Die Predigt vom 1. März 1998: »Sieben Wochen ohne«
Kirchenjahr |
|
Die evangelische Kirche beging am
Sonntag den 1. Sonntag der Passionszeit "Invokavit" ("Er ruft
mich an"). Weil am Aschermittwoch kein Gottesdienst war, habe ich zu Beginn
der Fastenzeit das Evangelium von diesem Tag ausgewählt: |
Predigttext |
|
Matthäusevangelium Kapitel 6,
Vers 16-18:
16 Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn
sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten.
Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 17 Wenn du aber
fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, 18 damit du dich nicht vor
den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, der im
Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's
vergelten.
|
Predigt |
|
"Am Aschermittwoch ist alles
vorbei:" Der Kehraus ist geschehen. Die Kostüme kommen zurück in
den Schrank. Die Rathausschlüssel werden zurückgegeben. Die
eingezogenen Führerscheine leider nicht.
An einem Wendepunkt stehen wir auch in der Natur, wenn Winter und Frühjahr
noch einmal miteinander kämpfen. Daß das alles aber auch mit dem
Kirchenjahr zu tun hat, ist vielen Zeitgenossen nicht mehr bewußt:
Fasching. In Norddeutschland sagt man Karneval. Wissen Sie eigentlich,
was Karneval ins Deutsche übersetzt heißt? Karneval kommt aus dem
Lateinischen und bedeutet soviel wie: "Fleisch, leb wohl!" Fleisch,
leb wohl: Das kommt daher, daß nach dem Karneval die sogenannte Fastenzeit
beginnt. In der katholischen Kirche ist das Wissen um die Fastenzeit stärker
verwurzelt als bei uns. Die Traditionen aus dem Mittelalter, die ja eigentlich
auch unsere evangelischen Wurzeln sind, sind da noch stärker. Damals im
Mittelalter wurde das Fasten noch streng gehandhabt. So sollte man in diesen
sieben Wochen bis Ostern weniger essen als sonst und an bestimmten Tagen ganz
auf Fleisch verzichten. Kein Fleisch mehr, also: Fleisch, leb wohl. Deswegen hat
man sich auch in den Tagen vor der Fastenzeit noch einmal gehörig ausgetobt
und auch vollgefressen.
Eigentlich war dieses Verzichten in der Fastenzeit ja dazu gedacht, daß
man einige Wochen im Jahr nachdenklicher und mäßiger leben sollte.
Nicht umsonst liegen die beiden alten Fastenzeiten vor den großen Festen
des Kirchenjahres: Die Passionszeit vor Ostern und die Adventszeit vor
Weihnachten. Die Freude über die große Fülle an diesen Festen
sollte größer werden und auch körperlich erfahrbar werden durch
den bewußten Verzicht davor.
Doch wie es so ist: Immer finden Menschen einen Ausweg, das Gutgemeinte
zu umgehen oder sogar in sein Gegenteil zu verkehren. So verlegten sich findige
Mönche, weil man damals in der Fastenzeit ja nur das Essen einschränken
sollte, auf das flüssige Brot und erfanden das Starkbier, sehr nahrhaft und
mit nicht wenig Alkohol.
Martin Luther hat in der Reformationszeit die alte Sitte des Fastens
nicht abgeschafft, er hat nur ihren Mißbrauch verurteilt. Aber trotzdem
ist das Fasten in der evangelischen Kirche mit der Zeit ganz in Vergessenheit
geraten, und die meisten wissen nichts Rechtes mehr damit anzufangen. Ein
kleiner Rest dieser alten Sitte ist nur noch da, wenn in vielen Familien an
Karfreitag, ja vielleicht an allen Freitagen, kein Fleisch, sondern Fisch
gegessen wird.
Zur Zeit Jesu gehörte das Fasten zum Alltag eines gläubigen
Juden. Mit Almosengeben, Beten und Fasten konnte man sich vor Gott und den
Menschen Punkte sammeln. Wie Luther lehnte auch Jesus dieses Fasten nicht ab,
aber er wetterte über die, die sich dadurch vor anderen als besonders fromm
hervortun wollten. So lesen wir im Matthäusevangelium im 6.Kapitel:
16 Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die
Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit
ihrem Fasten. Wahrlich, ich sage euch: Sie haben ihren Lohn schon gehabt. 17
Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Gesicht, 18 damit du
dich nicht vor den Leuten zeigst mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater,
der im Verborgenen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's
vergelten.
Wer seine Frömmigkeit so heraushängen läßt, wer
gesehen werden will, der hat seinen Lohn schon, sagt Jesus: Wer von den Menschen
gesehen werden will, der sucht nicht Gottes Ehre, sondern nur seine eigene. Der
hat deswegen auch von Gott nichts mehr zu erwarten.
Ich denke, das ist nicht so sehr die Versuchung der Menschen heute, daß
jemand sein Christsein zur Schau stellt. Auch wenn hin und wieder der Vorwurf
laut wird, viele würden nur in die Kirche rennen, um gesehen zu werden. Ich
halte diesen Vorwurf nicht für berechtigt. Ich denke, daß die
Minderheit, die Sonntag für Sonntag kommt, wirklich auch ein Interesse an
Gott und an der Gemeinde hat.
Ich denke, wir haben da beim Thema Fasten im Gegensatz zur Zeit Jesu und
zur Zeit Martin Luthers eine andere Situation: Damals, als das Fasten gang und gäbe
war, mußte man vor seinem Mißbrauch warnen. Heute, wo es unter uns
fast niemand mehr kennt, muß man wieder dazu einladen und die guten Seiten
herausstreichen. Wer ehrlichen Herzens fastet, der wird von Gott belohnt, sagt
Jesus. Auf die innere Einstellung kommt es also an. Fasten bringt inneren
Gewinn. Fasten lohnt sich.
