Predigt |
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Der Meister
Da war einmal einer, den man "Meister" nannte. Eine stattliche
Erscheinung, lange Haare, nicht immer sehr gepflegt. Die Menschen jubelten ihm
zu, Frauen und Männer. Sie hingen an seinen Lippen. Sie lagen ihm zu Füßen.
Er teilte mit ihnen und sie aßen. O, nein, nicht Jesus. Denn nicht
Brot teilte der Meister mit ihnen. Er teilte Nußecken.
Inzwischen ist er mehr oder weniger vergessen. Er ist out. Seine Zeit
ist vorbei. Aber er hat wohl auch genug. Denn er wußte etwas davon, wie
man einen Messias macht. Er wußte etwas von den Sehnsüchten der
Menschen, jener Guildo Horn. Er befriedigte für einige Zeit ihre Bedürfnisse.
Ob er sie wirklich satt gemacht hat mit seinen Nußecken, das weiß
ich nicht. Inzwischen laufen sie anderen nach.
"Meister, gib uns ein Zeichen"
Eine Zeitlang suchten sie etwas bei ihm. Sie schauten auf zu ihm: "Meister,
gib uns ein Zeichen." Das war der Kultsatz. Das war wie Gottesdienst. Fast
so wie "Kyrie eleison. Erbarm dich über uns."
"Meister gib uns ein Zeichen." Das haben angeblich vor zwei
Wochen auch einige junge Mädchen geschrien, um ihren Messias Michael
Jackson an das Fenster seines Münchner Krankenzimmers zu holen.
"Meister, gib uns ein Zeichen." Das ist ein Zitat aus einem
Jesusfilm. "Meister, wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen."
(Mattäus 12,38) So heißt es in Luthers Sprache. Oder wie hier bei
Johannes im 6. Kapitel:
30 Das Volk sprach zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit
wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsre Väter
haben in der Wüste das Manna gegessen, wie geschrieben steht (Psalm 79,24):
»Er gab ihnen Brot vom Himmel zu essen.« 32 Da sprach Jesus zu ihnen:
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel
gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel. 33 Denn Gottes
Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. 34 Da sprachen
sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot. 35 Jesus aber sprach zu ihnen:
Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer
an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Was macht wirklich satt?
Was macht wirklich satt in einer Zeit wie heute, wo die meisten alles
haben, in einer Zeit der äußeren Sattheit? Was macht wirklich satt?
Nicht wie jene Limonaden, von denen man trinkt und trinkt und immer durstiger
wird. Oder wie jene Knabbereien, die man knabbert und knabbert und die Gier wird
immer größer. Der ist der Meister, der die Menschen wenigstens eine
Zeitlang satt machen kann.
Was macht wirklich satt? Wer macht wirklich satt? Darum geht es in
diesen Worten aus dem Johannesevangelium. Nicht um die äußere
Sattheit geht es, denn unmittelbar voraus wird die Speisung der 5000 erzählt.
Der Bauch ist voll. Aber nun sind sie aufmerksam geworden auf diesen Jesus. Könnte
er über den vollen Bauch hinaus auch etwas anderes zu bieten haben? Meister
kommen und gehen, damals wie heute. Was ist mit ihm? Man fühlt ihm auf den
Zahn:
Jesus der Meister?
30 Da sprachen sie zu ihm: Was tust du für ein Zeichen, damit
wir sehen und dir glauben? Was für ein Werk tust du? 31 Unsre Väter
haben in der Wüste das Manna gegessen.
An nichts weniger muß er sich messen lassen, wenn etwas an ihm
dran sein soll. Das vergißt ein Jude nicht, wie Gott das Volk Israel
damals bei der Flucht aus Ägypten in der unwirtlichen und lebensfeindlichen
Wüste durch die Frucht des Mannastrauchs am Leben erhalten hat. Ein eindrückliches
Erlebnis. Man gab es weiter von Generation zu Generation. Mose gab ihnen, was
sie zum Leben brauchten. Ist er, Jesus, ein neuer Mose? Erfüllt er die
uralte Hoffnung, daß einmal einer kommen werde, der die Menschen rundum
satt macht? Also:
"Was tust du für ein Zeichen, damit wir sehen und dir glauben?"
Gott allein ist der Meister
Was antwortet Jesus darauf?
Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Nicht Mose hat euch das Brot vom Himmel
gegeben, sondern mein Vater gibt euch das wahre Brot vom Himmel.
Er antwortet in einer zweifachen Weise: Zum einen: "Fragt nicht:
Was ist dran an mir? Als damals eure Vorfahren mit Manna gespeist wurden, hat
nicht Mose das Wunder getan. Gott ist es gewesen. Macht nicht einen Menschen zum
Kultstar, sondern entdeckt Gott hinter ihm." Oder an anderer Stelle im
Matthäusevangelium:
"Ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen, denn nur einer ist euer
Meister, ihr aber seid Brüder." (Matthäus 23,8)
"Und außerdem", so fährt Jesus fort: "Das
Manna unter Mose war nicht mehr als ein Nahrungsmittel. Es war einfaches Brot.
