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Die Predigt vom 24. Januar 1999: »Gott mitten im Alltag begegnen«


Kirchenjahr

Evangelisches Kirchenjahr

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den Letzten Sonntag nach Epiphanias, mit dem im Kirchenjahr die Weihnachtszeit endgültig zu Ende geht. Thema dieses Tages sind Gottesbegegnungen. Predigttext war die Begegnung des Mose mit Gott im brennenden Dornbusch im 2. Buch Mose Kapitel 3:

Predigttext

1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. 2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, ... 9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Predigt

Heilige Orte

Wenn ein Mensch einen heiligen Ort betritt, dann tut er das normalerweise ehrfürchtig. Ein katholischer Christ setzt sich nicht in eine Bank, ohne vorher in Richtung des Allerheiligsten eine Verbeugung oder einen Knicks, also die Andeutung eines Kniefalls, zu machen. Wer als Christ eine Moschee betritt, als Tourist in arabischen Ländern vielleicht, oder auch hier bei uns bei einer Begegnung mit Muslimen, der zieht selbstverständlich seine Schuhe aus. Wenn er es nicht von alleine weiß, wird man ihn freundlich darauf aufmerksam machen.

Meine Erfahrung ist, daß sich Evangelische mit solchen Dingen schwerer tun als Katholiken und auch als Angehörige anderer Religionen. Und im jugendlichen Alter noch einmal mehr: Ich habe mit den Konfirmanden im vergangenen Jahr verschiedene Kirchen besucht, in denen sie getauft wurden. Über das Verhalten von einigen habe ich mich sehr gewundert und auch geärgert. Aber ist es ein Wunder? Es hat ihnen ja auch niemand rechtzeitig beigebracht. Rechtzeitig deswegen, weil man es in diesem jugendlichen Trotzalter, wo man Regeln nicht gerne akzeptiert, nur schwer tun kann. Ein katholisches Kind weiß halt von Grund auf, daß das sog. ewige Licht auf die Gegenwart Gottes in den Hostien hinweist, die dort im sog. Allerheiligsten aufbewahrt werden.

Und dann kommt wohl auch bei einem Evangelischen so ein vernünftiger und begründeter Zweifel dazu, warum denn überhaupt ein Ort heilig sein soll. Heilig wird ja alles genannt, was mit Gott in Verbindung bringt: die Heilige Taufe, das Heilige Abendmahl, der Heilige Geist, die Heilige Schrift. Aber kann man Gott nicht überall begegnen, "wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind"?

Ich meine, es gilt beides: Wir brauchen als Menschen Heilige Orte, wo man Ruhe finden und Gottes Nähe suchen kann. Wir sollen aber auch damit rechnen, daß man mitten im Alltag Gott begegnen kann, und dadurch jeder Ort zum Heiligen Ort werden kann. Hören Sie, wie es damals bei Mose gewesen ist:

Die Gottesbegegnung des Mose

1 Mose aber hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb die Schafe über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb. 2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, daß der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde. 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. 5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn der Ort, darauf du stehst, ist heiliges Land! 6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. 8 Und ich bin herniedergefahren, daß ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt, ... 9 Weil denn nun das Geschrei der Israeliten vor mich gekommen ist und ich dazu ihre Not gesehen habe, wie die Ägypter sie bedrängen, 10 so geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

Die Situation des Mose

Mose stand nach seinem Mord an einem ägyptischen Aufseher auf der Fahndungsliste. Er floh damals nach Midian in die ägyptisch-arabische Wüste und tauchte bei den dortigen Nomaden unter. Dort heiratete er in eine Nomadensippe ein: der midianitische Priester Jitro wurde sein Schwiegervater. Nun hütet er als Hirt dessen Schafe und kommt nach der Überlieferung einmal auf der Suche nach Weideland an den Rand der Steppe.

Mose hat nicht damit gerechnet, dort Gott zu begegnen, zumal er ja von diesem Gott noch gar nichts wußte. Es heißt zwar, er "kam an den Berg Gottes, den Horeb", doch das ist aus der Sicht des späteren Erzählers gesagt. Alle diese bekannten Geschichten vom Berg Sinai – so ist der bekanntere Name – kommen ja erst hinterher.

Mitten im Alltag, mitten bei der Arbeit begegnet ihm Gott. Ich kann mir natürlich vorstellen, daß ein Hirte auf seinen langen einsamen Wegen auch viel Zeit zum Nachdenken über Gott und die Welt hatte. Vielleicht hat er innerlich Gott auch irgendwie gesucht. Aber dennoch: Nicht er findet Gott, sondern Gott findet ihn.

Mitten im Alltag Gott begegnen

Mitten im Alltag, an einem x-beliebigen Ort kann ein Mensch Gott begegnen. Aber er muß wie Mose seine Augen aufmachen und darf nicht wie ein Stoffel durchs Leben stolpern. Gott mitten im Alltag zu entdecken, wo man gar nicht mit ihm rechnet, braucht offene Augen und wohl auch ein bißchen Neugier auf das Leben: 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt.

