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predigt[e].de

Die Predigt vom 6. Februar 2005 (Estomihi):
»Alles zu seiner Zeit«

Kirchenjahr
Informationen zum Kirchenjahr
Der Ort der Predigt im Kirchenjahr
Die Evangelische Kirche beging den Sonntag vor der Passionszeit (Estomihi). Sein Thema ist der Weg zur Passion. Evangelium (1. Lesung) war die Leidensankündigung Jesu und Epistel (2. Lesung) das sog. "Hohelied der Liebe". Der Predigttext dieses Sonntags (s.u.) war die Begegnung Jesu mit Maria und Marta nach Lukas 10:
Predigttext
Sie können den Text auch online nachlesen. Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben.
Der Predigttext
38 (Jesus) kam in ein Dorf. Da war eine Frau mit Namen Marta, die nahm ihn auf. 39 Und sie hatte eine Schwester, die hieß Maria; die setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seiner Rede zu. 40 Marta aber machte sich viel zu schaffen, ihm zu dienen. Und sie trat hinzu und sprach: Herr, fragst du nicht danach, dass mich meine Schwester lässt allein dienen? Sage ihr doch, dass sie mir helfen soll! 41 Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. 42 Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.
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Die Predigt
Die Gastfreundschaft ist heilig

Marta, die Tätige, die Fleißige, die Umtriebige kommt schlecht weg in dieser
Erzählung. Oder genauer gesagt: Marta kam in der Geschichte der Kirche oft schlecht weg. Müssten nicht wenigstens die Hausfrauen sie spontan verteidigen, die diese Situation nur zu gut kennen: Der Besuch kommt ein wenig zeitig. Die Mutter macht in der Küche noch die letzten Vorbereitungen. Alles soll ja 100-prozentig sein. Der Mann unterhält derweil schon einmal
die Gäste.
Man muss Marta doch verstehen: Sie nimmt den wandernden Jesus gastfreundlich auf. Und wie nötig, ja lebensnotwendig diese Aufnahme für
Jesus ist, das dürfen wir ja nicht vergessen. Ist er doch schließlich der, der ein Kapitel weiter vorne von sich sagt: „Die Füchse haben Gruben, die Vögel haben Nester. Doch der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ (Lk 9,58) Und sicher galt auch für ihn, was zu Beginn des Kapitels von der Aussendung der Jünger zu lesen ist: „Geht hin. Tragt keinen Geldbeutel bei euch, keine Tasche und keine Schuhe. Wenn ihr in ein Haus kommt, sprecht: Friede sei diesem Hause! In demselben Haus aber bleibt, esst und trinkt, was man euch vorsetzt.“ (Lk 10,4-8)

Wenn einen die Pflicht auffrisst

Jesus war durch und durch Mensch, ein Mensch mit Hunger, Durst und Müdigkeit. Marta nimmt ihn auf und kommt damit der heiligen Pflicht der
Gastfreundschaft nach. Sie kümmert sich um Leib und Seele. Sie tut, was sich gehört, und sie tut es auch von Herzen.
Genaugenommen wird sie ja eigentlich gar nicht getadelt von Jesus. „Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“ Jesus schaut seelsorgerlich und genau hin. Er erkennt an, was sie an ihm tut. Er lässt es sich auch gerne gefallen. Ich bin mir sicher, es hat ihm dort auch geschmeckt.
Doch Jesus stellt fest, dass Marta von ihrem Tun völlig in Anspruch genommen wird. Hier steht im Griechischen ein Wort, das nur an dieser
Stelle vorkommt. Es ist sehr massiv gemeint: Marta lässt sich richtiggehend auffressen von ihrem Tun. Sie ist in hektischer, ängstlicher Betriebsamkeit gefangen. Und: Sie beklagt sich öffentlich über ihre Schwester, die ihr bei der
Arbeit zusieht, und will Jesus auf ihre Seite ziehen.

