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Die Predigt |
Die Gastfreundschaft
ist heilig
Marta, die Tätige, die Fleißige, die Umtriebige kommt schlecht
weg in dieser
Erzählung. Oder genauer gesagt: Marta kam in der Geschichte der
Kirche oft schlecht weg. Müssten nicht wenigstens die Hausfrauen
sie spontan verteidigen, die diese Situation nur zu gut kennen: Der
Besuch kommt ein wenig zeitig. Die Mutter macht in der Küche
noch die letzten Vorbereitungen. Alles soll ja 100-prozentig sein.
Der Mann unterhält derweil schon einmal
die Gäste.
Man muss Marta doch verstehen: Sie nimmt den wandernden Jesus gastfreundlich
auf. Und wie nötig, ja lebensnotwendig diese Aufnahme für
Jesus ist, das dürfen wir ja nicht vergessen. Ist er doch schließlich
der, der ein Kapitel weiter vorne von sich sagt: „Die Füchse
haben Gruben, die Vögel haben Nester. Doch der Menschensohn hat
nichts, wo er sein Haupt hinlege.“ (Lk 9,58) Und sicher
galt auch für ihn, was zu Beginn des Kapitels von der Aussendung
der Jünger zu lesen ist: „Geht hin. Tragt keinen Geldbeutel
bei euch, keine Tasche und keine Schuhe. Wenn ihr in ein Haus kommt,
sprecht: Friede sei diesem Hause! In demselben Haus aber bleibt, esst
und trinkt, was man euch vorsetzt.“ (Lk 10,4-8)
Wenn einen die Pflicht auffrisst
Jesus war durch und durch Mensch, ein Mensch mit Hunger, Durst und
Müdigkeit. Marta nimmt ihn auf und kommt damit der heiligen Pflicht
der
Gastfreundschaft nach. Sie kümmert sich um Leib und Seele. Sie
tut, was sich gehört, und sie tut es auch von Herzen.
Genaugenommen wird sie ja eigentlich gar nicht getadelt von Jesus.
„Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe.“ Jesus
schaut seelsorgerlich und genau hin. Er erkennt an, was sie an ihm
tut. Er lässt es sich auch gerne gefallen. Ich bin mir sicher,
es hat ihm dort auch geschmeckt.
Doch Jesus stellt fest, dass Marta von ihrem Tun völlig in Anspruch
genommen wird. Hier steht im Griechischen ein Wort, das nur an dieser
Stelle vorkommt. Es ist sehr massiv gemeint: Marta lässt sich
richtiggehend auffressen von ihrem Tun. Sie ist in hektischer, ängstlicher
Betriebsamkeit gefangen. Und: Sie beklagt sich öffentlich über
ihre Schwester, die ihr bei der
Arbeit zusieht, und will Jesus auf ihre Seite ziehen.
Schauen, was gerade dran ist
So tadelt Jesus genau genommen nicht die tätige Marta, sondern
er verteidigt die hörende Maria. Gastfreundschaft hin oder her:
Sie hat
begriffen, wer da zu Besuch ist. Das „gute Teil“ hat sie
damit erwählt, etwas Gutes, das in diesem Moment Richtige. Das
soll ihr nicht genommen werden. Aber: Das „gute“ Teil,
nicht das bessere Teil. Jesus wertet nicht. Er wertet auch nicht ab.
Ich stelle mir vor, wie die Geschichte auch andersherum hätte
laufen können: Maria hätte sagen können: „Herr,
stört es dich nicht, dass meine Schwester jetzt so eine Hektik
verbreitet und gar keine Ohren für deine Worte hat? Sag ihr doch,
sie soll sich auch hinsetzen.“ Dann hätte Jesus vielleicht
gesagt: „Maria, Maria, du hast ja recht, aber bedenke, wenn
deine Schwester
nicht wäre, dann könnten wir beide jetzt nicht so ruhig
hier sitzen.“
Wenn eine Begegnung die letzte ist
Hüten wir uns also davor, das eine gegen das andere auszuspielen:
das tätige Zupacken aus dem Glauben heraus, und das stille und
konzentrierte
Hinhören auf Gott. Beides ist nötig. Doch es kommt darauf
an, was in einer ganz bestimmten Situation gerade dran ist. Deswegen
sagt Jesus: Maria hat gemerkt, was die Stunde geschlagen hat. Sie
tut, was in diesem Moment wichtig ist. Sie hat die Situation erkannt.
Welche Situation meint aber nun Jesus? Ein Kapitel weiter vorne: „Es
begab sich aber, als die Zeit erfüllt war, da wandte Jesus sein
Angesicht, stracks nach Jerusalem zu wandern.“ (Lk 9,51)
Jesus ist auf dem Weg ins Leiden. Den Weg, den er jetzt geht, wird
er kein zweites Mal gehen. Jede Begegnung mit ihm ist letzte Begegnung,
jede Begegnung ist auch schon Abschied. Jedes Wort ist letztes Wort,
ist eine Art Testament. Was jetzt versäumt wird, kann man nicht
wieder zurückholen.
Das hat Maria offenbar begriffen. Es gibt im Leben, es gibt bei der
Begegnung mit Gott Gelegenheiten, die man beim Schopf packen muss,
weil sie nicht wiederkehren. Außergewöhnliche Situationen
erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Da gelten dann
nicht so sehr Etikette, Anstand, Tradition, bürgerliche Vorschriften,
geschweige denn das Reden der
anderen.
Maria und Marta unter uns
Und damit sind wir schon mitten im Nachdenken darüber, wo wir
in dieser Geschichte von Maria und Marta unseren Platz haben könnten.
