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Die Predigt vom 17. Januar 1999: »Wie kann man Gott sehen?«


Kirchenjahr

Evangelisches Kirchenjahr

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 2. Sonntag nach Epiphanias. Predigttext war der Wunsch des Mose, Gott sehen zu dürfen, aus dem 2. Buch Mose Kapitel 33:

Predigttext

17 Der HERR sprach zu Mose: ... du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Laß mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Predigt

Vom König, der Gott sehen wollte

Es war einmal ein König, den befiehl am Ende seiner Tage die Schwermut. Zu seinem Hofstaat sagte er: „Seht, nun habe ich in meinem Leben alles, was nur ein Mensch erleben und mit seinen Sinnen aufnehmen kann, erfahren, gehört und gesehen. Nur eines habe ich nicht gesehen in meinem ganzen Leben: Gott habe ich nicht gesehen. Ihn wünsche ich noch zu sehen.“ Da erließ der König an alle Beamten, Weisen und Priester den Befehl, ihm Gott zu zeigen. Schwere Strafen drohte er ihnen an, wenn es ihnen nicht gelänge. Drei Tage hatten sie Zeit dafür. Genau nach drei Tagen, um die Mittagszeit, ließ der König sie alle vor sich rufen. Der Mund der Beamten, Weisen und Priester blieb stumm, sie konnten ihn Gott nicht sehen lassen. Da kam ein Hirte vom Feld, der auch vom Befehl des Königs gehört hatte, und sagte: „Erlaube mir, König, deinen Wunsch zu erfüllen!“ – „Gut“, sagte der König, „aber bedenke, es geht um deinen Kopf“. Der Hirte führte den König auf einen freien Platz und zeigte ihm die Sonne. „Sieh hin“, sagte er. Der König hob seine Augen nach oben und wollte die Sonne sehen. Aber der Glanz blendete ihn, und er senkte den Kopf und schloß die Augen. „Willst du, daß ich erblinde?“ sagte er zu dem Hirten. – Der antwortete: „Aber König, das ist doch nur ein Ding der Schöpfung, ein schwacher Abglanz der Größe Gottes, ein kleines Fünkchen seines flammenden Feuers. Wie willst du da mit deinen schwachen, tränenden Augen Gott sehen? Suche ihn mit anderen Augen!“

Manchmal möchte man Gott zeigen können

Vom russischen Schriftsteller Leo Tolstoi stammt diese Geschichte. Wie kann man Gott sehen? Kann man ihn überhaupt sehen? Welche Augen braucht man, um ihn sehen zu können? Sich ganz sicher sein, daß es Gott gibt, das möchte mancher. Dann könnte man – angeblich – ganz anders und fester glauben. Gott zeigen, Gott vorführen, das möchte mancher Pfarrer, wenn es darum geht, ihn einem Konfirmanden oder einem zweifelnden Menschen nahezubringen.

Mose will Gott sehen

Gott sehen zu können, das war für den König in der Geschichte eine Frage seiner Macht, die, wie er meinte, keine Grenzen hatte. Auch von Mose, dem Mann, der die Israeliten aus der Sklaverei führte und ihnen Gottes Gebote gab, wird eine solche Bitte berichtet. 2. Buch Mose, Kapitel 33:

17 Der HERR sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. 18 Und Mose sprach: Laß mich deine Herrlichkeit sehen! 19 Und er sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. 20 Und er sprach weiter: Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht. 21 Und der HERR sprach weiter: Siehe, es ist ein Raum bei mir, da sollst du auf dem Fels stehen. 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen.

