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Die Predigt vom 24. Oktober 1999: »Gott oder die Familie?«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 21. Sonntag nach Trinitatis mit dem Thema "Die geistliche Waffenrüstung". Predigttext war der Abschnitt "Entzweiungen in der Familie" aus dem Matthäusevangelium Kapitel 10:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben
.)

34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

Predigt

Frieden oder Gewalt?

34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert.

Können Sie sich dieses Wort im Mund Jesu vorstellen? "Ihr bildet euch ein, ich sei als Friedensbringer in die Welt gekommen. Ihr täuscht eucht: Meine Sendung, meine Aufgabe, mein Lebenszweck ist es, nicht Frieden, sondern Kampf zu bringen?"

Jesus und die Gewalt

Wir haben hier eines der vielen schwierigen Worte des Neuen Testaments vor uns. In einem Buch wird das Wort unter die sog. "Rätselsprüche" Jesu eingeordnet. Die Theologen sind verschieden damit umgegangen. Die einen haben gesagt: Da seht ihr, daß Jesus doch ein politischer Messias war. Wie die damalige Untergrund-Befreiungsbewegung der Zeloten wollte er doch den bewaffneten Kampf gegen die römischen Besatzer. Andere sagen: Das ist nur innerlich gemeint. Wer Jesus begegnet, der erlebt innere Unruhe, inneren Streit und Aufruhr in seiner Seele.

Jesus und die Gewalt

Daß Jesus die Gewalt gewollt habe, dagegen spricht alles, was wir sonst aus den Evangelien von ihm wissen. Sehen wir uns als Beispiel nur die heutige Evangelienlesung an: Wie kann der, der geboten hat, lieber die andere Backe auch noch hinzuhalten und sich nicht provozieren zu lassen, zum bewaffneten Kampf aufrufen? Ja, würde er seinen Anhängern sonst zumuten, auch die letzte Schwelle noch zu überspringen und die Feinde zu lieben? Und hat er nicht bei seiner Gefangennahme zu Petrus, der ihn verteidigen wollte, gesagt: "Stecke dein Schwert wieder zurück an seinen Platz."

Nicht Gewalt, sondern Entscheidung

Worte der Bibel dürfen nicht aus ihrem Zusammenhang gerissen und isoliert werden, sondern müssen gerade in ihrem Zusammenhang verstanden werden: Wenn man weiterliest, wird es ein wenig klarer, wenn auch nicht einfacher. Der ganze Abschnitt aus dem Matthäusevangelium Kapitel 10:

34 Ihr sollt nicht meinen, daß ich gekommen bin, Frieden zu bringen auf die Erde. Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert. 35 Denn ich bin gekommen, den Menschen zu entzweien mit seinem Vater und die Tochter mit ihrer Mutter und die Schwiegertochter mit ihrer Schwiegermutter. 36 Und des Menschen Feinde werden seine eigenen Hausgenossen sein. 37 Wer Vater oder Mutter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert; und wer Sohn oder Tochter mehr liebt als mich, der ist meiner nicht wert. 38 Und wer nicht sein Kreuz auf sich nimmt und folgt mir nach, der ist meiner nicht wert. 39 Wer sein Leben findet, der wird's verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen, der wird's finden.

An Jesus scheiden sich die Geister

Jesus hat hier offenbar das Wort "Schwert" bildlich verstanden, nicht als ein Kampfinstrument, sondern als ein Teilungsinstrument: An Jesus scheiden sich die Geister. An ihm entzweien sich die Menschen. Und der Glaube teilt sogar Familien. Der Riß geht mitten durch die menschlichen Bindungen hindurch. Kindern entfremden sich ihren Eltern.

Der Evangelist Matthäus, der als einziger der vier Evangelisten dieses Jesuswort berichtet, hat offenbar in seiner Zeit genau das erlebt: Dem jungen Glauben an den Messias Jesus wandten sich vor allem die jüngeren Menschen zu. Und sie kamen damit in Konflikt mit der älteren Generation, die am Altbewährten festhalten wollte. Als "Anhänger des Neuen Weges" werden die Christen in der Apostelgeschichte treffend beschrieben: Die Christen sozusagen als eine jüdische Sekte. Und als dann die Verfolgungszeit kam, ging der Riß wirklich durch die Familien hindurch. So weit, daß einer den anderen denunziert hat, um den eigenen Hals zu retten.

Jesus und seine Familie

Und dann erinnerte sich Matthäus wohl auch daran, daß Jesus ja auch selber seine Familie hintangestellt hat: Zwei Kapitel weiter erzählt er, daß die Familie ihn wegen des öffentlichen Aufruhrs, den er verursacht hat, am liebsten nach Hause holen wollte. Und Jesus darauf:

48 ... Wer ist meine Mutter, und wer sind meine Brüder? 49 Und er streckte die Hand aus über seine Jünger und sprach: Siehe da, das ist meine Mutter, und das sind meine Brüder! 50 Denn wer den Willen tut meines Vaters im Himmel, der ist mir Bruder und Schwester und Mutter.

Spaltungen aufgrund des Glaubens?

Heißt das nun auch für uns heute, daß da, wo kompromißlos und ernst geglaubt wird, auch Spannungen und Spaltungen in die Familien kommen müssen? Oder umgekehrt: Wenn der Glaube nicht zu Spaltungen und Konflikten führt, wird nicht im Sinne Jesu geglaubt? So wie wir vorhin den ersten Vers im Zusammenhang und nicht isoliert angesehen haben, so müssen wir jetzt den ganzen Abschnitt in seinem größeren Zusammenhang ansehen: Voraus geht ein Abschnitt mit der Überschrift "Die Ansage kommender Verfolgungen". Zwei Sätze nur daraus: 21 Es wird aber ein Bruder den andern dem Tod preisgeben und der Vater den Sohn, und die Kinder werden sich empören gegen ihre Eltern und werden sie töten helfen. 22 Und ihr werdet gehaßt werden von jedermann um meines Namens willen. Wer aber bis an das Ende beharrt, der wird selig werden.