Wir alle, denn es gibt auch männliche Martas und Marias.
Geschichten laden ein, sich hineinzuversetzen. Geschichten laden ein,
wie
man mit einem Fremdwort sagt, sich mit den Personen zu identifizieren.
Und so wird dem einen die Maria und dem anderen die Marta sympathischer
sein. So wird einer eher das Verhalten der Maria verstehen können
und der andere das der Marta.
So sind die einen von uns mehr wie Marta: Sie wissen etwas mit ihren
Händen anzufangen. Sie sind aktiv. Sie sehen die Arbeit, was
es auch sei. Sie packen gerne zu und denken nicht erst lange nach.
Und die anderen sind mehr wie Maria: Sie hören gerne zu, ziehen
sich auch gerne zurück, können auch mal verträumt eine
Arbeit liegenlassen.
Maria und Marta in der Kirchengemeinde
Und wenn solche Menschen dann glaubende Menschen sind, dann gilt dasselbe:
Die einen sind die Aktiven in einer Kirchengemeinde, die, die gerne
zupacken und helfen. Sie tun es gerne. Und sie jammern nicht über
ihre Arbeit. Und die anderen sehen rechtes Christsein v.a. in der
Stille, im Gebet, im Gottesdienst, im Leben von Gruppen und Kreisen.
So verstehe ich Jesus: Beide werden gebraucht je mit ihrer Art. Sie
werden gebraucht auf der Welt, aber auch in einer Gemeinde. Keiner
soll meinen, er habe mit seiner Art das bessere Teil erwählt,
das eigentliche, und dadurch den anderen abwerten. Die einen sind
auf die anderen angewiesen. Gäbe es in einer Kirchengemeinde
nur Marias, dann wäre sie wohl eine sehr fromme und innerliche
Gemeinde, aber es stünde vielleicht schlecht um die Menschen,
die Hilfe brauchen, es stünde vielleicht schlecht um die kirchlichen
Gebäude.
Und gäbe es nur Martas, dann geschähe in einer Gemeinde
zwar nach außen sehr viel. Die Gemeinde wäre sehr aktiv.
Aber Gott und die Seele kämen vielleicht zu kurz. Zuletzt wüssten
viele gar nicht mehr, wofür sie sich eigentlich einsetzen.
Die Visitation in der vorletzten Woche hat gezeigt, dass wir Gott
sei Dank beides in der Gemeinde haben, und dass beides eigentlich
auch in einem ausgeglichenen Verhältnis steht.
Maria und Marta in uns selbst
Was könnten wir daraus lernen, wenn wir uns heimlich in Maria
oder Marta wiederentdecken? So wie beide, die Martas und die Marias,
ihr Stärken haben, haben sie auch ihre Schwächen und stehen
manchmal in der Gefahr, einseitig zu werden:
Die einen vergessen vor lauter Geschäftigkeit vielleicht, dass
auch einmal ihre Seele zur Ruhe kommen muss, dass die Lösung
vieler seelischen Fragen nur in der Stille geschehen kann. Und: Nur
aus dem Hören heraus
bekommt alles Tun seine Richtung, wenn es nicht ziellos oder hektisch
werden soll. „In der Ruhe liegt die Kraft.“ So sagt es
das Sprichwort. Und die größte innere Gefahr: Geschäftigkeit
kann zur Flucht vor sich selbst und vor Gott werden. Da stürzt
sich jemand in Aktivität, weil er die Stille nicht erträgt
und die Gedanken und Botschaften, die in der Stille kommen würden.
Und die anderen vergessen über der Stille, dem Gebet und der
Bibel vielleicht die Menschen und die Probleme um sich herum. Manchmal
braucht jemand gerade kein Gebet mit vielen Worten, sondern ganz einfach
eine wortlos helfende, zupackende Hand. Nicht umsonst steht unmittelbar
vor Maria und Marta die Erzählung vom barmherzigen Samariter,
der zupackte und half,
ohne viel nachzudenken. Und er hebt sich dabei deutlich ab von den
beiden frommen Menschen, die vorbeigehen und vorbeisehen.
Zuletzt: Ich habe bisher zu einseitig eingeteilt in Martas und Marias.
Doch die Welt und die Menschen sind selten schwarz-weiß. Wir
sind normalerweise Marta und Maria in einem, wenn auch von der einen
etwas mehr und der
anderen etwas weniger. Wo müssen wir vielleicht um unseres inneren
Ausgleichs und um der seelischen und körperlichen Gesundheit
willen
die eine Seite in uns ein wenig bremsen und die andere ein wenig fortentwickeln
und pflegen?
Worauf es vielleicht gerade ankommt
Immer wieder neu sehen, worauf es gerade ankommt: „Eins ist
not“, sagt Jesus, und meint damit nicht, dass immer nur das
Hören auf Gott das Notwendigste sei, so wie in dieser Geschichte.
Das eine, das notwendig ist, ist immer etwas anderes, je nach der
Situation. Einmal muss ich zupacken, ohne lange nachzudenken und hin
und her abzuwägen. Das andere Mal muss ich wieder alles stehen
und liegen lassen und still sein und hören, um
meinetwillen und um Gottes willen.
Dass wir beides auseinanderhalten können und auch zur rechten
Zeit das Rechte tun, das schenke uns Gott.
„Herr, gib uns Mut zum Dienen, wo's heute nötig ist.
Wir danken dir, dass du dann bei uns bist.
Herr, gib uns Mut zur Stille, zum Schweigen und zum Ruh'n. Wir danken
dir, du willst uns Gutes tun.“ Amen |
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