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Die Predigt vom Bußtag 1999: »Sich der dunklen Vergangenheit stellen«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

Die evangelische Kirche beging am Mittwoch den Buß- und Bettag, der im vergangenen Jahrhundert als gemeinschaftlicher Besinnungstag eingerichtet wurde. Thema dieses Tages ist nicht so sehr das Versagen des Einzelnen, sondern die Schuldverstrickung der Gesellschaft.

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter Glaube und Leben
.)

Ich habe nicht über den vorgeschlagenen Text gepredigt, sondern die Anregung der Bayerischen Landeskirche aufgenommen, einen "Bußakt im Blick auf 2000 Jahre Christentum" unter dem Thema "Erinnern – Bekennen – Frei werden" zu begehen. Es handelt sich deswegen eher um einen Themapredigt, in der aber auch auf den Wochenspruch eingegangen wird.

Predigt

Ein Bußtag für alle

Als vor fünf Jahren die evangelische Kirche für den Erhalt des Buß- und Bettages als gesetzlicher Feiertag gekämpft hat, dann u.a. deshalb, weil er ein Tag es öffentlichen, des gemeinsamen Nachdenkens ist. Kritiker innerhalb und außerhalb der Kirche haben damals eingewandt, sich auf sein Leben besinnen und beichten könne man doch auch ohne den Feiertag. Luther habe gesagt, das ganze Leben solle Buße sein. Das ist sicher richtig. Doch die Kritiker haben übersehen, daß der Bußtag seit seiner Einführung in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts nie ein privater, sondern immer ein öffentlicher Bußtag war. So war es auch schon im Alten Testament: Es gab die Buße des Einzelnen und es gab den Bußtag des Volkes. Eine Gemeinschaft, eine ganze Gesellschaft soll nachdenken, was an der Zeit ist.

Ein Sonntag für alle

Ähnlich verhält es sich ja auch mit dem derzeitigen Einsatz für den Sonntag, der nicht ein Arbeitstag wie alle anderen werden soll. Ginge es nur darum, daß der Einzelne sein 3. Gebot erfüllen kann, daß er seinen Feiertag heiligen kann, könnten die Kritiker zu Recht sagen: Ihr Christen seid nicht mehr die Mehrheit der Gesellschaft. Ihr könnt die privaten christlichen Bedürfnisse nicht über die Bedürfnisse der Gesellschaft stellen. Glaube ist Privatsache. Doch wir kämpfen für den Sonntag, weil wir meinen, dieser gemeinsame Tag sei gerade für die Gesellschaft entscheidend. Einer Familie geht etwas verloren, wenn der Sonntag verloren geht. Der ganzen Gemeinschaft geht etwas verloren, wenn der Sonntag verloren geht. Nicht daß jeder seinen eigenen freien Tag hat, ist entscheidend, sondern daß es einen gemeinsamen freien Tag gibt.

Mitgehangen – Mitgefangen

Der Bußtag also als ein Tag des gemeinsamen Nachdenkens und der gemeinsamen Besinnung. Der Bußtag als ein Tag des Nachdenkens über die Verflechtungen von Schuld. Gerne profitieren wir von der Gesellschaft, wir profitieren als Einzelne von den Leistungen anderer. Dann müssen wir uns aber auch der gemeinsamen Schuld stellen. Es gibt Dinge, die wir alle miteinander als Gemeinschaft zu verantworten haben und wo sich keiner heraushalten kann: Schutz der Umwelt, Einsatz für die Demokratie, Einsatz für die Schwachen der Gesellschaft usw. Da müssen wir alle miteinander gerade stehen. Egal, ob wir uns als Einzelne im Einzelfall schuldig gemacht haben oder nicht. Auch wenn wir selber uns persönlich nichts zu Schulden kommen lassen, so sind wir vor späteren Generationen zumindest so weit verantwortlich, daß wir nicht laut genug den Mund aufgemacht haben.

Auf diese Weise den Blick auf die Gemeinschaft richten, dazu lädt auch der Spruch für den Bußtag ein: "Gerechtigkeit erhöht ein Volk, aber die Sünde ist der Leute Verderben." (Sprüche 14,34) Nicht vom Einzelnen ist die Rede, sondern vom "Volk" und von den "Leuten". Noch deutlicher in der Übersetzung der "Guten Nachricht: "Gerechtigkeit macht ein Volk groß, aber Unrecht macht ihm Schande." (Die Verantwortung des Einzelnen kennen die Sprüche auch. Drei Verse vorher heißt es z.B.: "Wer dem Geringen Gewalt antut, lästert dessen Schöpfer, aber wer sich des Armen erbarmt, der ehrt Gott.")

So haben wir, obwohl wir einzelne sind, als Glieder einer Gemeinschaft Verantwortung: Als Christen vor den anderen Mitgliedern der Gesellschaft, die zu Recht unser Handeln und Reden kritisch überprüfen. Oder auch als ganzes deutsches Volk vor unseren Nachbarn. Oder als Angehörige der derzeitigen Generation vor den künftigen Generationen.

Sich den dunklen Punkten der Geschichte stellen

Deswegen hat unsere Bayerische Landeskirche eingeladen, an diesem Bußtag 1999 die gemeinsame christliche Vergangenheit nicht auszuklammern. Am Ende von zwei Jahrtausenden Christentum soll nicht unter den Teppich gekehrt werden, was in christlichem Namen in diesen Jahrhunderten auch Unchristliches geschehen ist. Deswegen soll heute ganz bewußt auch an dunkle Punkte der christlichen Geschichte wie die Kreuzzüge, die Hexenverfolgung oder die Judenverfolgung erinnert werden. Ein anderer Punkt wurde in dem Aufruf zu diesem Gottesdienst nicht genannt, darf aber nach meiner Meinung auch nicht verschwiegen werden: Daß nämlich in Deutschland vor 1000 Jahren viele Menschen, z.B. die Sachsen, mit Waffengewalt und nicht mit Überzeugung zu Christen gemacht wurden.

