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Die Predigt vom 29. November 1998: »Brot für die Welt«


Kirchenjahr

Evangelisches Kirchenjahr

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den ersten Advent und damit den Beginn eines neuen Kirchenjahrs. Der Predigttext kam aus dem Propheten Jeremia Kapitel 23. Ich bin besonders eingegangen auf die Eröffnung der Aktion "Brot für die Welt".

Predigttext

5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«. 7 Darum siehe, es wird die Zeit kommen, spricht der HERR, daß man nicht mehr sagen wird: »So wahr der HERR lebt, der die Israeliten aus Ägyptenland geführt hat!«, 8 sondern: »So wahr der HERR lebt, der die Nachkommen des Hauses Israel herausgeführt und hergebracht hat aus dem Lande des Nordens und aus allen Landen, wohin er sie verstoßen hatte.« Und sie sollen in ihrem Lande wohnen.

Predigt

"Gebt den Kindern eine Chance" - 40 Jahre Brot für die Welt. Diese Einladung werden Sie in dieser Woche zusammen mit einer Spendentüte und der neuen "Saaser Glocke" (Gemeindebrief) im Briefkasten vorfinden.

"Brot für die Welt"

"Brot für die Welt". 40 Jahre gibt es diese Aktion jetzt schon. Sie ist wohl das bekannteste Produkt evangelischer kirchlicher Arbeit in der Bevölkerung. Nach Umfragen können 91 Prozent mit diesem Begriff etwas anfangen. Und 80 Prozent sind überzeugt, daß hier eine gute Arbeit getan wird. Das ist in einer Zeit, wo es auch viele obskure Hilfsorganisationen gibt, ein großer Vertrauensvorschuß. Auch nicht kirchlich gebundene Menschen sind gerne bereit, für diesen kirchlichen Zweck zu spenden. Falls Sie dabei sein wollen: Hinterher beim Frühschoppen wird die Büchse ausgeleert, die in der Gastwirtschaft Pötzinger nun ein Jahr lang stand und von den Kartenspielern und Stammgästen gefüllt wurde. Nach ihrem Gewicht zu urteilen, wird sie auf jeden Fall eine stattliche dreistellige Summe enthalten. Lassen Sie sich nächste Woche bei den Abkündigungen überraschen!

Gute Gründe dafür

Dieses große Vertrauen in "Brot für die Welt" unter der Bevölkerung ehrt, auch wenn es wahrscheinlich viele gar nicht recht begründen könnten. Ich will ein paar Gründe nennen.

Keine für "Brot für die Welt" gespendete Mark fließt in den Verwaltungsaufwand. Der wird nämlich zum einen aus Kirchensteuermitteln bezahlt und zum anderen aus Zinsen. Zinsen deswegen, weil die Gelder zur Unterstützung eines konkreten Hilfsprojekts nicht auf einmal weitergegeben, sondern in Raten ausgezahlt werden, je nachdem, wie das Projekt vorankommt. So kann man sie kurzfristig anlegen.

Ein zweiter Grund: "Brot für die Welt" ist nicht einfach nur Hungerhilfe oder Katastrophenhilfe, wie es der Name nahelegen könnte. "Hilfe zur Selbsthilfe" war schon bei der Gründung 1959 das zentrale Stichwort. Menschen sollen nicht Almosen erhalten, sondern sie sollen so gefördert werden, daß sie sich einmal aus eigener Kraft und mit eigenen Mitteln helfen können.

Und ein dritter Grund: Bevor "Brot für die Welt" Geld für Hilfsprojekte gibt, müssen sie erst sauber vorgeplant und durchgerechnet sein. Jedes Projekt wird vor Ort untersucht. Zusammen mit einheimischen Partnern vor Ort, die sich auskennen und die vertrauenswürdig sind, v.a. kirchliche Partner. Es sollen keine europäischen Lösungen übergestülpt werden, sondern passende Lösungen vor Ort zusammen mit den Beteiligten gefunden werden. Dadurch gibt es eine größtmögliche Sicherheit, daß Gelder nicht in den Sand gesetzt werden oder in dunklen Regierungskanälen verschwinden.