Schauen, was gerade dran ist

So tadelt Jesus genau genommen nicht die tätige Marta, sondern er verteidigt die hörende Maria. Gastfreundschaft hin oder her: Sie hat
begriffen, wer da zu Besuch ist. Das „gute Teil“ hat sie damit erwählt, etwas Gutes, das in diesem Moment Richtige. Das soll ihr nicht genommen werden. Aber: Das „gute“ Teil, nicht das bessere Teil. Jesus wertet nicht. Er wertet auch nicht ab.

Ich stelle mir vor, wie die Geschichte auch andersherum hätte laufen können: Maria hätte sagen können: „Herr, stört es dich nicht, dass meine Schwester jetzt so eine Hektik verbreitet und gar keine Ohren für deine Worte hat? Sag ihr doch, sie soll sich auch hinsetzen.“ Dann hätte Jesus vielleicht gesagt: „Maria, Maria, du hast ja recht, aber bedenke, wenn deine Schwester
nicht wäre, dann könnten wir beide jetzt nicht so ruhig hier sitzen.“

Wenn eine Begegnung die letzte ist

Hüten wir uns also davor, das eine gegen das andere auszuspielen: das tätige Zupacken aus dem Glauben heraus, und das stille und konzentrierte
Hinhören auf Gott. Beides ist nötig. Doch es kommt darauf an, was in einer ganz bestimmten Situation gerade dran ist. Deswegen sagt Jesus: Maria hat gemerkt, was die Stunde geschlagen hat. Sie tut, was in diesem Moment wichtig ist. Sie hat die Situation erkannt.
Welche Situation meint aber nun Jesus? Ein Kapitel weiter vorne: „Es begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, da wandte Jesus sein Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern.“ (Lk 9,51) Jesus ist auf dem Weg ins Leiden. Den Weg, den er jetzt geht, wird er kein zweites Mal gehen. Jede Begegnung mit ihm ist letzte Begegnung, jede Begegnung ist auch schon Abschied. Jedes Wort ist letztes Wort, ist eine Art Testament. Was jetzt versäumt wird, kann man nicht wieder zurückholen.
Das hat Maria offenbar begriffen. Es gibt im Leben, es gibt bei der Begegnung mit Gott Gelegenheiten, die man beim Schopf packen muss,
weil sie nicht wiederkehren. Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Da gelten dann nicht so sehr Etikette, Anstand, Tradition, bürgerliche Vorschriften, geschweige denn das Reden der
anderen.

Maria und Marta unter uns

Und damit sind wir schon mitten im Nachdenken darüber, wo wir in dieser Geschichte von Maria und Marta unseren Platz haben könnten. Wir alle, denn es gibt auch männliche Martas und Marias.
Geschichten laden ein, sich hineinzuversetzen. Geschichten laden ein, wie
man mit einem Fremdwort sagt, sich mit den Personen zu identifizieren. Und so wird dem einen die Maria und dem anderen die Marta sympathischer sein. So wird einer eher das Verhalten der Maria verstehen können und der andere das der Marta.

So sind die einen von uns mehr wie Marta: Sie wissen etwas mit ihren Händen anzufangen. Sie sind aktiv. Sie sehen die Arbeit, was es auch sei. Sie packen gerne zu und denken nicht erst lange nach. Und die anderen sind mehr wie Maria: Sie hören gerne zu, ziehen sich auch gerne zurück, können auch mal verträumt eine Arbeit liegenlassen.

Maria und Marta in der Kirchengemeinde

Und wenn solche Menschen dann glaubende Menschen sind, dann gilt dasselbe: Die einen sind die Aktiven in einer Kirchengemeinde, die, die gerne zupacken und helfen. Sie tun es gerne. Und sie jammern nicht über ihre Arbeit. Und die anderen sehen rechtes Christsein v.a. in der Stille, im Gebet, im Gottesdienst, im Leben von Gruppen und Kreisen.

