Predigt |
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Frieden oder Gewalt?
34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu
bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das
Schwert.
Können Sie sich dieses Wort im Mund Jesu vorstellen? "Ihr
bildet euch ein, ich sei als Friedensbringer in die Welt gekommen. Ihr täuscht
eucht: Meine Sendung, meine Aufgabe, mein Lebenszweck ist es, nicht Frieden,
sondern Kampf zu bringen?"
Jesus und die Gewalt
Wir haben hier eines der vielen schwierigen Worte des Neuen Testaments
vor uns. In einem Buch wird das Wort unter die sog. "Rätselsprüche"
Jesu eingeordnet. Die Theologen sind verschieden damit umgegangen. Die einen
haben gesagt: Da seht ihr, daß Jesus doch ein politischer Messias war. Wie
die damalige Untergrund-Befreiungsbewegung der Zeloten wollte er doch den
bewaffneten Kampf gegen die römischen Besatzer. Andere sagen: Das ist nur
innerlich gemeint. Wer Jesus begegnet, der erlebt innere Unruhe, inneren Streit
und Aufruhr in seiner Seele.
Jesus und die Gewalt
Daß Jesus die Gewalt gewollt habe, dagegen spricht alles, was wir
sonst aus den Evangelien von ihm wissen. Sehen wir uns als Beispiel nur die
heutige Evangelienlesung an: Wie kann der, der geboten hat, lieber die andere
Backe auch noch hinzuhalten und sich nicht provozieren zu lassen, zum
bewaffneten Kampf aufrufen? Ja, würde er seinen Anhängern sonst
zumuten, auch die letzte Schwelle noch zu überspringen und die Feinde zu
lieben? Und hat er nicht bei seiner Gefangennahme zu Petrus, der ihn verteidigen
wollte, gesagt: "Stecke dein Schwert wieder zurück an seinen Platz."
Nicht Gewalt, sondern Entscheidung
Worte der Bibel dürfen nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen und
isoliert werden, sondern müssen gerade in ihrem Zusammenhang verstanden
werden: Wenn man weiterliest, wird es ein wenig klarer, wenn auch nicht
einfacher. Der ganze Abschnitt aus dem Matthäusevangelium Kapitel 10:
34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu
bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das
Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater
und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer
Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen
sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert;
und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und
wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht
wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben
verliert um meinetwillen, der wird's finden.
An Jesus scheiden sich die Geister
Jesus hat hier offenbar das Wort "Schwert" bildlich
verstanden, nicht als ein Kampfinstrument, sondern als ein Teilungsinstrument:
An Jesus scheiden sich die Geister. An ihm entzweien sich die Menschen. Und der
Glaube teilt sogar Familien. Der Riß geht mitten durch die menschlichen
Bindungen hindurch. Kindern entfremden sich ihren Eltern.
Der Evangelist Matthäus, der als einziger der vier Evangelisten
dieses Jesuswort berichtet, hat offenbar in seiner Zeit genau das erlebt: Dem
jungen Glauben an den Messias Jesus wandten sich vor allem die jüngeren
Menschen zu. Und sie kamen damit in Konflikt mit der älteren Generation,
die am Altbewährten festhalten wollte. Als "Anhänger des Neuen
Weges" werden die Christen in der Apostelgeschichte treffend beschrieben:
Die Christen sozusagen als eine jüdische Sekte. Und als dann die
Verfolgungszeit kam, ging der Riß wirklich durch die Familien hindurch. So
weit, daß einer den anderen denunziert hat, um den eigenen Hals zu retten.
Jesus und seine Familie
Und dann erinnerte sich Matthäus wohl auch daran, daß Jesus
ja auch selber seine Familie hintangestellt hat: Zwei Kapitel weiter erzählt
er, daß die Familie ihn wegen des öffentlichen Aufruhrs, den er
verursacht hat, am liebsten nach Hause holen wollte. Und Jesus darauf:
48 ... Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? 49 Und
er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das
ist meine Mutter, und das sind meine Brüder! 50 Denn wer den Willen tut
meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.
Spaltungen aufgrund des Glaubens?
Heißt das nun auch für uns heute, daß da, wo kompromißlos
und ernst geglaubt wird, auch Spannungen und Spaltungen in die Familien kommen müssen?
Oder umgekehrt: Wenn der Glaube nicht zu Spaltungen und Konflikten führt,
wird nicht im Sinne Jesu geglaubt? So wie wir vorhin den ersten Vers im
Zusammenhang und nicht isoliert angesehen haben, so müssen wir jetzt den
ganzen Abschnitt in seinem größeren Zusammenhang ansehen: Voraus geht
ein Abschnitt mit der Überschrift "Die Ansage kommender Verfolgungen".
Zwei Sätze nur daraus: 21 Es wird aber ein Bruder den andern dem Tod
preisgeben und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören gegen
ihre Eltern und werden sie töten helfen. 22 Und ihr werdet gehaßt
werden von jedermann um meines Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt,
der wird selig werden.