Wie könnte das heute aussehen, ein freiwilliges, ernstgenommenes
und recht verstandenes Fasten? Unter der Überschrift
"Sieben Wochen ohne"
werden seit über 15 Jahren evangelische Christen eingeladen, einmal
eine Zeitlang auf etwas Liebgewonnenes zu verzichten. Ungefähr zwei
Millionen machen jedesmal deutschlandweit dabei mit. Sie nehmen sich vor, in den
sieben Wochen der Passionszeit z.B. einmal ohne Alkohol, oder ohne Zigaretten, Süßigkeiten
oder Fernsehen auszukommen. Jeder sucht sich das Seine aus.
Seit über zehn Jahren praktiziere ich das selbst. Und weil ich in
keinem Gemeindebrief Bayreuths etwas davon gelesen habe, habe ich mich spontan
entschlossen, einmal zu dieser Aktion einzuladen. Wenn der Versuch Interesse
findet, würde ich mich im nächsten Jahr zeitiger und intensiver darum
kümmern. Wer mitmacht, wird außer mit einem inneren Gewinn auch mit
einem sog. Fastenkalender belohnt, der ähnlich wie ein Adventskalender
durch diese Zeit begleitet.
Wozu könnte ein solcher zeitlich befristeter Verzicht gut sein? Ich
will versuchen, meine Erfahrungen und die anderer weiterzusagen. Sie müssen
nicht alle Gründe akzeptieren. Aber Sie sollten sie hören. Ein Grund
reicht ja schon, um dabeizusein:
Erstens: Ein zeitweiliger Verzicht kann einen darauf aufmerksam machen,
ob man sich persönlich noch in der Gewalt hat, oder ob man schon von Dingen
des täglichen Lebens abhängig ist. Genügend gibt es heute, was
einen unfrei machen kann unter dem Mantel des Genusses und der Lebensfreude,
auch wenn man es nicht wahrhaben will. Vor allem die, die sagen, sie könnten
jederzeit aufhören, sind in großer Gefahr, sich etwas vorzulügen.
Ob eine solche persönliche Überzeugung wirklich stimmt, oder ob sie
nur Selbstbeschwichtigung ist, kann man sich nur dadurch beweisen, daß man
einmal freiwillig für einige Zeit verzichtet. Freiwillig wie gesagt, nicht
auf Anraten des Arztes oder als Ultimatum des Ehepartners. Nicht nur die körperliche
Kraft wird hier auf die Probe gestellt, auch die seelische, denn schnell kann
man mit seinem Vorhaben auch ausgelacht oder aufgezogen werden.
Zweitens: Ein solcher zeitweiliger Verzicht kann wie ein öffentliches
Zeichen sein, andere auf die Gefahren der Sucht für die Familien und die
Gesellschaft hinzuweisen. Während zu Recht dauernd auf die Gefahr der
Drogen hingewiesen wird, werden die Gefahren des Alkohols eher heruntergespielt.
Doch der Alkoholmißbrauch darf nicht länger ein gesellschaftlich
anerkanntes Übel bleiben. Es muß sich die Überzeugung
durchsetzen - gerade unter der Jugend - , daß, wer über die Maßen
trinkt, nicht der Stärkere, sondern der Schwächere ist. Jeder, der
hier öffentlich das Verzichten für ein paar Wochen übt, wird
automatisch von anderen danach gefragt werden, wird automatisch mit anderen ins
Gespräch kommen. Und nur so werden noch mehr Menschen aufmerksam.
Drittens: Der zeitweilige Verzicht auf etwas Liebgewonnenes kann im
Kleinen darauf aufmerksam machen, wie gefährdet die ganze Schöpfung im
Großen ist. Vieles sollten wir uns heute eigentlich um unserer Umwelt
willen nicht mehr leisten, so bequem es sein mag. Auch das ist z.B. für
mich eine Art Fasten, nicht unnötig schnell und nicht unnötig oft mit
dem Auto zu fahren.
Viertens: Der zeitweilige Verzicht auf etwas Liebgewonnenes könnte
uns darauf aufmerksam machen, was wirklich wichtig ist in unserem Leben. Um
diesen inneren Gewinn geht es bei dieser Aktion "Sieben Wochen ohne"
vor allem. Sicher kann man mitmachen, um ein paar Pfunde loszuwerden. Doch die
sind womöglich schnell wieder drauf, und alles bleibt beim alten. "Jogging
für die Seele" hat jemand das Fasten einmal genannt. Das sollte
deutlich machen, daß viele Menschen in einer Art Gesundheitswelle viel für
ihre körper- liche Fitness tun, darüber aber ihre vielleicht noch
wichtigere seelische Gesundheit vergessen. Es geht aber in dem allen auch um
unsere Seele, um unser Heil, um unsere innere Gesundheit, um unser Leben. Martin
Luther hat einmal gesagt: "Woran du dein Herz hängst, das ist dein
Gott." Alles, woran wir uns über die Maßen hängen, das
nimmt uns auch innerlich gefangen. Rauchen, Trinken, Autofahren, Fernsehen,
Computerspielen kann für einen Menschen geradezu zum Gott werden. Es kann
sich im Denken und Fühlen so in den Vordergrund drängen, daß er
eine, wahre Gott darüber vergessen wird.
Aus "Sieben Wochen ohne" werden dann auf einmal "Sieben
Wochen mit": mit mehr Nachdenken, mit mehr Lebensqualität, mit mehr
Einsichten über sich selbst.
Gott segne uns diese beginnende Passions- und Fastenzeit. Und wenn sich
jemand etwas vornimmt, schenke Gott ihm das Gelingen. Amen |
|