Evang.-Luth. Kirchengemeinde Bayreuth-Auferstehungskirche

Die Predigt vom 12. Dezember 1999: »Seid Ihr auch alle brav gewesen?«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

  Die evangelische Kirche beging am Sonntag den 3. Advent. Er handelt von der Vorbereitung auf das Kommen Gottes, auf das die Christen sich in der Adventszeit besinnen. Im Evangelium geht es um Johannes den Täufer, den Vorläufer Jesu. Die Epistel handelt davon, daß Gott einmal alles richten (in einem doppelten Sinne) wird. Der Predigttext dieses Jahres stand im 15. Kapitel des Briefs an die Gemeinde in Rom:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
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Glaube und Leben.)

  4 Denn was zuvor geschrieben ist, das ist uns zur Lehre geschrieben, damit wir durch Geduld und den Trost der Schrift Hoffnung haben. 5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.
8 Denn ich sage: Christus ist ein Diener der Juden geworden um der Wahrhaftigkeit Gottes willen, um die Verheißungen zu bestätigen, die den Vätern gegeben sind; 9 die Heiden aber sollen Gott loben um der Barmherzigkeit willen, wie geschrieben steht (Psalm 18,50): »Darum will ich dich loben unter den Heiden und deinem Namen singen.« 10 Und wiederum heißt es (5. Mose 32,43): »Freut euch, ihr Heiden, mit seinem Volk!« 11 Und wiederum (Psalm 117,1): »Lobet den Herrn, alle Heiden, und preist ihn, alle Völker!« 12 Und wiederum spricht Jesaja (Jesaja 11,10): »Es wird kommen der Sproß aus der Wurzel Isais und wird aufstehen, um zu herrschen über die Heiden; auf den werden die Heiden hoffen.«
13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Predigt

  Advent: Kommt Gott nur zu den Braven?

"Wenn du nicht brav bist, dann kommt das Christkind heuer nicht." Das oder Ähnliches müssen sich Kinder manchmal anhören.

Ein solcher Satz, meistens gedankenlos dahingesagt, hat seine zwei Seiten: Auf der einen Seite stimmt er, Gott sei Dank, nicht: Eltern oder Großeltern meinen es nicht ernst. Sie versuchen nur, wenn ihnen gerade einmal wieder die Geduld und die Methoden ausgehen, ein anderes Erziehungsmittel. Und sie meinen ja auch gar nicht, daß dann das Christkind nicht käme, sondern sie selber würden es sich mit ihren Geschenken noch einmal überlegen.

Doch nicht nur, weil Eltern es letztlich gar nicht ernst meinen, stimmt der Satz nicht. Er stimmt auch vom Sinn, er stimmt von der Bibel her nicht: Daß es Advent und Weihnachten wird, hängt ja, Gott sei Dank, nicht an uns. Wir können es nicht Advent werden lassen. Wir können Gott nicht kommen lassen, so wie man sich den Nikolaus kommen läßt. Er kommt ohne unser Zutun. Wenn es wirklich nur Advent würde, wenn wir innerlich ordentlich vorbereitet sind ...! Wenn es wirklich nur Weihnachten würde, wenn wir brav waren ...! Oh! Oh!

Also: "Wenn Ihr nicht brav seid, dann kommt das Christkind heuer nicht." Dieser Satz stimmt eigentlich nicht. Und doch ist auf der anderen Seite ein Kern Wahrheit darin. Gott kommt zwar ganz gewiß. Er ist unterwegs zu einem jeden von uns. Aber es könnte sein, daß er vor der Tür stehen bleiben muß, weil wir viel zu sehr mit uns selbst beschäftigt sind.

Advent und die Gemeinde damals in Rom

Kann es in einer christlichen Gemeinde überhaupt Advent werden, wenn es an echter Gemeinschaft fehlt? Diese Frage treibt den Apostel Paulus um, als er damals die christliche Gemeinde in der Stadt Rom ansieht. "Advent wird es bei euch nur, wenn Ihr Euch einig seid, und wenn Ihr einander annehmt." Im Brief an die Römer Kapitel 15:

5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob. 13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Spannungen in der Gemeinde in Rom

Ein paar schwierige Zeilen habe ich zwischendrin ausgelassen, aus denen man aber herauslesen kann, daß es in Gemeinde in Rom Spannungen gab: Rom war eine Weltstadt, eine bunte Hafenstadt, und die Gemeinde dort in der Folge eine bunte, zusammengewürfelte Gemeinde. Reiche und Arme, verschiedene Nationalitäten, verschiedene gesellschaftliche Positionen. Und das größte Problem offenbar: Manche von den Gemeindegliedern waren Juden, bevor sie Christen wurden. Manche waren vorher Heiden. Das waren denkbar ungleiche Voraussetzungen. Ehemalige Juden brachten viel mit: Das Alte Testament mit dem Glauben an den einen Gott, die Gebote, die Nächstenliebe und vieles mehr. Menschlich verständlich, wenn sie deshalb die ehemaligen Heiden eher als Christen zweiter Klasse angesehen hätten.

