Die Predigt vom Karfreitag 2. April 1999: »Karfreitag im Kosovo«
Kirchenjahr
Evangelisches
Kirchenjahr
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Die christliche Kirche beging am
Freitag den Karfreitag (von chara = Trauer) im Gedenken an den Tod Jesu von
Nazareth am Kreuz im Jahr 30. Predigttext war der Passionsbericht des Lukas im
23. Kapitel. Ich konnte darüber nicht predigen, ohne an den Krieg im
Kosovo zu denken. |
Predigttext
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Lutherbibel nachlesen. (Weitere
Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.) |
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33 Und als sie kamen
an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie
ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur
Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was
sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum. 35 Und das
Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern
geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte
Gottes. 36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm
Essig 37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es
war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König. 39
Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und
sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies ihn der
andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der
du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir
empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan. 42
Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! 43 Und
Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies
sein. 44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über
das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne verlor ihren Schein, und
der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. 46 Und Jesus rief laut: Vater,
ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte,
verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und
sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen! 48 Und als alles
Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an
ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen aber alle seine Bekannten von
ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen
das alles.
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Predigt |
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Die Karfreitage dieser Welt
Der Karfreitag damals im Jahr 30 unserer Zeitrechnung, dessen wir heute
gedenken, ist leider nicht der erste und auch nicht der letzte Karfreitag dieser
Welt gewesen. So wie damals ein Unschuldiger durch die Intrige und das Drängen
der Oberen und durch die Hand von Befehlsempfängern zu Tode kam, so ist es
auch heute wieder. Und wie damals schaffen es die Oberen, auch ein Volk
aufzuwiegeln. Und immer wieder enden die Karfreitage mit der ohnmächtigen
Frage: "Wo ist Gott?" "Warum läßt er die Menschen gewähren?
Warum greift er nicht ein?"
Karfreitag im KZ
Aus einem Buch des jüdischen Schriftstellers Elie Wiesel mit seinen
KZ-Erlebnissen, das den Titel "Die Nacht" trägt:
"Drei gefesselte Todeskandidaten, darunter der kleine Pipel, der Engel
mit den traurigen Augen. Die SS schien besorgter, beunruhigter als gewöhnlich.
Ein Kind vor Tausenden von Zuschauern zu hängen, war keine Kleinigkeit. Der
Lagerchef verlas das Urteil. Alle Augen waren auf das Kind gerichtet. Es war
aschfahl, aber fast ruhig und biß sich auf die Lippen. Der Schatten des
Galgen bedeckte es ganz... Die drei Verurteilten stiegen zusammen auf ihre
Stühle. Drei Hälse wurden zu gleicher Zeit in die Schlingen eingeführt.
"Es lebe die Freiheit!" riefen die beiden Erwachsenen. Das Kind
schwieg. Auf ein Zeichen des Lagerchefs kippten die Stühle um... Die Männer
starben rasch, der Todeskampf des Jungen dauerte eine halbe Stunde. "Wo
ist Gott, wo ist er?" fragte jemand hinter mir. ...Und ich hörte eine
Stimme in mir antworten: "Wo er ist? Hier ist er ... Er hängt dort am
Galgen ..."
Leider konnte ich den Text auf die Schnelle nicht genau
bekommen. Ich zitiere nach: Gerhard Bodendorfer, "Recht schaffe er dem Mann
bei Gott" - Zum Umgang mit der dunklen Seite Gottes (Vortrag)
Quelle
und nach W. Hoffsümmer, 255 Kurzgeschichten, 1981, S. 41
Karfreitag im Kosovo
Kann man heuer Karfreitag feiern, ohne an Jugoslawien zu denken? Kann
man sich den unschuldig gefolterten, geschmähten und sterbenden Jesus vor
Augen halten, ohne an die unschuldig Gefolterten, Geschmähten und
Sterbenden dort unten zu denken? Und das nicht nur wegen der Botschaft, es seien
auch dort wieder Konzentrationslager eingerichtet worden. Wacht nicht auch jetzt
wieder die ohnmächtige Frage auf: Wo ist Gott? Warum läßt er das
Böse gewähren?
