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predigt[e].de

Die Predigt vom 27. Februar 2000: »Ein Schwächling verändert die Welt«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

  Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag vor der Passionszeit mit dem Namen Sexagesimä (60 Tage vor Ostern). Thema des Sonntags ist die Wirkung des Wortes Gottes. Predigttext war ein Abschnitt aus dem 2. Brief des Paulus an die Korinther Kapitel 12, in dem Paulus sich gegen Angriffe verteidigt:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Gerühmt muß werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, 4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6 Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. 7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. 8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche. 9 Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. 10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Predigt

  Wie stellen Sie sich Paulus vor?

Wie stellen Sie sich den Apostel Paulus vor? Jenen Mann, der uns auf Schritt und Tritt begegnet in unseren Gottesdiensten und beim Lesen der Bibel. Der Apostel Paulus als Person. Der Mensch hinter den Worten.

Wie stellen Sie ihn sich vor? Den Mann, ohne den die Geschichte womöglich ganz anders gelaufen wäre. Den Mann, der dem christlichen Glauben damals die Tür nach Europa geöffnet hat. Ohne den das Christentum vielleicht immer nur eine kleine jüdische Sekte geblieben wäre.

Wie stellen Sie ihn sich vor? Den Mann, der ruhe- und rastlos fast die ganze damalige Welt zu Fuß durchwanderte, um weiterzuerzählen, daß Jesus Christus nicht nur sein Herr und Retter, sondern der der ganzen Welt sei. In einer Zeit, in der es keine Straßen und Brücken gab, die nach heutiger Vorstellung diesen Namen verdienten, keine Wegweiser und Landkarten, geschweige denn bequeme Wanderschuhe.

Wie stellen Sie ihn sich vor? Den Mann, der zweifellos die Welt verändert hat, auch wenn er das damals so noch gar nicht absehen konnte? Stellen Sie ihn sich vor als einen großen und starken Mann, kräftig gebaut und gut aussehend, voll glühender Redegabe und Überzeugungskraft? Eine Mischung aus Old Shatterhand und Billy Graham?

Eine unscheinbare Erscheinung

Wenn, dann haben Sie sich sicher getäuscht. Das wenige, was wir vom Apostel Paulus als Person wissen - aus seinen Briefen und aus der Apostelgeschichte - zeichnet ein ganz anderes Bild: Einen chronisch kranken Mann mit einer unscheinbaren Erscheinung, noch dazu offenbar nicht sehr redebegabt. Ein Schriftgelehrter, dessen Gedankengängen man sogar in der deutschen Übersetzung stellenweise nur schwer folgen kann. Nein, ganz offensichtlich ist es so, daß ein - mit einem Wort - schwacher Mensch den Gang dieser Welt und ihrer Geschichte verändert hat. Ein Abschnitt aus seinem 2. Brief an die Korinther gibt uns einen kleinen Einblick in sein Denken und Fühlen, einen Einblick in das, was ihn getrieben hat:

1 Gerühmt muß werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn. 2 Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. 3 Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, 4 der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann. 5 Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit. 6 Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört. 7 Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. 8 Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche. 9 Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig. Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne. 10 Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Begierig nach Neuem

Ich will zum besseren Verständnis ein wenig von der Vorgeschichte erzählen: Auf seiner zweiten großen Missionsreise hat Paulus die christliche Gemeinde in Korinth gegründet. Korinth, damals eine Weltstadt, eine Handelsstadt, mindestens so bedeutend wie Rom, zentral im Mittelmeer gelegen. Korinth, als Hafenstadt ein Sammelbecken der verschiedensten Kulturen und damals bekannten Religionsgemeinschaften. Die Menschen waren offen für alles Neue, aber sie waren wohl auch sprunghaft. Paulus bleibt dort für eineinhalb Jahre. Zuerst verdient er sich durch seinen Beruf als Zeltmacher seinen Lebensunterhalt. Später kann er - getragen durch Spenden - den Bau einer christlichen Gemeinde vorantreiben.

Begierig nach dem Spektakulärem

Nach einem Konflikt mit der jüdischen Bevölkerung verläßt er Korinth wieder, um mit dem Schiff weiterzureisen in die damals sehr berühmte und heute untergegangene Stadt Ephesus in Kleinasien. Von dort hält er Kontakt mit der Gemeinde in Korinth (und anderen Gemeinden) durch Briefe. Er hört, wie in seiner Abwesenheit die Gemeinde wächst und gedeiht, wie sie aber auch in verschiedene Parteien und Fraktionen zersplittert. Einige machen große geistliche Erfahrungen. Sie verlieren die Bindung zur Welt und schweben in ihrem Glauben geradezu ein paar Meter über dem Boden und über denen, die nicht so glauben wie sie. Durch christliche Prediger, die nach Paulus in die Gemeinde kommen und den Menschen nach dem Mund reden, wird das noch verstärkt. Sie prahlen mit ihrer geistlichen Vollkommenheit und stellen sich offen gegen den Gemeindegründer Paulus mit seinem armseligen Auftreten und seiner eher stümperhaften Rede. Sie werfen ihm vor, nur aus der Ferne mutig auftreten zu können.

