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predigt[e].de

Die Predigt vom 25. Januar 1998: „Ein ungehobener Schatz?“

Sorry: eine der ersten Predigten mit einem einfachen Editor, deshalb noch im alten Layout, das nur geringfügig geändert ist.


Predigttext

Die Evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Sonntag nach Epiphanias, der als Bibelsonntag gestaltet werden konnte. Epistellesung und Predigttext dieses Sonntags waren Worte des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Römer Kapitel 1, Vers 16-17:

16 Denn ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen. 17 Denn darin wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht (Habakuk 2,4): »Der Gerechte wird aus Glauben leben.«

Predigt

"Warum gehen Sie in den Gottesdienst?" Zu dieser Frage habe ich vor ein paar Jahren Konfirmanden eine Umfrage machen lassen. Mit Lampenfieber und einem Kassettenrekorder standen sie am Sonntagmorgen vor der Kirche. Nachdem sie die erste Scheu überwunden hatten, hat es ihnen viel Spaß gemacht. Und für mich waren die spontanen Antworten und die Offenheit der Menschen überraschend. "Warum gehen Sie in den Gottesdienst?" So fragten die Konfirmanden die Gottesdienstbesucher, junge und alte. Ver- schiedene Antworten kamen: "Weil ich es von Jugend auf so gewohnt bin." "Weil es für mich ganz einfach zum Sonntag dazu gehört." "Weil ich die Gemeinschaft und das Gebet mit den anderen Christen suche." "Weil ich im Gottesdienst Gottes Wort höre; das hilft mir weiter und gibt mir Kraft." Auch eine Mitkonfirmandin haben sie gefragt und sie sagte es geradeheraus: "Ich gehe, weil ich muß."

Größer könnte der Unterschied wohl nicht sein. Die eine: Ich gehe, um Gottes Wort zu hören. Ich brauche es. Die andere: Ich gehe, weil ich muß. Damit wir uns nicht mißverstehen, liebe Konfirmanden: Ich will Euch nicht tadeln. Ich bin froh, daß ihr auch ohne strenge Kontrolle ziemlich regelmäßig da seid, aus welchem Grund auch immer. Auch wenn die meisten wohl aus Pflicht kommen werden. Aber ich kann euch ja nicht ins Herz schauen. Der Unterschied zwischen den beiden Antworten ist ja doch ganz verständlich und vom Leben geprägt: "Ich komme, um Gottes Wort zu hören." Das ist ein Satz, in dem Lebenserfahrung steckt. Die Erfahrung, daß nicht immer, aber doch oft Gottes Wort in das eigene Leben hinein spricht, einen trifft, einen tröstet, einen aufrichtet, einem den Weg zeigt.

"Ich komme, um Gottes Wort zu hören." Das kann ernsthaft nur jemand sagen, der schon ein wenig älter ist und Erfahrungen gemacht hat. Von einem jungen Menschen kann man das nicht verlangen. Daß Gottes Wort Kraft hat, daß es etwas bewirkt, das muß man erleben und ausprobieren, und das geduldig über längere Zeit. Das ist auch der Grund, weswegen wir euch als Konfirmanden - vielleicht entgegen eurer Lust - zum Gottesdienst anhalten, und weswegen das Lesen in der Bibel zur Konfirmandenzeit gehört. Ich habe von einem Pfarrer gehört, der seine Konfirmanden ermuntert und anhält, wenigstens ein Evangelium einmal am Stück ganz bewußt zu lesen. Ich halte das für eine gute Idee. Nur, wer sich dem Wort Gottes aussetzt, kann im Laufe der Zeit seine Kraft erfahren.

Gottes Wort hat Kraft. So hat es auch der Apostel Paulus in seinem Leben erfahren und so sagt er es weiter. Kraft - auf griechisch dynamis: Dynamisch, zupackend ist Gottes Wort. Wie Dynamit wirkt es manchmal, wenn es bei Menschen Altes zerbricht und Neues werden läßt. "Wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt", so sagt es der Prophet Jeremia einmal (Jer 23,29)

Gottes Wort hat Kraft. So sagt es Paulus im ersten Kapitel des Römerbriefes, der Epistellesung für den heutigen Sonntags. "Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen." "Ich schäme mich des Evangeliums nicht."

Was könnte Paulus für einen Grund haben, sich für die Verkündigung des Evangeliums, der guten Nachricht, zu schämen? Was läßt ihn ein wenig zögern? Paulus schreibt an die Christen in Rom, Menschen, die er von Angesicht nicht kennt, Menschen, denen nicht er selber den Glauben gebracht hat. Wie wird seine Botschaft ankommen dort in der Hauptstadt, von der man sich so viel erzählte? Rom war das Zentrum der Kultur, galt als die Stadt der Gebildeten. Würden des Paulus Worte dort in Rom Anklang finden? Würde man ihn und seine Worte akzeptieren? Würde man ihn vielleicht für ängstlich halten, weil er schon lange einen Besuch in Rom angekündigt hat und ihn noch nicht wahr machte? Ist das Zögern des Paulus nicht ganz menschlich und ganz verständlich?

