Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche Pfarrer Michael Thein
Die Predigt vom 18. Januar 1998: „Zehn Gebote für das Zusammenleben in der Gemeinde“
Predigttext
Die Evangelische Kirche beging am 18. Januar den 2. Sonntag nach Epiphanias. Epistel und Predigttext dieses Sonntags war aufgrund mittelalterlicher liturgischer Tradition ein Abschnitt, der vom Thema des Sonntags und vom Kirchenjahr unabhängig ist: aus dem Brief des Paulus an die Gemeinde in Rom Kapitel 12, Verse 9-16:
9 Die Liebe sei ohne Falsch. Haßt das Böse, hängt dem Guten an. 10 Die brüderliche Liebe unterein- ander sei herzlich. Einer komme dem andern mit Ehrerbietung zuvor. 11 Seid nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seid brennend im Geist. Dient dem Herrn. 12 Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet. 13 Nehmt euch der Nöte der Heiligen an. Übt Gastfreundschaft. 14 Segnet, die euch verfolgen; segnet, und flucht nicht. 15 Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden. 16 Seid eines Sinnes untereinander. Trachtet nicht nach hohen Dingen, sondern hal- tet euch herunter zu den geringen. Haltet euch nicht selbst für klug.
Wenn wir jetzt ins Gespräch kommen könnten - was halt leichter in einer Gruppe als in einem Gottesdienst möglich ist - würde ich gerne hören, wie diese Ansammlung von einzelnen Mahnungen und Er- munterungen auf Sie gewirkt hat. Schlag auf Schlag kommen sie. Ohne Pause sind sie aneinander gehängt. Fast wie aus einem Maschi- nengewehr. In dem Bibelkreis, in dem wir uns alle zwei Wochen im Pfarrhaus treffen, - übrigens: offen für alle - haben wir diese Worte auf uns wirken lassen. Meine Befürchtung hat sich nicht bestätigt, daß sich jemand von der Summe dieser Sätze so vor den Kopf geschlagen fühlt, daß er gleich in eine Abwehrposition geht. Eher ein zwiespältiger Eindruck ist geblieben: Auf der einen Seite das Gefühl, das sei alles recht und gut. Wenn man das doch wirklich ehrlich schaffen könnte! Wenn doch mehr Menschen so leben würden! Und auf der anderen Seite: Zu viel auf einmal. Zu viel zum Ver- stehen. Zu viel zum Merken. Und zu viel zum Beherzigen. Griffiger müßte es werden, übersichtlicher und durchschauberer.
Mit dem Kunstgriff von Zehn Geboten will ich es versuchen. Sie haben Sie in die Hand bekommen. Ich will versuchen, erst das Ganze ein wenig zu bündeln, und dann doch das Einzelne ein wenig anzuse- hen:
Als eine Auslegung der Jahreslosung für 1998 verstehe ich diese Sätze: "Lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat." So heißt es im Brief an die Epheser Kapitel 5, Vers 2. "Lebt in der Liebe." Das ist ein großes Wort. Wie kann es Wahr- heit werden? Wie kann es Wirklichkeit werden? Was kann es im ein- zelnen heißen, im Alltag? Wie kann man das große Wort durchbuch- stabieren? Oder mit anderen Worten: Die Liebe ist so eine Art großer Geld- schein, mit dem man im Alltag nicht bezahlen kann. Man muß den großen Schein umwechseln in kleine Münze. Liebe muß sich erweisen, muß getan werden, muß in den Niederungen es Alltags in die Tat um- gesetzt werden.
So werden diese Mahnungen des Paulus erst lebendig, wenn sie nicht nur am Sonntag gehört, sondern unter der Woche ins tägliche Leben hineingeholt werden. Wie könnte das gehen? Ein Vorschlag im Bibelkreis: Ein Wort nur hernehmen und mit ihm durch den Tag gehen. Es hinein nehmen in die Gespräche, in die Ar- beit, in das Nichtstun. Und fragen: Was heißt das nun konkret? Darum auch dieses Blatt mit den einzelnen Worten. Einzelne Worte, die man insgesamt anschauen kann, die man aber auch zu Spruchkar- ten zerschneiden und einzeln hernehmen kann.
