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Die Predigt zur Jahreslosung 1999: »Ich bin bei euch.«


Kirchenjahr

Evangelisches Kirchenjahr

Im Gottesdienst an Silvester 1998 stand in der Auferstehungskirche die Losung für das 1999 im Mittelpunkt. Matthäusevangelium Kapitel 28, Vers 20:

Predigttext

Christus spricht:

»Siehe, ich bin bei euch alle Tage
bis an der Welt Ende.«

Predigt

Regenbogen

Die Astrologen lagen "voll daneben"

Zur zweiten Dezemberhälfte gehören in den Medien traditionsgemäß die verschiedenen Jahresrückblicke: v.a. auf die politischen und sportlichen Ereignisse des zurückliegenden Jahres. Wissen Sie, welchen Rückblick ich jedes Jahr am genüßlichsten und mit viel Schadenfreude zur Kenntnis nehme: Es ist der Bericht über die Erfolge, besser: die Mißerfolge, der Astrologen und Wahrsager. Jedes Jahr neu kann man sehen, wie sie wieder "voll daneben liegen", wenn Sie es wagen, eine konkrete Ankündigungen für ein neues Jahr zu machen, die man dann auch überprüfen kann.

Ich meine nicht die gutgemeinten Ratschläge der allgemeinen Horoskope: "Heute sollten Sie sich im Straßenverkehr vorsichtig verhalten." Oder: "Achten Sie darauf, daß Ihnen genügend Zeit für sich selbst bleibt."

Ich meine solche konkreten Ankündigungen wie die, daß aus den Sternen und Planeten abzulesen war, daß Helmut Kohl Kanzler bleiben würde, oder die, daß die Deutschen Fußballweltmeister würden, noch dazu kurz nach dem Seitenwechsel der Verlängerung. Oder ich meine die Weltuntergangsprophezeiungen in verschiedenen angeblich christlichen Gruppen. Da hatte z.B. das selbsternannte Sprachrohr Gottes, die Prophetin der Sekte "Fiat Lux" angekündigt, daß im Herbst 1998 der Dritte Weltkrieg beginnt. Das ging ziemlich unbemerkt vorüber, und jetzt wird übrigens Mitte 1999 die Sonne explodieren und Feuer vom Himmel fallen.

In dem Zeitungsartikel hieß es dann, man könne sich bloß noch wundern, wieso Menschen dennoch über 300 Mio. Mark pro Jahr für solche "Blicke in die Zukunft" ausgeben, wenn sie doch jedes Jahr neu dasselbe Ergebnis bringen.

Angst oder Furcht?

Und doch will ich diese Dinge nicht lächerlich machen, denn dieses Geschäft floriert ja nur, weil es neben der spielerischen Beschäftigung damit bei vielen Menschen ganz reale Ängste gibt: Zukunftsängste, Lebensängste. Man darf über Astrologie gewiß schmunzeln, aber Ängste sollte man nicht lächerlich machen.

Eigentlich gehört Angst zum Leben und hat ihren Sinn. Ich muß genauer sagen: Furcht gehört zum Leben. Unsere deutsche Sprache unterscheidet nämlich eigentlich Angst und Furcht. Furcht, begründete Furcht habe ich vor einer ganz bestimmten Sache: vor einem Hund, vor einem Gewalttäter oder vor dem Straßenverkehr. Furcht ist sinnvoll, denn sie läßt mich vorsichtig handeln. Angst dagegen hat man vor dem Unbekannten: allgemeine, unbestimmte Angst, was noch werden könnte und wie es noch werden könnte.

Festen Boden unter den Füßen haben

Gegen solche Angst brauchen Menschen ein festes Fundament. Etwas, worauf man sich verlassen kann. Etwas, was trägt. Ein fester oder wenigstens zaghafter Glaube kann helfen. Je mehr aber der Glaube schwindet, je mehr Glaube als angeblich nutzlos weggeworfen wird, je mehr sich jemand zu erwachsen dafür vorkommt, desto mehr wird diese Lücke vom sog. Aberglauben ausgefüllt. Von einem Ersatzglauben, manchmal von einem Gegenglauben.

