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Die Predigt vom 1. November 1998: »Du bist mir recht!«


  Die evangelische Kirche beging am Sonntag (einen Tag nach dem eigentlichen Tag) das Reformationsfest, das an den Thesenanschlag Martin Luthers 1518 erinnert und nach dem Grund des Glaubens fragt. Epistellesung und Predigttext kamen aus dem Römerbrief Kapitel 3:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart, bezeugt durch das Gesetz und die Propheten. 22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben. Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten, 24 und werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist. 25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld, um nun in dieser Zeit seine Gerechtigkeit zu erweisen, daß er selbst gerecht ist und gerecht macht den, der da ist aus dem Glauben an Jesus. 27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen. Durch welches Gesetz? Durch das Gesetz der Werke? Nein, sondern durch das Gesetz des Glaubens. 28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Predigt

  Du bist mir recht

"Du bist mir recht, so wie du bist.", sagt ein Vater zu seinem Kind, das trotz guter Bemühungen mit einer schlechten Note nach Haus gekommen ist und den Kopf hängen läßt. Und er ermutigt das Kind dadurch, ohne Versagensangst weiter seinen Weg zu gehen.

"Du bist mir recht, so wie du bist." sagt eine Frau zu ihrem Mann, der seinen Arbeitsplatz unschuldig verloren hat, und nun an seinem Wert zu zweifeln beginnt. Und sie ermutigt ihn dadurch, in die Zukunft zu schauen und das Beste aus der neuen Lage zu machen.

"Du bist mir recht, so wie du bist." sagt eine Tochter zu ihrer alten Mutter, die als Pflegefall im Bett liegt, sich bei jedem Handgriff vor ihr schämt und sich bloß noch als Last empfindet. Und sie ermutigt sie dadurch, ihre Menschenwürde zu behalten.

Rechtfertigungslehre

"Du bist mir recht, auch wenn es mir nicht gefällt, wie du gerade bist. Du bist mir recht, auch wenn ich dich am liebsten anders hätte." "Du bist mir recht." Das ist ein kleiner Versuch, das in Worte zu fassen, was die Theologen mit dem Stichwort "Rechtfertigungslehre" bezeichnen.

"Du bist mir recht, so wie du bist." Das sagt Jesus in so vielen Geschichten zu denen am Rande, denen man damals jeden Wert und jede Würde absprach. Und siehe da, manche wurden wirklich anders. "Du bist mir recht." Das sagt Gott zu dir und zu mir. Und er ermutigt und befähigt uns damit, immer mehr dem Bild ähnlich zu werden, das er schon von uns hat.

"Du bist mir recht, so wie du bist." Diese Erkenntnis hat damals ein Apostel Paulus und 1500 Jahre später ein Martin Luther als große Befreiung erfahren. Und beide haben durch diese Erkenntnis von der allem vorausgehenden Gnade Gottes ihre Welt verändert.

Paulus

Der Apostel Paulus war ein frommer Jude, ein Jude, wie er im Buche steht. Er nahm Gott ganz ernst und befolgte alle Gebote und Verbote peinlich genau. So schreibt er im Rückblick von sich:
"Ihr habt ja gehört von meinem Leben früher im Judentum, ... ich übertraf viele meiner Altersgenossen in meinem Volk weit und eiferte über die Maßen für die Satzungen der Väter." (Galater 1,13-14)
Und weil er so tadellos war, meinte er auch, vor Gott gut dazustehen. So lehrte ja sein Glaube: Wer alle religiösen Vorschriften hält, dem muß Gott gnädig sein, den muß er belohnen. Was muß mit diesem tadellosen Mann passiert sein, wenn er nur ein paar Jahre später schreibt:
"Was mir Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Schaden erachtet. Ja, ich erachte ... es für Dreck, nur daß ich Christus gewinne." (Philipper 3,7-8)

Als er vor Damaskus dem lebendigen Christus, begegnete, dem in seinen jüdischen Augen verfluchten und schändlichen Verlierer am Kreuz, da merkte er: Gott ist nicht ein Gott der Starken, der Selbstsicheren und der Untadeligen, sondern er ist der Gott der Schwachen, der Verzweifelten und derer, die die Grenzen ihrer Kraft sehr wohl kennen. Und so gilt vor Gott nicht der, der sich selbstsicher hinstellen und auf seine untadeligen Leistungen verweisen kann. Sondern es gilt der, der sich seiner Grenzen und seiner Schwäche bewußt ist und sich darin auf Gott verläßt.

