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Die Predigt vom 13. September 1998: »Sich einfach treiben lassen!?«


Kirchenjahr

  Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 14. Sonntag nach Trinitatis. Epistellesung und Predigttext kamen aus dem Römerbrief des Paulus Kapitel 8, Verse 14-17:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  14 Denn welche der Geist Gottes treibt, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

Predigt

  Sich einfach einmal treiben lassen

An diesem letzten Feriensonntag geht die Urlaubszeit so langsam zu Ende. Vielleicht schauen Sie ein wenig wehmütig zurück, falls Sie Urlaub hatten. Vielleicht freuen Sie sich aber auch darauf, daß es jetzt bald wieder in geordneten Bahnen geht.

Urlaub, das heißt für manche Menschen: Sich einfach einmal treiben lassen. Vielleicht wörtlich genommen auf einem Boot. Vielleicht aufs Geratewohl und ohne festes Ziel mit dem Auto, dem Fahrrad oder zu Fuß unterwegs. Vielleicht im übertragenen Sinn, daß man sich einmal von niemandem antreiben und lenken läßt.

Sich einfach einmal treiben lassen. Mancher braucht es, weil er sonst in seinem Alltag dauernd von jemand getrieben wird: Manche werden von der Uhr getrieben und vom Druck der Termine. Ein Vorgesetzter oder Abteilungsleiter kann einen treiben. Der Erfolgsdruck kann einen treiben oder auch nur der eigene innere Perfektionismus.

Sich einfach einmal treiben lassen. Im Urlaub, ja. Doch wie es sonst im täglichen Leben? Sich einfach treiben lassen, kann ja auch gefährlich sein. Leicht kann man abgetrieben werden. Was treibt einen denn alles? Was möchte einen gerne treiben, wenn man es zuläßt? Von außen und von innen:

Von außen treibt z.B. die Werbung. Wie viele gut bezahlte Arbeitsplätze, wie viele Tonnen Papier und Fernsehminuten werden eingesetzt, um uns zu etwas zu verlocken, was wir sonst nicht täten. Manchen treibt die Mode oder der heimliche Druck, eine bestimmte Marke zu haben oder zu tragen.

Auch von innen treibt den Menschen vieles, und man nennt diese Kräfte nicht umsonst Triebe. Triebe können mich treiben, wenn ich nicht mit Herz und Vernunft gegensteuere. Geltungstrieb, Eßtrieb, Sexualtrieb. Was gäbe der amerikanische Präsident heute dafür, wenn er sich damals nicht hätte treiben lassen. Und: Welcher Geist treibt die Ankläger und Gegner, ihn durch die Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes mit heruntergelassenen Hosen vor aller Welt zu vorzuführen wie am mittelalterlichen Pranger? Welcher Geist treibt die Leser, die die Einzelheiten des Berichts auf dem Papier oder über das Internet geradezu gierig aufschlürfen?

Sich von Gottes Geist antreiben lassen

Zurück zum Ausgangspunkt: Die Versuchungen und die Technik mögen heute ganz neu sein. Doch die Frage ist so alt wie die Menschen: Was treibt mich? Wovon lasse ich mit treiben? Der Apostel Paulus lädt seine Hörer und Leser ein, sich von einem guten Geist antreiben zu lassen. Von einem Geist, der einen Wege führt, für die man sich einmal nicht schämen muß. Wenn er schreibt, was wir schon als Epistel gehört haben: 14 Denn die sich von Gottes Geist antreiben lassen, die sind Gottes Kinder. 15 Denn ihr habt nicht einen Sklavengeist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt den Geist von Kindern empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater! 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind. 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

"Die sich vom Geist Gottes führen lassen, die sind Gottes Söhne und Töchter." So übersetzt die "Gute Nachricht Bibel". Einem Kirchgänger und Bibelleser muß man es wahrscheinlich nicht sagen: Hier ist nicht der Geist als Gespenst gemeint. Nicht das Gespenst Gottes treibt mich, wie ein Gespenst mit klirrenden Ketten den nächtlichen Burgbesucher. Die englische Sprache tut sich da leichter: "ghost". Das ist das Gespenst. Und "spirit". Das ist der Geist, der hier gemeint ist. Das Wort, das wir verwenden, wenn wir sagen: "Da herrscht ein guter Geist." Gottes Geist ist letztlich Gott selber. Gottes Geist, das ist Gott, der in einem wohnt. Der um einen ist und einen durchdringt, wie die Luft, die man atmet.