Die teufliche Zwickmühle des Krieges
In eine teuflische Zwickmühle hat das Geschehen dort die Politiker
und auch den Fernsehzuschauer geführt. Eine Zwickmühle, aus der sich
keiner einfach befreien kann. So hat sie Bischof Kock, der Vorsitzende des Rates
der Evangelischen Kirche zu Beginn dieser Woche in Worte gefaßt:
"Niemand kann gewährleisten, daß die militärische
Intervention den Konflikt zu einer dauerhaften Lösung führt. Nichts zu
tun, würde jedoch bedeuten, in anderer Weise schuldig zu werden. ... Wir
rufen zu Gott im Gebet, daß er den Weg zu einem friedlichen Ausgleich öffnet.
Denn wir bleiben der Überzeugung verpflichtet: Krieg soll nach Gottes
Willen nicht sein." (Quelle)
Und je länger das militärische Eingreifen andauert, ohne sein
angestrebtes Ziel zu erreichen, desto lauter wird nun im Laufe dieser Woche
gefragt, ob die Mittel wirklich die richtigen sind. Und so beginnt er aktuelle
Aufruf des Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof, Karl Lehmann,
und des Vorsitzenden des Rates der EKD, Präses Manfred Kock:
"Ohnmächtig stehen wir vor der Eskalation des Krieges in
Jugoslawien und insbesondere im Kosovo. Demütig müssen wir die Grenzen
unseres Handelns erkennen." (Quelle) Noch eindeutiger
wird in der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau
Stellung genommen.
Nein, Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein. So haben es die Kirchen
nach dem Ende des 2. Weltkrieges eindeutig formuliert, nachdem sie im 1. und 2.
Krieg oft genug noch auf beiden Seiten Waffen gesegnet haben. Doch auch die Tötung
und Vertreibung Unschuldiger soll nach Gottes Willen nicht sein. Wer Krieg führt,
ob nun als Oberer oder als Handlanger, macht sich nach Jesu Worten schuldig.
Doch wer zusieht und nicht eingreift, ebenso.
Der Krieg und das Kreuz Jesu
Was hat diese Zwickmühle mit dem Kreuz Jesu zu tun? So formuliert
es ein Theologe:
"Mir scheint, die Frage 'Wie kann Gott so viel Böses
zulassen?' ist selbst falsch gestellt. Denn Gott ist nach dem Neuen Testament
nicht Zulasser des Bösen, sondern Opfer des Bösen am Kreuz von
Golgatha, wo er in seinem Sohn für uns stirbt. Er sieht nicht zu, wie
Menschen leiden, sondern er leidet mit ihnen mit." (4) "Einen
Leidenden wird nur diese Lösung überzeugen: Gott geht mit dir mit
durchs Leid, damit du es nicht allein tragen mußt, und er holt es dadurch,
daß er mitgeht, ein! ... Gott ist kein unbeteiligter Zuschauer des Leides,
sondern sein Wesen besteht geradezu im Leiden, in der Liebe bis in den Tod. ...
Es gibt auf die Frage 'Warum läßt Gott so viel Böses zu?' keine
endgültige, höchstens eine vorläufige Antwort. ... Es gibt höchstens
die Gegenfrage: Warum lassen wir Menschen so viel Böses zu?"