Dem Mose ist Gott begegnet

Die Herrlichkeit Gottes möchte Mose sehen: Gott in seiner ganzen Majestät und Größe, Gott in seinem göttlichen Wesen. Was könnte hinter diesem Wunsch stehen? Hätte er sich nicht zufrieden geben sollen? Näher und intensiver ist nach dem Alten Testament damals Gott keinem Menschen begegnet: Zum ersten Mal im brennenden Dornbusch, wo Mose Gottes Stimme hört, wo er sich sehen läßt in einem Feuer, das Licht und Wärme ausstrahlt, aber nicht zerstörerisch verzehrt. Auf der Wüstenwanderung geht Gott dem Volk in einer Wolken- und Feuersäule voran. Als einziger darf Mose auf dem Berg Sinai Gott in einer Wolke eingehüllt begegnen: Der HERR aber redete mit Mose von Angesicht zu Angesicht, wie ein Mann mit seinem Freunde redet. (2. Mose 33,11) So heißt es ein paar Verse weiter vorne. Reicht ihm das nicht? Was will er nun noch?

Vergewisserung braucht Mose damals: Er fürchtet, gescheitert zu sein mit seinem Auftrag. Schon einmal war er ja dort bei Gott auf dem Berg. Er blieb lange aus, zu lange für das Volk. Und mit ihm blieb in ihren Augen auch Gott aus. Und so machten sich die Israeliten einen greifbaren und sichtbaren Gott in dem goldenen Stierbild. Als Mose dann vom Berg kam, ging mit den Gebotstafeln sozusagen auch sein Lebenswerk zu Bruch. Wie sollte es jetzt weitergehen? Er braucht Vergewisserung, daß Gott sich nicht abgewandt hat von ihm und seinem Volk. "Zeig doch, daß du weiterhin da bist. Zeig doch, daß du zu uns stehst, daß du zu mir stehst. Laß mich dir in die Augen schauen. Laß mich dich verstehen und deine Wege durchschauen."

Wo bist du, Gott?

Wer weiß, wie oft dieser Wunsch des Mose in seiner damals verzweifelten Situation in der Geschichte der Juden und der Christen nachgesprochen worden ist? "Zeig dich doch, Gott. Zeig doch deutlich, daß du da bist!" Wie viele am Leben Verzweifelte mögen so geredet oder gedacht haben? Wie viele Kranke und Leidende in durchwachten Nächten? Wie viele Menschen, denen man ihren Glauben lächerlich machte, und die gerne gehabt hätten, Gott würde ihnen helfend zur Seite springen und sich offenbaren.

Doch diesen Wunsch nach einer direkten und unmittelbaren Begegnung erfüllt Gott dem Mose nicht. Er kann es ihm nicht erfüllen: „20 Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Die unmittelbare, die unvermittelte Begegnung mit Gott könnte niemand ertragen. So wie in Tolstois Geschichte niemand mit ungeschützten Augen in die Sonne blicken kann, die doch nur ein Geschöpf Gottes ist. Und hätte Tolstoi heute gelebt, dann hätte er vielleicht auf die Gewalt von Atomexplosionen oder Kernfusionen verwiesen.

Aus einer anderen Dimension

„20 ... kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ Das kann man auch andersherum verstehen: Gott gehört einer anderen Dimension an. Er ist für unsere Augen und für unsere Sinne, die für diese Welt und dieses Leben gemacht wurden, nicht zugänglich. Wir selber müssen erst in diese andere Dimension gelangen, bis wir Gott von Angesicht zu Angesicht begegnen können. Oder mit den Worten des Apostels Paulus: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin.“ (1. Korinther 13,12) Mit anderen Worten: Du mußt jetzt noch nicht alles verstehen. Es reicht, wenn du weißt: Gott kennt mich.

Von Gottes Souveränität

Ähnlich hier bei Mose: 19 Und Gott sprach: Ich will vor deinem Angesicht all meine Güte vorübergehen lassen und will vor dir kundtun den Namen des HERRN: Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich. Es liegt allein in Gottes Freiheit, wem er sich zuwendet. Das mag hart klingen. Aber: Wäre er noch Gott, wenn er sich von Menschen befehlen ließe wie von jenem König, der sonst alles hatte? Wenn Menschen seine gnädige Zuwendung kaufen könnten, wie beim Ablaßwesen es Mittelalters? Wenn bestimmte Menschen durch Geld oder Beziehungen bevorzugten Zugang zu ihm hätten? Freiheit und Souveränität. Das sind Gottes Namen.

