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Die Andacht |

„Da blieben sie traurig stehen: Wir aber hofften, er sei es,
der Israel erlösen werde... – Und es geschah, als er mit
ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach's und gab's
ihnen. Da wurden ihre Augen geöffnet.“
(aus Lukasevangelium Kapitel 24)
In der Passionszeit 1984, vor 14 Jahren also, habe ich es bekommen
und es hat mich seitdem begleitet: ein kleines Kreuz aus gebranntem
Ton. Die katholische Pfarrgemeinde des Ortes, wo ich in der Diaspora
mein Vikariat absolvierte, pflegte ein gutes ökumenisches Miteinander
zur Evangelischen Kirchengemeinde. Dazu gehörte auch ein ökumenischer
Kreuzweg zu einer kleinen Kapelle am Rande eines Weinbergs. Da gab
es dieses Kreuz geschenkt: Ein kleines Kreuz, handgeformt, aus Ton
gebrannt – mit einem Loch, da wo die beiden Kreuzesbalken sich
schneiden.
Durchsichtig war dieses Kreuz. Wenn man es vor die Augen hielt, konnte
man den Himmel sehen. Ist es nicht so? Durch–sehen kann man
durch das Kreuz. Das Kreuz hat eine Per–spektive. Das Kreuz
ist nicht das Ende, wie die beiden Jünger meinten, die damals
traurig und ohne Perspektive, mit „gehaltenen Augen“ von
Jerusalem nach Emmaus gingen. Karfreitag und Ostern, Kreuz und Auferstehung,
sie gehören zusammen und können nur zusammen gesehen werden.
Es gibt sie nicht je für sich einzeln. Es gibt sie nur als Paar.
Sehr wohl müssen wir uns dem Karfreitag stellen und noch mehr
dem geduldigen Ausharren am Karsamstag. Wir dürfen es nicht zu
schnell Ostern werden lassen. Aber Karfreitag ohne Ostern bleibt hoffnungslos,
hoffnungslos wie die Karfreitagsexistenz der Emmausjünger.
An dieses Kreuz mit dem österlichen Durchblick wurde ich erinnert,
als mich mein Vorgänger Martin Ammon vor fast zwei Jahren zum
ersten Mal in die Auferstehungskirche führte. Eine seiner ersten
Worte beim Nachvornegehen waren: „Am wichtigsten in dieser Kirche
ist mir immer das Auferstehungskreuz in der Apsis gewesen.“
Da war es also wieder: Das Kreuz mit Perspektive: Die vier Enden der
Kreuzesbalken im Violett der Passionszeit. Verbunden durch vier Felder,
gefüllt mit großen Kristallen in der Christusfarbe Weiß.
Und in der Mitte die runde Scheibe mit dem leuchtenden Rot der Liebe
Gottes und des Heiligen Geistes: Gottes Liebe siegt – durchs
Kreuz hindurch, nicht an ihm vorbei. |
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