Prahlen, auch wenn es nichts nützt

Paulus reist nach Korinth und bricht schon nach kurzer Zeit wieder auf, nachdem man ihn anscheinend grob persönlich beleidigt und tief verletzt hat. Wieder zurück in Ephesus schreibt er an die Gemeinde. Er tut, was er sonst nicht tut, aber wozu ihn seine Konkurrenten herausgefordert haben: er verteidigt sich und verweist auf seine Verdienste, seine Stärken und geistlichen Erfahrungen. Zuerst zählt er alle seine Entbehrungen und Erlebnisse auf, die ihn mehrmals an den Rand des Todes gebracht haben. Und dann kommt er auf seine geistlichen Erfahrungen zu sprechen:

Gerühmt muß werden; wenn es auch nichts nützt, so will ich doch kommen auf die Erscheinungen und Offenbarungen des Herrn.

Sich selber als Mensch zu rühmen und von seinen Leistungen zu reden, das ist dem Paulus eigentliche zutiefst zuwider. Doch seine Gegner in Korinth und die Gemeindeglieder, die sich durch sie haben beeinflussen lassen, zwingen ihn dazu. Wenn er seine Gemeinde zurückgewinnen will, dann muß er sich darauf einlassen. So erzählt er von seinen geistlichen Erfahrungen, auch wenn das, wie er sagt, eigentlich nichts nützt und nichts zur Sache tut. Er erzählt von Erscheinungen und Offenbarungen, von Erlebnissen also, wo sich ihm sozusagen der Himmel aufgetan hat und er einen Blick in eine andere Welt hat tun können. Solche Erlebnisse, mit denen seine Gegner anscheinend geprahlt haben, kann er auch aufweisen:

Paulus im dritten Himmel

Ich kenne einen Menschen in Christus; vor vierzehn Jahren - ist er im Leib gewesen? ich weiß es nicht; oder ist er außer dem Leib gewesen? ich weiß es auch nicht; Gott weiß es -, da wurde derselbe entrückt bis in den dritten Himmel. Und ich kenne denselben Menschen - ob er im Leib oder außer dem Leib gewesen ist, weiß ich nicht; Gott weiß es -, der wurde entrückt in das Paradies und hörte unaussprechliche Worte, die kein Mensch sagen kann.

Von einem Entrückungserlebnis bis in den dritten Himmel, bis ins Paradies, erzählt Paulus. Dreistöckig, siebenstöckig, ja manchmal zehnstöckig dachte man sich damals den Himmel. Und man meinte damit den Bereich zwischen der Erde und Gott. Wie die Erde gehörte der Himmel zur Schöpfung, und Gott war noch über allem. Was Paulus mit dieser Himmelsreise meint, und wie das wirklich gewesen ist, kann man nicht ergründen. So kann er auch nicht sagen, ob das eine körperliche Reise war, die er da gemacht hat, oder nur eine geistige Erfahrung. Ob er also mit seiner ganzen menschlichen Existenz in dieser anderen Welt war, oder nur mit seinem Geist. Auf jeden Fall hat er da etwas erlebt, was er nicht in Worte fassen kann. Menschliche Worte reichen nicht, um Dinge zu erklären, die über unseren Verstand und unsere sichtbare Welt hinausgehen. Doch, so sagt er, wenn andere sich damit brüsten, ich kann es auch, wenn es sein muß. Aber daß das nicht seine Art ist, und daß er eine solche Erfahrung auch nicht für ausschlaggebend hält, zeigt, daß er nicht in der Ichform redet, sondern so von sich, als wäre er ein anderer.

Ich muß dabei an Menschen denken, die sich anderen Glaubensgemeinschaften zuwenden, weil sie dort geistige Erfahrungen machen wollen, die sie angeblich im christlichen Glauben nicht machen können. Und sie übersehen dabei, welche ungehobenen Schätze in der christlichen Meditation verborgen liegen.

Sich seiner Schwachheit rühmen?

Für denselben will ich mich rühmen; für mich selbst aber will ich mich nicht rühmen, außer meiner Schwachheit.

