Predigt |
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Ein Bußtag für alle
Als vor fünf Jahren die evangelische Kirche für den Erhalt des
Buß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag gekämpft hat, dann u.a.
deshalb, weil er ein Tag es öffentlichen, des gemeinsamen Nachdenkens ist.
Kritiker innerhalb und außerhalb der Kirche haben damals eingewandt, sich
auf sein Leben besinnen und beichten könne man doch auch ohne den Feiertag.
Luther habe gesagt, das ganze Leben solle Buße sein. Das ist sicher
richtig. Doch die Kritiker haben übersehen, daß der Bußtag seit
seiner Einführung in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nie ein
privater, sondern immer ein öffentlicher Bußtag war. So war es auch
schon im Alten Testament: Es gab die Buße des Einzelnen und es gab den Bußtag
des Volkes. Eine Gemeinschaft, eine ganze Gesellschaft soll nachdenken, was an
der Zeit ist.
Ein Sonntag für alle
Ähnlich verhält es sich ja auch mit dem derzeitigen Einsatz für
den Sonntag, der nicht ein Arbeitstag wie alle anderen werden soll. Ginge es nur
darum, daß der Einzelne sein 3. Gebot erfüllen kann, daß er
seinen Feiertag heiligen kann, könnten die Kritiker zu Recht sagen: Ihr
Christen seid nicht mehr die Mehrheit der Gesellschaft. Ihr könnt die
privaten christlichen Bedürfnisse nicht über die Bedürfnisse der
Gesellschaft stellen. Glaube ist Privatsache. Doch wir kämpfen für den
Sonntag, weil wir meinen, dieser gemeinsame Tag sei gerade für die
Gesellschaft entscheidend. Einer Familie geht etwas verloren, wenn der Sonntag
verloren geht. Der ganzen Gemeinschaft geht etwas verloren, wenn der Sonntag
verloren geht. Nicht daß jeder seinen eigenen freien Tag hat, ist
entscheidend, sondern daß es einen gemeinsamen freien Tag gibt.
Mitgehangen Mitgefangen
Der Bußtag also als ein Tag des gemeinsamen Nachdenkens und der
gemeinsamen Besinnung. Der Bußtag als ein Tag des Nachdenkens über
die Verflechtungen von Schuld. Gerne profitieren wir von der Gesellschaft, wir
profitieren als Einzelne von den Leistungen anderer. Dann müssen wir uns
aber auch der gemeinsamen Schuld stellen. Es gibt Dinge, die wir alle
miteinander als Gemeinschaft zu verantworten haben und wo sich keiner
heraushalten kann: Schutz der Umwelt, Einsatz für die Demokratie, Einsatz für
die Schwachen der Gesellschaft usw. Da müssen wir alle miteinander gerade
stehen. Egal, ob wir uns als Einzelne im Einzelfall schuldig gemacht haben oder
nicht. Auch wenn wir selber uns persönlich nichts zu Schulden kommen
lassen, so sind wir vor späteren Generationen zumindest so weit
verantwortlich, daß wir nicht laut genug den Mund aufgemacht haben.
Auf diese Weise den Blick auf die Gemeinschaft richten, dazu lädt
auch der Spruch für den Bußtag ein:
"Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute
Verderben." (Sprüche 14,34) Nicht vom Einzelnen ist die Rede,
sondern vom "Volk" und von den "Leuten". Noch deutlicher in
der Übersetzung der "Guten Nachricht: "Gerechtigkeit macht ein
Volk groß, aber Unrecht macht ihm Schande." (Die Verantwortung des
Einzelnen kennen die Sprüche auch. Drei Verse vorher heißt es z.B.: "Wer
dem Geringen Gewalt antut, lästert dessen Schöpfer, aber wer sich des
Armen erbarmt, der ehrt Gott.")
So haben wir, obwohl wir einzelne sind, als Glieder einer Gemeinschaft
Verantwortung: Als Christen vor den anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die zu
Recht unser Handeln und Reden kritisch überprüfen. Oder auch als
ganzes deutsches Volk vor unseren Nachbarn. Oder als Angehörige der
derzeitigen Generation vor den künftigen Generationen.
Sich den dunklen Punkten der Geschichte stellen
Deswegen hat unsere Bayerische Landeskirche eingeladen, an diesem Bußtag
1999 die gemeinsame christliche Vergangenheit nicht auszuklammern. Am Ende von
zwei Jahrtausenden Christentum soll nicht unter den Teppich gekehrt werden, was
in christlichem Namen in diesen Jahrhunderten auch Unchristliches geschehen ist.
Deswegen soll heute ganz bewußt auch an dunkle Punkte der christlichen
Geschichte wie die Kreuzzüge, die Hexenverfolgung oder die Judenverfolgung
erinnert werden. Ein anderer Punkt wurde in dem Aufruf zu diesem Gottesdienst
nicht genannt, darf aber nach meiner Meinung auch nicht verschwiegen werden: Daß
nämlich in Deutschland vor 1000 Jahren viele Menschen, z.B. die Sachsen,
mit Waffengewalt und nicht mit Überzeugung zu Christen gemacht wurden.
