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Die Predigt |
Herzstück
des christlichen Glaubens
Karfreitag: Heute geht es um das Zentrum, um das Herzstück unseres
evangelischen Glaubens. Zwar ist der Karfreitag nicht der früher
einmal sogenannte „höchste evangelische Feiertag“,
denn Sieg des Lebens an Ostern ist und bleibt die wichtigste Botschaft.
Aber der Karfreitag ist sozusagen geistliches Schwarzbrot. Lang und
geduldig zu kauen. Nicht leicht verdaulich. Aber für den, der
zu kauen und zu verdauen bereit ist, nahrhaft wie nichts anderes.
Karfreitag - kein Angebot für den schnellen geistlichen Hunger,
kein Fast-Food.
Hartes Brot – Schwarzbrot des Glaubens
„Wir danken dir, Herr Jesu, Christ, dass du für uns gestorben
bist.“ „Ein Lämmlein geht und trägt die Schuld
der Welt und ihrer Kinder.“ Weswegen ist das Evangelium vom
Kreuz so ein hartes Brot? Zwei Gründe sind es aus meiner Sicht:
Die Verfasser unserer biblischen Bücher und Briefe, die damals
ihren Hörern das Heil im Tod Jesu erschließen, aufschließen
wollten, taten es natürlich mit Begriffen und Vorstellungen ihrer
damaligen Zeit. Zwischen ihnen und uns aber liegt ein 2.000 Jahre
breiter Graben der Geschichte, dessen Tiefe wir oft gar nicht recht
ermessen können.
Und zum andern packt uns das Evangelium vom Kreuz an einem ganz wunden
Punkt unseres Menschseins, unserer Eitelkeit: Wir lassen uns ungern
die Grenzen unserer eigenen Möglichkeiten aufzeigen. Und wir
lassen uns ungern etwas schenken.
Solches hartes Brot oder besser: solches geistliches Vollkornbrot
wird uns auch mit den Worten des heutigen Predigttextes aus dem 9.
Kapitel des Hebräerbriefs geboten: Wort für Wort, Bissen
für Bissen muss man ihn kauen. So will ich mich bewusst mit einem
Satz des Textes, dem ersten, begnügen. Ihn zu kauen und zu verdauen,
ist Aufgabe genug:
„Christus ist der Mittler des Neuen Bundes, damit durch
seinen Tod, der geschehen ist zur Erlösung von den Übertretungen
unter dem ersten Bund, die Berufenen das verheißene ewige Erbe
empfangen.“
Was heißt das nun alles, was den damaligen Lesern und Hörern
des Hebräerbriefes schneller klar war als uns: Mittler, alter
Bund, neuer Bund, Erlösung, Berufung, ewiges Erbe?
Ein Bund zwischen Gott und den Menschen
Bund - dieses Wort, das eigentlich aus dem zwischenmenschlichen Bereich
kommt, nimmt die Glaubenserfahrung auf, dass zwischen Gott und den
Menschen eine Beziehung besteht: Eine Beziehung, die, wie zwischen
Menschen auch, einmal entsteht, gepflegt werden muss, aber auch Schaden
nehmen kann. Mit dem entscheidenden Unterschied aber, dass Gott und
Mensch nicht zwei gleichberechtigte Partner auf derselben Augenhöhe
sind: Gott nimmt nach unserer christlichen Glaubenserfahrung eine
Beziehung zu uns Menschen auf, aus freien Stücken. Von ihm geht
die Initiative aus. Er will mit mir zu tun haben.
Der alte Bund und seine Grenzen
Der alte Bund, das war jene Beziehung, die Gott unter der Vermittlung
des Mose, mit den Israeliten einging.
„Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt,
weil ihr größer wäret als alle Völker - denn
du bist das kleinste unter allen Völkern -, sondern weil er euch
geliebt hat.“ (Dtn 7,7f)
Dafür verpflichtet Gott die Israeliten, seine Gebote zu halten,
und er verpflichtet sich, ihnen treu zu bleiben.
Das Bewusstsein, dass sie selber als der Juniorpartner dieser Beziehung,
diese Treue letztlich nicht halten, war bei den Israeliten da. Mit
Tieropfern versuchte man, dieses Missverhältnis in Ordnung zu
bringen. Einmal im Jahr am großen Versöhnungstag schickte
der Hohepriester einen Ziegenbock, beladen mit den Sünden des
Volks, in die Wüste: „Dass aber der Bock alle ihre
Missetat auf sich nehme und in die Wildnis trage.“ so heißt
es. (3. Mose 16,22)
Mehr und mehr entwickelte sich aber bei den Sensiblen das Bewusstsein,
dass das alles nur Kosmetik war, dass der Bruch im Verhältnis
zwischen Gott und Mensch dadurch nur notdürftig gekittet, aber
nicht grundlegend bereinigt war. Und Jeremia träumt von dem neuen,
ganz anderen Bund, den Gott mit seinen Menschen eingehen will:
„Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich
mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen,
nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss,
als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen,
ein Bund, den sie nicht gehalten haben, ob ich gleich ihr Herr war,
spricht der HERR; sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem
Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der HERR:
Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben,
und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. Ich will
ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.“
(Jeremia 31,31-33)
Ein neuer Bund in Jesus Christus
Diesen neuen Bund sehen die ersten Christen in Jesus erfüllt.