Diese Erkenntnis hat der Schriftgelehrte Paulus aus Tarsus in kluge, aber nicht unbedingt leicht verständliche Worte gefaßt, die man geduldig kauen muß wie geistliches Vollkornbrot, noch dazu in der Übersetzung Martin Luthers. So ist im Römerbrief im 3. Kapitel zu lesen:

Nun aber ist ... (Siehe oben)

Gottes wahres Gesicht

"Nun aber", schon dieser Anfang ist wichtig. Nun aber, d.h. jetzt mit Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, ist Gott erst richtig und endgültig zu verstehen. Vor Christus war Gott für Paulus der Buchhaltergott, der peinlich genau hinschaut, zusammenzählt und dann am Ende auch gerecht auszahlt. Er war der Fordernde und Strafende, der aber andererseits den Fleißigen auch belohnen muß. Nun, mit Jesus Christus, hat er sein wahres, sein menschliches und sein ermutigendes Gesicht gezeigt.

Die wahre Gerechtigkeit

21 Nun aber ist ohne Zutun des Gesetzes die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, offenbart.

Nicht durch das peinliche Halten des alttestamentlichen Gesetzes mit seinen Geboten und Verboten wird man vor Gott gerecht, so daß man sich fordernd und stolz vor ihn hinstellen könnte. Nein, er schenkt seine Nähe und er schenkt die menschliche Würde nicht aufgrund von eigener Leistung und Größe. Die Gerechtigkeit, die vor ihm gilt und Bestand hat, ist nicht erarbeitet, sondern geschenkt.

Gerechtigkeit als Geschenk

22 Ich rede aber von der Gerechtigkeit vor Gott, die da kommt durch den Glauben an Jesus Christus zu allen, die glauben.

Also ist der vor Gott gerecht, ja besser, der ist Gott recht, der an Jesus Christus glaubt und sich nicht daran stört, daß er am Kreuz nach dem Maßstab einer Leistungs- und Erfolgsgesellschaft der Verlierer gewesen ist. Vor Gott recht zu sein, Gott recht zu sein, ist ein Geschenk, das sich niemand verdienen oder erarbeiten kann, sondern nur dankbar und staunend annehmen kann.

Keine strafende Gerechtigkeit

Denn es ist hier kein Unterschied: 23 sie sind allesamt Sünder und ermangeln des Ruhmes, den sie bei Gott haben sollten.

Einmal angenommen, sagt Paulus, wir müßten Gottes Ansprüchen wirklich aus eigener Kraft genügen, und würden dann auch daran gemessen, dann hätte doch niemand einen Grund, sich herauszuheben, und wenn er noch so tadellos nach außen dastehen könnte. Wenn Gott wirklich unserem Tun und Lassen entsprechend mit uns umspringen würde, man könnte uns alle in einen Topf werfen. Gott sei Dank, ist es anders:

Die Gerechtigkeit Jesu Christi

24 (Sie) werden ohne Verdienst gerecht aus seiner Gnade durch die Erlösung, die durch Christus Jesus geschehen ist.

Nicht unser gutes Leben, nicht unser Gehorsam lassen uns vor Gott gut dastehen, sondern allein Gottes Zuvorkommenheit und der Gehorsam, den Jesus gelebt hat bis zum bitteren Ende.

25 Den hat Gott für den Glauben hingestellt als Sühne in seinem Blut zum Erweis seiner Gerechtigkeit, indem er die Sünden vergibt, die früher 26 begangen wurden in der Zeit seiner Geduld.

