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Die Predigt vom 21. Februar 1999: »Von Adam, Eva und der Schlange«


Kirchenjahr

Evangelisches Kirchenjahr

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 1. Sonntag der Passionszeit. Thema dieses Sonntags ist die Versuchung, der Reiz, Grenzen zu überschreiten. Predigttext war die Erzählung vom sogenannten "Sündenfall" im 1. Buch Mose Kapitel 3:

Predigttext

1 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet! 4 Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. 6 Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß. 7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? 12 Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. 13 Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß. 14 Da sprach Gott der HERR zu der Schlange: Weil du das getan hast, seist du verflucht, verstoßen aus allem Vieh und allen Tieren auf dem Felde. Auf deinem Bauche sollst du kriechen und Erde fressen dein Leben lang. 15 Und ich will Feindschaft setzen zwischen dir und dem Weibe und zwischen deinem Nachkommen und ihrem Nachkommen; der soll dir den Kopf zertreten, und du wirst ihn in die Ferse stechen. 16 Und zum Weibe sprach er: Ich will dir viel Mühsal schaffen, wenn du schwanger wirst; unter Mühen sollst du Kinder gebären. Und dein Verlangen soll nach deinem Manne sein, aber er soll dein Herr sein. 17 Und zum Manne sprach er: Weil du gehorcht hast der Stimme deines Weibes und gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot und sprach: Du sollst nicht davon essen -, verflucht sei der Acker um deinetwillen! Mit Mühsal sollst du dich von ihm nähren dein Leben lang. 18 Dornen und Disteln soll er dir tragen, und du sollst das Kraut auf dem Felde essen. 19 Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist. Denn du bist Erde und sollst zu Erde werden. 20 Und Adam nannte sein Weib Eva; denn sie wurde die Mutter aller, die da leben. 21 Und Gott der HERR machte Adam und seinem Weibe Röcke von Fellen und zog sie ihnen an. 22 Und Gott der HERR sprach: Siehe, der Mensch ist geworden wie unsereiner und weiß, was gut und böse ist. Nun aber, daß er nur nicht ausstrecke seine Hand und breche auch von dem Baum des Lebens und esse und lebe ewiglich! 23 Da wies ihn Gott der HERR aus dem Garten Eden, daß er die Erde bebaute, von der er genommen war. 24 Und er trieb den Menschen hinaus und ließ lagern vor dem Garten Eden die Cherubim mit dem flammenden, blitzenden Schwert, zu bewachen den Weg zu dem Baum des Lebens.

Predigt

Eine bekannte Geschichte

Es gibt biblische Geschichten, die ein jeder kennt. Sie gehören zur Allgemeinbildung. So geht es auch mit der folgenden. Man muß nicht als Christ aufgewachsen sein, man muß die Bibel nicht weiter kennen, und sagt doch gleich aha:

Eine Schlange verführt eine Frau. Die Frau verführt den Mann. Die Sache geht schief. Das Paradies ist verloren. Einzelne bekannte Sätze kommen hinzu: "Ihr werdet sein wie Gott." Oder: "Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, bis du wieder zu Erde werdest, davon du genommen bist."

Bei vielen Menschen stellen sich in Gedanken Bilder ein: Zwei nackte Menschen sitzen oder stehen friedlich unter einem prächtigen Baum. Pralle Formen hat die Frau, vielleicht einen Apfel in der Hand. Und um den Stamm des Baumes herum windet sich eine Schlange, die sich den beiden zuwendet.

Wahr oder nicht wahr?

Immer wieder machen sich alte oder junge Spötter über diese Geschichte lustig. Das ist kein Kunst: Eine Schlange, die sprechen kann. Adam und Eva als die beiden ersten und einzigen Menschen. Ein Paradiesgarten wie ein Schlaraffenland. Ein Gott, der am Nachmittag im schattigen Garten spazierengeht wie ein gutmütiger Pensionist. Ein Gott, der am Ende den beiden Kleider aus Fell bastelt, so wie ein Kind die Puppen in seiner Puppenstube anzieht.

Die Spötter übersehen, daß eine Geschichte gleichzeitig uralt und doch hochaktuell sein kann. Vordergründig und oberflächlich denkend kennen sie den Unterschied zwischen "wirklich" und "wahr" nicht. Sie übersehen, daß eine Geschichte, auch wenn sie sich nicht wirklich so zugetragen hat, doch zutiefst wahr sein kann.

Eine Geschichte von dir und mir

Und so erzählt auch diese Geschichte von Adam und Eva, von der Schlange und von Gott tiefgründige Wahrheiten über den Menschen. Nicht nur den damaligen, sondern auch den heutigen.

