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Die Predigt vom 20. Juni 1999: »Stell dir vor, du betest, und er hört wirklich«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Sonntag nach Trinitatis. Anläßlich des Deutschen Evangelischen Kirchentags war vorgeschlagen, den Text des dortigen Schlußgottesdienstes zu wählen: das Vaterunser aus Matthäus 6,9-13:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben
.)

9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.

Predigt

Reden mit Gott wie mit einem guten Freund

"Beten heißt", so sagte einmal Martin Luther, "mit Gott reden wie mit einem guten Freund." Wenn man darüber mit Menschen ins Gespräch kommt, denen das Gebet eher fremd ist, kommt oft die Frage: "Was heißt da "reden"? Gott antwortet mir ja nicht. Schön wär's, wenn ich ihn einmal zu mir persönlich reden hören könnte."

Und doch "redet" Gott sehr wohl mit Menschen, die die Verbindung zu ihm suchen. Aber nur der kann es erfahren, der es geduldig ausprobiert. Denn man muß dieses Wort "Reden" recht verstehen. Gott hat sehr wohl die Mittel, sich verständlich zu machen: durch einen überraschenden Geistesblitz, durch die Stimme eines Mitmenschen, durch den Gang der Dinge. Da legt sich jemand am Abend zu Bett. Eine Frage treibt ihn um, und er weiß nicht, wie er sich entscheiden soll. Er betet und legt seine Frage Gott vor, um am nächsten Morgen mit der festen Gewißheit aufzuwachen, was er tun soll. Hat da nicht auch Gott "geredet"?

Wenn Gott wirklich reden würde

Aber stellen sie sich einmal vor, Gott würde wirklich im wörtlichen Sinne mit einem ins Gespräch kommen. Wie das dann aussehen und ausgehen könnte, hat sich einmal jemand ausgedacht:

