerden, mit Koliken oder mit Angina pectoris. In der Lutherstube auf der Wartburg wurde früher gerne jener dunkle Fleck an der Wand gezeigt, wo Luther mit dem Tintenfaß nach dem Teufel geworfen haben soll. Nun wird vom ihm erzählt, in solchen dunklen Stunden habe er sich folgendermaßen weitergeholfen: Mit Kreide habe er auf dem Platz vor sich unter die Tischdecke auf die Tischplatte ge- schrieben: "Baptizatus sum." Auf deutsch: "Ich bin getauft." Und wenn nun wieder einmal so eine depressive Phase kam, habe er das Tischtuch hochgehoben, habe sich selber vorgelesen: "Ich bin getauft.", und habe durch dieses Wissen dann langsam wieder Mut gefaßt. Ich bin getauft. Ich gehöre zu Gott. Es ist alles klar. Oder noch einmal mit den Worten aus dem Predigttext von Silvester (Brief an die Römer Kapitel 8):
Denn ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.