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Aus dem Familiengottesdienst vom 17. Mai 1998: »Beppo«


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Kirchenjahr

Die evangelische Kirche beging den Sonntag "Rogate" ("Betet"). Zum Beten ermuntern wollte der Familiengottesdienst u.a. mit einer Geschichte und einer Kurzpredigt:

Erzählung

»Alle Kinder waren in der Schule. Nur Beppo, acht Jahre alt, stand mutterseelenallein auf einem Hügel und starrte angestrengt zum Himmel hinauf. Dort oben war ein winziger, roter Punkt. Seinetwegen hatte Beppo die Schule geschwänzt. Es war ein roter Luftballon. Beppo hatte zwanzig Lire geopfert, um ihn kaufen zu können. Das war eine Menge Geld für Beppo! Trotzdem hatte er den Luftballon gekauft - nur so, zum Davonfliegen?
Beppo hatte niemandem erzählt, was er damit anfangen wollte. Heimlich hatte er einen Brief geschrieben und ihn an der Schnur des Luftballons angebunden. Und als alle Kinder in der Schule waren, hatte er sich fortgeschlichen, um auf dem Hügel seinen Luftballon steigen zu lassen. Hoffentlich würde der Wind die Botschaft nicht abreißen!
„Lieber Gott“, stand mit großen Buchstaben auf dem Zettel geschrieben, „in ein paar Wochen bekomme ich einen kleinen Bruder. Wir sind sechs Kinder, und meine Eltern haben wenig Geld. Der Kleine muß mit Pedro und mir zusammen schlafen, weil wir nicht genug Bettzeug haben. Bitte, lieber Gott, mach doch, daß ich dem kleinen Bruder einen Strohsack mit Bettzeug zurechtmachen kann! Es darf ruhig etwas Gebrauchtes sein! Ich wohne in Arcole in Italien. Dein Beppo Sala.“
So hatte Beppo geschrieben, und er hoffte, daß der, für den der Zettel bestimmt war, ihn würde lesen können. Und als der kleine rote Punkt in der Höhe verschwunden war, trottete Beppo voll Zuversicht nach Hause: Gott wird helfen.

Die nächsten Tage waren für Beppo nicht leicht zu ertragen. Er wartete voll Spannung. Aber nicht das geringste geschah. Es war, als ob es seinen roten Luftballon niemals gegeben hätte. Das einzige, was sich ereignete, war, daß er nachsitzen mußte, weil er die Schule geschwänzt hatte.
Aber dann geschah doch etwas. Es war am vierten Tag, nachdem er den Luftballon losgelassen hatte. Schon von weitem erkannte Beppo den Paketkarren des Postboten vor seinem Elternhaus. Aufgeregt stürmte er ins Haus. Drinnen fand er die ganze Familie in der Küche versammelt. Mitten auf dem Tisch lag ein Paket. Vater Sala zankte sich mit dem Postboten. Aus dem Stimmengewirr hörte Beppo den Baß seines Vaters heraus. „Du willst Postbote sein, Antonio, und begreifst nicht einmal, daß dieses Paket unmöglich für uns sein kann?“ Der Briefträger rollte die Augen. „Du Dummkopf!“ schrie er. „Kannst du nicht lesen? Sala - Familie Sala! Da steht es!“
„Jawohl, so heißen wir. Aber wir kennen niemand in Rovigo. Und geschenkt nehme ich nichts, das weißt du! Nimm das Paket wieder mit!“ Und damit versetzte der Vater dem Paket einen Hieb, daß die zwei kleinen Salakinder, die munter auf dem Fußboden herurnkrochen, erschreckt unter den Tisch flüchteten.
Beppo hielt es nicht länger aus. „So macht das Paket doch auf!“ schrie er, außer sich vor Erregung, „dann werden wir sehen, ob es für uns ist oder nicht!“ Der Lärm verstummte. Unter den buschigen Brauen hervor warf der Vater einen finsteren Blick auf den vorlauten Sohn und überlegte. „Also los !“ fuhr er den Postboten an. „Du hörst es doch, öffne!“
Hastig riß der Mann die Schnüre auf. Als er den Deckel zurückschlug, wurde es ganz still in der Küche. Und alle sahen, wie es weiß aus dem Karton herausleuchtete: Windeln; Bettzeug und winzige Kinderwäsche! Nicht gerade nagelneu, aber heil und sauber. Ein Schatz für die Familie Sala! Die Augen der Mutter leuchteten.
War es nicht wie ein Wunder, daß Gott ausgerechnet in Rovigo, fast hundert Kilometer von Arcole entfernt, ein Paket für die Familie Sala zur Post gab? Ein Glück, daß wenigstens kein Absender angegeben war, dachte Beppo. Nun konnte der Vater das Paket nicht zurückschicken!
Und während der Inhalt des Paketes von Hand zu Hand ging, schlich Beppo sich leise hinaus. Sein Herz war übervoll. Rasch, rasch eilte er zu dem Hügel, wo er vor vier Tagen den roten Luftballon zum Himmel geschickt hatte, und dankte dem gütigen Geber.«

