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predigt[e].de

Die Predigt vom 16. April 2000: »Vom Segen der Stille«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise

  Die Evangelische Kirche begeht am Sonntag den 6. Sonntag der Passionszeit, den sog. Palmsonntag ("Richte mich, Gott"). Predigttext ist ein Abschnitt aus dem Propheten Jesaja im 50. Kapitel, das sog. dritte Gottesknechtslied. In der dort beschriebenen Gestalt haben die Christen Jesus und sein Schicksal wiederentdeckt:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, daß ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Laßt uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen? Siehe, sie alle werden wie Kleider zerfallen, die die Motten fressen.

Predigt

  12. März 2000: Der „Tag der Stille“

In der vergangenen Woche ist wieder einmal stillschweigend ein wichtiger Tag vorbeigegangen. Und wie so oft haben es viele nicht einmal gewußt. Es ging ihm wie so vielen anderen Tagen vorher: dem Tag des Kindes, dem Tag der Frau, dem Tag des Wassers und des Bodens. Zum "Tag der Stille" hat man den vergangenen Mittwoch ausgerufen. Erinnern Sie sich? Wie Lärm krank macht, stand ausführlich in der Zeitung. Oder daß so viele Jugendliche schon Hörschäden haben. Oder es ist Ihnen wieder einmal aufgefallen, daß man fast nirgends mehr von ungewollter Musik verschont bleibt. Ein Bayreuther Geschäft in der Fußgängerzone ärgert mich regelmäßig, weil es nicht nur seine Käufer, sondern auch die Passanten auf der Straße bedudelt.

Lärm macht krank

Es soll Menschen geben, die das von früh bis abends über sich ergehen lassen oder ergehen lassen müssen: Der Radiowecker am Morgen, dann das Frühstücksradio, die Musik am Arbeitsplatz, und zuletzt der Fernseher, der schon beim Abendessen läuft und bis zum Schlafengehen nicht aus gemacht wird. Früher, als das Programm nur bis Mitternacht ging, hat einen vielleicht die Deutschlandhymne wieder geweckt oder das Rauschen nach dem Sendeende.

Hören ist lebenswichtig

Und wenn jemand doch diesen Tag der Stille wahrgenommen hat, so ging es ihm vielleicht wie dem bekanntesten dieser Tage, dem Muttertag: Jeder Tag müßte eigentlich ein wenig Muttertag sein. Jeder Tag müßte eigentlich einen Moment der Stille in sich haben. Wer weiß, wie viele seelische Krankheiten, wie viele Unzufriedenheiten darin ihren Grund haben, daß Menschen nicht mehr still sein und hören können? Die Natur hören. In sich selbst hinein hören. Auf Gott hören.

Wer wichtige Entscheidungen treffen muß, wer anderen etwas zu sagen hat, der muß aus der Stille heraus, aus dem Hören heraus leben. Und da ist auch Jesus ein Mensch gewesen wie alle andern: Durch Fasten in der Wüste hat er sich auf seine öffentliche Wirksamkeit vorbereitet. Und wenn ihm zwischendurch das Gedränge zu groß wurde, hat er sich alleine zurückgezogen, auf einen Berg, in einen Garten.

Jesaja: Gott weckt mir das Ohr

4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören. 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. 6 Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen, und meine Wangen denen, die mich rauften. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel. 7 Aber Gott der HERR hilft mir, darum werde ich nicht zuschanden. Darum hab ich mein Angesicht hart gemacht wie einen Kieselstein; denn ich weiß, daß ich nicht zuschanden werde. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Laßt uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?

Worte des Propheten Jesaja. Über 500 Jahre vor Jesus entstanden. Und doch haben Sie recht gehört: Da waren Anklänge, die an Jesus und sein Leiden erinnern. "Ich bot meinen Rücken dar denen, die mich schlugen. Mein Angesicht verbarg ich nicht vor Schmach und Speichel." Wir denken an Jesus, wie er nach seiner Verurteilung von den Soldaten, die ihr Spielchen mit ihm treiben, verspottet wird. Wie sie ihn erniedrigen, schlagen und anspucken. "Gott hat mir eine Zunge gegeben, daß ich wisse mit den Müden zu rechter Zeit zu reden." Wir erinnert uns an den Jesus, der die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft und der für jeden ein gutes Wort hatte.