"Vater unser im Himmel ..." "Ja?"
"Unterbrich mich nicht! Ich bete." "Aber du hast mich angesprochen!"
"Ich dich angesprochen? Äh ... nein, eigentlich nicht. Das beten wir eben so: Vater unser im Himmel." "Da, schon wieder! Du rufst mich an, um ein Gespräch zu beginnen, oder? Also, worum geht's?"
"Geheiligt werde dein Name ..." "Meinst du das ernst?"
"Was soll ich ernst meinen?" "Ob du meinen Namen wirklich heiligen willst. Was bedeutet das denn?"
"Es bedeutet ... es bedeutet ... meine Güte, ich weiß nicht, was es bedeutet! Woher soll ich das wissen?!" "Es heißt, daß du mich ehren willst, daß ich dir einzigartig wichtig bin, daß dir mein Name wertvoll ist."
"Aha. Hm. Ja, das verstehe ich." "Dein Reich komme, dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden ..." "Tust du was dafür?"
"Daß dein Wille geschieht? Natürlich! Ich gehe regelmäßig zum Gottesdienst, ich zahle meine Kirchensteuer und spende regelmäßig." "Ich will mehr: daß dein Leben in Ordnung kommt; daß deine Angewohnheiten, mit denen du anderen auf die Nerven gehst, verschwinden; daß du von anderen her und für andere denken lernst; daß allen Menschen geholfen werde und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen, auch dein Vermieter und dein Chef. Ich will, daß Kranke geheilt, Hungernde gespeist, Trauernde getröstet und Gefangene befreit werden; denn alles, was du diesen Leuten tust, tust du doch für mich."
"Warum hältst du das ausgerechnet mir vor? Was meinst du, wie viele stinkreiche Heuchler in den Kirchen sitzen. Rede sie doch an!" "Entschuldige! Ich dachte, du betest wirklich darum, daß mein Herrschaftsbereich kommt, und mein Wille geschieht. Das fängt nämlich ganz persönlich bei dem an, der darum bittet. Erst wenn du dasselbe willst wie ich, kannst du ein Botschafter meines Reiches sein."
"Das leuchtet mir ein. Kann ich jetzt mal weiterbeten?" "Unser tägliches Brot gib uns heute ..." "Da hast Übergewicht, Mann! Deine Bitte beinhaltet die Verpflichtung, etwas dafür zu tun, daß die Millionen Hungernden dieser Welt ihr tägliches Brot bekommen."
"Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern ..." "Und Heinz?"
"Heinz, jetzt fang auch noch von dem an! Du weißt doch, wie er mich öffentlich blamiert, wie er mir jedesmal dermaßen arrogant gegenübertritt, daß ich schon wütend bin, bevor er überhaupt den Mund aufmacht. Und das weiß er auch! Er nimmt mich nicht ernst, er tanzt mir auf der Nase rum, dieser Typ hat ..." "Ich weiß, ich weiß. Und dein Gebet?"
"Ich meine es nicht so." "Du bist wenigstens ehrlich. Macht dir das eigentlich Spaß, mit soviel Bitterkeit und Abneigung im Bauch herumzulaufen?"
"Nein. Es macht mich krank." "Ich will dich heilen. Vergib Heinz, und ich vergebe dir. Dann ist Arroganz und Haß seine Sünde und nicht deine. Vielleicht verlierst du Geld; ganz sicher verlierst du ein Stück Image, aber es wird dir Frieden ins Herz bringen."
"Hm. Ich weiß nicht, ob ich mich dazu überwinden kann." "Ich helfe dir dabei."
"Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen ..." "Nichts lieber als das! Meide bitte Personen und Situationen, durch die du versucht wirst."
"Wie meinst du das?" "Du kennst doch deine schwachen Punkte. Unverbindlichkeit, Finanzverhalten, Sexualität, Aggression, Erziehung. Gib dem Versucher keine Chance!"
"Ich glaube, dies ist das schwierigste Vaterunser, das ich je gebetet habe. Aber es hat zum ersten Mal etwas mit meinem alltäglichen Leben zu tun." "Schön! Wir kommen vorwärts. Bete ruhig zu Ende."
"Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen." "Weißt du, was ich herrlich finde? Wenn Menschen wie du anfangen, mich ernst zu nehmen, echt zu beten, mir nachzufolgen und dann das tun, was mein Wille ist; wenn sie merken, daß ihr Wirken für das Kommen meines Reiches sie letztlich selbst glücklich macht."
(frei übersetzt nach Clyde Lee Herring, in: Buzz 11/77 S. 51+53)

Im Vaterunser redet der Mensch mit Gott wie mit einem guten Freund. Im Vaterunser steckt alles drin, was für das tägliche Leben nötig ist. Aber das Vaterunser will nicht nur als Lernstück geplappert, sondern auch ernst genommen werden. Gott, der im Vaterunser angeredet wird, will ernst genommen werden. So auf die Art: Stell dir vor, du betest, und er hört wirklich zu.

Der Kirchentag in Stuttgart

Daß ein Gebet nicht in die Luft gesprochen ist, und daß sich wirklich etwas tun soll: Unter dieser Hoffnung versammeln sich zur Stunde Zehntausende in Stuttgart zum Schlußgottesdienst des Deutschen Evangelischen Kirchentags. Und das Vaterunser mit seiner zentralen Bitte "Dein Reich komme, deine Herrschaft setze sich durch." ist dort der zentrale Bibeltext, der heute morgen auch in vielen anderen Kirchen im Mittelpunkt stehen soll.

Unter dem Motto "Ihr seid das Salz der Erde." haben seit Mittwoch in Stuttgart mehr als Hunderttausend über die Verantwortung der Christen für die Welt geredet, haben um gangbare Wege gerungen, haben sich in Gottesdiensten ermutigen lassen. Und nun, wenn sie sich wieder aufmachen zurück in ihre Gemeinden, wird ihnen das Gebet ans Herz gelegt: "Dein Reiche komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden."

