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Die Pfingstpredigt vom 31. Mai 1998: »Kirche – besser als ihr Ruf!?«


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Kirchenjahr

  Predigt zum Pfingstfest 1998. Was am ersten Pfingsfest geschah, schildert die Apostelgeschichte der Bibel im 2. Kapitel:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. 2 Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. 3 Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, 4 und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. 5 Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. 6 Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. 7 Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? 8 Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? 9 Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, 10 Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, 11 Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. 12 Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? 13 Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. 14 Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und laßt meine Worte zu euren Ohren eingehen! 15 Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; 16 sondern das ist's, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist (Joel 3,1-5): 17 »Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; 18 und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.

Predigt

  Haben Sie schon einmal vom "Heilig-Geist-Loch" gehört?

Bis ins 19. Jhd. hinein gab es in vielen südbayerischen Kirchen einen Brauch: Da ließ der Mesner bei der Verlesung der Pfingstgeschichte eine Taube an einem Seil von der Decke herab. Ja, mancherorts hat er sogar eine lebendige Taube fliegen lassen. Das "Heilig-Geist-Loch" war nun genau jenes Loch in der Kirchendecke, durch das man die Taube herabließ.
Es war übrigens dasselbe Loch, durch das man in manchen Kirchen zehn Tage vorher an Christi Himmelfahrt eine Christusstatue nach oben gezogen hatte, um die Himmelfahrt augenscheinlich zu machen.

Dann wurden diese Bräuche verboten oder kamen aus der Mode. Auf der einen Seite angeblich, weil es durch schlecht gesicherte und herabfallende Holztauben oder Christusstatuen auch Unglücke gegeben haben soll. (Manchmal soll bei lebendigen Tauben auch etwas anderes herabgefallen sein!) Und auf der anderen Seite, weil man das Ganze zunehmend als kindisch oder kurios verstanden hat.

Aber eigentlich war es ja durchaus gut gemeint: Auch das Pfingstgeschehen sollte den Gottesdienstbesuchern erfahrbar, sichtbar und greifbar gemacht werden. Und das ist ja gar nicht so einfach.
Fragen Sie einen durchschnittlichen Bundesbürger nach der Bedeutung von Weihnachten, und er wird vom Jesuskind, von Maria und Josef und manch anderem erzählen. Er kennt die Krippendarstellung. Und er weiß wohl auch, daß Weihnachten das Fest der Geburt Jesu ist.
Fragen Sie nach Karfreitag und Ostern, dann wird es schon schwieriger. Es gibt kein zugehöriges Spiel mehr. Es gibt keine sichtbare Darstellung. Außer in Nordostoberfranken, wo noch in vielen Häusern der sog. Ostergarten als Miniatur-Landschaft aufgebaut wird wie an Weihnachten die Krippe. Wenn man Glück hat, weiß der Gefragte etwas von der Auferstehung.
Und Pfingsten. Fragen Sie einmal nach Pfingsten. Nach seinem Inhalt. Nach seiner Bedeutung. Fragen Sie nach dem Heiligen Geist. Da gibt es nichts zu zeigen. Da gibt es nichts zu spielen. In diesem Sinne zerrinnt Pfingsten geradezu zwischen den Fingern.
Also war doch die Sache mit dem Heilig-Geist-Loch im Grunde genommen gar nicht so verkehrt.

Die Taube hat etwas mit diesem Ungreifbaren des Pfingstfestes zu tun. Sie kommt aus der Erzählung von der Taufe Jesu, wo es heißt, der Heilige Geist, Gottes unsichtbare Kraft und Gegenwart, sei wie eine Taube auf ihn herabgekommen. Und doch hat sich die Taube nicht so recht durchgesetzt. Als ich die Konfirmanden am letzten Mittwoch nach der Taube auf unserem Taufsteindeckel gefragt habe, kam auf der Stelle die Friedenstaube. Jene Taube, die Noah damals aus der Arche ließ.

Vielleicht ist die Taube aber auch gar nicht so passend. Vielleicht ist sie zu friedlich, zu sanft. Wie hieß es in der Pfingsterzählung? Wie das Brausen eines gewaltigen Sturms und wie Feuer hat Gottes Kraft und Gegenwart die Anwesenden ergriffen. Von einer Taube ist deswegen in der Apostelgeschichte auch nicht die Rede, sondern von Zungen, von Funken wie Feuer, die auf die Jünger überspringen. Fast wie der Lichtbogen, der überspringt, wenn sich hohe Spannung zwischen zwei Leitungen entlädt. Nein, friedlich und sanft wird der Heilige Geist durchaus nicht geschildert in dieser Geschichte. Der Heilige Geist, die Kraft und Gegenwart Gottes ist Kraft, ist Macht, ist Energie, ist Kraftstrom. Man kann ihn eigentlich künstlerisch und bildlich nicht darstellen, sondern nur nach seinen Wirkungen schauen.

Von welchen Wirkungen wird damals berichtet? Zum einen von einem Verständigungswunder: Es kommt zu einer Verständigung über Sprachgrenzen und Völkergrenzen hinweg. Aus aller Herren Länder der damaligen Zeit waren Menschen nach Jerusalem auf das Wallfahrtsfest gekommen. Der Bericht ist nicht ganz eindeutig. Es war wohl eher ein Hör- als ein Sprechwunder. Als Dolmetscher war der Heilige Geist zu erfahren, indem über Sprachgrenzen hinweg die Anwesenden die Botschaft der Jünger verstanden haben und von ihrer Begeisterung angesteckt wurden.