Man kann es drehen, wenden und formulieren, wie man will, es bleibt ein tiefes Geheimnis: daß Jesus durch seinen Tod das schon lange gesühnt hat, was uns gerechterweise treffen müßte. Er hat es auf sich genommen, so wie man dem Sündenbock des Alten Testamentes einmal im Jahr symbolisch die Sünden des ganzen Volkes auflud und ihn damit in die Wüste schickte. Und was er tat, schließt nicht nur alle vorangegangenen menschlichen Verfehlungen ein, sondern auch die unseren, die wir damals noch gar nicht auf der Welt waren. Unverständlich und widersinnig für unsere Vorstellung von Gerechtigkeit. Aber wer sich von Gott (und letztlich auch von Menschen) etwas schenken lassen will, der muß, um freudig die Hand auf zu halten, ganz einfach jede Vorstellung ausgleichender Gerechtigkeit fahren lassen.

Eine Gerechtigkeit in unserem Sinne, wo jeder bekommt, was ihm zusteht, im Guten wie im Bösen, bräche uns vor Gott das Genick. Indem Jesus das bekommt, was er nicht verdient, bekommen wir nicht das, was wir verdienen.

So wahr mir Gott helfe

27 Wo bleibt nun das Rühmen? Es ist ausgeschlossen.

Weil das also so ist, weil keiner von uns von Gott das bekommt, was ihm im Guten und vor allem im Bösen zusteht, kann es kein Protzen mehr, keinen öffentlichen Stolz und kein Pochen auf menschliche Leistung mehr geben. Daß wir in unserem Tun zutiefst auf Gottes Gnade angewiesen sind, dieser christlichen Erkenntnis steht keine Partei von Hause aus näher als eine andere. Auch das C im Namen macht es ganz gewiß nicht. Aber ich hoffe, daß auch die Minister, die in der vergangenen Woche bei ihrer Vereidigung auf die Formel "So wahr mir Gott helfe." verzichtet haben, sich dessen dennoch tief bewußt sind.

1500 Jahre später

Und dann schließt der Apostel Paulus seine Überlegungen mit einer Art Zusammenfassung, mit einem Fazit:

28 So halten wir nun dafür, daß der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben.

Als die Zeit dafür reif war, stand 1500 Jahre später wieder einer auf, um diese Botschaft seiner Kirche mit Macht zu verkündigen, Martin Luther. Die Parallelen zu Paulus sind deutlich: Auch Luther war als junger Mann in Glaubensdingen ein Perfektionist. Auch er hat am eigenen Leib erfahren, daß man Gott und seine Nähe nicht durch die eigene Leistung finden kann. Reif war die Zeit, weil die Kirche zugelassen hatte, daß das Gesicht Gottes und das Evangelium von einem neuen unbiblischen Leistungsdenken verdunkelt wurde: Nur als Mönch konnte man wirklich selig werden. Und den anderen blieb nur noch, sich die Seligkeit durch den Ablaß zu erkaufen. Daß Gott schenkt, ohne daß man bezahlt, das paßte nicht in die Zeit und es paßte vor allem der damaligen Kirche nicht ins Konzept.

Und heute?

Ist diese Botschaft heute leichter als damals? Ich bezweifle es. Wer das Gefühl bekommt, im täglichen leben nichts geschenkt zu bekommen, dem fällt es auch Gott gegenüber nicht leicht. Erlebt man es nicht oft genug, daß sich hinter großzügigen Geschenken ja doch nur eine Absicht verbirgt? Verstehe es, wer es will, wenn man es überhaupt verstehen kann. Höre es, wer es will: "Du bist mir recht", sagt Gott. "Du bist mir recht, so wie du bist." Wenn jemand nach Grund unter den Füßen sucht, darauf kann er stehen.

"Aus Gnaden soll ich selig werden, Herz, glaubst du's oder glaubst du's nicht?
Was willst du dich verzagt gebärden? Ist's Wahrheit, was die Schrift verspricht,
so muß auch dieses Wahrheit sein: Aus Gnaden ist der Himmel dein."
(Gesangbuch Nr. 619 Vers 1)

Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de