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Die Predigt vom 9. April 1998 : »Gott läßt sich festnageln«


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Kirchenjahr

  Die evangelische Kirche beging den Gründonnerstag (von greinen = weinen), an dem sie der Einsetzung des Abendmahls durch Jesus am Abend vor seinem Tod gedenkt. Predigttext waren die sogenannten Einsetzungsworte, wie sie Paulus schon lernte, als er selbst Christ geworden war. Brief an die Gemeinde in Korinth im 11. Kapitel:

Predigttext

  23 Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, 24 dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. 25 Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. 26 Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt.

Predigt

  Eine Geschichte

»Draußen glitzern die Sterne in der eiskalten Nacht. In der Holzhütte sitzen die Fischer. Tage und Nächte haben sie im Nordmeer gearbeitet. Sie sind todmüde. Aber sie können nicht schlafen. Vor ihnen liegt der schwerkranke Kamerad, in Felldecken gewickelt. Er stöhnt und spricht im Fieber.
Jetzt öffnet der die Augen und sagt: "Ich muß zum Abendmahl gehen." Die Fischer rücken auf ihren Plätzen hin und her. Dann sagt einer: "Es ist viele Meilen weit zum Pfarrer." - "Es ist noch weiter - zur Gnade", sagt der Kranke, Eleseus mit Namen. Dann wird es wieder still, bis der Kranke wiederholt: "Ich muß um Vergebung bitten. Ich muß zum Abendmahl gehen." Man hört seine schnellen Atemzüge.
Da steht Henrik auf und geht aus der Hütte. Vor der Tür bleibt er stehen, faltet die Hände, so gut es in den dicken Fausthandschuhen geht, und kniet im Schnee nieder. Alle schweigen, als er hereinkommt. "In Gottes Namen denn", sagt Henrik. Und jetzt erst scheint er daran zu denken, was er braucht: Brot. Henrik gießt Balsam in die Tasse, mischt etwas Wasser darunter, versucht. Dann schneidet er ein Stück von dem feinen Kuchen ab, den die Frau des Eleseus ihrem Mann mitgegeben hat. "Eleseus", sagt Henrik und rüttelt ihn sanft, "wir können keinen Pfarrer holen, aber willst du, daß ich dir das Abendmahl gebe?" - "Ja." "Glaubst du an Gott, Eleseus?" - "Ja." "Und bereust du alles, was du getan hast und was nicht war, wie es hätte sein sollen?" - "Ja, o ja!" Henriks Hand liegt auf der Stirn des Kranken. "So verkündige ich dir im Namen Gottes, des Allmächtigen, daß dir alle deine Sünden vergeben sind im Namen Gottes, des Vaters, und des Sohnes, und des Heiligen Geistes." Damit gibt er ihm das kleine Stück Kuchen und einen Schluck aus der Tasse.
Am anderen Morgen sagt der Schiffsführer: "Wir müssen nun einen Sarg zimmern, Eleseus ist tot.«

(Auszug aus: J.Bojer, Die Lofotfischer)

Frieden mit Gott

Da liegt einer im Sterben, und sein letzter Wunsch ist, mit Gott ins Reine zu kommen. Koste es, was es wolle, und wenn die äußeren Umstände noch so ungewöhnlich sind. Er will Frieden haben. Und im Abendmahl wird Frieden gemacht, Frieden zwischen Gott und Mensch.

Wir brauchen solchen Frieden. Wir brauchen es, mit Gott ins Reine zu kommen. Und wir brauchen das nicht nur im Angesicht des Todes. Ich denke, daß viele von uns hier sind mit diesem Willen, Frieden zu machen mit Gott, mit ihm ins Reine zu kommen. Viele Ältere sind noch geprägt von dem alten Brauch, zweimal im Jahr zum Abendmahl zu gehen: einmal in der Passionszeit und das andere Mal am Ende des Kirchenjahres. Sie kommen mit Ehrfurcht, mit Herzklopfen, mit ein wenig Unsicherheit. Schuld bereinigen ist immer eine heikle Sache, schon unter Menschen, warum dann nicht auch bei Gott.

Der Frieden wird geschenkt

Und doch meine ich: Bei Gott ist es anders. Beim Abendmahl ist es anders. Gefragt ist beim Abendmahl nicht so sehr der Blick auf uns selbst: auf unsere Schuld, unsere Unfähigkeit, uns von Grund auf zu ändern. Entscheidender ist der Blick auf Jesus: Jesus lädt ein. Jesus ist der Gastgeber und Mittelpunkt. Auf die Gäste kommt es erst in zweiter Linie an. Hauptsache, sie haben sich einladen lassen und sind da.

Das Abendmahl ist die Feier, bei der Gott da ist und sich uns schenkt. Er ist nicht da, weil wir es uns wünschen. Er ist nicht da, weil wir ihn herbeizitieren könnten. So wie man den Geist aus der Flasche holen kann, wenn man nur das richtige Wort weiß. Gott ist da, weil es uns Jesus so versprochen hat. So steht es im heutigen Predigttext für den Gründonnerstag. Paulus schreibt an seine Gemeindeglieder in Korinth, woher er diese Gewißheit hat:

Denn ich habe von dem Herrn empfangen, was ich euch weitergegeben habe: Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis. Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis. Denn sooft ihr von diesem Brot eßt und aus dem Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, 24 dankte und brach's und sprach: Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird; das tut zu meinem Gedächtnis.

