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Die Predigt |
Streit
zwischen Petrus und Paulus
Was ist eigentlich das Gegenteil von Streiten? Frieden halten werden
viele vielleicht sagen. Ja und nein. Ich befürchte nämlich,
oft ist das Gegenteil von Streiten nur einander in Ruhe lassen: Es
gibt keinen Streit mehr, weil man sich aus dem Weg geht.
Dass aber Streiten notwendig ist, und wie man das richtig macht, das
können wir auch in der Bibel finden. Auch da zeigt sich, dass
sie Bibel kein verstaubtes Buch ist, sondern ein Lebensbuch und ein
Alltagsbuch. Man muss nur bereit sein, seine Entdeckungen darin zu
machen.
Anlässlich des heutigen Peter-und-Paul-Tages will ich Ihnen von
einem Streit zwischen diesen beiden so wichtigen Personen der ersten
Christenheit erzählen. Die meisten werden die Sache nicht kennen,
denn sie gehört nicht zu den Lesungen der Sonntage. Petrus kommt
eher schlecht dabei weg. Das ist verständlich, weil wir das Ganze
nur aus der Sicht des Paulus kennen. Und die ist selbstverständlich
einseitig. Es wäre ja im täglichen Leben immer besser, zwei
Seiten hören zu können. Aber, wie gesagt: Man kann von dieser
Sache sonst nichts lesen. Eine petruskritische Geschichte hatte ganz
einfach keine Chance in einer Kirche, die ihn später als den
ersten Papst ansah.
Worum ging es?
Worum ging es bei dieser Auseinandersetzung: Als die Jünger damals
nach dem Tod und der Auferstehung Jesu wieder Mut gefasst hatten,
trugen sie die Botschaft von ihm weiter. Sie konnten nicht anders.
Sie mussten von dem erzählen, den sie erlebt hatten. Und so,
wie wenn man einen Stein ins Wasser wirft, zog die Botschaft Kreise,
erst engere und dann immer weitere. Petrus als geborener Jude beschränkte
sich dabei auf seine jüdischen Mitmenschen. Paulus aber, von
seiner Herkunft und seinem Studium her Jude und Grieche zugleich,
wandte sich zunehmend auch an die Nichtjuden. In einem schmerzlichen
Prozess war es in ihm gereift: Man muss nicht erst Jude gewesen sein,
um ein Christ werden zu können. Man muss nicht die Gesetze des
jüdischen Glaubens einhalten, um ein Christ sein zu können.
So konnte es sich z.B. ein Jude nie vorstellen, mit einem Nichtjuden
am gleichen Tisch zu essen.
Und so kamen Petrus und Paulus zu einer gemeinsamen Konferenz in der
Stadt Antiochia zusammen. Man wollte den weiteren Fortgang der Mission
besprechen. Es trafen sich Christen, die vorher Juden gewesen waren
und solche, die vorher Heiden gewesen waren, an einem Tisch. Auch
Petrus war darunter. Doch als weitere Delegationsmitglieder aus Jerusalem
dazukamen, zog Petrus sich wieder zurück und mied die Gemeinschaft
mit den nichtjüdischen Gesprächspartnern. Es kam zu einem
öffentlichen Eklat zwischen Paulus und Petrus. Und Paulus erinnert
noch einmal daran, dass Gott zu allen Menschen ja sagt, ohne dass
sie Vorleistungen erbringen müssen.
Streiten gehört zum Menschsein
Mit den Worten der Lutherbibel aus dem Brief des Paulus an die Galater
im 2. Kapitel:
11 Als aber Petrus nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins
Angesicht, denn es war Grund zur Klage gegen ihn. 12 Denn bevor einige
von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; als sie aber kamen,
zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus dem
Judentum fürchtete. 13 Und mit ihm heuchelten auch die andern
Juden.
14 Als ich aber sah, dass sie nicht richtig handelten nach der Wahrheit
des Evangeliums, sprach ich zu Petrus öffentlich vor allen: 15
Wir sind von Geburt Juden und nicht Heiden. 16 Doch wir wissen, dass
der Mensch durch Werke des Gesetzes nicht gerecht wird, sondern durch
den Glauben an Jesus Christus.
Das Streiten um die Sache gehört zum Menschensein und zum Christsein.
Es darf nicht so sehr darum gehen, wie man den Streit vermeiden kann,
sondern, wie man richtig und christlich streitet. Was lernen wir von
Paulus?
Von Angesicht zu Angesicht
Als aber Petrus nach Antiochia kam, widerstand ich ihm ins Angesicht,
denn es war Grund zur Klage gegen ihn.
Von Angesicht zu Angesicht sollen Meinungsverschiedenheiten ausgetragen
werden. Sich nicht über einen anderen beklagen, sondern beim
anderen beklagen. Nicht hintenherum. Nicht über Dritte. Sondern
so, dass man sich dabei in die Augen schaut.
Überlegen Sie einmal kurz, mit wem sie gerade oder seit einiger
Zeit im Streit liegen. Mit wem Sie Meinungsverschiedenheiten haben.
Wem Sie aus irgendeinem Grund aus dem Weg gehen. Überlegen Sie
dann auch, wie es mit diesem ersten Gesetz christlichen Streitens
aussieht: von Angesicht zu Angesicht. ...