"Den Armen Gerechtigkeit"

Und ein vierter, aus unserer Bibel heraus besonders wichtiger, Grund: Gerechtigkeit ist das heimliche Thema. "Brot für die Welt" hat erkannt, daß sich auf die Dauer nichts ändert, wenn sich nicht Strukturen ändern: So tritt man z.B. faire und gerechte Preise für Kaffee und Bananen ein. Man engagiert sich im Kampf gegen die Kinderarbeit oder gegen die Landminen. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Ausbildung von Frauen, die ja in manchen Ländern ans Haus gefesselt und von der Bildung ausgeschlossen sind, und trotzdem die Hauptlast in der Familie tragen.

"Den Armen Gerechtigkeit." ist deswegen nicht umsonst das heimliche Motto von "Brot für die Welt". Gerechtigkeit, das bedeutet nach den Vorstellungen unserer Bibel: Alle kommen zu ihrem Recht: Die Menschen im Westen und im Osten, im Norden und im Süden. Die Alten und die Jungen. Und auch die, die noch gar nicht geboren sind, und denen wir Heutigen die Welt hinterlassen.

Sehnsucht nach Gerechtigkeit

Diese Sehnsucht nach mehr Gerechtigkeit gehört zur Adventszeit und prägt auch unseren heutigen Predigttext aus dem Propheten Jeremia Kapitel 23:

5 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, daß ich dem David einen gerechten Sproß erwecken will. Der soll ein König sein, der wohl regieren und Recht und Gerechtigkeit im Lande üben wird. 6 Zu seiner Zeit soll Juda geholfen werden und Israel sicher wohnen. Und dies wird sein Name sein, mit dem man ihn nennen wird: »Der HERR unsere Gerechtigkeit«.

Dreimal in diesen zwei Versen die Worte "gerecht" und "Gerechtigkeit". Gerechtigkeit wird angekündigt, wird erhofft, d.h. sie fehlte damals - wie heute. Viele Gesetze und Regelungen des Alten Testaments sind auf diese Gerechtigkeit aus. Glaubende und ihrem Gott gehorsame Menschen hätten sie eigentlich schaffen sollen. Doch es ging nicht voran, es ging eher rückwärts: damals, zur Zeit der israelitischen Könige. Und deswegen diese Hoffnung: Gott werde einmal einen schicken, der die Gerechtigkeit nicht nur auf seine Fahnen schreibt, sondern auch wirklich schafft. Einen Heiland, einen Retter, einen Messias aus dem Geschlecht Davids.

Der Hirte und die Hirten

"Der Herr, unsere Gerechtigkeit." würde sein Name sein. Diese Hoffnung des Propheten Jeremia ist eine deutliche Kritik an den eigentlichen Herren der damaligen Zeit: Recht und Gerechtigkeit wurden damals von der Oberschicht in Israel mit Füßen getreten. Die Armen, die Kleinen, die kein Geld hatten, sich ihr Recht zu kaufen, gingen leer aus. Daß es Herren geben muß, Führer und Leiter, da gab es keine Diskussion. Doch die Herren sollten so herrschen, daß deutlich wird, daß nicht sie die Herren sind, sondern daß Gott der Herr und auch ihr Herr bleibt. Deswegen hat man sie mit Hirten, Hirten, die Gottes Herde weiden sollen. Ein häufiger Vorwurf der Propheten in dieser Zeit war: Ihr Hirten weidet nicht das Volk, sondern ihr weidet euch selbst. Ihr sorgt nicht für die Schafe, sondern Ihr bringt Euer Schäfchen ins Trockene. Oder mit den Worten des Jeremia an dieser Stelle: 1 Weh euch Hirten, die ihr die Herde meiner Weide umkommen laßt und zerstreut! spricht der HERR. 2 Darum spricht der HERR, der Gott Israels, von den Hirten, die mein Volk weiden: Ihr habt meine Herde zerstreut und verstoßen und nicht nach ihr gesehen.