Kein Sklaven- sondern ein Vatergott

14 Denn die sich von Gottes Geist antreiben lassen, die sind Gottes Kinder.

Gott zwingt niemand. Doch wenn sich jemand von ihm treiben, leiten oder führen läßt, dann ist das, sagt Paulus, wie ein Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, zwischen Vater und Sohn, zwischen Mutter und Tochter. Aber wohlgemerkt: Ein Verhältnis zu einem Vater, wie man ihn sich wünscht und wie er eigentlich sein soll. Und so haben manche Menschen haben mit diesem Bild von Gott, dem Vater, und auch mit dem Vaterunser ganz große Schwierigkeiten. Denn sie haben ihren Vater ganz anders erlebt und sagen sich dann verständlicherweise: Wenn Gott so ist, dann kann er mir gestohlen bleiben.

Um diese Gute herauszuheben, vergleicht Paulus mit dem Gegenteil: Gott macht Menschen, die sich auf ihn einlassen, nicht zu Sklaven oder Marionetten: 15 Denn ihr habt nicht einen Sklavengeist empfangen, daß ihr euch abermals fürchten müßtet; sondern ihr habt den Geist von Kindern empfangen, durch den wir rufen: Abba, lieber Vater!

Paulus redet in seinem Brief an die Gemeindeglieder in Rom zu Menschen, die vorher Heiden waren, und deren Glaube an andere Götter oft mit Angst verbunden war. "Das wäre etwas", sagt er, "wenn ihr die heidnischen Götter, oder deren irdische Vertreter, die euch geknechtet haben, hinter euch laßt, um euch gleich wieder neu fürchten zu müssen." Vom Regen in die Traufe, von einer Knechtschaft in die andere. Nein, wer sich auf Gott einläßt und mit ihm zu tun haben will, der gerät nicht in Knechtschaft, der muß nicht seinen Verstand ausschalten, der wird nicht zur Marionette gemacht, sondern in ein kindliches Vertrauensverhältnis hineingestellt.

Freiheit und Gebundenheit

Aber, und da schenkt Paulus mitsamt der ganzen Bibel reinen Wein ein: Sich von Gott antreiben und in die Freiheit der Kinder Gottes führen zu lassen, heißt nicht frei zu werden im Sinne von ungebunden: Daß ich völlig mein eigener Herr wäre. Daß ich mir von nichts und niemandem etwas hineinreden lasse. Freiheit im Sinne von Freizügigkeit, im Sinne von Autonomie.

Sich von Gott treiben zu lassen, heißt sehr wohl, sich zu binden: Sich binden im Sinne einer guten Ehe. Sich binden nicht als sich fesseln lassen, sich aufgeben, in ein Gefängnis geraten. Sich freiwillig an jemand binden, weil darin ein Segen liegt. Sich binden, weil man sich dann getragen weiß. Sich binden, weil man einen Gesprächspartner hat. Sich binden, weil einer den Weg zeigt und mitgeht. Sich binden nicht an einen himmlischen Tyrannen oder Despoten, sondern an eine väterliche Vertrauensperson, die mir an Erfahrung so unendlich weit voraus ist, daß ich mich gerne auf seine Führungen einlasse. Und dann erinnert Paulus an Jesus und daran, daß er zu seinem himmlischen Vater "Abba" sagte. "Abba", das hieß in seiner Sprache damals soviel wie das deutsche "Papa".

Wie merke ich es nun, fragt Paulus weiter, ob dieses Verhältnis in Ordnung ist? Wie merke ich es, daß ich Gottes Kind bin, daß ich mich im Guten auf ihn verlassen kann? 16 Der Geist selbst gibt Zeugnis unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind.

Auf deutsch: Man kann einem anderen Menschen dieses Verhältnis schwer erklären. Man kann nur sagen: Laß dich darauf ein. Dann wird es dir innerlich von alleine deutlich. Oder mit den Worten der "Gute Nachricht Bibel": "So macht sein Geist uns im Innersten gewiß, daß wir Gottes Kinder sind."

Es wird alles gut werden

Und dann verlängert Paulus dieses Bild "Ich bin Gottes Kind" auch noch von der Gegenwart in die Zukunft hinein: Weil wir nicht einfach nur angenommene und Stief-Kinder sind, sondern legitime Kinder, werden wir auch einmal erben. Es ist klar, daß das wiederum bildlich gemeint ist. Geld und Häuser gibt es von Gott natürlich nicht zu erben. Wir sind Erben, sagt Paulus, Miterben Jesu Christi, indem wir als Kinder Gottes Jesus, dem einen Sohn Gottes, ganz und gar gleichgestellt werden. In guten wie in bösen Tagen: Vom Leiden und von Schwierigkeiten werden wir wie er nicht verschont bleiben. Auf der anderen Seite ist uns aber auch die Pforte zum Paradies weit offen: 17 Sind wir aber Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi, wenn wir denn mit ihm leiden, damit wir auch mit zur Herrlichkeit erhoben werden.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de