So verstehe ich Jesus: Beide werden gebraucht je mit ihrer Art. Sie werden gebraucht auf der Welt, aber auch in einer Gemeinde. Keiner soll meinen, er habe mit seiner Art das bessere Teil erwählt, das eigentliche, und dadurch den anderen abwerten. Die einen sind auf die anderen angewiesen. Gäbe es in einer Kirchengemeinde nur Marias, dann wäre sie wohl eine sehr fromme und innerliche Gemeinde, aber es stünde vielleicht schlecht um die Menschen, die Hilfe brauchen, es stünde vielleicht schlecht um die kirchlichen Gebäude.
Und gäbe es nur Martas, dann geschähe in einer Gemeinde zwar nach außen sehr viel. Die Gemeinde wäre sehr aktiv. Aber Gott und die Seele kämen vielleicht zu kurz. Zuletzt wüssten viele gar nicht mehr, wofür sie sich eigentlich einsetzen.
Die Visitation in der vorletzten Woche hat gezeigt, dass wir Gott sei Dank beides in der Gemeinde haben, und dass beides eigentlich auch in einem ausgeglichenen Verhältnis steht.

Maria und Marta in uns selbst

Was könnten wir daraus lernen, wenn wir uns heimlich in Maria oder Marta wiederentdecken? So wie beide, die Martas und die Marias, ihr Stärken haben, haben sie auch ihre Schwächen und stehen manchmal in der Gefahr, einseitig zu werden:
Die einen vergessen vor lauter Geschäftigkeit vielleicht, dass auch einmal ihre Seele zur Ruhe kommen muss, dass die Lösung vieler seelischen Fragen nur in der Stille geschehen kann. Und: Nur aus dem Hören heraus
bekommt alles Tun seine Richtung, wenn es nicht ziellos oder hektisch werden soll. „In der Ruhe liegt die Kraft.“ So sagt es das Sprichwort. Und die größte innere Gefahr: Geschäftigkeit kann zur Flucht vor sich selbst und vor Gott werden. Da stürzt sich jemand in Aktivität, weil er die Stille nicht erträgt und die Gedanken und Botschaften, die in der Stille kommen würden.

Und die anderen vergessen über der Stille, dem Gebet und der Bibel vielleicht die Menschen und die Probleme um sich herum. Manchmal braucht jemand gerade kein Gebet mit vielen Worten, sondern ganz einfach eine wortlos helfende, zupackende Hand. Nicht umsonst steht unmittelbar vor Maria und Marta die Erzählung vom barmherzigen Samariter, der zupackte und half,
ohne viel nachzudenken. Und er hebt sich dabei deutlich ab von den beiden frommen Menschen, die vorbeigehen und vorbeisehen.

Zuletzt: Ich habe bisher zu einseitig eingeteilt in Martas und Marias. Doch die Welt und die Menschen sind selten schwarz-weiß. Wir sind normalerweise Marta und Maria in einem, wenn auch von der einen etwas mehr und der
anderen etwas weniger. Wo müssen wir vielleicht um unseres inneren Ausgleichs und um der seelischen und körperlichen Gesundheit willen
die eine Seite in uns ein wenig bremsen und die andere ein wenig fortentwickeln und pflegen?

Worauf es vielleicht gerade ankommt

Immer wieder neu sehen, worauf es gerade ankommt: „Eins ist not“, sagt Jesus, und meint damit nicht, dass immer nur das Hören auf Gott das Notwendigste sei, so wie in dieser Geschichte. Das eine, das notwendig ist, ist immer etwas anderes, je nach der Situation. Einmal muss ich zupacken, ohne lange nachzudenken und hin und her abzuwägen. Das andere Mal muss ich wieder alles stehen und liegen lassen und still sein und hören, um
meinetwillen und um Gottes willen.

Dass wir beides auseinanderhalten können und auch zur rechten Zeit das Rechte tun, das schenke uns Gott.
„Herr, gib uns Mut zum Dienen, wo's heute nötig ist. Wir danken dir, dass du dann bei uns bist.
Herr, gib uns Mut zur Stille, zum Schweigen und zum Ruh'n. Wir danken dir, du willst uns Gutes tun.“
Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de