Die zweite überraschende Wirkung war, wie die vorher noch so verschüchterten Jünger mutig vor die Öffentlichkeit gingen. Ein paar Wochen vorher noch hatten sie sich aus Furcht eingeschlossen. Nun strahlen sie eine unerwartete Kraft und Begeisterung aus. Sie sind wie aus dem Häuschen, ausgelassen und ekstatisch. So mißverständlich müssen sich diese gestandenen Männer aufgeführt haben, daß böse Zungen spotteten, sie hätten wohl nur einen zu viel getrunken.

Sind im Gegensatz dazu unsere Gemeinden heute nicht eher lammfromm und taubenzahm? Ja und nein? Ausgelassen, ermutigend, freudig, einladend für Außenstehende sind unsere Gottesdienste und Zusammenkünfte nicht unbedingt. Auch das herzliche Miteinander, das Verstehen über die Grenzen und Generationen hinweg, findet man selten. Und daß immer so gepredigt würde, daß Menschen verstehen, gebannt zuhören und ergriffen werden, ist nicht unbedingt an der Tagesordnung. Aber doch scheint nach dem alledem auch ein Hunger da zu sein, sonst wäre der Familiengottesdienst vor zwei Wochen nicht so gut angekommen.

Viele von Ihnen, so vermute ich, kennen Pfarrer Fliege besser als ich. Ich habe ihn noch nicht erlebt, lese aber immer wieder seine freche Kirchenkritik. So ist mein Verhältnis zu ihm eher zwiespältig. Auf der einen Seite legt er einen Finger in die Wunden unserer oft so langweiligen Kirche. Auf der anderen Seite malt er allzu schwarz und tut so, als habe er allein den Heiligen Geist mit Löffeln gefressen.
Vielleicht haben manche von Ihnen seine Zitate im neuesten Münchner Sonntagsblatt gelesen: In den meisten Kirchen werde nicht gepredigt, sondern nur vorgelesen. Es würden die Menschen nur belehrt und nicht in ihrem Leben begleitet. Der Gottesdienst müsse von einer Veranstaltung des Kopfes zu einer Veranstaltung des Herzens werden.
Richtig. Aber, was er da sagt, gibt es ja Gott sei Dank auch schon. Und, ohne uns loben zu wollen, das gibt es auch bei uns. Aber, und da gebe ich ihm recht, es dürfte durchaus noch mehr werden. Gottesdienst als eine Sache des Kopfes und des Herzens. Predigten, die wirklich als persönliche Anrede erfahren werden. Menschen, die von ihrer Kirche Lebensbegleitung erfahren.

Daß so etwas geschieht, daß es auch heute immer wieder Pfingsten wird, Geburtstag und Neugeborenwerden von Kirche, dazu bräuchte es aus meiner Sicht vor allem eines: unsere Kirchengemeinden positiv und mit liebenden Augen anzuschauen. Nicht nur jammern, sondern auch entdecken, was es alles schon gibt. Nur wer sich über kleine Pflänzchen freut, der hilft und betet dann auch mit, daß sie wachsen können.
Freuen wir uns doch über den immer wieder überraschenden Gottesdienstbesuch in unserer Kirche. Freuen wir uns doch über die gute Spendenbereitschaft, von denen ich immer wieder in den Abkündigungen erzählen kann. Freuen wir uns doch über die mehr als 100 ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Kirchengemeinde. Freuen wir uns doch über die oft mehr als 40 Kinder der neuen Kindergruppe. Freuen wir uns doch über jeden jungen Menschen, der freiwillig und nicht auf Druck der Eltern den Konfirmandenunterricht besucht.

Auf dem Tisch hinten liegt der Pfingstbrief des Bayreuther Kreisdekans Wilfried Beyhl auf, den er alljährlich den ehrenamtlichen Mitarbeitern schreibt. Auch er beginnt bewußt mit freudigen und dankbaren Botschaften: Zurückgehende Kirchenaustritte auf den bisher niedrigsten Stand in Oberfranken, eine steigende Zahl von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, ein zunehmendes Spendenaufkommen, die bisher höchste Zahl an Lektoren und Pfarrerinnen und Pfarrern.

Sich über die kleinen Pflänzchen freuen und ihr Wachsen fördern. Die kleinen Fortschritte sehen und auf mehr hoffen. Aber dann auch seine Gemeinde und Kirche mutig nach außen vertreten wie die Jünger damals: Erzählen Sie doch auch vor anderen Menschen, worüber Sie sich in der Gemeinde freuen. Laden Sie ein zu Gottesdiensten und Veranstaltungen. Helfen Sie mit, ein positives, ein lebendiges Bild von Gemeinde weiterzugeben. Wie viele leben innerlich noch von einem uralten Bild von Kirche, das schon seit Jahren nicht mehr stimmt.

Natürlich kann man auch als einzelner glauben. Natürlich kann man im stillen Kämmerlein beten. Natürlich findet man Gott auch in der Natur. All das wird ja immer wieder entschuldigend angeführt. Doch Glaubensfortschritte, Bewegung, Vorankommen, Begeisterung, Aufbruch gibt es nur in der Gemeinschaft. Dieser erste Satz der Pfingstgeschichte wird leicht übersehen: "Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander."

Und: Kirche wird nur dann für ihre Umgebung anziehend und begeisternd, wenn möglichst viele zusammenhelfen. Jeder und jede kann etwas. Jeder hat eine Gabe und eine Aufgabe. Und so erinnert Petrus damals in seiner Predigt an die Verheißung des Propheten Joel, Gott werde seinen Heiligen Geist "auf alles Fleisch" senden. Das war damals gesagt in einer Zeit, wo man den Heiligen Geist als alleinigen Besitz der Propheten und des Königs ansah. Alle sollen sich von Gott in den Dienst nehmen lassen. Alle werden gebraucht.

Also: Liebt Eure Gemeinde. Redet gut von ihr. Und traut dem Heiligen Geist etwas zu

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de