Das erinnert an die Erzählung vom brennenden Dornbusch, wo Mose fragt: "Was soll ich den Israeliten sagen, wenn sie mich fragen, in welchem Auftrag ich komme? Wie heißt du, Gott? Wer bist du?" "Ich bin, der ich bin." Oder auch: "Ich werde sein, der ich sein werde." Oder auch: "Egal, was kommt, ich bin da."

Wie kann man Gott nun sehen?

Den Wunsch nach einer direkten und unmittelbaren Begegnung erfüllt Gott dem Mose nicht. Er erfüllt ihn auch uns nicht. Aber zwei vorläufige Antworten gibt es doch. Die erste: "Auch wenn du mich nicht siehst, verlaß dich darauf, daß ich dich kenne und es gut mir dir meine." Und die zweite: "Schau zurück in deinem Leben, ob du mich nicht in der Rückschau entdecken kannst."

17 Der HERR sprach zu Mose: Du hast Gnade vor meinen Augen gefunden, und ich kenne dich mit Namen. Ich kenne dich mit Namen. Ich kenne dich durch und durch. Ich weiß um deine Sorgen. Ich weiß um deine Fragen. "Ich kenne dich mit Namen." Das gilt nicht nur dem Mose, den Gott sich zum Boten ausgesucht hat. Das gilt mit unserer Taufe auch einem und einer jeden von uns. Aber – und das macht das Ganze ein wenig schwierig – es ist keine Botschaft an unseren Verstand, sondern an unser Herz.

"Ich kenne dich mit Namen." Wenn man das allein mit den Ohren und den Gehirnwindungen hört wie eine Nachricht unter vielen, trägt es noch nicht. Wer die Botschaft wirklich vernehmen will, muß sich ins stille Kämmerlein zurückziehen, allein oder mit anderen, Stille, Besinnung und Meditation suchen. "Ich kenne dich mit Namen." Das muß erst vertieft werden im wörtlichen Sinn: Das muß tiefer rutschen vom Kopf hinunter ins Herz.

Gott in der Rückschau entdecken

Und die zweite Antwort auf Mose Bitte: 22 Wenn meine Herrlichkeit vorübergeht, will ich dich in die Felskluft stellen und meine Hand über dir halten, bis ich vorübergegangen bin. 23 Dann will ich meine Hand von dir tun, und du darfst hinter mir her sehen; aber mein Angesicht kann man nicht sehen. Nur selten ist Gott im Moment des Erlebens zu entdecken. Das braucht geschärfte Sinne und viel geistliche Erfahrung. Im Nachhinein jedoch wird vielen Menschen in ihren Leben manches klarer. Im Nachhinein können Menschen Gott dort entdecken, wo sie ihn in einer konkreten Situation noch nicht sehen konnten. Hinterher tut sich oft der Sinn von Wegen auf. Noch nicht im Gehen selber, sondern im Rückschauen auf das Gehen. Was wie ein Irrweg schien, war nur ein Umweg, ja vielleicht der beste Weg von allen.

Den Glauben vertiefen

Aber auch das ist weniger mit dem Kopf als mit dem Herzen zu erfassen: Zur Vertiefung des Glaubens und zur Vertiefung der inneren Zufriedenheit empfiehlt es sich, am Abend eines Tages oder am Morgen des nächsten Einkehr zu halten und den Tag noch einmal an sich vorüberziehen zu lassen: "Was habe ich heute erlebt? Was ist gelungen? Was ist mißlungen? Wo haben mir Menschen Gutes getan? Wo konnte ich Gutes tun? Wo bin ich bewahrt geblieben?" Dann nehmen gewiß immer neu Spuren Gottes Gestalt an. Amen


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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