"Aber jetzt, wo Ihr zusammen zu einer Gemeinde gehört", trichtert ihnen Paulus ein, "dürft Ihr nicht dauernd die Vergangenheit und das Trennende betonen, sondern Ihr müßt zusammenwachsen. Nehmt euch an mit eurer Verschiedenheit und mit euren ungleichen Voraussetzungen."

Unsere Gemeinde heute

5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander, Christus Jesus gemäß, 6 damit ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus. 7 Darum nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Juden- oder Heidenchristen, das ist zwar nicht mehr unser Problem heute, aber doch gehören zu unserer Kirchengemeinde Menschen mit ganz verschiedener Herkunft und den verschiedensten Voraussetzungen: von alten eingeborenen Saasern bis hin zu Flüchtlingen, von Arbeitern bis hin zu Universitätsprofessoren und Doktoren, junge und alte. Menschen, die als Säuglinge getauft wurden und dann durch Schule und Konfirmandenunterricht mit der Kirche in Kontakt kamen - und Zugezogene, die in einer atheistischen Umgebung aufgewachsen sind, und jetzt erst zur Kirche gefunden haben und sich haben taufen lassen. Menschen, zwar getauft, die aber in ihrem Elternhaus nichts vom Glauben, dem Kirchgang und dem Gebet mitbekommen haben - und solche, die von Kind auf, z.B. durch den CVJM in ihrem persönlichen Glauben geprägt wurden. Und wenn wir jetzt weiterdenken würden, würden wir wohl noch eine ganze Reihe weiterer Unterschiede entdecken.

Ein bunter Haufen. Und daraus soll Gemeinde werden!? Was wird uns von Paulus ins Stammbuch geschrieben:
• einträchtig gesinnt sein
• mit einem Mund Gott loben
• einander annehmen

Christliche Gemeinde beginnt im Kopf

5 Der Gott aber der Geduld und des Trostes gebe euch, daß ihr einträchtig gesinnt seid untereinander.

"Eintracht", das Wort gibt es heut bloß noch im Fußball. Da müssen auch Menschen zusammenhalten und sich auf das gemeinsame Ziel besinnen. "Elf Freunde müßt ihr sein." soll eines der Erfolgsrezepte des alten Sepp Herberger gewesen sein. "Ein-tracht", das kommt von "trachten nach etwas", auf etwas zugehen, ein Ziel verfolgen, etwas wollen. "Einträchtig gesinnt" bedeutet also: Wenn eine Gemeinde wirklich Gemeinde sein will, dann geht das im Kopf los. Man muß sich erst besinnen. Ohne ein Ziel braucht man gar nicht loszulaufen. Ohne, daß der Einzelne entdeckt, daß er auch gebraucht wird, braucht man gar nicht anzufangen.

Haben wir ein gemeinsames Ziel in der Kirchengemeinde? In meinen Arbeiten an der Chronik bin ich ja immer in der Zeit vor 40 Jahren. Man war um 1960 auf dem Weg zu einem eigenen Kirchengebäude und zu einer eigenen Kirchengemeinde. Gewiß nicht alle, aber doch viele haben mit Pfarrer Gerhard Spieß da an einem Strang gezogen: geplant, gespendet und dann auch selbst Hand angelegt. Für viele ging zumindest in diesen ersten Jahren mit Pfr. Spieß ein deutlicher Ruck durch die Gemeinde.

Wir haben heute kein gemeinsames Bauvorhaben. An einem Strang ziehen, einträchtig vorangehen, das kann es also nur beim inneren Gemeindeaufbau geben. Wursteln wir als Gemeinde nur vor uns hin? Oder haben wir Ziele? Und welche haben wir? Ich werfe die Frage einfach in den Raum. Ich kann sie nicht beantworten. Wir können das nur gemeinsam. Und ich würde mich freuen, wenn ich die eine oder andere Rückmeldung dazu bekäme.