Adam ist hier kein Eigenname. Das hebräische "adam" heißt Mensch. Und noch genauer: der von der Erde gemachte, der vergängliche. Adam und Eva, das sind du und ich. Adam und Eva, das ist der Mensch allgemein, der von Gott als Mann und Frau gedacht und geschaffen ist. Der Mensch mit seinen männlichen und seinen weiblichen Anteilen und Charakterzügen. Und die Schlage, das Tier mit der gespaltenen Zunge, das ist die innere Stimme der Versuchung, die Stimme der Unzufriedenheit. Nichts Fremdes von außen, auf das man bequem die Schuld schieben könnte, sondern der satte Mensch selbst, der alles hat, und sich doch nicht zufrieden geben kann.

Vom Menschen, der seine Grenzen überschreitet

Und so erzählt die Geschichte zuallererst von dem Menschen, der sich nicht zufrieden geben kann, und die Grenzen, die ihm gesetzt sind, überschreitet:

1 Aber die Schlange war listiger als alle Tiere auf dem Felde, die Gott der HERR gemacht hatte, und sprach zu dem Weibe: Ja, sollte Gott gesagt haben: ihr sollt nicht essen von allen Bäumen im Garten? 2 Da sprach das Weib zu der Schlange: Wir essen von den Früchten der Bäume im Garten; 3 aber von den Früchten des Baumes mitten im Garten hat Gott gesagt: Esset nicht davon, rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht sterbet!

Listig, hinterlistig und verführerisch sind die Einflüsterungen der Unzufriedenheit. Warum soll es für dich Grenzen geben? Warum darfst du nicht alles haben? Wer verbietet es dir? Gott hat dem Menschen in dieser alten Geschichte eine Menge, ja fast alles geschenkt: Die Erde als Heimat, noch dazu in einer Form, daß es für alle reichen könnte. Einen Partner bzw. eine Partnerin. Herr darf er sein auf dieser Erde, doch in den Grenzen, die Gott ihm gesetzt hat. Und diese Grenzen sind keine Gängelung, sondern entspringen der Liebe und der Verantwortung des Schöpfers gegenüber dem Geschöpf.

Doch der Mensch, der alles hat, möchte auch die letzte Grenze überschreiten. Mißtrauen bestimmt ihn: Ist die letzte Grenze nicht doch nur eine Gängelung Gottes? Wer weiß, was er uns eifersüchtig vorenthalten will? "Vom Sündenfall", so wird diese Geschichte immer wieder überschrieben. Sünde ist hier nicht der einmalige, einfache Ausrutscher des Adam und der Eva. Sünde ist, daß der Mensch frei sein will. Frei sein von Gottes Grenzen. Frei sein wie Gott. Frei sein von Gott. Sünde ist das Mißtrauen des Geschöpfes, ob es der der Schöpfer wirklich gut mit ihm meine, oder ihm gar vielleicht etwas vorenthalten will. Sünde ist Egoismus. Sünde ist, seinen eigenen Vorteil suchen. Seine Grenzen überschreiten. Gott spielen wollen. Leben, als gäbe es keinen Gott.

Was das praktisch heißt, muß ein jeder für sich selbst und müßten wir miteiander im Gespräch durchbuchstabieren. Es beginnt beim kleinen Mann, der fragt: "Sollte Gott wirklich gesagt haben: Du sollst nicht stehlen? Muß man sich nicht listig gegen die Raubritter im Finanzamt verteidigen?" Und es endet bei den Politikern, die Herr über Leben und Tod spielen, und bei den Wissenschaftlern, die mutig die Kraft des Atoms zähmen und die Geheimnisse der Gene restlos entschlüsseln wollen. Letztlich nicht um der Neugier, sondern um der Macht willen.

Und dann entdeckt man auch das tiefgründige Geheimnis, weswegen Gott den Menschen davor bewahren wollte: Der Mensch wird wirklich wie Gott, wenn er seine Grenzen überschreitet: er wird grenzenlos. Der grenzenlose Gott erweckt Ehrfurcht, der grenzenlose Mensch macht Angst.

Die Versuchung

4 Da sprach die Schlange zum Weibe: Ihr werdet keineswegs des Todes sterben, 5 sondern Gott weiß: an dem Tage, da ihr davon esset, werden eure Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist. 6 Und das Weib sah, daß von dem Baum gut zu essen wäre und daß er eine Lust für die Augen wäre und verlockend, weil er klug machte. Und sie nahm von der Frucht und aß und gab ihrem Mann, der bei ihr war, auch davon, und er aß.

