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Die Predigt |
An einer Lebenswende
Ein junger Mensch steht an einer entscheidenden Lebenswende. Man hat
ihm einen verantwortlichen Auftrag gegeben. Die Entscheidung ist getroffen.
Wird er es schaffen? Wie wird es werden?
Ich rede von Josua, dem Schüler und Nachfolger des Mose. Mose
ist tot. Unter der Führung des Josua haben die Israeliten den
Jordan überschritten und stehen an der Schwelle zum verheißenen
Land. Wie eine Sperre liegt die uneinnehmbare Stadt Jericho vor ihnen.
Ohne Kampf wird es nicht gehen.
In dieser entscheidenden und unsicheren Situation erlebt Josua eine
Begegnung mit Gott, so wie Mose damals am Dornbusch:
13 Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, dass er seine
Augen aufhob und gewahr wurde, dass ein Mann ihm gegenüberstand
und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. Und Josua ging
zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?
14 Er sprach: Nein, sondern ich bin der Fürst über das Heer
des HERRN und bin jetzt gekommen. Da fiel Josua auf sein Angesicht
zur Erde nieder, betete an und sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem
Knecht? 15 Und der Fürst über das Heer des HERRN sprach
zu Josua: Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die
Stätte, darauf du stehst, ist heilig. Und so tat Josua.
Lebenswenden als Herausforderung
An einer entscheidenden Lebenswende, vor einer entscheidenden Herausforderung
begegnen Mose und Josua Gott. Sie begegnen Gott, aber sie begegnen
ihm sozusagen nicht „persönlich“: Mose begegnet Gott
im Feuer des Busches, der nicht verbrennt, und in der Stimme, die
er hört. Josua begegnet Gott in seinem Boten. Bote Gottes, Gesandter
Gottes, auf deutsch: Engel. Der Engel mit dem blanken Schwert steht
vor ihm wie der, der das verlorene Paradies bewacht.
„Ich bin der Fürst über das Heer des HERRN und bin
jetzt gekommen.“
Der Fürst, der Anführer von Gottes himmlischen Heerscharen.
An anderen Stellen der Bibel hat er einen Namen: Michael.
Wer wie die beiden Gott begegnet, der bekommt einen Auftrag: Mose
soll die Israeliten aus der Sklaverei in die Freiheit führen,
und Josua in das verheißene Land hinein.
Und da, wo ein Mensch Gott begegnet, ist heilige Stätte. Da muss
er seine Schuhe ausziehen. Da senkt er seine Augen. Da haben Hochmut
und Selbstsicherheit keinen Platz.
Fünf Punkte lese ich heraus aus dieser Geschichte, der Geschichte
von Josua, die aber ohne weiteres auch deine oder meine Geschichte
sein kann:
An einer Lebenswende kann ein Mensch Gott begegnen.
Wer Gott begegnet, der muss erst einmal Halt machen.
Wer Gott begegnet, der wird demütig.
Wer Gott begegnet, der bekommt einen Auftrag.
Wer Gott begegnet, der wird dadurch für diesen neuen Auftrag
gestärkt.
1. An einer Lebenswende kann ein Mensch Gott begegnen.
13 Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, dass er seine
Augen aufhob ...
Was sind solche Lebenswenden? Wenn jemand einen Ort verlässt,
um anderswo heimisch zu werden. - Wenn jemand beruflich eine neue
Stelle antritt oder eine neue Herausforderung bekommt. - Wenn das
erste Kind geboren wird, oder das letzte das Haus verlässt. -
Wenn ein runder Geburtstag eine neue Lebensphase einläutet. -
Wenn der Berufsalltag zu Ende geht und der Ruhestand bevorsteht. -
Wenn eine Krankheit entdeckt wird ...
Das kann eine Aufgabe vor einem liegen: hoch wie die Mauern von Jericho.
Josua hebt seine Augen auf, heißt es. Die Einheitsübersetzung
sagt es besser: Josua hält Ausschau. Er bleibt stehen und sieht
seiner Aufgabe ins Auge. Andere Menschen haben andere Jerichos. Jericho
ist überall.
Da kann ein Mensch Gott begegnen, sagte ich. Er muss
nicht. Begegnungen mit Gott kann man nicht „machen“. Gott
lässt sich nicht herbeizitieren. Mehr als offen sein dafür,
kann man wohl nicht. Ich bin mir sogar unsicher, ob man einfach so
darum bitten darf. Eine Begegnung mit Gott ist kein Zuckerlecken.
Sie wird einen auch erschrecken.
2. Wer Gott begegnet, muss erst einmal Halt machen.
13 Und es begab sich, als Josua bei Jericho war, dass er seine
Augen aufhob und gewahr wurde, dass ein Mann ihm gegenüberstand
und ein bloßes Schwert in seiner Hand hatte. Und Josua ging
zu ihm und sprach zu ihm: Gehörst du zu uns oder zu unsern Feinden?