Zukunftsängste

Zukunftsängste sind real, wenn man den Umfragen Glauben schenkt: Angst vor dem Verlust der Mark und dem Kommen des Euro, eher negative Erwartungen in Handwerk und Industrie, zunehmende Naturkatastrophen, ein größer werdendes Ozonloch, mögliche Atomwaffen in der Hand von unberechenbaren Diktatoren, der Wechsel von einem Jahrtausend in ein anderes ...

Zu den allgemeinen kommen die persönlichen Ängste: Wie wird es mit meiner Krankheit weitergehen? Wird mein Mann seine Stelle behalten? Wird mein Enkel einen Ausbildungsplatz bekommen? Wie lange werde ich noch selbständig in meiner Wohnung bleiben können? Wie werde ich mit dem Tod meines Mannes und der Einsamkeit fertig werden?

Ich weiß nicht, wie sehr Sie persönlich von solchen allgemeinen Ängsten und auch von ganz persönlichen Ängsten umgetrieben werden, was das neue Jahr angeht. Ich kann Ihnen diese Ängste nicht nehmen, ich kann Sie nur einladen, sich auf festen Grund zu besinnen. Deswegen möchte ich Ihnen zum Übergang in das neue Jahr die Jahreslosung für 1999 weitersagen. So heißt es am Ende des Matthäusevangeliums: Christus spricht: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende."

Was lesen wir dort am Ende des Matthäusevangeliums: Jesus verabschiedet sich von seinen Jüngern. Ein ganzes Jahr, nach dem Evangelisten Johannes drei Jahre, sind sie miteinander durchs Land gezogen. In seiner Nähe ist ihnen das Glauben nicht schwer gefallen. In seiner Nähe hatten sie festen Boden unter den Füßen, obwohl sie kein Dach über dem Kopf hatten und von der Hand in den Mund gelebt haben. Wenn er ihnen die Hand gereicht hat, sind ihre Ängste verschwunden: Die Angst nachts im Seesturm auf dem schwankenden Schiff. Die Angst des Petrus vor dem Versinken.

Und nun sollen sie ohne ihn zurechtkommen und noch dazu seine Aufgabe übernehmen, die gute Botschaft vom menschenfreundlichen Gott allen Menschen weiterzusagen? "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Jesus lädt sie ein zu begreifen, daß es auch eine andere Art Anwesenheit gibt. Er ist weiterhin da bei ihnen, auch wenn sie ihn nicht sehen und nicht nach seiner Hand greifen können. Ja, noch mehr: Jetzt wo er nicht mehr an den Raum und die Zeit dieser Welt mit ihren Naturgesetzen gebunden ist, jetzt ist er noch umfassender in ihrer Nähe: alle Tage, unabhängig von der Zeit, unabhängig von Ort und Entfernungen.

Menschen vor einer schweren Aufgabe

"Ich bin bei euch." Damit redet Jesus im Namen Gottes und nimmt eine Zusage auf, die auch im Alten Testament Menschen, die vor einer schweren Aufgabe standen, weitergesagt wurde. Zu Jeremia sagt Gott: "Fürchte dich nicht, denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der Herr." (Jeremia 1,8) Oder zu Abraham: "Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir und will dich segnen. (1. Mose 26,24) Oder zu Jakob: "Und siehe, ich bin mit dir und will dich behüten, wo du hinziehst." (1. Mose 28,15) Oder zu Josua: "Wie ich mit Mose gewesen bin, so will ich auch mit dir sein. Ich will dich nicht verlassen, noch von dir weichen." (Josua 1,5) Oder zu den Israeliten allgemein: "Fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir; weiche nicht, denn ich bin dein Gott. Ich stärke dich, ich helfe dir auch, ich halte dich durch die rechte Hand meiner Gerechtigkeit. (Jes 41,10)

Der Regenbogen als Zeichen der Treue Gottes

"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Ich habe Ihnen zu dieser Jahreslosung am Kircheneingang eine Karte austeilen lassen. Eine Karte mit dem Regenbogen über der Auferstehungskirche, über dem Kindergarten und dem Gemeindehaus. Der Regenbogen ist im Alten Testament das Zeichen für Gottes Nähe, für Gottes Treue und Zuverlässigkeit, was die Zukunft angeht. Der Regenbogen faßt für mich das Versprechen der Jahreslosung in einem Bild zusammen.

Rückschau auf das vergangene Jahr

"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Wie kann man diese Nähe Gottes und seinen Beistand als eine mögliche Hilfe gegen die Zukunftsangst ganz persönlich erfahren? "Siehe!" So beginnt Jesus, also: Schau hin, mach die Augen auf!"