"Also, wenn es denn sein muß", sagt Paulus, "dann kann ich mich auch mit solchen wunderbaren Erlebnissen rühmen. Aber eigentlich bin ich doch ein anderer. Wenn ich mich ansehe, wie ich wirklich bin, mit beiden Füßen auf der Erde, nicht abgehoben in andere Sphären, da gibt es nichts zu rühmen. Da stelle ich nichts Besonderes dar. Es sei denn, ich würde meine äußere Schwachheit herausstellen."

Und wenn ich mich rühmen wollte, wäre ich nicht töricht; denn ich würde die Wahrheit sagen. Ich enthalte mich aber dessen, damit nicht jemand mich höher achte, als er an mir sieht oder von mir hört.

"Also", so sagt Paulus, "ich könnte mich schon rühmen, ich könnte schon mit großartigen Erfahrungen aufwarten, und würde nicht lügen. Aber ich lasse es sein, damit die Menschen kein falsches Bild von mir bekommen. Sie würden sonst etwas in den Vordergrund stellen, worauf es überhaupt nicht ankommt. Und ich würde in die Versuchung kommen, stolz und hochmütig zu werden, und Gott darüber zu vergessen."

Der Pfahl im Fleisch

Und damit ich mich wegen der hohen Offenbarungen nicht überhebe, ist mir gegeben ein Pfahl ins Fleisch, nämlich des Satans Engel, der mich mit Fäusten schlagen soll, damit ich mich nicht überhebe. Seinetwegen habe ich dreimal zum Herrn gefleht, daß er von mir weiche.

Ganz offenbar hatte Paulus ein körperliches Leiden. Was das war, darüber streiten sich die Gelehrten. Seine Worte geben ganz einfach zu wenig her. Eine körperliche Krankheit hatte er, die er als Pfahl in seinem Fleisch empfindet, ja als einen Satansengel, der ihn wie mit Fäusten traktiert. Diese Krankheit, so versteht er es, soll ihn daran hindern, übermütig und stolz zu werden. Sie soll ihn immer wieder daran erinnern, daß er ein Mensch ist, ein Geschöpf. Dreimal schon, so sagt er, hat er Gott angefleht, ihn von dieser Krankheit zu befreien. Und er hat zu mir gesagt: Laß dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Paulus soll also, wie viele andere glaubende Menschen, seine Krankheit nach Gottes Willen behalten, weil Gott anderes mit ihm vor hat. Gottes Nähe zeigt sich nicht unbedingt in äußerer Stärke und Vollkommenheit. Gottes Nähe, seine Gnade und Kraft, sind oft genug an den scheinbar Schwachen sichtbar. Äußerlich mögen sie schwach sein. Doch so, wie sie mit ihrem Leiden umgehen und für andere da sind, sind sie die eigentlich Starken. Und mancher schon ist aus ihrem Krankenzimmer gestärkt davongegangen.

Von der Kraft in der Schwachheit

Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, damit die Kraft Christi bei mir wohne.

Doch, so sagt Paulus, das ist keine menschliche Stärke, keine Kraft, die aus menschlichem Ursprung stammt. Es ist die Kraft Gottes, die in ihm wohnt und in ihm lebendig wird. Eine Kraft, die ihn bisher durchgetragen hat und weiterhin durchtragen wird: Darum bin ich guten Mutes in Schwachheit, in Mißhandlungen, in Nöten, in Verfolgungen und Ängsten, um Christi willen; denn wenn ich schwach bin, so bin ich stark.

Stehen die Leidenden Gott fern?

Vielleicht hat sich nun mancher von Ihnen ein bißchen wiedergefunden in diesem Paulus und seinem Geschick. Das wäre nicht verwunderlich, denn es geht ja um eine alte und immer wieder neue Fragen: Muß man als glaubender Mensch Erfolge haben? Muß man begeisternde Erlebnisse haben, um sich ausweisen zu können? Zeigt sich Gottes Nähe nur in Erfolg und Gesundheit? Ist also Gott einem Leidenden fern? Ist Leiden gar ein Zeichen mangelnden Glaubens? Ich hoffe, Sie können von Paulus her auf diese Fragen ein wenig besser antworten, nämlich: Nein. Nein, die, die leiden müssen, stehen Gott nicht ferner. Ja, vielleicht stehen sie ihm sogar näher. Vielleicht leben und erleben sie tiefer und intensiver als die Gesunden. Auf jeden Fall ist und bleibt ihnen Gott nahe, auch wenn es äußerlich ganz anders aussehen mag. Die Schwachen haben durch Gottes Kraft die Welt bewegt, und sie tun es heute noch. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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