Entscheidende Lebenssituationen sind wie eine Tür, vor der man
steht. Eine Tür, von der man nicht genau weiß, was einen
erwartet. Fast so, wie wenn man ein Krankenzimmer betritt: Da geht
man nicht forsch hindurch. Man besinnt sich vielleicht noch einmal.
Man atmet noch einmal durch und drückt die Klinke nicht so frech
wie sonst.
Auge in Auge steht Josua auf einmal diesem Mann gegenüber. „Freund
oder Feind?“ so fragt er. „Meinst du es gut, oder meinst
du es böse?“
Das gezückte Schwert, das der Gottesbote in der Hand hat, ist
ein Hinweis, dass das versprochene Land nicht ohne Kampf zu bekommen
ist.
Es fällt mir nicht leicht, das so einfach auf unsere entscheidenden
Lebenswenden heute zu übertragen. Die Einnahme des versprochenen
Landes damals war eine durchaus kriegerische und auch brutale Angelegenheit.
Seit Jesus können wir diese Abschnitte des Alten Testaments nicht
mehr einfach so stehen lassen. Oft genug ist dann auch im Laufe der
Kirchengeschichte im Namen Gottes das Schwert erhoben worden. Allzu
schnell sind Menschen auf beiden Seiten mit einem „Gott mit
uns!“ auf den Lippen gegeneinander gezogen. So ist es hier nicht
gemeint, denn es gilt:
3. Wer Gott begegnet, der wird demütig.
15 Und der Fürst über das Heer des HERRN sprach zu Josua:
Zieh deine Schuhe von deinen Füßen; denn die Stätte,
darauf du stehst, ist heilig.
Wer eine islamische Moschee betritt, zieht seine Schuhe aus. Wer in
eine jüdische Synagoge geht, setzt eine Kippa auf. Das sind äußere
Zeichen einer inneren Haltung. Das Wort „Demut“ kommt
in unserer deutschen Sprache nicht mehr oft vor. Es klingt veraltet.
Es klingt unterwürfig. Wer will schon demütig sein?
Menschen gegenüber mag es ja richtig sein. Doch Josua begegnet
nicht irgendjemand. Er begegnet einem Boten Gottes. Und er begegnet
damit Gott selbst. Was eigentlich nicht möglich ist, dass sich
die himmlische und die irdische Welt berühren, das geschieht
hier. Ein Lichtblick in eine andere Wirklichkeit.
Menschen, die so etwas erleben, in einer schweren Krankheit, bei einer
wichtigen Entscheidung oder wo auch immer, erzählen genau das:
Hochmut und Stolz gab es da nicht mehr, sondern bloß noch Beschenktsein
und tiefe Dankbarkeit. Und wer das erlebt, der kann nicht bleiben,
wie er ist. Es gilt:
4. Wer Gott begegnet, der bekommt einen Auftrag.
Da fiel Josua auf sein Angesicht zur Erde nieder, betete an und
sprach zu ihm: Was sagt mein Herr seinem Knecht?
Josua fällt auf sein Angesicht. Das ist die alttestamentliche
Formulierung für die tiefste Verbeugung, die es gibt. Das Geschöpf
steht vor seinem Schöpfer. Der Knecht steht vor seinem Herrn.
Und da im Hebräischen das Wort auch „Sohn“ bedeutet:
Der Sohn steht vor seinem Vater wie der verlorene Sohn in Jesu Gleichnis.
Begegnet jemand in einer entscheidenden Lebenssituation seinem Herrn
und Vater, dann bleibt ihm wohl auch heute noch nur diese eine Frage:
„Gott, was hast du mir zu sagen?“ „Worauf kommt
es jetzt an?“ „Was willst du von mir?" „Wo
brauchst du mich?“
Wie die Antwort bei dir und mir genau ausfällt, das steht nicht
hier. Jericho ist überall und Jericho sieht jedes Mal anders
aus. Aber dieses eine gehört wohl überall dazu, nämlich:
5. Wer Gott begegnet, der wird für diesen neuen Auftrag
gestärkt.
Ich bin der Fürst über das Heer des HERRN und bin jetzt
gekommen.
„Ich bin gekommen.“ „Ich bin da.“ sagt Gott
zu Josua. „Ich bin, der ich bin.“ sagte er zu Mose am
Dornbusch. „Ich bin der Ich-bin-da." so übersetzen
manche Ausleger.
Wer an einer Lebenswende Gott begegnet, der geht aus dieser Begegnung
zwar erschrocken, aber gestärkt und ermutigt hervor.
„Ich bin da.“ sagt die Mutter am Bett eines Kindes, das
krank ist, Angst hat oder nicht schlafen kann. „Ich bin da.“
„Ich bin dabei.“ sagt Gott dem, der einen neuen Weg vor
sich hat.
Und wenn jemand das Schwert des Engels nicht kriegerisch missversteht:
Gott ist da und kämpft an meiner Seite, da wo die unbekannten
neuen Wege auch Kampf bedeuten.
„Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du der Herr der
Engel bist und uns die Wächter sendest. Erhalte uns in deiner
Hut und rette uns, Herr, durch dein Blut, wenn du den Streit beendest.“
Amen |
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