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Die Predigt |
Ist Gott wirklich
da?
Wir beginnen jeden unserer Gottesdienste "Im Namen des Vaters,
des Sohnes und des Heiligen Geistes" und vertrauen auf seine
Gegenwart. Doch
woher nehmen wir die Gewissheit, dass Gott wirklich da ist?
Ist Gott heute morgen hier unter uns? Und warum? Weil dieses Haus
halt eine Kirche ist? Weil dieses Haus ihm geweiht ist? Oder ist er
vielleicht eher dort, wo man sich heute unter Bäumen und im Freien
versammelt: im Park an der Hans-Richter-Straße, oder auf dem
Oschenberg, an der neuen
Stadtförsterei oder Schlosspark Fantaisie? Findet man ihn nicht
eher in der Natur, in seiner Schöpfung, im Wald? Einige unserer
getauften Mitchristen, die nicht den Gottesdienst besuchen, würden
das ausdrücklich betonen.
Und die Bibelfesten werden entgegnen: Hat nicht Jesus gesagt "Wo
zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten
unter
ihnen."? Aber, so fragt der Zweifler weiter: Sind wir wirklich
in seinem Namen versammelt? Sind wir vielleicht nur aus Gewohnheit
oder gar in unserem eigenen Namen da?
Darf man mit Gott rechnen?
Sie merken: Ich will Sie bewusst ein wenig verunsichern. Ich meine,
diese Verunsicherung sei heilsam. Unsere Sprache verrät uns:
Wir rechnen damit, dass Gott da ist. Aber darf man im wörtlichen
Sinne überhaupt mit ihm rechnen: Kann man ihn, der doch die Lösung
von allem ist, in eine Rechnung einbauen? Gar oft haben Menschen in
der Geschichte der Kirche ganz selbstverständlich mit Gott gerechnet,
und wir sehen es im Nachhinein sehr kritisch, z.B. als sie damals
mit dem Ruf "Deus vult", Gott will es, in die Kreuzzüge
gezogen sind. Heute kommt der Film
"Königreich der Himmel", der das zum Hintergrund
hat, in die Kinos.
Salomo und die Tempelweihe
Von dieser heilsamen Unsicherheit, ob Gott wirklich da ist, ob wir
wirklich mit ihm rechnen dürfen, sprechen die Worte des heutigen
Predigttextes aus 1. Könige 8. Unter König Salomo wurde
der erste Tempel gebaut. Und nun stehen der König und das Volk
bei der Einweihung vor Gott:
22 Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen
Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel 23 und
sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel
noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die
Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen;
24 der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du
ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner
Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage.
26 Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht,
meinem Vater David, zugesagt hast.
27 Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und
aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es
dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? 28 Wende dich aber zum Gebet
deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörest
das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.
Wollen wir gar über Gott verfügen?
Da ist sie, diese heilsame Unsicherheit: Darf man dem, den kein Haus
je fassen kann, überhaupt ein Haus bauen? Will man Gott damit
gar binden festhalten und an sich binden? Noch dazu war der Tempel
eine Art Hauskapelle des Königspalastes. Will der König
Gott exklusiv an seiner Seite haben?
Hat nicht die sogenannte Bundeslade, das Wanderheiligtum im Zelt,
Gott mehr entsprochen? Sie zeigte Gott als den, der mitgeht auf allen
Wegen. Gott, ein Gott der Geschichte, der Lebensgeschichte. Ein unverfügbarer
Gott, so sagen die ersten beiden Gebote, einer, der sich nicht packen
und nicht festhalten lässt. Kann man, darf man, mit Fremdworten
gefragt, aus diesem dynamischen Gott einen statischen Gott machen?
Und: Kann man Gott überhaupt fassen: nicht nur mit einem Haus,
sondern schon mit Gedanken? 27 Aber sollte Gott wirklich auf Erden
wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich
nicht fassen. Wir würden heute sagen: das ganze Universum
kann Gott nicht fassen. Gott ist nicht mit
Begriffen von Länge und Breite und Zeit zu beschreiben. Wer selbst
das Maßband gemacht hat, kann nicht vom Maßband gemessen
werden. Wer
selbst die Zeit geschaffen hat, unterliegt der Zeit nicht.
Immer wieder, wenn die Selbstsicherheit der Menschen im Alten oder
Neuen Testament zu groß wurde, haben Kritiker so gefragt und
eine heilsame Unruhe ausgelöst. Jesaja 66: So spricht der
HERR: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße!
Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet,
oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte? (Jes
66,1)
Oder Paulus in der Apostelgeschichte: Gott, der die Welt gemacht
hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde,
wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. (Apg
17,24)
Und so steht Salomo nicht siegessicher vor dem neuen Tempel, Gott
nun endgültig zu haben und festzuhalten, sondern er bittet um
seine Zuwendung. So wie Gott den Vätern seine Nähe gnädig
unterwegs, ungebunden an einen Ort, geschenkt hat, so soll er es auch
an diesem Ort tun. Salomo erinnert an den Bund, an das Versprechen,
das Gott den Generationen vorher seit Mose und Abraham bis hin zu
seinem Vater David freiwillig und unverdient gegeben hat. Darauf soll
diese heilsame Unsicherheit immer wieder aufmerksam machen: Gott ist
nicht automatisch und selbstverständlich da, sondern er ist da,
weil er sich von sich aus schenkt.