Wüstenerfahrungen

Man redet ja auch heute bildlich davon, daß ein Mensch eine Wüstenerfahrung machen kann: Wenn er etwas Schlimmes erlebt hat, wenn er auf der Suche ist, wenn er wie ausgelaugt ist, wenn er seelisch keine Heimat mehr hat. Das ist sicher nicht die Voraussetzung, Gott mitten im Leben zu begegnen, aber vielleicht ist man ihm dann doch ein wenig näher. Vielleicht ist dann auch die Haut dünner und die Sinne sind geschärfter.

Einem Engel begegnen

In diesem Sinne ist Midian überall. Und auch der brennende Dornbusch ist überall. Es sind die Situationen, wo ein Mensch mitten im Alltag zum Nachdenken kommt. Es sind z.B. die Situationen, wo Menschen ebenso bildlich sagen, sie seien einem Engel begegnet. Einem Engel begegnen, bedeutet, einem Boten Gottes zu begegnen. Es bedeutet, Gott selber zu begegnen, der eine Botschaft für einen hat. So wird auch in dieser Geschichte der "Engel Gottes" und "Gott" gleichbedeutend gebraucht: 2 Und der Engel des HERRN erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. ... 3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung besehen, warum der Busch nicht verbrennt. 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief (er) ihn aus dem Busch.

Wie und wo begegnet Gott?

In negativen und in positiven Lebenssituationen kann ein Mensch dem Gott begegnen, der ihm etwas ausrichten will, der eine Engelsbotschaft für ihn ganz persönlich hat: Ein Mensch kann Gott begegnen in einem großen Zweifel, in einer Erschütterung, wo er nicht aus noch ein weiß. Da will Gott etwas von ihm. Ein Mensch kann Gott begegnen in der Erfahrung einer Errettung. Bei einem Unfall bewahrt geblieben. Gerade noch einmal davongekommen. Offensichtlich einen Schutzengel gehabt. Da will Gott etwas von ihm. Ein Mensch kann Gott begegnen in der Erfahrung großen Glücksgefühls: überwältigt auf einem Berg stehend oder irgendwo in der Natur. Oder glücklich, daß eine zerbrochene Gemeinschaft wieder in Ordnung gekommen ist oder eine quälende Frage eine Antwort gefunden hat. Da will Gott etwas von ihm.

Wie redet Gott?

Gott will etwas von Mose. Und der merkt auf und läßt sich anreden: 4 Als aber der HERR sah, daß er hinging, um zu sehen, rief Gott ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich. Wenn ein Mensch auf diese Weise mitten im Alltag Gott begegnet, dann soll er innehalten, stehen bleiben und sich anreden lassen. "Gott redet." Natürlich ist das bildlich gemeint. Und Menschen sagen dann: "Mit mir hat Gott noch nicht geredet." Wie redet denn Gott? Man hat einmal unter Schülern eine Umfrage gemacht. Und einer von ihnen wußte genau, wieso viele nicht auf Gott aufmerksam werden: "Gott spricht leise und Latein". Vielleicht sollte man also besser formulieren und fragen: Was möchte Gott mir sagen? Welche Botschaft könnte er für mich haben? Wie soll es nun weitergehen? Welchen Weg soll ich einschlagen?

Nicht zur Tagesordnung übergehen

Wenn Gott einem begegnet: stehen bleiben. Aber auch ein wenig erschrecken. Sich nicht schütteln und dann gleich wieder zur Tagesordnung übergehen. Ehrfürchtig werden. 6 ... Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen. Gott begegnet Mose. Was erfährt er von Gott? 7 Und der HERR sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt. Mit einer Erschütterung, positiv oder auch negativ, in der Gott einem begegnet, sagt er also: "Ich kenne dich. Ich weiß, was dich beschäftigt. Ich weiß, wie es dir geht. Ich habe dein Schreien gehört."

Aber auch das andere: Nicht nur hier bei Mose, sondern in allen Engels- und Gottesbegegnungen der Bibel entdeckt man: Man kann Gott nicht begegnen, ohne einen Auftrag für das Leben zu bekommen. Das muß kein herausgehobener Auftrag, kein Leitungsauftrag sein wie bei Mose. Das kann eine ganz passive und geduldige Rolle sein wie bei Maria, die sagt: "Ich bin des Herrn Magd. Mir geschehe, wie du gesagt hast." (Lk 1,38) Im allgemeinen wird jemand an seinen alten und gewohnten Platz im Leben zurückgeschickt, als Vater oder Mutter, als Arbeiter oder Angestellter. Aber nichts ist mehr so wie vorher. Wer Gott begegnet, kann nicht bleiben, wie er ist. Wer Gott begegnet, wird von ihm gebraucht. Gott gebe uns offene Augen dafür. Amen


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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