Extremsituationen des Glaubens
Ganz offensichtlich reden diese Worte des Matthäus von der ersten
Christenverfolgung der damaligen Zeit. Es geht um die Extremsituation, in die
einen der christliche Glaube hineinführen kann. Auch die beiden letzten Sätze
des Predigttextes vom "Kreuz auf sich nehmen" und "Leben
verlieren" weisen auf diese Extremsituation. Im Extremfall also stand und
steht das 1. Gebot über dem 4. Gebot: Wenn man dich im Extremfall vor die
Entscheidung stellt, ob du am Glauben an Gott oder an der Autorität der
Eltern und an der Familie festhältst, dann fürchte die Trennung nicht.
Die Pubertät und der Glaube
Jesus lädt also nicht ein, das 4. Gebot zu brechen, und den Eltern
einfach um des Glaubens Willen die Bindung aufzukündigen. Die
Extremsituation einer Christenverfolgung darf man nicht verwechseln mit alltäglichen
pubertären Problemen oder Schwierigkeiten zwischen den Generationen. Es
kommt ja immer wieder vor, daß Jugendliche in eine christliche oder auch
außerchristliche Gruppe gehen, die ihren Eltern nicht gefällt. Jeder
fühlt sich auf seine Art im Recht: Die Eltern wollen ihrer Verantwortung
gerecht werden und warnen davor oder verbieten vielleicht auch. Und die
Jugendlichen im pubertären Trotz machen dann eher das Gegenteil oder werden
umso mehr bestärkt.
Die Leiter solcher Gruppen jedoch sollten äußerst vorsichtig
sein, solche pubertären Familienprobleme, solche Ablösungsprozesse als
eine Art Christenverfolgung mißzuverstehen und diese Worte Jesu als
Rechtfertigung heranzuziehen. Es wird ja sogar berichtet, daß Jugendliche
ihren Eltern gegenüber dann auch zum Lügen aufgefordert wurden, so auf
die Art: "Wenn eure Eltern gegen eure Teilnahme sind, dann stellen sie sich
gegen Gott. Dann ist Gehorsam gegen Gott und Ungehorsam gegen die Eltern
angesagt."
Extremsituation und Alltag
Ich meine, wir hätten diese Extremsituation, daß der Glaube
zu Rissen quer durch die Familien führen muß, heute wirklich nicht.
Aber zwei Dinge möchte ich zum weiteren Nachdenken zu Hause doch noch
ansprechen: Den Stellenwert der Familie im Alltag. Und den Stellenwert des
Glaubens im Alltag:
Ist die Familie heilig?
Es gibt Menschen, die stellen ihre Familie über alles. In Umfragen
zum Thema "Was ist Ihnen heilig?" steht bei vielen die Familie ganz
oben. Ich denke nun nicht so sehr an das süd- und südosteuropäische
Verständnis von Familie, wo die Ehre der Familie über alles geht: Wenn
die Familienehre verletzt ist, ist auch ein Mord möglich, ja sogar geboten.
So weit, daß junge Mädchen, die die Ehre der Familie verletzt haben,
sogar von ihren eigenen Brüdern getötet werden, um diese Ehre wieder
herzustellen.
Ich denke eher an die Gefahr, daß in der Familie einer den anderen
besitzen will. Die Gefahr, daß man nicht lernt, daß einer dem
anderen Freiheit lassen muß, einer den anderen auch loslassen und hergeben
muß. Es liegt kein Segen darin, wenn auf Dauer und über den Ablösungsprozess
der Pubertät hinaus, Kinder für die Eltern das Allerwichtigste sind
und umgekehrt. Die Familie darf sozusagen nicht zum Gott werden, zum Abgott.
Dann stünde das 4. Gebot auf einmal unversehens über dem 1. Gebot. Und
das kann dann so weit führen, daß nach außen hin über
alles, ja wirklich alles ein Mäntelchen des Schweigens gedeckt wird. So
weit, daß es Gewalt, Mißbrauch oder Alkoholprobleme über Jahre
hinweg gibt und niemand etwas gewußt und gesehen haben will.
Wohltemperierter Glaube?
Und das andere: Könnte nicht doch etwas faul sein, wenn der
christliche Glaube überhaupt keine Konflikte mehr erzeugt, niemanden mehr ärgert,
niemanden mehr entzweit und gar nicht mehr zum Streit führt? Ist unser
Christentum heute vielleicht allzu wohltemperiert und langweilig geworden, so
fragen viele. Auch Journalisten, die der Kirche nicht besonders nahe stehen,
fragen inzwischen danach, wo ihre Stimme denn überhaupt noch zu hören
sei.
Die Evangelische Kirche und der Sonntag
Deswegen noch ein Beispiel zum Schluß, auch wenn es vielleicht
nicht ganz so passend ist: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat in
dieser Woche eine öffentliche Kampagne zum Schutz des Sonntags eröffnet
unter dem Motto: "Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage" Und sie hat überraschend
dafür fast nur Lob erhalten. Die Politiker fast aller Richtungen haben sich
in dieser Woche zum Schutz des Sonntags bekannt. Also auch wieder ein Thema, wo
Kirche nicht besonders angeeckt ist. Aber ein wichtiges Thema allzumal. Man muß
ja nicht immer gleich anecken. Amen |