Barbara Imgrund
in: Vorlesebuch Religion Band 1, Seite 312-314

Predigt

„Und als der kleine rote Punkt in der Höhe verschwunden war, trottete Beppo voll Zuversicht nach Hause: Gott wird helfen.”
Das ist für mich der entscheidende Satz in dieser Geschichte, noch entscheidender eigentlich als das gute Ende: Beten braucht Zuversicht. Und diese Zuversicht kommt daraus, daß man Gott überläßt, wie er helfen will. Gott wird helfen. Gott wird einen Weg finden. Egal wie und wie er aussehen mag.

Und auch ein zweites imponiert mir an Beppo. Er sagt nicht einfach: Gott, jetzt mach mal. Sondern er sagt: Hilf mir, daß ich helfen kann. „Bitte, lieber Gott, mach doch, daß ich dem kleinen Bruder einen Strohsack zurechtmachen kann!” Wer für jemand anderen betet, wer Fürbitte tut, wer die Not eines anderen vor Gott ausbreitet, soll auch selbst das in der eigenen Macht Stehende tun. Beten heißt nicht, die Hände in den Schoß zu legen.
Ja, kann Gott überhaupt helfen, wenn nicht Menschen bereit sind, seine Werkzeuge zu sein? Was wäre gewesen, wenn es nicht jenen unbekannten Absender im fernen Rovigo gegeben hätte, der das Paket auf den Weg geschickt hat? Hätte Gott ein Paket vom Himmel fallen lassen?

Auch Beppo war ja mit seinen acht Jahren schon so gescheit, daß er wußte: Da hat ein Mensch im Namen Gottes geholfen. Und so gilt wohl auch sein Dank beiden: Gott und dem unbekannten Geber. „Beppo schlich sich leise hinaus. Rasch eilte er zu dem Hügel, wo er vor vier Tagen den roten Luftballon zum Himmel geschickt hatte, und dankte dem gütigen Geber.”

Ist das nun einfach nur eine Kindergeschichte? Sollen wir sagen: Ein Kind läßt einen Luftballon steigen. Ein Erwachsener ist darüber hinaus und braucht das nicht. Er betet mit Worten im stillen Kämmerlein.
Ja und nein. Warum brennen dann in katholischen Kirchen (und zunehmend auch in evangelischen) Kerzen als stilles Gebet für einen Menschen? Oft genug angezündet von Evangelischen? Warum werden in solchen Kirchen die vielfältigen Möglichkeiten so gerne angenommen, seine Bitte zu hinterlassen: in einem Buch, auf einem Zettel an einer Pinnwand oder für andere unlesbar in einem Kasten? Die Wirkung des Gebetes ist gewiß die gleiche. Gott hört es nicht mehr und nicht weniger, wenn er nun ein Gebet hören oder auch lesen kann. Aber uns Menschen tut es offenbar gut. Vielleicht merken wir in einem solchen Moment, daß wir nicht nur aus dem Verstand bestehen, sondern auch Gefühle haben.

Ja, kann man überhaupt beten, wenn man sich nicht im Herzen etwas von dem Kind in einem bewahrt hat? Heißt doch beten, wie ein Kind jemand anderem vertrauensvoll die Entscheidung zu überlassen und sich etwas schenken zu lassen. Nicht umsonst brummt der Vater in der Geschichte: „Geschenkt nehme ich nichts, das weißt du! Nimm das Paket wieder mit!”. Ein solcher typischer Erwachsener betet nicht. Ein solcher bekommt wohl auch von Gott nichts geschenkt, bzw. er merkt es nicht.


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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