(H.G.Pöhlmann, Atheismus als Herausforderung an Glaube und
Theologie, in: Nachrichten der Evang.-Luth. Kirche in Bayern Nr. 21/1980; ders.,
Der Atheismus oder der Streit um Gott, 1977, S. 184-186)
Gott auf der Seite der Leidenden
Diesen Gott, der dem Treiben der Menschen nicht genüßlich aus
seinem fernen Himmel heraus zusieht, sondern der sich bis zum bitteren Ende auf
die Seite der Leidenden stellt, entdecke ich wieder im Passionsbericht des
Lukas. Während der Evangelist Johannes, dessen Evangelium wir vorhin gehört
haben, den Sieg Jesu hervorhebt, betont Lukas die Zuwendung des Gekreuzigten zu
den Menschen um sich herum:
33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte,
kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten
und einen zur Linken. 34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen
nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.
35 Und das Volk stand da und sah zu.
Bis zuletzt bleibt Jesus seiner Sendung treu, daß er für
andere da ist und nicht für sich selbst und zu seiner eigenen Ehre: Und so
bittet er für die Soldaten, die nicht wissen, was sie tun. Sie sind
Befehlsempfänger und machen ihre Arbeit wie viele andere, die heute als
Befehlsempfänger ihrer Pflicht nachgehen. Und das Volk, so heißt es
hier, kann nur dastehen und zusehen. Wie mag es damals dem Volk gegangen sein?
Bis zuletzt hatten sie die Hoffnung, daß Frieden und Gerechtigkeit sich
durchsetzen könnten. Und dann setzt sich doch vor dem Fest die Maschinerie
in Bewegung, um das Problem aus der Welt zu schaffen.
Die Rolle der Oberen
Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er
helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes. 36 Es
verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig 37 und
sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber! 38 Es war aber über
ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.
Sind es nicht auch heute wieder die Oberen, die ihr Süppchen
kochen: auf Kosten des Volkes und auf Kosten der Soldaten? "Hilf dir
selber." spotten sie und kosten ihre teuflische Macht aus. Und Jesus läßt
die Spötter gewähren und geht nicht auf sie ein. Doch die spöttische
Frage: "Warum kann er sich nicht helfen? Warum tut Gott kein Wunder an
seinem Auserwählten und steht ihm bei?" ist sicher nicht nur die Frage
der Oberen, sondern auch des Volkes gewesen. Doch Gott läßt die
menschliche Übermacht gewähren und setzt die Naturgesetze nicht außer
Kraft.
Hinwendung zum Nächsten
39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte
ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns! 40 Da wies
ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor
Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist? 41 Wir sind es zwar mit Recht,
denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes
getan. 42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!
43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im
Paradies sein.
Jesus geht nicht auf das Gespött der Menge ein, sondern bleibt sich
treu, indem er sich wie immer schon des Einzelnen annimmt. In seinem eigenen
Leid hat er Augen für den Menschen neben sich und öffnet ihm sein
Herz.
Zwei Andeutungen, nicht Antworten, denn Antworten gibt es keine,
liegen darin für mich verborgen im Blick auf das aktuelle Geschehen.
Zum einen: Was da geschieht in Jugoslawien, ist für die aktiv Beteiligten
der Fluch der bösen Tat: Die angewendeten Mittel fallen auf einen selbst
zurück. Und zum anderen: Die ohnmächtig Zuschauenden müssen in
ihrer Ohnmacht wenigstens den Blick für die Leidenden behalten und ihnen
das Herz und den Geldbeutel öffnen.
Weil Jesus sich nicht auf die Logik der Mächtigen einläßt,
weil er sich bis zuletzt treu bleibt und der Macht abschwört, begreifen
wenigstens einige der Umstehenden:
44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine
Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, 45 und die Sonne
verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riß mitten entzwei. 46
Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und
als er das gesagt hatte, verschied er. 47 Als aber der Hauptmann sah, was da
geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch
gewesen! 48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da
geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. 49 Es standen
aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa
nachgefolgt waren, und sahen das alles.
Viele, so lese ich, haben aus dem damaligen Geschehen für ihr Leben
gelernt. Das Verantwortliche und Volk auch in diesen Tagen Entscheidendes für
die gemeinsame Zukunft lernen, ist meine inständige Hoffnung. Amen |
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