Für den Verfasser des Hebräerbriefs ist Jesus Christus der
Hohepriester des Großen Versöhnungstages und das Opfer
zugleich: Wie der Sündenbock des Alten Bundes nimmt er, nun aber
freiwillig, stellvertretend auf sich, was Menschen und Gott voneinander
trennt. Er tritt selber als der Mittler freiwillig zwischen Gott und
Mensch wie heutzutage die Vermittler zwischen zwei Parteien und bringt
beide wieder zusammen.
Das hebt den alten Bund aus den Angeln, denn nun muss nicht mehr notdürftig
Jahr für Jahr gekittet werden, sondern ein für allemal ist
von Gott her das Verhältnis in Ordnung gebracht. Gott will keine
jährlichen Opfer mehr. Er sagt einfach: Nun ist es gut.
Was hat das mit uns zu tun?
Und nun die Gretchenfrage und der härteste Brocken, der zu kauen
ist: Wieso soll das, was damals geschehen ist, zwischen Gott und den
Israeliten im alten Bund, und der neue Bund durch Jesus Christus mit
mir und mit dir heute zu tun haben?
Inwiefern ist das alles in die Gegenwart und in mein und dein Leben
hinein bedeutsam, so als wären wir selber dabei gewesen? Wieso
stirbt Jesus auch für meine Sünden, obwohl ich damals noch
gar nicht am Leben war? Hier kann unsere Logik nur noch stammelnde
und fragende Antworten geben.
Wie hätten wir gehandelt?
So vielleicht, dass wir fragen: Was hätten wir getan, wie hätten
wir uns verhalten, wären wir damals dabei gewesen in Jerusalem,
in Gethsemane oder unter dem Kreuz?
Angenommen, wir könnten eine Zeitreise in die Vergangenheit unternehmen
wie in manchen Filmen, könnten eingreifen in das Geschehen damals,
das Rad der Geschichte zurückdrehen, die Dinge zum Guten wenden
- die Geschichtsbücher und Evangelien müssten unsretwegen
gewiss nicht umgeschrieben werden:
Hätten wir nicht auch unser Schäfchen ins Trockene gebracht
wie die Zöllner? Hätten wir uns nicht auch mit den Besatzern
arrangiert wie die Oberschicht? Hätten wir nicht auch die Nase
gerümpft über Jesu Umgang mit dem Gesindel seiner Zeit?
Hätten wir nicht auch mit der Menge geschrieen „Hosianna“,
als er in Jerusalem einzog? Hätte uns nicht auch der Schlaf übermannt
wie die drei Jünger im Garten Gethsemane? Hätten wir nicht
auch mit der Menge gegrölt „Kreuzige, kreuzige“?
Wären wir nicht auch davongelaufen wie die Jünger nach der
Gefangennahme und hätten dreimal kräftig bekundet: „Ich
kenne diesen Menschen nicht.“
Leben nach dem Alten Bund
Alter und Neuer Bund, und mögen sie mehr als 2.000 Jahre her
sein, beschreiben auch heute noch zwei verschiedene Arten zu leben
und zu glauben:
Wie viele unserer Zeitgenossen leben wie lebendige Fossilien heute
noch als Christen des Alten Bundes? Im Müssen, Sollen und Nicht-dürfen
besteht ihr Christsein. Sie bemühen sich, so recht und schlecht
nach Gottes Geboten zu leben, ihrer Bundesverpflichtung nach bestem
Wissen nachzukommen. Wie ein moderner Sisyphus, der nie zum Ziel kommt,
hecheln sie dem Frieden mit Gott und sich selbst hinterher.
Die von Jesus durchkreuzte Logik des Alten Bundes bestimmt sie immer
noch: Du bekommst nichts von Gott, was du ihm nicht zuvor selbst schon
gegeben hättest. Und weil das nicht gelingt, nicht gelingen kann,
gehen sie ein oder zweimal im Jahr zur Beichte wie die Juden am großen
Versöhnungstag, um wieder einmal Ordnung machen zu lassen mit
Gott wie beim alljährlichen Frühjahrsputz.
Die befreiende Botschaft des neuen Bundes
Dagegen die gute, frohe und befreiende Botschaft des Neuen Bundes:
Die Welt ist mit jenem Karfreitag und Osterfest des Jahres 30 nach
Christus ein für allemal eine andere geworden. Du brauchst nicht
mehr recht und schlecht dem Frieden mit Gott hinterherzuhecheln, denn
Gott selbst hat ein für allemal Frieden mit dir gemacht. Wenn
es dir ein Herzensanliegen ist, den Graben, der dich von Gott trennt,
zu überspringen, die Mauer zwischen ihm und dir einzureißen,
dann wisse, dass das alles schon längst geschehen ist. Der Vorhang
zum Allerheiligsten im Tempel ist zerrissen. Die Tür ist auf.
Der Frieden ist gemacht. Die Schulden sind bezahlt. Die Arme Gottes
sind ausgebreitet.
Amen |
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