Extremsituationen des Glaubens

Ganz offensichtlich reden diese Worte des Matthäus von der ersten Christenverfolgung der damaligen Zeit. Es geht um die Extremsituation, in die einen der christliche Glaube hineinführen kann. Auch die beiden letzten Sätze des Predigttextes vom "Kreuz auf sich nehmen" und "Leben verlieren" weisen auf diese Extremsituation. Im Extremfall also stand und steht das 1. Gebot über dem 4. Gebot: Wenn man dich im Extremfall vor die Entscheidung stellt, ob du am Glauben an Gott oder an der Autorität der Eltern und an der Familie festhältst, dann fürchte die Trennung nicht.

Die Pubertät und der Glaube

Jesus lädt also nicht ein, das 4. Gebot zu brechen, und den Eltern einfach um des Glaubens Willen die Bindung aufzukündigen. Die Extremsituation einer Christenverfolgung darf man nicht verwechseln mit alltäglichen pubertären Problemen oder Schwierigkeiten zwischen den Generationen. Es kommt ja immer wieder vor, daß Jugendliche in eine christliche oder auch außerchristliche Gruppe gehen, die ihren Eltern nicht gefällt. Jeder fühlt sich auf seine Art im Recht: Die Eltern wollen ihrer Verantwortung gerecht werden und warnen davor oder verbieten vielleicht auch. Und die Jugendlichen im pubertären Trotz machen dann eher das Gegenteil oder werden umso mehr bestärkt.

Die Leiter solcher Gruppen jedoch sollten äußerst vorsichtig sein, solche pubertären Familienprobleme, solche Ablösungsprozesse als eine Art Christenverfolgung mißzuverstehen und diese Worte Jesu als Rechtfertigung heranzuziehen. Es wird ja sogar berichtet, daß Jugendliche ihren Eltern gegenüber dann auch zum Lügen aufgefordert wurden, so auf die Art: "Wenn eure Eltern gegen eure Teilnahme sind, dann stellen sie sich gegen Gott. Dann ist Gehorsam gegen Gott und Ungehorsam gegen die Eltern angesagt."

Extremsituation und Alltag

Ich meine, wir hätten diese Extremsituation, daß der Glaube zu Rissen quer durch die Familien führen muß, heute wirklich nicht. Aber zwei Dinge möchte ich zum weiteren Nachdenken zu Hause doch noch ansprechen: Den Stellenwert der Familie im Alltag. Und den Stellenwert des Glaubens im Alltag:

Ist die Familie heilig?

Es gibt Menschen, die stellen ihre Familie über alles. In Umfragen zum Thema "Was ist Ihnen heilig?" steht bei vielen die Familie ganz oben. Ich denke nun nicht so sehr an das süd- und südosteuropäische Verständnis von Familie, wo die Ehre der Familie über alles geht: Wenn die Familienehre verletzt ist, ist auch ein Mord möglich, ja sogar geboten. So weit, daß junge Mädchen, die die Ehre der Familie verletzt haben, sogar von ihren eigenen Brüdern getötet werden, um diese Ehre wieder herzustellen.

Ich denke eher an die Gefahr, daß in der Familie einer den anderen besitzen will. Die Gefahr, daß man nicht lernt, daß einer dem anderen Freiheit lassen muß, einer den anderen auch loslassen und hergeben muß. Es liegt kein Segen darin, wenn auf Dauer und über den Ablösungsprozess der Pubertät hinaus, Kinder für die Eltern das Allerwichtigste sind und umgekehrt. Die Familie darf sozusagen nicht zum Gott werden, zum Abgott. Dann stünde das 4. Gebot auf einmal unversehens über dem 1. Gebot. Und das kann dann so weit führen, daß nach außen hin über alles, ja wirklich alles ein Mäntelchen des Schweigens gedeckt wird. So weit, daß es Gewalt, Mißbrauch oder Alkoholprobleme über Jahre hinweg gibt und niemand etwas gewußt und gesehen haben will.

Wohltemperierter Glaube?

Und das andere: Könnte nicht doch etwas faul sein, wenn der christliche Glaube überhaupt keine Konflikte mehr erzeugt, niemanden mehr ärgert, niemanden mehr entzweit und gar nicht mehr zum Streit führt? Ist unser Christentum heute vielleicht allzu wohltemperiert und langweilig geworden, so fragen viele. Auch Journalisten, die der Kirche nicht besonders nahe stehen, fragen inzwischen danach, wo ihre Stimme denn überhaupt noch zu hören sei.

Die Evangelische Kirche und der Sonntag

Deswegen noch ein Beispiel zum Schluß, auch wenn es vielleicht nicht ganz so passend ist: Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat in dieser Woche eine öffentliche Kampagne zum Schutz des Sonntags eröffnet unter dem Motto: "Ohne Sonntag gibt's nur noch Werktage" Und sie hat überraschend dafür fast nur Lob erhalten. Die Politiker fast aller Richtungen haben sich in dieser Woche zum Schutz des Sonntags bekannt. Also auch wieder ein Thema, wo Kirche nicht besonders angeeckt ist. Aber ein wichtiges Thema allzumal. Man muß ja nicht immer gleich anecken. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de