Kirchentag und (grauer) Alltag

Wenn jemand schon einmal einen Kirchentag erlebt hat, dann kennt er jene typische Traurigkeit hinterher: Die Begeisterung dieser Tage, die spontane Gemeinschaft, die neuen Ideen – sie weichen zu Hause schnell wieder der Realität und dem alten Trott. Könnten da diese Worte nicht eine große Entlastung sein? Die Versammelten werden nicht nach Hause geschickt mit der Zumutung: Jetzt hängt es allein an euch. Schaut, daß sich etwas tut in Eurer Umgebung. Bringt Salz und Geschmack in Eure Gemeinden. Sorgt für Gerechtigkeit. Versalzt denen die Suppe, die das eigene Schäfchen ins Trockene bringen. Bringt Pfeffer ins Gespräch da, wo nur oberflächlich geredet wird. Fallt auf. Zieht euch nicht zurück. Bekennt Euren Glauben. Verweist auf Euren Gott. Handelt in seinem Namen.

Gottes Tun und unser Tun

Nicht der einseitige Verweis auf die menschlichen Möglichkeiten steht also am Ende, sondern der Verweis auf die Möglichkeiten Gottes: "Laß du doch dein Reich kommen. Laß du doch deinen Willen geschehen. Und hilf, daß ich dir dabei durch meinen Kleinglauben kein Hindernis bin." Noch einmal Martin Luther, der fast schon ketzerisch gesagt hat: "Man muß beten als ob alles Arbeiten nichts nützt, und arbeiten, als ob alles Beten nichts nützt." Also: Vertrauensvoll beten und sich ganz auf Gott verlassen und sich zugleich zum eigenen Tun für mehr Gerechtigkeit anstecken lassen.

So gehört beides, das Vertrauen auf die Macht Gottes und das eigene menschliche Tun im Vaterunser zusammen wie zwei Seiten einer Medaille:

Wir können ihn nicht anrufen: "Vater unser im Himmel.", ohne ihn wirklich als Vater, als Autorität zu respektieren. Wie hieß es vorhin in dem erfundenen Zwiegespräch: "Ich dich angesprochen? Äh ... nein, eigentlich nicht. Das beten wir eben so: Vater unser im Himmel."
Wir können nicht weiterbeten: "Geheiligt werde dein Name.", ohne daß wir selber Gott durch unser Reden und Tun die Ehre geben, ohne daß wir unseren Mund aufzumachen, wenn andere sich über Gott lustig machen.
Wir können nicht beten: "Dein Reich komme.", also "Deine Herrschaft setze sich durch.", und wollen dann doch lieber unser eigener Herr bleiben. Wer weiß, was auf uns zu käme, wenn Gott wirklich der Herr wäre.
Wir können nicht beten: "Dein Wille geschehe.", und stumm daneben stehen, wenn gegen seinen Willen geredet und gehandelt wird.
Wir können nicht beten "Unser tägliches Brot gibt uns heute.", ohne uns aktiv dafür einzusetzen, daß auch andere bekommen, was sie zum täglichen Leben nötig haben.
Wir können nicht beten "Vergib uns unsere Schuld.", wenn wir selber nicht vergebungsbereit sind.
Wir können nicht beten "Führe uns nicht in Versuchung.", wenn wir nicht selber die Situationen meiden, wo uns unsere schwachen Seiten locken.
Wir können nicht beten "Erlöse uns von dem Bösen.", wenn wir uns mutwillig und neugierig mit dem Bösen abgeben.

So sind wie die zwei Seiten einer Medaille das Vertrauen auf Gottes Möglichkeiten und unsere eigene christliche Verantwortung untrennbar verbunden. Gott schenke es, daß viele von denen, die sich in Stuttgart versammelt haben, nun auch als Salz der Erde und als Salz ihrer Gemeinde wirken. Gott schenke es, daß wir aus diesem kleinen Kirchentag Sonntagsgottesdienst hinausgehen und an unserem Ort Salz der Welt werden: Gott viel zutrauen und uns viel zutrauen. Salz in fades Leben bringen. Pfeffer in langweilige Gespräche. Licht in zwielichtige Situationen. Frischen Wind in muffige Verhältnisse. Das verleihe Gott uns allen. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de