Friedrich von Bodelschwingh hat einmal im Blick auf Silvester gesagt: "Man
kann nicht in einen neuen Raum gehen, ohne die Tür hinter sich zu zu
machen." So verstehe ich das Anliegen unserer Landeskirche für diesen
Bußtag vor dem Jahr 2000.
Das ist doch lange her ...
Einfach ist eine solche Rückbesinnung nicht: Sicher, man kann sich
geschichtlich erinnern, was einmal gewesen ist. Aber weil man selber nichts dafür
kann, und weil das alles schon lange her ist, ist es schwer, das mit dem nötigen
Ernst zu tun. Das gilt ja allein schon für die Dinge, die in den 30er und
40er Jahren in Deutschland geschehen sind. Damalige sagen: "Davon wußten
wir nichts." Oder: "Das ganze Ausmaß kannten wir nicht."
Oder: "Wir haben als Soldaten davon nichts mitbekommen und es erst nach dem
Krieg erfahren." Oder: "Was hätte man als kleiner Mann tun
sollen?" Und heutige sagen: "Damals habe ich noch nicht gelebt."
und sprechen von der sog. "Gnade der späten Geburt".
Und doch müssen wir uns als Deutsche dieser Geschichte stellen,
auch wenn wir nicht beteiligt waren. "Stellen" nicht in dem Sinne, daß
wir die Schuld auf uns nehmen müssen. Aber es gehört zu unserer
gemeinsamen Geschichte. Es gehört zu unseren Wurzeln. Und wenn, worüber
ja heute noch einmal verhandelt worden ist, damals Industriekonzerne von solcher
Ausbeutung finanziell profitiert haben, dann müssen die Rechtsnachfolger
dafür auch finanziell gerade stehen. Auch wenn sich Opferanwälte dabei
eine goldene Nase verdienen mögen.
Aus der Geschichte lernen
Noch weiter von uns weg als die Ereignisse von vor 60 Jahren sind nun
die anderen wie die Kreuzzüge oder die Hexenverfolgung oder gar die
Sachsenmission. Und doch gilt auch für sie die Lebensweisheit, an die immer
wieder erinnert wird: "Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung."
Oder mit ähnlichen Worten: "Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist
verurteilt, die gleichen Fehler noch einmal zu begehen."
Und so sollen wir uns dem am Bußtag vor dem Jahr 2000 ganz einfach
auch stellen: Es waren Christen, die andere mit Feuer und Schwert missionieren
wollten. Die Kreuzzüge wurden von Christen durchgeführt. Die Hexen von
Christen verfolgt. Und ebenso die Juden.
Mission mit Feuer und Schwert
Man spricht zwar von der Sachsenmission, so als hätte man damals
andere mit Worten vom christlichen Glauben überzeugt. Doch die Sachsen, die
Friesen und die Slawen wurden unter Karl dem Großen nun einmal mit Gewalt
dem christlichen Frankenreich einverleibt. Und die damalige Kirche hat durch
Massentaufen das böse Spiel guten Gewissens mitgespielt.
"Das war noch in der katholischen Zeit vor der Reformation!",
könnte man sich beruhigt zurücklehnen. Oder: "Wir waren nicht
dabei. Wir hätten es sicher ganz anders gemacht." Das stimmt natürlich
- oder vielleicht. Aber auch heute wieder ist Mission, ist Einladung zum Glauben
unsere gemeinsame Aufgabe. Und wie sie am besten geschieht, ist eine große
Herausforderung. Kann man die geschichtsvergessen anpacken? Soll man ähnliche
oder gleiche Fehler wieder machen?
Die Kreuzzüge
Die sieben Kreuzzüge, zu denen die Kirche vom 11. bis 13.
Jahrhundert aufrief, waren ursprünglich auch gut gemeint. Sie sollten nach
der Eroberung durch den Islam den Zugang zu den heiligen Stätten in Palästina
wieder möglich machen. Doch das Religiöse war oft nur ein Vorwand, und
die damit verbundenen Unmenschlichkeiten wurden von der Kirche abgesegnet. Auch
da könnte man sagen: "Wir waren nicht dabei. Das ist lange her."
Aber vielleicht noch mehr als damals ist für uns heute der Umgang mit
anderen Religionen und Kulturen eine große Herausforderung. Auch die kann
man nicht geschichtsvergessen anpacken.
Hexenverfolgung
Hexen, Juden und Glaubensabweichler wurden im Mittelalter von den
Christen verfolgt, weil man - verkürzt gesagt - in schwierigen Zeiten Sündenböcke
brauchte. Und die Kirche spielte mit oder war sogar die treibende Kraft. "Auch
dafür können wir nichts. Wir waren ja nicht dabei." Aber gibt es
das Problem mit den Sündenböcken nicht in jeder Generation wieder?
Haben wir nicht noch mehr als früher mit Andersdenkenden zu tun? Können
wir als Christen glaubwürdig sein, ohne uns dieser Geschichte zu stellen?
"Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung"
In diesem Sinn gilt für mich der jüdische Grundsatz: "Erinnerung
ist das Geheimnis der Erlösung." für den Bußtag am Ende des
2. Jahrtausends der Christenheit. Erlöst von der Vergangenheit, frei von
der Last der Vergangenheit kann nur der in die Zukunft gehen, der vor der
Vergangenheit nicht die Augen verschließt. Das verleihe Gott uns allen.
Amen
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