Das gemeinsame Singen und die Einigkeit

"Einträchtig gesinnt sein", das war mit den Worten des Paulus das erste. Das zweite, was er uns ins Stammbuch schreibt:

6 daß ihr einmütig mit einem Munde Gott lobt, den Vater unseres Herrn Jesus Christus.

"Einmütig mit einem Mund Gott loben." Beim "Einträchtig gesinnt sein" ging es ums Denken und Fühlen. Gemeinde geht im Kopf los, sagte ich. Hier nun geht es ums Reden und auch ums Singen. Gemeinde lebt also zweitens davon, daß Menschen miteinander den Mund aufmachen. Wo und wann kann man am leichtesten mit einem Mund reden, ohne daß es durcheinander geht wie in der sprichwörtlichen Judenschule? Beim Singen. Und das gilt ja nicht nur für die christliche Gemeinde. Warum wird denn im Stadion gesungen oder im Bierzelt? Weil das gemeinsame Singen intensiv die Gemeinschaft fördert.

Wer das begriffen hat, der wird auch im Gottesdienst so gut mitmachen, wie er selber nur kann, denn es kommt nicht auf die Genauigkeit und auf die Schönheit an. "Dabei sein ist alles!" heißt es bei der Olympiade. Nicht ganz so leicht mag es bei den Konfirmanden sein, weil sie sich in ihrem so kitzligen Entwicklungsalter schlicht und einfach voreinander genieren. Wer begriffen hat, daß es auf das gemeinsame Singen ankommt, der wird sich auch nicht über Lieder mokieren. Da werden Ältere die Lieder der Jugendlichen mitsingen. Und da werden Jugendliche die Lieder der Älteren nicht abwerten. Und wenn die Sprache eines Liedes wirklich einmal nicht mehr zeitgemäß ist, dann ist da doch noch das gemeinsame Singen. Es ist am Ende wichtiger, als jedes Wort auf die Goldwaage zu legen.

"Mit einem Munde Gott loben." Es geht also beim Singen nicht nur um das Gemeinschaftserlebnis, es geht auch um das gemeinsame Ziel. Das Singen und Loben hat eine Richtung, nämlich den Gott, der uns alle heute früh wieder gesund hat aufwachen lassen und der uns annimmt, so wie wir sind.

Ein Lob den Konfirmanden

"Einträchtig gesinnt sein." Im Kopf und im Herzen also geht Gemeinde los. "Mit einem Mund Gott loben." Mit dem Mund aufmachen geht es weiter. Und nun drittens:

7 Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat zu Gottes Lob.

Denken, reden und nun: handeln. Wenn jemand mit anderen ein gemeinsames Ziel hat, wenn jemand mit anderen zusammen singt, dann wird er auch den anderen neben sich stehen lassen können. Damit geht ja das Sich-annehmen los: den anderen einfach erst einmal stehen lassen zu können. Mit seinem Alter, mit seiner Herkunft, mit seiner Frömmigkeit, mit seinen Überzeugungen.

In diesem Zusammenhang soll ich im Auftrag von Gemeindegliedern übrigens die diesjährigen Konfirmanden im Gottesdienst einmal ausdrücklich loben. Sie würden sich vom vorherigen Jahrgang, was ihr Verhalten und ihre Aufmerksamkeit im Gottesdienst angeht, wohltuend unterscheiden. Bei solchen Kleinigkeiten fängt es an, das "Nehmt einander an, wie Christus euch angenommen hat." Da fängt Gemeinde an, wo Erwachsene die Jugendlichen als junge Christen annehmen und akzeptieren können, auch wenn es manchmal viel Geduld braucht. Und da, wo Jugendliche verstanden haben, daß Erwachsene in einem Gottesdienst etwas mitnehmen wollen, und dafür auch ein wenig ungestörte Aufmerksamkeit brauchen.

Wenn wir auf diesem Weg als Gemeinde miteinander vorankommen: "einträchtig gesinnt sein", "mit einem Mund Gott loben" und "einander annehmen", dann bekommen wir als eine Art Weihnachtsgeschenk nach den Worten des Paulus:

13 Der Gott der Hoffnung aber erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben, daß ihr immer reicher werdet an Hoffnung durch die Kraft des heiligen Geistes.

Hoffnung, Freude, Frieden, Kraft. Das müßte man jetzt auch noch auslegen. Aber, wenn ich auf die Uhr schaue, wäre das wieder eine eigene Predigt.

"Komm, Herr, segne uns, daß wir uns nicht trennen, sondern überall uns zu dir bekennen. Nie sind wir allein, stets sind wir die Deinen. Lachen oder Weinen wird gesegnet sein." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de