Brot, um äußerlich satt zu werden, mehr nicht. Kümmert euch um
ein Brot, das wirklich satt macht. Ein solches Brot kann man nur bei Gott
bekommen. Brot, das nicht nur Nahrungsmittel, sondern Lebensmittel ist."
Denn Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben.
Jesus das Lebensmittel
Mit diesem rätselhaften Wort spielt Jesus auf sich selber an: Er
ist der, der vom Himmel, also von Gott, von seinem Vater, gekommen ist. Er ist
das wahre Brot. Jesus will die Menschen nicht nur äußerlich satt
machen. Nicht um Nahrungsmittel geht es. Jesus ist das Brot, das Leben gibt. Er
ist nicht Nahrungsmittel, sondern Lebensmittel. Lebens-mittel in der tiefsten
Bedeutung: Mittel zu einem wahren Leben.
Für die heutigen Hörer, die 2000 Jahre Christentum hinter sich
haben, ist die Sache klar: Jesus gibt nicht etwas, sondern er gibt sich selber.
Die damaligen jüdischen Zuhörer haben zwangsläufig noch einen
engeren Horizont. Sie merken nur: Er redet hier von einem Brot, das mehr und
besser ist als das Manna-Brot des Mose damals in der Wüste. Das
interessiert sie. Solches Brot bräuchte man. So einen Menschen, der Brot
schaffen kann, bräuchte man. Deswegen:
Da sprachen sie zu ihm: Herr, gib uns allezeit solches Brot.
Jesus der Bedürfnisbefriediger?
Das würde ihnen also als Zeichen vollauf genügen. Da wäre
er wirklich ihr Meister. Gerne würden sie nur ihm nachlaufen, wenn er ihnen
nur immer und überall ihre äußeren Bedürfnisse befriedigen
könnte. Was wäre, wenn heute einer käme, der Arbeit und Brot für
alle schaffen könnte, oder es zumindest verspräche, wie es das schon
einmal gab? Wieviele würden sich genauso wie damals mit der äußeren
Sattheit begnügen und ihm begeistert nachlaufen. Und noch kurzlebiger sind
heute oft jene anderen Meister, denen man eine Zeitlang nachläuft, um sie
dann zu wechseln wie ein verschwitztes Hemd.
Jesus das Lebensbrot
"Aber nein", sagt Jesus. "Ihr habt mich mißverstanden:
Nicht um das äußerliche Sattwerden geht es mir. Ich könnte es
wohl, aber was wäre damit geholfen? Wärt ihr zufriedener, wäre
alles in Ordnung, wenn ihr nur satt wärt?" Und so gibt er die
Gleichnisrede auf und redet deutlich:
Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und
wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.
Das ist der springende Punkt: Jesus beschafft nicht Lebensmittel. Er
ist es selber. Wer Leben haben will, wer wirklich satt werden will, der bekommt
nichts von ihm, sondern der bekommt ihn. Der muß sich auf ihn einlassen,
der muß sich ihn einverleiben. Aber wie bringt man das unter die Leute?
Wie macht man den Menschen auf der Suche nach dem Meister klar, daß sie
ihn gar nicht zu suchen brauchen, weil er ja schon da ist, weil er selber sie
sucht und sie bloß zu kommen bräuchten?
Ich kann mich in dieser Livesendung heute morgen erst einmal nur an Sie
wenden: Als Kirchgänger wissen Sie, wo man wirklich satt werden kann. Als
Kirchgänger wissen Sie, wer der eigentliche Meister ist. Machen Sie also
immer wieder neu ernst mit diesem Wissen! Mein Kollege Kraus, wenn er hier
stehen würde, würde auf Luther und seinen Katechismus verweisen: Täglich
neu muß der alte Adam in uns ersäuft werden, damit ein neuer Mensch
herauskommt.
Vom Meister erzählen
Und die anderen, die das nicht wissen, bzw. nur flüchtig wissen? Könnte
es nicht eine Antwort sein auf ihre Sehnsucht nach Zufriedenheit und richtigem
Leben? Ist es nicht genau das, wonach viele suchen: Nicht nur Geld, sondern
Zufriedenheit; nicht nur eine Arbeit, sondern Erfüllung; nicht nur Bekannte
und Kollegen, sondern Freunde; nicht nur dynamische Lebensversicherung, sondern
Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft. Ich glaube, wir täten vielen
Unrecht, wenn wir behaupten würden, daß es den meisten heute doch nur
ums Geld geht. Ich denke, die biblische Überzeugung hat sich viel weiter
durchgesetzt als man meint, die Überzeugung, daß der Mensch nicht vom
Brot allein lebt, wie Jesus das einmal ausgedrückt hat. Sonst würde
man nicht so vielen verschiedenen Meistern nachlaufen.
Wer weiß, wo Leben zu finden ist, der sollte es den anderen nicht
verheimlichen. Und wer das unter uns nicht mit Worten kann oder sich nicht
traut, der tue es durch sein Leben. Gott schenke uns den Mut dazu, die rechten
Worte und die Glaubwürdigkeit. Amen |