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Die Predigt vom 15. November 1998: »Die Natur liegt in Wehen«


  Die evangelische Kirche beging am Sonntag den Vorletzten Sonntag des Kirchenjahres. Epistellesung und Predigttext kamen aus dem Römerbrief Kapitel 8. Paulus redet vom Leid der Menschen und der Schöpfung und ihrer Hoffnung auf Erlösung:

Predigttext

Sie können Texte auch online nachlesen. Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.

  18 Denn ich bin überzeugt, daß dieser Zeit Leiden nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden.20 Die Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit - ohne ihren Willen, sondern durch den, der sie unterworfen hat -, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.23 Nicht allein aber sie, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Erstlingsgabe haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes. 24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Predigt

  Die Welt liegt in Wehen

22 Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

So hieß es vorhin in der Epistellesung, dem heutigen Predigttext. In Buenos Aires, der Hauptstadt von Argentinien, ist heute Nacht die vierte Weltklimakonferenz zu Ende gegangen. Nicht ganz erfolglos, aber doch nicht mit einem durchschlagenden Ergebnis. Wenn man zynisch wäre, könnte man sagen, die Natur hat pünktlich zu dieser Konferenz mit den großen Überschwemmungen in Mittelamerika noch einmal ein deutliches Zeichen gesetzt, daß endlich etwas geschehen muß. 22 Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

Die außergewöhnlichen Wettererscheinungen dieses zu Ende gehenden Jahres kann man so und so beantworten: Die einen sagen, das gehört zum normalen Rhythmus unserer Welt, in der es immer wieder einmal Eiszeiten und Warmzeiten gegeben hat. Und für die anderen seufzt und ächzt die Schöpfung schon unter dem Menschen und wie er mit ihr umgeht? Hat Gottes Schöpfung eine Seele? Sehnt sie sich, wie Paulus sagt, wie der Mensch nach Erlösung? Vielleicht zurück nach jener Zeit, wo Gott sprach: "Und siehe, es war alles sehr gut."?

Das leidvolle Schicksal der Schöpfung und das Leid des Menschen, das an diesem heutigen Sonntag erinnert und bedacht wird - Paulus bringt sie beide in seinen Überlegungen zusammen. Aber zum besseren Verständnis dieses nicht ganz leichten Textes alles der Reihe nach und von vorne:

Das unvermeidliche Leid

18 Ich bin überzeugt, daß die Leiden dieser Zeit nicht ins Gewicht fallen gegenüber der Herrlichkeit, die an uns offenbart werden soll. 19 Denn das ängstliche Harren der Kreatur wartet darauf, daß die Kinder Gottes offenbar werden.

Paulus ist grundehrlich: Er verschweigt nicht, daß es auf dieser Welt das Leiden gibt. Das gefällt mir überhaupt an unserer Bibel: ihre schonungslose Ehrlichkeit und daß sie kein Blatt vor den Mund nimmt und nicht diplomatisch redet. Sie gaukelt keine heile Welt vor wie manches Erzeugnis der sogenannten Regenbogenpresse. Die Welt ist nicht heil. Sie ist nicht schmuseweich wie der Werbefunk. Die verbreitete Redensart, daß jeder sein Kreuz zu tragen habe, stimmt. Schwere oder unheilbare Krankheit. Sich mehrende Altersbeschwerden. Der Tod eines lieben Menschen. Die Einsamkeit. Mangelnde Anerkennung durch andere. Die fehlende Lehrstelle. Der Verlust des Arbeitsplatzes.

Das Leid gehört zum menschlichen Leben. Ja, noch mehr, sagt Paulus, es gehört zur ganzen Schöpfung, die ja viel mehr und größer ist als der Mensch. Wenn es nicht so wäre, dann wären wir schon erlöst, dann wären wir schon im Himmel, dann wären alle Fragen schon beantwortet. Es gibt das Leid, aber - und das ist seine Kernbotschaft - es hat nicht das letzte Wort. Gott hat noch mehr mit uns vor. Nein, nicht erst nach dem Tod. Nicht erst in einer anderen Welt. Das wäre Vertröstung. Die Bibel vertröstet nicht. Sie tröstet. Was wir jetzt zu tragen haben, sagt Paulus, steht in keinem Verhältnis zu dem, was Gott noch Gutes mit uns vor hat.

Aber er spricht auch von einem ängstlichen Harren, von einem ängstlichen Warten. Da ist auch die heimliche Angst, daß man als Christ vielleicht doch auf das falsche Pferd gesetzt haben könnte. Daß man vielleicht doch vergeblich auf Gott warten könnte. Und je länger mancher sein persönliches Leiden zu tragen hat, oder je länger er die Geschundenheit der Schöpfung anschauen muß, desto stärker kann die Frage werden, wo denn Gott nun ist und bleibt mit seinen Versprechen.