Jesus leib-haftig

"Das ist mein Leib": "Leib", damit meint Jesus nicht einfach nur seinen Körper, sondern sich selbst als ganzen Menschen. "Das ist mein Leib", heißt im Munde Jesu mit verständlicheren Worten: "Das bin ich. Das bin ich leibhaftig. Das bin ich, wie ich leibe und lebe." So sicher wie Brot und Wein da sind, so sicher bin auch ich da.

Jesus kann loslassen

"Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird." "Für euch": Das ist der Kern dieser Worte. Darin liegt das ganze Geheimnis des Abendmahls. "Für euch" heißt erst einmal: Für die Jünger. "In der Nacht, da er verraten ward" erinnert an die Nacht der Gefangennahme. Indem Jesus sich stellt und sagt: "Ich bin's, den ihr sucht." Indem er die Häscher in ein Gespräch verwickelt, ermöglicht er seinen Freunden die Flucht. Er setzt sich für sie ein. Und wenn es ihn das Leben kosten mag. "Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird": hingegeben, losgelassen. Jesus hält sein Leben nicht krampfhaft fest. Er kann es hergeben, hergeben bis zu letzten Konsequenz, bis zum Tod am Kreuz.

Der garstige Graben der Geschichte

"Tut das zu meinem Gedächtnis." sagt er am Ende. Also: Sooft Abendmahl gefeiert werden wird, erinnert euch an diese meine Treue zu euch, an diese meine Lebenshingabe. Diese Aufforderung zum Gedächtnis ist nun für uns die Erlaubnis zu sagen: "Für euch gegeben", das bezieht sich nicht nur auf die Jünger damals, sondern auch auf uns heute abend. So wie es 2000 Jahre lang Christen auch auf sich und auf ihre Zeit bezogen haben.

Das ist wohl mit das schwierigste Geheimnis im Tod Jesu, das man niemand anderem so richtig vermitteln, sondern das man nur glauben kann: Daß dieser Jesus damals nicht nur für seine Freunde einstand, sondern daß sein Loslassen, sein Hingeben weiterwirkt in die Zukunft.
"Für euch gegeben." Bei der Austeilung des Abendmahls wird daraus: "Für dich gegeben". Das, was für die Jünger damals galt, für jeden einzelnen, das gilt auch heute im Abendmahl jedem einzelnen. Gewiß sind wir im Abendmahl vor dem Altar Gemeinde. Und doch steht da auch jeder einzeln unter vier Augen vor seinem Gott. "Für dich gegeben." Nicht nur für dich allein, aber auch für dich. 25 Desgleichen nahm er auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut; das tut, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.

Gott bindet sich, verbindet sich

"Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut", sagt Jesus. Einen Bund geht Gott in Brot und Wein mit uns ein, eine Verbindung, eine Verpflichtung. Er bindet sich an uns. Und er bindet sich an sein Versprechen. Er bindet sich aber auch an dieses unscheinbare Brot und diesen unscheinbaren Wein. Beides von Menschen gemacht, nicht heiligen Ursprungs, nicht vom Himmel gefallen. Der Gott, den zu sehen im Alten Testament sterben bedeutete, der läßt sich hier sehen. Der Gott, den keine Gedanken und Hände fassen können, der läßt sich hier fassen. Der sich am Kreuz hat festnageln lassen, der läßt sich in einem übertragenen Sinne auch hier festnageln: festnageln auf seine Gegenwart im Abendmahl, auf seine Gegenwart in Brot und Wein.

Wirkmächtiges Abendmahl

So ist das Abendmahl nicht einfach nur eine symbolische Feier, eine wehmütige Erinnerung an vergangene Zeiten oder eine Geschichtsstunde. Wirkmächtig ist das Abendmahl, so drücken es manchmal Menschen aus: Es wirkt etwas, es bewirkt etwas, es hat Macht und Kraft. Das kann man nicht erklären, sondern man muß sich darauf einlassen.
So ist es ja mit allen Dingen, die man aus Glauben oder auch aus Aberglauben heraus tut: Wer sich auf sein Horoskop verläßt, der muß gewärtig sein, daß es ihn in seinen Bann schlägt. Wer aus Überzeugung oder aus Neugierde mit bösen Mächten spielt, der muß gewärtig sein, daß sie Macht über ihn gewinnen. Wer sich der guten, der lebensfördernden Macht des Abendmahls aussetzt, wer in ihm die Gegenwart Jesu erfährt, der wird von dieser guten Macht getragen. Und so wirkt das Abendmahl nicht nur in dem Moment des Empfangs, sondern auch darüber hinaus, wenn wir dann aus diesem Gottesdienst hinausgehen zurück in unsere Häuser. Mit Gott im Reinen können wir wieder frei durchatmen und getrost ausschreiten.

Zurück zu dieser Geschichte vom Anfang. Zurück zu jenem todkranken Fischer im Nordmeer, fernab von jeder Zivilisation: Daß dieses Abendmahl heute auch für jemand unter uns das letzte Mahl sein könnte, das hoffen und wünschen wir für niemand. Und doch wird einmal ein Abendmahl unser letztes sein. Gebe Gott, daß wir dann einmal genauso getrost gehen können. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de