"Und sie nahm von der Frucht." Ein Apfel soll es gewesen sein. Das steht nicht hier. Vielleicht deswegen ein Apfel, weil es die typisch deutsche Frucht ist. Die verführerische Frucht, die auch die böse Stiefmutter dem Schneewittchen hinhält. Vielleicht auch, weil im Lateinischen der Apfel und das Böse dasselbe Wort sind. Es heißt immer wieder, der Mann komme hier besser weg. Die Frau habe sich verführen lassen. Doch das ist rein äußerlich. Und überhaupt: Die Frau überlegt noch hin und her, bevor sie zugreift. Der Mann ißt einfach. Das große Wort führt er erst hinterher.

7 Da wurden ihnen beiden die Augen aufgetan, und sie wurden gewahr, daß sie nackt waren, und flochten Feigenblätter zusammen und machten sich Schurze. 8 Und sie hörten Gott den HERRN, wie er im Garten ging, als der Tag kühl geworden war. Und Adam versteckte sich mit seinem Weibe vor dem Angesicht Gottes des HERRN unter den Bäumen im Garten. 9 Und Gott der HERR rief Adam und sprach zu ihm: Wo bist du? 10 Und er sprach: Ich hörte dich im Garten und fürchtete mich; denn ich bin nackt, darum versteckte ich mich. 11 Und er sprach: Wer hat dir gesagt, daß du nackt bist? Hast du nicht gegessen von dem Baum, von dem ich dir gebot, du solltest nicht davon essen? 12 Da sprach Adam: Das Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß. 13 Da sprach Gott der HERR zum Weibe: Warum hast du das getan? Das Weib sprach: Die Schlange betrog mich, so daß ich aß.

Vom Menschen, der sich versteckt

In einem zweiten Schwerpunkt erzählt die Geschichte schonungslos, wie der Mensch, der ertappt wird oder sich ertappt fühlt, reagiert: Erst versteckt er sich scheinheilig: "Ich fürchtete mich, denn ich bin nackt." Dann will er sich herausreden und die Schuld wegschieben: "Das Weib gab mir von dem Baum." Und zu guter letzt ist Gott an allem schuld: "Das Weib, das du mir zugesellt hast." Und genauso auch die Frau: "Die Schlange betrog mich." Auf deutsch: Ja, lieber Gott, hättest du nicht die Versuchung gemacht, wäre ich nicht darauf reingefallen.

Und auch hier müßte wieder jeder einzelne von uns durchbuchstabieren, wo er sich selber ertappt fühlt und merkt, wie die Beschreibung schonungslos auf ihn zutrifft. "Ich kann nichts dafür. Das ist halt nun einmal die heutige Zeit. Man muß doch mit der Zeit gehen. Man kann sich doch der Entwicklung nicht in den Weg stellen wollen." Und doch fühlt man sich von Gott durchschaut, splitternackt vor dem Schöpfer, vor dem man sich auch mit noch so großen Feigenblättern nicht verstecken kann. Und eine Stimme fragt: "Adam, Mensch, wo bist du? Warum versteckst du dich? Warum kannst du deinem Gott nicht in die Augen schauen?"

Wie es dann noch weitergeht

Stoff für eine ganze Reihe von Predigten gibt die Geschichte her, wenn man einmal erkannt hat, daß sie von heute redet und von dir und mir. Lesen Sie ganz einfach selber weiter, zu Hause. Ganz vorne in der Bibel, im dritten Kapitel. Lesen Sie von dem Gott, der zwar nicht beide Augen zudrückt, aber dennoch den Menschen, so wie er nun einmal ist, gnädig leben läßt. Lesen Sie davon, warum sich Menschen oft so plagen müssen und warum das Paradies verschlossen ist. Und hoffen Sie mit mir, daß der Mensch wenigstens die Finger von der allerletzten Grenze läßt, die ihn gottgleich machen würde. Denn ich will lieber in die Hand Gottes als in die Hand des Menschen fallen.

Einer hat widerstanden

Schließen will ich mit dem Hinweis auf das Evangelium des heutigen Sonntags, die Gegengeschichte zum Sündenfall. Jesus, der neue Adam, der Adam des Neuen Testamentes, hält den Einflüsterungen der Schlange stand. Es winkt ihm unendliche Macht. Und doch er läßt sich, obwohl er doch Gott gleich war, nicht hinreißen, seine Grenzen zu überschreiten und Gott gleich zu werden. Er möge uns in unseren Versuchungen beistehen.

Ach bleib mit deiner Gnade bei uns, Herr Jesu Christ, daß uns hinfort nicht schade des bösen Feindes List. Amen


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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de