"Wie komme ich an, wenn ich im Alltag von meinem Glauben erzähle? Wie werden die Reaktionen meiner Zuhörer sein?" Es braucht Mut, sich zur Kirche, zu seinem Glauben, zum Evangelium zu bekennen: Erwachsenen gegenüber und den eigenen Kindern und Enkeln gegenüber genauso. Und noch dazu - wie bei Paulus - vor Menschen, die man nicht gut kennt und deren Reaktion man nicht abschätzen kann. Der eigene Glaube gehört zum Intimsten, was man hat. Das will man sich nicht madig und nicht lächerlich machen lassen. Man redet nicht gerne davon. Und weil man es nicht gerne und nicht oft tut, hat man auch keine Übung und es fehlen die richtigen Worte, wenn es darauf ankommt.

Da gibt es eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Man braucht entweder eine kleine Gruppe, in der Vertrauen herrscht und in der man offen und ohne Furcht reden kann, wie z.B. in unseren Haus- und Bibelkreisen. Oder man braucht einen Menschen, eine Vertrauensperson, auf die man sich unter vier Augen verlassen kann. Und wenn dann Mut und Offenheit im kleinen Kreis wachsen, kann man auch einmal in anderen Situationen freier und mutiger sprechen.

Zurück zu Paulus: "Ich schäme mich des Evangeliums nicht, denn es ist eine Kraft Gottes." Was Paulus letztlich sein Zögern überwinden läßt, ist, daß es nicht um ihn und seine Person geht, sondern um Gott selbst: Gott selbst steht hinter seinem Wort und gibt ihm Kraft. Es kommt letztlich nicht auf den an, der es weitergibt. "Werde ich ankommen mit dem, was ich sage? Nimmt man mich ernst? Kann ich überzeugen?" Das ist und bleibt die Unsicherheit derer, die es wagen, von ihrem Glauben zu reden. Und wir müssen mit dieser Unsicherheit leben. Wir können den Sinn unseres Glaubens, wir können die Wahrheit und die Kraft des Wortes Gottes anderen nicht beweisen. Wir können nur einladen: Beschäftige dich damit, dann wirst du es auch erfahren. Das Wort Gottes beweist sich und seine Kraft sozusagen selbst.

"Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben, die Juden zuerst und ebenso die Griechen." Allen Menschen gilt Gottes Evangelium, seine gute Nachricht für ihr persönliches Leben. Das sagt Paulus mit den Einteilungen seiner Zeit: Für ihn als Juden, wie für alle Juden, bestand die Welt damals aus Juden und anderen: aus den jüdisch und aus den griechisch Sprechenden, aus den Glaubenden und den Ungläubigen. Für die anderen wie die in Rom wiederum bestand die Welt aus griechisch Sprechenden und anderen: aus Gebildeten und aus Barbaren.

Alle diese Grenzen, die Menschen untereinander aufrichten, reißt Gott ein. Sein Wort gilt allen gleichermaßen, wenn sie es nur hören wollen. Und alle brauchen es gleichermaßen. Keiner ist Gott von Haus aus näher als ein anderer. Und keiner hat einen weiteren Weg zu gehen als der andere. Um dazu immer wieder neu geduldig einzuladen, wird Jahr für Jahr am letzten Sonntag im Januar eingeladen, den Bibelsonntag zu begehen: Noch mehr Menschen sollen sich mit diesem Buch be- schäftigen und erfahren, daß in diesem alten Buch neue Kraft steckt. "Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben."

Theoretisch hat die Bibel ja diese Wichtigkeit: Sie ist das meistverkaufte Buch dieser Welt. Nach den Zahlen von Anfang 1997, den neuesten, die ich habe, übersetzt in 2.167 Sprachen, mit Gesamtausgaben in 355 Sprachen. Aber ist sie nicht doch eher ein ungelesener Bestseller? Verborgene, ungenutzte Kraft, ungehobener Schatz? Wie könnte diese Welt aussehen, wenn alle Menschen, die eine Bibel besitzen, auch geduldig in ihr lesen? Wenn sie sich durch sie infrage stellen ließen, sich verändern ließen, anstiften zu mehr Geduld, Liebe und Gerechtigkeit! Ein Lebensbuch will die Bibel sein, ein Buch für den Alltag, nicht nur für den Sonntag.

Eine ganze Reihe alter und auch wertvoller Bibeln haben einige von Ihnen mir ausgeliehen für diese Woche der Bibel. Ab heute nachmittag sind sie im Gemeindehaus offiziell zu bewundern. Einigen sieht man an, daß sie Gebrauchsbücher waren. Andere waren wohl ihr Leben lang nur Schmuckstücke. Wenn diese Bibeln reden könnten! Nicht so sehr von der Geschichte ihrer Zeit, sondern von den Menschen, die in ihnen gelesen haben und von ihren Glaubenserfahrungen. Was gäbe es da zu entdecken! "Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de