Jesaja, der Gottesknecht

Wie kommt es zu solchen Anklängen an Jesus im Buch des Propheten Jesaja, über 500 Jahre vor seiner Zeit? Wir haben hier eines der sog. "Gottesknechtslieder" aus dem Buch Jesaja vor uns. In ihnen redet ein Mann, der wegen seines Eintretens für Gott verfolgt wird und sich als "Knecht Gottes" bezeichnet. Den bekanntesten dieser Abschnitte hören wir an Karfreitag, wo es von ebendiesem Gottesknecht heißt: "Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen ..." (Jesaja 53,4)

Wer ist damit gemeint in diesen Worten, die für unsere Ohren doch so deutlich auf Jesus weisen? Das ist eine alte Frage, die uns schon begegnet, als der Kämmerer aus dem Mohrenland auf dem Weg von Jerusalem nach Ägypten mit Philippus im Wagen sitzt und ihn fragt: "Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem?" (Apostelgeschichte 8,34) Es scheint so, daß der Prophet Jesaja selbst damit gemeint ist, daß er in seinem Dienst für Gott solches erfahren hat. Doch die ersten Christen, die nach Jesu Leiden, Sterben und Auferstehen das Alte Testament noch einmal mit ganz anderen Augen lasen, sahen in dem, was dem Jesaja widerfuhr, vorgebildet und angedeutet, was auch Jesus dann erleben mußte. Aber zu diesem ganz neuen Verständnis mußten ihnen erst die Augen aufgetan werden, wie es in der Begegnung des auferstandenen Jesus mit den beiden Emmausjüngern heißt: "Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war." (Lukas 24,27)

Wer reden will, muß erst hinhorchen

Was sagt nun der Prophet, der Knecht und Bote Gottes von sich? Und nicht nur von sich, sondern von vielen anderen, die nach ihm im Dienst Gottes kein Blatt vor den Mund genommen haben: Was er den Menschen auszurichten hat, sind nicht seine eigenen menschlichen Worte. Gott schenkt ihm das rechte Wort zur rechten Zeit. Gott schenkt ihm Worte, die müde Menschen wieder aufrichten können. Wenn er im Namen Gottes mit niedergeschlagenen Menschen redete, bekamen sie wieder Lebensmut. Doch nicht seine eigenen Worte sind es, die das bewirken, sondern sie kommen aus dem Hinhorchen auf Gott. Wer Sprachrohr werden soll für Gott, der muß lernen, hinzuhorchen. Gott selber, so sagt er, öffnet ihm Morgen für Morgen das Ohr. Ganz Ohr ist er für das, was Gott ihm sagt. 4 Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören.

Nicht nur das Bequeme sagen

Und dann das Ausschlaggebende: Er findet auch den Mut und die Kraft, das Unbequeme zu sagen. Wehe den Gottesmännern, wehe den auf Gottes Worte Lauschenden, wehe auch den Pfarrern oder den Politikern, die nicht mehr hinhorchen oder die nur die bequemen Botschaften weitersagen! 5 Gott der HERR hat mir das Ohr geöffnet. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück. Offenbar sind die offenen Worte des Propheten Jesaja für die Menschen seiner Zeit so unbequem gewesen, daß sie ihn deswegen verfolgten und mundtot machen wollten. Anscheinend ist er sogar öffentlich abgeurteilt worden. Doch er weiß: Gott ist auf meiner Seite. Er spricht mich gerecht, ganz egal, was Menschen für ein Urteil sprechen. 8 Er ist nahe, der mich gerecht spricht; wer will mit mir rechten? Laßt uns zusammen vortreten! Wer will mein Recht anfechten? Der komme her zu mir! 9 Siehe, Gott der HERR hilft mir; wer will mich verdammen?

Der Apostel Paulus

Andere Beispiele fallen mir ein, neben Jesaja und neben Jesus. Beispiele, wo Menschen im Auftrag Gottes mutig vor die Öffentlichkeit traten und deswegen angefeindet wurden. Menschen, deren Selbstsicherheit nicht aus ihrer eigenen Kraft kam, sondern aus dem konsequenten Horchen auf Gott. Den einen blieb das bittere Ende erspart, den anderen nicht:

Da ist der Apostel Paulus, der auf Schritt und Tritt immer wieder bedrängt war, der körperlich und in seinem Dienst so viel auszuhalten hatte. Auch er findet sich in diesem Jesaja wieder und kommt zu einem ähnlichen Glaubensbekenntnis: "Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt." (Römer 8,33)