Verschiedene Pesönlichkeiten
Natürlich hat jeder Streit einen Grund. Warum sind Petrus und
Paulus aneinander geraten? Es lag unter anderem auch an ihrer so grundverschiedenen
Persönlichkeit:
Paulus einerseits war rigoros und prinzipientreu, ein sogenannter
150-prozentiger. Saulus hatte er von Geburt geheißen, Saul,
so wie der erste jüdische König. Ein studierter jüdischer
Schriftgelehrter aus der strengen Richtung der Pharisäer. Als
solcher verfolgte er rigoros alle Christen als Glaubensabweichler.
Verändert, umgepolt, um 180 Grad verändert hat ihn dieses
einschneidendes Erlebnis damals vor Damaskus. Jesus selbst begegnet
ihm in einer Vision, und Paulus erkennt, dass er von ihm gebraucht
wird. Von einem glühenden Verfolger wird er zu einem glühenden
Verfechter dieses Jesus Christus.
Griechisch und später Latein waren die Weltsprache der damaligen
Zeit. Und wer etwas auf sich hielt, passte seinen ursprünglichen
Namen an. So gab er sich, oder er bekam – wir wissen es nicht
– den Namen Paulus. Paulus, das heißt: der Kleine. Klein
fühlt er sich vor seinem Gott. Aber im guten Sinn: Paulus wundert
sich, dass Gott ihn brauchen kann trotz seiner Vorgeschichte als Verfolger.
Und körperlich klein, schwächlich und kränklich war
er noch dazu.
Petrus dagegen wird uns in der Bibel als der Emotionale, der Aufbrausende
und Spontane beschrieben. Als einer, der oft erst den Mund auf macht
und dann überlegt. Als einer, der schnell bei der Hand ist, und
dann vielleicht klein beigeben muss.
Petrus, das war sein Beiname. Simon hieß er eigentlich. Petrus,
auf deutsch Fels. Diesen Namen hat er im Blick auf seine Bedeutung
in der ersten Christenheit bekommen. Da erweist er sich als der Fels,
auf dem die Kirche gebaut wird.
In dem, was uns im Neuen Testament von ihm berichtet wird, hat er
sich durchaus nicht als der Felsenfeste, sondern eher als der Umfaller
erwiesen. Denken Sie an die Geschichte von der Verleugnung: Erst posaunt
er, er wolle lieber sterben, als Jesus alleine lassen. Doch dann sagt
er dreimal, dass er ihn nicht kennt, um seine Haut zu retten. Oder
denken Sie an die Geschichte vom sogenannten Seewandel. Mutig und
begeistert steigt er als einziger aus dem Boot, um Jesus auf dem Wasser
entgegen zu gehen. Und dann geht er kläglich unter.
Gott braucht die Verschiedenheit
Aber Gott sei Dank: Gott kann sie beide brauchen: die Paulusse und
die Petrusse. Die rigorosen, die genauen und ordentlichen, die Verstandesmenschen,
die Kopftypen. Und auch die spontanen, die polternden, die zupackenden,
die Tatmenschen. Beide haben ihre Stärken und beiden haben ihre
Schwächen. Doch beide werden in der Gemeinschaft gebraucht, ob
es eine Kirchengemeinde ist oder ein Verein.
Und ob Sie nun Peter oder Paul, Petra oder Paula, oder auch ganz anders
heißen, werden Sie wohl manches davon heimlich auch in sich
selber entdecken. ...
Um die Sache streiten
Zurück zum Streiten: Der Streit kommt, wie gesagt, oft daher,
dass wir so verschiedene Typen sind. Ist es also ein Wunder, wenn
zwei so verschiedene Persönlichkeiten wie der Petrus und der
Paulus über der einen gemeinsamen Sache aneinandergeraten?
Nein, eigentlich nicht. Wenn es nur – und das wäre die
zweite Grundregel christlichen Streitens – wenn es nur sachlich
bleibt.
Öffentlich steht Paulus gehen Petrus auf. Aber es geht nicht
um die Person, es geht um die gemeinsame Sache in der vorhin verlesenen
Geschichte. Beide hätten ja genüsslich in der Vergangenheit
des anderen herumrühren können, hätte die alten Wunden
wieder aufreißen können: Petrus, das Großmaul, der
Umfaller, der Verleugner. Paulus, der Christenverfolger, der schlechte
Redner, die schwächliche Erscheinung.
Denken sie an den amerikanischen Wahlkampf: Da wird ganz bewusst die
Vergangenheit des anderen durchleuchtet, ob da nicht irgendwo einmal
ein Patzer zu finden ist, aus dem man einen Strick drehen kann.
Oder denken sie an Ihre eigenen Streitigkeiten und das berühmte
„immer“: „Immer machst du das und das.“ „Tausendmal
hast du schon ...“ Und dann werden die ganzen alten Geschichten
aufgetischt. Sachlich ist das dann meistens nicht mehr.
So verstehe ich Paulus: Wenn Gott, der uns ja noch besser kennt als
jeder andere, uns schon aus unserer Vergangenheit keinen Strick dreht,
dann darf es auch in unseren Meinungsverschiedenheiten nur um die
Sache gehen und wir müssen gnädig sein im Blick auf die
Vergangenheit.
Streiten - ja bitte
Streiten, ja bitte, aber christlich: Nicht hintenherum, sondern mit
offenem Visier und Auge in Auge. Und: Streiten auf sachliche Art und
nicht auf der persönlichen Ebene. Gott schenke uns, dass wir
da alle ein wenig mehr vorankommen.
„Hilf, Herr meines Lebens, dass sich nicht vergebens hier
auf Erden bin.“
Während des Liedes sammeln wir das Dankopfer ein, das heute für
unsere Auferstehungskirche bestimmt ist.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft,
bewahre unsere Herzen in Christus Jesus. Amen |
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