"Die Liebe sei ungeheuchelt." Den ersten Vers des Abschnittes verstehe ich als eine Art Motto, eine Überschrift: Es geht insgesamt um die Liebe. Sie ist das einigende Band für alles, was kommt. Alles, was folgt, ist eine Auslegung, eine Konkretisieren des Wortes Liebe. Und nicht nur eine Liebe als Lippenbekenntnis, eine echte Liebe, eine Liebe ohne Heuchelei und Schauspielerei. Kann man so viele Menschen lieben? Wenn ich daran denke, wem ich alles im Alltag begegne! Da haben wir ein Problem dadurch, daß Gemeinde damals bei Paulus anders aussah als heute: Im Grunde be- ziehen sich die Mahnungen des Paulus auf einen kleinen Kreis. Die christliche Gemeinde in Rom war eine kleine überschaubare Gruppe inmitten einer riesigen, heidnischen Stadt. Man gehörte zusammen. Man wußte sich verbunden. Man stand füreinander ein. Ähnlich viel- leicht wie heute eine Freikirche. 1.800 Gemeindeglieder kann man nicht im eigentlichen Sinne lie- ben. Man kennt sie ja nicht einmal mit Namen. Aber wäre es nicht schon viel, ist es nicht schon schwer genug, diese Wort auf die zu beziehen, die als Gemeinde zusammenkommen: im Gottesdienst, in den Gruppen. Beginnt es nicht schon da, daß man womöglich den gar nicht kennt, der neben einem sitzt?
I) Verabscheut das Böse, tut mit ganzer Kraft das Gute.
Was tut die Liebe? Darauf antwortet dieses erste Gebot. Und es ist eigentlich eine Binsenweisheit: Liebe will das Gute für einen anderen, nicht das Böse.
II) Liebt einander von Herzen als Brüder und Schwestern, in der Ehrerbietung kommt einander zuvor.
Mit wem hat es die Liebe zu tun? Darauf antwortet das zweite Gebot. Menschen, die in der Gemeinde zusammenkommen, sind auch Herr Soundso und Frau Soundso, aber sie sind von Gott her, sind von ihrer gemeinsamen Taufe her Brüder und Schwestern. Im Gottes- dienst fallen die Standesunterschiede. Daß es einmal Fürstenlogen gab, widerspricht dem durch und durch.
III) Werdet in eurer Einsatzbereitschaft nicht nachlässig, laßt euch vom Geist entfachen, dient dem Herrn.
Eine Gemeinde lebt nur dann und hat nur dann Zukunft, wenn Men- schen bereit sind, sich für das Ganze einzusetzen. Das gibt es, Gott sei Dank, bei uns. Wo all dieser Einsatz herkommen und wem er dienen soll, sagt Paulus: Er soll herkommen und gespeist werden vom Heiligen Geist, der ein Brandstifter ist und der Menschen be- geistern kann. Und dienen soll solcher Einsatz Gott und nicht menschlicher Ehre.
IV) Seid fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet.
Das ganze Leben kommt in einer christlichen Gemeinde vor: das Gute und das Böse, die Freude und das Leid. Wie kann man damit um- gehen? Wie kann jeder einzelne in seiner Freude und in seinem Leid vorkommen und nicht untergehen und vergessen werden? Die nächsten Gebote reden davon.
V) Sorgt für alle in der Gemeinde, die in Not sind, übt Gast- freundschaft.
Es gibt äußere Not und es gibt äußeren Reichtum. Nur durch Tei- len kann es zu einem Ausgleich kommen. Ein Beispiel: Vor Weihnachten hat mir jemand einen größeren Geldbetrag in die Hand gedrückt mit der Bitte, das Geld als Weih- nachtsgeschenk an Bedürftige in der Gemeinde weiterzugeben. Daß dieses Geld Freude gemacht hat, können Sie sich denken.
VII) Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.
Das siebte Gebot ziehe ich hier vor: Es gibt (neben der äuße- ren) auch die innere Not und die innere Freude. Wie bei der äuße- ren Not kommt es auch hier auf das Teilen an: Tränen der Freude teilen und Tränen des Leides teilen. Sich echt und ungeheuchelt für den anderen interessieren. Sich das Seine zu Herzen gehen las- sen. Nicht nur kluge Worte für ihn haben, sondern Anteilnahme.
(Tut mir leid. Das Weitere erfolgte wegen mangelnder Vorbereitungszeit in freien Wor- ten.)
VI) Segnet eure Verfolger, segnet und verflucht sie nicht.
VIII) Seid alle miteinander auf Einigkeit bedacht.
IX) Strebt nicht hoch hinaus, sondern gebt euch für die undankba- ren Aufgaben her.