Und so ist es nach seinen Worten mit der ganzen Schöpfung, auch der Natur um uns herum:

Die in Mit-leidenschaft gezogene Schöpfung

20 Die ganze Schöpfung ist ja unterworfen der Vergänglichkeit, doch auf Hoffnung; 21 denn auch die Schöpfung wird frei werden von der Knechtschaft der Vergänglichkeit zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. 22 Denn wir wissen, daß die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick mit uns seufzt und sich ängstet.

Die Schöpfung ist nicht heil. Sie leidet unter dem Menschen. Sie wird vom Menschen im wahrsten Sinne des Wortes in Mit-leidenschaft gezogen. Wenn ich nicht so großes Zutrauen zur Treue Gottes hätte, würde ich wie manche Skeptiker sagen, die Welt wird einmal frei werden, indem sie den Menschen, der ihr im Pelz sitzt und sie quält, einmal wie einen lästigen Floh abschütteln wird.

Die Schöpfung seufzt und ängstigt sich wie ein Mensch. Wo Martin Luther hier "ängstigen" übersetzt hat, da sagt der griechische Urtext, die Welt liege in Wehen wie eine Frau vor und bei der Geburt. Das ist ein treffendes Bild, denn da wird in allem Ernst auch Hoffnung deutlich: Wie auf die unvermeidlichen Geburtswehen die Freude der Geburt folgt, so kann man auch das Leiden nicht umgehen, sondern kann nur mitten hindurch, damit sich hinterher dann wieder Freude und Aufatmen einstellen kann.

Sehnsucht nach Heil

23 Nicht allein aber die Schöpfung, sondern auch wir selbst, die wir den Geist als Anzahlung haben, seufzen in uns selbst und sehnen uns nach der Kindschaft, der Erlösung unseres Leibes.

Wie viele Menschen in unserer Nachbarschaft mögen sich heimlich in ihrem stillen Kämmerlein nach Erlösung sehnen? Ja manchmal auch eine Erlösung durch einen gnädigen Tod, da wo ein Mensch bloß noch dahin vegetiert. Wenn Paulus so schreibt, dann muß man beim Verständnis berücksichtigen, daß er ein von Krankheit geplagter Mensch war. Öfters hat er sich gewünscht, Gott möge ihn von seinem sterblichen Körper befreien, damit dann alle Schmerzen und Leiden weg sind. Und er hat dann darauf von Gott die Antwort bekommen, daß er ihm trotz seiner Schmerzen nahe ist, ja daß er ihn mit und in seiner Schwachheit nötig braucht: "Laß dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig." (2. Korinther 12,9)

Nach der Kindschaft sehnt sich Paulus, steht hier. Das bedeutet nicht, nach der Kinderzeit, der sogenannten unbeschwerten. Nein, nach der Gotteskindschaft: Paulus wartet sehnsüchtig auf das, was Gott seinen Kindern, also allen Getauften und Glaubenden als Heil versprochen hat. Aber noch ist es nicht so weit:

Kleine Schritte aus der Hoffnung

24 Denn wir sind zwar gerettet, doch auf Hoffnung. Die Hoffnung aber, die man sieht, ist nicht Hoffnung; denn wie kann man auf das hoffen, was man sieht? 25 Wenn wir aber auf das hoffen, was wir nicht sehen, so warten wir darauf in Geduld.

Hoffnung, das ist das Schlüsselwort. Hoffnung bedeutet: Da kommt noch etwas. Wir haben noch etwas zu erwarten. Wir dürfen uns auf eine gute Zukunft freuen. Ohne diese Hoffnung, die auch an das glauben kann, was man noch nicht sieht, kann man wohl gar nicht leben. Es spricht im Moment wieder so viel dagegen, daß der Mensch in seinem Umgang mit dem Mitmenschen und der Natur Vernunft annehmen werde. Daß die Vernunft, die Gerechtigkeit und das Leben siegen werden. Es ist so wenig davon zu sehen, daß Gott einmal Ordnung machen will.

Geduldige Hoffnung, die aus dieser Hoffnung heraus dann auch kleine Schritte tut, hat die Welt nötig. Hoffnung, die nach vorne schauen läßt. Hoffnung, die nicht einfach alles hinwerfen läßt. Hoffnung, die beim neuen Stichwort "Ökosteuer" nicht gleich schon wieder jammert, daß es eine Steuer mehr gibt, sondern die den eigenen Energieverbrauch so kritisch überprüft, daß einen diese Steuer gar nicht trifft. Oder, wenn man den eigenen Verbrauch gar nicht drücken will, daß man dann auch wirklich die Bereitschaft mitbringen muß, eine Entschädigung dafür zu geben

Gott hat noch eine Hoffnung für diese Welt, deswegen können wir uns mit den Gegebenheiten nicht zufrieden geben. Gott hat noch eine Hoffnung für diese Welt, deshalb können auch wir unseren Teil dazu beitragen. "Sing, bet und geh auf Gottes Wegen, verricht das Deine nur getreu und trau des Himmels reichem Segen, so wird er bei dir werden neu. Wenn welcher seine Zuversicht auf Gott setzt, den verläßt er nicht." Amen


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de