Auch wir sind Hirten

Wichtig ist, denke ich, aber nun, daß wir bei dieser Anklage gegen die falschen Hirten nicht zu schnell einstimmen und von uns weg deuten. Können wir uns in den Hirten nicht aus selbst entdecken? Auch uns sind andere Menschen anvertraut. Und auch wir sollen dafür sorgen, daß in den Bereichen, wo wir etwas zu sagen haben, Recht und Gerechtigkeit einkehren:

Als Eltern sind uns Kinder anvertraut und als Großeltern Enkel. Als Lehrern, Pfarrern, Gesellen und Handwerksmeistern sind uns junge Menschen anvertraut. Als Abteilungsleitern, Chefs und Vorgesetzten sind uns Untergebene anvertraut. Uns allen ist die nächste Generation anvertraut, die eben erst oder noch gar nicht geboren ist, und der wir die Welt hinterlassen sollen, wo sie wir sie gerne vorfinden würden. Uns Menschen im reicheren Drittel dieser Erde sind die beiden anderen Drittel anvertraut. Und wir können nichts dafür, daß wir hier geboren wurden, so wie die Ärmsten der Armen nichts dafür können, daß sie dort geboren wurden.

"Gebt den Kindern eine Chance"

Und worauf die diesjährige Aktion ganz besonders zielt: "Gebt den Kindern eine Chance." Allen Erwachsenen dieser Welt sind die Kinder dieser Welt anvertraut. Als die schwächsten und letzten Glieder der Kette müssen sie immer wieder die Sünden der Erwachsenen ausbaden: Sie sterben in den Hungergebieten Afrikas. Sie erfrieren in den Bergen des Kosovo. Sie müssen in den Bürgerkriegen Afrikas als Kindersoldaten aufeinander schießen. Wegen ihres Spieltriebs sind sie in Kambodscha die Hauptopfer der Landminen. In Indien schuften sie in Bergwerken oder beim Teppichknüpfen. In Südafrika oder Südamerika sind sie als Straßenkinder der Willkür der Erwachsenen ausgesetzt. In Thailand verkaufen sie sich an europäische Sextouristen.

Advent: Zeit der Sehnsucht

Die Sehnsucht nach Frieden. Die Sehnsucht nach Gerechtigkeit. Sie gehören zur Adventszeit auch bei Menschen, die nur noch selten eine Kirche oder eine Bibel von innen sehen. Wir können dieses Friedensreich, das sich der Prophet Jeremia erhofft, nicht schaffen. Das steht eindeutig hier. Gott allein kann es. Von ihm muß es kommen. Wir können es nicht Advent werden lassen. Gott muß es tun.

Aber wir können und sollen uns in der Zeit, die uns und der Welt noch bleibt, bei unseren Hirtenaufgaben an dem einen wahren Hirten orientieren. Jeremia hat ihn erwartet. Wir glauben, daß er in Jesus gekommen ist. Was war er für ein Hirte? Auf jeden Fall ein überraschender: Wie die meisten seiner Zeit hat wohl auch Jeremia einen erwartet, der radikaler durchgreift auf dem Weg zu mehr Gerechtigkeit. Diese Hoffnungen seiner Zeitgenossen hat Jesus enttäuscht. Er hat nicht radikal durchgegriffen. Es hat sich nichts radikal geändert damals. Als einen Sanften, Armen und Zurückhaltenden beschreibt ihn das heutige Evangelium: Auf einem Esel reitet er in die Stadt, dem Tier der Armen. Ohne Prunk kommt er daher. Als sanftmütig wird er charakterisiert. Doch anders gibt es keine Gerechtigkeit und auch keinen Frieden. Damals wie heute.

Damit aus Menschen Freunde werden, kommst du als Mensch in unsre Zeit: Du gehst den Weg durch Leid und Armut, damit die Botschaft uns erreicht.

Damit aus Fremden Freunde werden, schenkst du uns Lebensglück und Brot: Du willst damit den Menschen helfen, retten aus aller Hungersnot.

(Bayerisches Gesangbuch Nr. 657)


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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