Friedrich von Bodelschwingh hat einmal im Blick auf Silvester gesagt: "Man kann nicht in einen neuen Raum gehen, ohne die Tür hinter sich zu zu machen." So verstehe ich das Anliegen unserer Landeskirche für diesen Bußtag vor dem Jahr 2000.

Das ist doch lange her ...

Einfach ist eine solche Rückbesinnung nicht: Sicher, man kann sich geschichtlich erinnern, was einmal gewesen ist. Aber weil man selber nichts dafür kann, und weil das alles schon lange her ist, ist es schwer, das mit dem nötigen Ernst zu tun. Das gilt ja allein schon für die Dinge, die in den 30er und 40er Jahren in Deutschland geschehen sind. Damalige sagen: "Davon wußten wir nichts." Oder: "Das ganze Ausmaß kannten wir nicht." Oder: "Wir haben als Soldaten davon nichts mitbekommen und es erst nach dem Krieg erfahren." Oder: "Was hätte man als kleiner Mann tun sollen?" Und heutige sagen: "Damals habe ich noch nicht gelebt." und sprechen von der sog. "Gnade der späten Geburt".

Und doch müssen wir uns als Deutsche dieser Geschichte stellen, auch wenn wir nicht beteiligt waren. "Stellen" nicht in dem Sinne, daß wir die Schuld auf uns nehmen müssen. Aber es gehört zu unserer gemeinsamen Geschichte. Es gehört zu unseren Wurzeln. Und wenn, worüber ja heute noch einmal verhandelt worden ist, damals Industriekonzerne von solcher Ausbeutung finanziell profitiert haben, dann müssen die Rechtsnachfolger dafür auch finanziell gerade stehen. Auch wenn sich Opferanwälte dabei eine goldene Nase verdienen mögen.

Aus der Geschichte lernen

Noch weiter von uns weg als die Ereignisse von vor 60 Jahren sind nun die anderen wie die Kreuzzüge oder die Hexenverfolgung oder gar die Sachsenmission. Und doch gilt auch für sie die Lebensweisheit, an die immer wieder erinnert wird: "Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung." Oder mit ähnlichen Worten: "Wer nicht aus der Geschichte lernt, ist verurteilt, die gleichen Fehler noch einmal zu begehen."

Und so sollen wir uns dem am Bußtag vor dem Jahr 2000 ganz einfach auch stellen: Es waren Christen, die andere mit Feuer und Schwert missionieren wollten. Die Kreuzzüge wurden von Christen durchgeführt. Die Hexen von Christen verfolgt. Und ebenso die Juden.

Mission mit Feuer und Schwert

Man spricht zwar von der Sachsenmission, so als hätte man damals andere mit Worten vom christlichen Glauben überzeugt. Doch die Sachsen, die Friesen und die Slawen wurden unter Karl dem Großen nun einmal mit Gewalt dem christlichen Frankenreich einverleibt. Und die damalige Kirche hat durch Massentaufen das böse Spiel guten Gewissens mitgespielt.

"Das war noch in der katholischen Zeit vor der Reformation!", könnte man sich beruhigt zurücklehnen. Oder: "Wir waren nicht dabei. Wir hätten es sicher ganz anders gemacht." Das stimmt natürlich - oder vielleicht. Aber auch heute wieder ist Mission, ist Einladung zum Glauben unsere gemeinsame Aufgabe. Und wie sie am besten geschieht, ist eine große Herausforderung. Kann man die geschichtsvergessen anpacken? Soll man ähnliche oder gleiche Fehler wieder machen?

Die Kreuzzüge

Die sieben Kreuzzüge, zu denen die Kirche vom 11. bis 13. Jahrhundert aufrief, waren ursprünglich auch gut gemeint. Sie sollten nach der Eroberung durch den Islam den Zugang zu den heiligen Stätten in Palästina wieder möglich machen. Doch das Religiöse war oft nur ein Vorwand, und die damit verbundenen Unmenschlichkeiten wurden von der Kirche abgesegnet. Auch da könnte man sagen: "Wir waren nicht dabei. Das ist lange her." Aber vielleicht noch mehr als damals ist für uns heute der Umgang mit anderen Religionen und Kulturen eine große Herausforderung. Auch die kann man nicht geschichtsvergessen anpacken.

Hexenverfolgung

Hexen, Juden und Glaubensabweichler wurden im Mittelalter von den Christen verfolgt, weil man - verkürzt gesagt - in schwierigen Zeiten Sündenböcke brauchte. Und die Kirche spielte mit oder war sogar die treibende Kraft. "Auch dafür können wir nichts. Wir waren ja nicht dabei." Aber gibt es das Problem mit den Sündenböcken nicht in jeder Generation wieder? Haben wir nicht noch mehr als früher mit Andersdenkenden zu tun? Können wir als Christen glaubwürdig sein, ohne uns dieser Geschichte zu stellen?

"Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung"

In diesem Sinn gilt für mich der jüdische Grundsatz: "Erinnerung ist das Geheimnis der Erlösung." für den Bußtag am Ende des 2. Jahrtausends der Christenheit. Erlöst von der Vergangenheit, frei von der Last der Vergangenheit kann nur der in die Zukunft gehen, der vor der Vergangenheit nicht die Augen verschließt. Das verleihe Gott uns allen. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de