Das könnte vielleicht heißen: Schau auf dieses zurückliegende Jahr. Eine Sache, die man an Silvester ja gerne tut. Sehen Sie gerne die verschiedenen Jahresrückblicke in diesen Tagen an? Wenn ja, wie ging es Ihnen dabei? Ich muß bekennen, daß ich beim ersten dieser Rückblicke von Minute zu Minute kleiner, demütiger und zufriedener wurde, als ich es sowieso schon bin: Wasser, Feuer, Sturm, Umsturz, Katastrophen, Hunger ... Immer wieder habe ich mich heimlich gefragt: Was haben die Menschen getan, daß es ihnen so geht? Oder, was entscheidender ist: Was habe ich getan, daß es mir nicht so geht?

Und vielleicht können Sie dann im Rückblick auf das Vergangene auch einstimmen und sagen: "Wahrhaftig, er war bei mir alle Tage." Er war bei mir in diesem Jahr mit allen seinen geraden und krummen Wegen, mit seinen überraschenden Wegen und Umwegen, mit seinen vermeintlichen Sackgassen. Und wenn es in diesem vergangenen Jahr so gewesen ist, warum sollte es nicht auch im neuen Jahr so sein?

"Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." "Ich bin doch da. Ich bleibe bei dir." Wenn ein Mensch das sagt, der seine Hand auf die unsre legen kann, dann ist das leichter zu glauben. Doch wie ist es mit Gott, den man nicht fassen und festhalten kann?

Gott erfahren – Meditation und Mystik

Um Gottes Nähe zu erfahren, braucht es v.a. die Stille. Seine leise Stimme geht unter bei den lauten Stimmen dieser Zeit, und bei der oft allgegenwärtig dudelnden oder lärmenden Musik. Für Gott muß man sich Zeit nehmen: Zeit für das Gebet, Zeit für die Stille. Sich ruhig hinsetzen, Hände und Herz öffnen. Gottes Nähe atmend entdecken: glauben und spüren, daß er um einen ist, so wie einen die allgegenwärtige Luft umgibt, die kostenlos zur Verfügung steht und Leben schenkt. Gottes Nähe entdecken und glauben im Nachspüren des Herzschlags, der uns Sekunde für Sekunde am Leben erhält.

In seinem Bericht vor der Landessynode unserer bayerischen Kirche hat der derzeitige Landesbischof Hermann von Loewenich, dessen Nachfolger ja im kommenden Jahr gewählt wird, an ein Wort eines katholischen Theologen erinnert. Es ist ein Wort, das auch Jörg Zink, der ehemalige Fernsehpfarrer und Prediger beim Wort zum Sonntag, im bisher letzten seiner zahlreichen Bücher schon betont hat: "Der Christ von morgen wird ein Mystiker sein, also einer, der etwa erfahren hat, oder er wird nicht mehr sein."

Mystik, das ist ein griechisches Wort und meint, Gottes Nähe in der Stille ganz bewußt zu suchen und zu erfahren. Nicht nur von Gott reden. Ihn nicht nur wie eine gute alte Tradition weitertragen, sondern Erfahrungen seiner Gegenwart suchen und machen.

Reden kann man darüber nicht sehr viel. Man muß es ausprobieren. Einladen will ich Sie mit zwei Versen aus unserem Gesangbuch, die es je in ihrer Art in Worte zu fassen versuchen:

Aus dem Lied "Gott ist gegenwärtig" von Gerhard Tersteegen (Nr. 165, Vers 6)

Du durchdringest alles; laß dein schönstes Lichte, Herr, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stille halten, laß mich so still und froh deine Strahlen fassen und dich wirken lassen.

Und Aus dem Lied "Ein Schiff, das sich Gemeinde nennt" (Nr. 589, Vers 4)

Im Schiff, das sich Gemeinde nennt, fragt man sich hin und her: Wie finden wir den rechten Kurs zur Fahrt im weiten Meer? Der rät wohl dies, der andre das, man redet lang und viel und kommt – kurzsichtig, wie man ist – nur weiter weg vom Ziel. Doch da, wo man das Laute flieht und lieber horcht und schweigt, bekommt von Gott man ganz gewiß den rechten Weg gezeigt.

Christus spricht: "Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende." Amen


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de