Wo ist Gott? Drei Antworten
Wo ist Gott? Allgemeingültig und erschöpfend kann ich die
Frage nicht beantworten, denn sonst hätte ich ihn ja schon wieder.
Aber Sie haben
ein Recht, eine Antwort zu hören auf die Frage: Wo ist er denn
für dich?
In drei Richtungen will ich eine Antwort versuchen: eine biblische
Antwort, eine eher denkerische und eine eher meditative Antwort. In
der Hoffnung, dass jede und jeder mit dem einen davon ein wenig mehr
anfangen kann.
Die biblische Antwort
Biblisch will ich mich immer wieder neu auf das Versprechen Jesu verlassen:
"Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin
ich mitten unter ihnen." (Matthäus
18,20).
Ich wollte Sie vorhin nicht erschrecken mit der spitzen Frage, in
wessen Namen wir denn eigentlich da sind. Dass es sein könnte,
dass wir uns gar in unserem eigenen Namen versammeln? Ich vertraue
auf diese Verheißung Jesu. Ich könnte sonst keinen Gottesdienst
leiten. Ich könnte mich nicht an die Vorbereitung einer Predigt
machen, wenn ich nicht die Erfahrung
gemacht hätte, dass es einen heiligen Geist gibt, der immer wieder
neu zur rechten Zeit die rechten Worte schenkt.
Aber doch will ich die Gefahr und Versuchung nicht geringschätzen,
dass der Gottesdienst auch zu einer menschlichen Inszenierung werden
könnte. Dass wir uns selber feiern. Dass wir aus lauter frommer
Gewohnheit kommen. Und dass alles so geordnet ist, dass Gott gar nicht
mehr überraschen und stören kann.
Die denkerische Antwort
Zur denkerischen Antwort eine kleine Geschichte:
Ein kleiner Junge ging zu einem Rabbi und fragte ihn spitzbübisch:
"Ich gebe dir 100 Mark, wenn du mir sagst, wo Gott wohnt."
Und der Rabbi antwortete ihm: "Und ich gebe dir 200 Mark, wenn
du mir sagst, wo er nicht wohnt." (nach: W. Hoffsümmer,
255 Kurzgeschichten, S. 57)
Ist Gott nicht überhaupt ganz außerhalb unseres Fassungs-
und Denkvermögens? Ist er nicht in einer ganz anderen Dimension,
für die
unser Verstand überhaupt nicht geeignet und gemacht ist? Mit
seiner Auferstehung und sog. Himmelfahrt ist Jesus ja nicht einfach
senkrecht
nach oben verschwunden, sondern er hat die drei Dimensionen dieser
Erde verlassen. Er steht nun auf der Seite des Schöpfers, für
den die Beschränkungen der Schöpfung nicht gelten. Als Jugendlicher
habe ich ein für mich damals äußerst spannendes Buch
gelesen über solche Grenzfragen. Da hat der Autor u.a. versucht,
einen Hinweis zu geben, was man sich unter einer anderen Dimensionen
vorstellen kann. Später erst ist es mir für Gott anschaulich
geworden:
Stellen Sie sich eine Welt aus zwei Dimensionen vor: Eine Welt der
Fläche, die nur Länge und Breite, aber nicht die Höhe
kennt. Und stellen Sie sich vor, dieser zweidimensionalen Welt würde
nun in Form einer Kugel die dreidimensionale Welt begegnen: Die Geschöpfe
der zweidimensionalen Welt könnten die Kugel nicht erfassen.
Befindet sie sich außerhalb ihrer Ebene, sehen sie sie gar nicht.
Schneidet sie ihre Ebene, so sehen sie nur einen sich in der Größe
ändernden Kreis. Die Vorstellung einer Kugel geht über ihre
Vernunft. Sie werden schlichtweg abstreiten, dass es so etwas gibt.
Und begegnen sie ihr, sehen sie doch nur die Spuren, die sie hinterlässt.
Spuren, die man auch ganz anders deuten kann.
Die meditative Antwort
Zur meditativen Antwort eine weitere Geschichte:
Ein Rabbi war zu Gast bei gelehrten Männern und überraschte
sie mit der Frage: "Wo wohnt Gott?" Sie lachten über
ihn: "Was redest du? Die Welt ist doch voll von seiner Herrlichkeit!"
Und der Rabbi beantwortete seine Frage selber: "Gott wohnt, wo
man ihn einlässt." (W. Hoffsümmer,
255 Kurzgeschichten, S. 57)
Vielleicht ist das der tiefste aller Antwortversuche. Denn: Was hilft
es, wenn Gott in einem Gottesdienst da ist, weil der in seinem Namen
gefeiert wird, aber ich als Gottesdienstbesucher lasse ihn nicht bei
mir selber ein? Und was hilft es, wenn für mich andere Dimensionen
und Wirklichkeiten kein
Hirngespinst, sondern eine durchaus sinnvolle Denkmöglichkeit
sind, aber Gott bleibt für mich nur theoretisch?
Gott wohnt, wo man ihn einlässt. Gott wohnt, wo man ihm eine
Tür öffnet. Er will im Alltag seinen Platz haben. Er will
zu einer ganz persönlichen Angelegenheit werden. Wer Gott so
erfährt, dem kann keiner ihm mehr wegnehmen. |
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