Martin Luther: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“

Oder ich denke an Martin Luther, den man nach Worms auf den Reichstag zitiert, um ihn öffentlich mundtot zu machen, und der dann todesmutig vor Kaiser und Bischöfe hintritt. Auch tausend Teufel auf den Dächern, so sagt er, hätten ihn nicht aufhalten können: "Solange man mir nicht durch Worte der Schrift oder Gründe der Vernunft das Gegenteil beweist, nehme ich nichts von dem zurück, was ich gesagt habe. Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen"

Dietrich Bonhoeffer: „Wer bin ich?“

Oder ich denke an den Theologen und Pfarrer Dietrich Bonhoeffer, der vor 55 Jahren wegen seines Widerstandes gegen Hitler im Gefängnis saß, obwohl er zuvor leicht hätte im sicheren Ausland bleiben können. Auch er hatte etwas von diesem getrosten Mut der Gottesboten. So heißt es in einem Gedicht aus dem Gefängnis in Berlin-Tegel:

„Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich träte aus meiner Zelle gelassen und heiter
und fest wie ein Gutsherr aus seinem Schloß.
Wer bin ich? Sie sagen mir oft,
ich spräche mit meinen Bewachern
frei und freundlich und klar,
als hätte ich zu gebieten.“

Und wir?

Jesaja, Jesus, Paulus, Luther, Bonhoeffer. Die Reihe ließe sich fortsetzen durch bekannte und unbekannte Namen. Können, dürfen, müssen wir uns hier einreihen? Will Gott auch von uns, von dir und von mir, daß wir bedingungslos auf ihn hören, seine Botschaft weitersagen, konsequent und ohne Rücksicht auf die Folgen, ja vielleicht auch bis zum bitteren Ende?

Ja und nein, wird man wohl sagen müssen, wie so oft: Nein, so einfach und vorschnell dürfen wir das Gesagte nicht auf uns beziehen. Vor allem das Leiden und Sterben Jesu ist einmalig und unwiederholbar. Und auch ein Jesaja oder Paulus oder Luther oder Bonhoeffer können wir nicht sein. Daß wir in solche Entscheidungssituationen hinein gestellt werden, können und soll wir uns nicht aussuchen.

Das hinhorchen wieder lernen

Doch was da am Beginn der Worte steht, das Leben aus dem Hinhorchen, das liegt in unseren Möglichkeiten, wenn wir nur wollen: "Gott der Herr hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, daß ich wisse mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Alle Morgen weckt er mir das Ohr, daß ich höre, wie Jünger hören. Und ich bin nicht ungehorsam und weiche nicht zurück."

Auf Gott hören. Sich von ihm das Ohr öffnen lassen. Fragen: Gott, was willst du von mir? Was hast du vor mit mir an diesem Tag? Was hast du vor mit mir in meinem Leben? Wer wartet auf mich heute, daß ich mit ihm rede, ihm mein Ohr leihe, ihn durch ein Wörtchen aufrichte? Auf Gott lauschen. Morgen für Morgen. Oder wenigstens diesen Morgen heute und jetzt. Das ist sehr wohl unsere Sache, deine und meine.

Auf Gott horchen. Sich von ihm das Ohr öffnen lassen. Einmal nur horchen und nicht gleich wieder reden. Horchen und warten, was Gott mir zu sagen hat. Wenn wir mit dieser Aufmerksamkeit in die Karwoche hineingehen könnten, dann wäre der "Tag der Stille", dann wären auch diese Prophetenworte nicht umsonst gewesen.

Beten: nicht reden, sondern hören

Mit einem Wort des dänischen Theologen und Philosophen Sören Kierkegaard will ich schließen, nachzulesen im Gesangbuch auf Seite 320:

"Als mein Gebet immer andächtiger und innerlicher wurde, da hatte ich immer weniger zu sagen. Zuletzt war ich ganz still. Ich wurde, was womöglich noch ein größerer Gegensatz zum Reden ist, ich wurde ein Hörer. Ich meinte erst, Beten sei reden. Ich lernte aber, daß Beten nicht bloß Schweigen ist, sondern Hören. So ist es: Beten heißt nicht sich selbst reden hören, Beten heißt still werden und still sein und warten, bis der Betende Gott hört." Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

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