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predigt[e].de

Die Predigt vom 28. Mai 2000: »Darüber spricht man nicht«


Kirchenjahr

Evang. Kirchenjahr: Überblick
Evang. Kirchenjahr: Hinweise
Feiertagskalender (Tabelle)

  Die Evangelische Kirche beging den 5. Sonntag nach Ostern „Rogate“ („Betet“). Im Gottesdienst wurde auch die Silberne Konfirmation begangen.
Im Predigttext aus dem 4. Kapitel des Briefes an die Gemeinde im damaligen Kolossä ging es um praktische Hinweise zum Gebet. (Ich habe mich auf zwei Verse beschränkt.)

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  2 Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! 3 Betet zugleich auch für uns, daß Gott uns eine Tür für das Wort auftue.

Predigt

  Die drei Tabus

Als ich noch in der Ausbildung war, hat man uns unter anderem die Erfahrung weiter gegeben: Es gibt in der heutigen Zeit drei Tabus. (Also drei Dinge, über die nicht öffentlich oder nur hinter vorgehaltener Hand geredet wird. Drei Themen, um die man sich in den Gesprächen gerne drückt.) Drei Tabus: Das waren die Sexualität, der Tod und der persönliche Glaube. Ob sich daran wirklich so viel geändert hat?

Die Sexualität

Sexualität zum Beispiel: Man hätte sich vor 20 Jahren nicht vorstellen können, wie öffentlich damit einmal in den Medien umgegangen wird. In Zeitungen, Film, Fernsehen und Internet. Wie informiert schon Kinder sein können. Wie in den Talkshows Menschen ihr Innerstes und Intimstes nach außen kehren wie Liebestöter auf der Wäscheleine. Aber wenn es persönlich wird ... Wenn es um einen selber geht ... Erfolge, vielleicht ja, zu fortgeschrittener Stunde. Aber sachliche Fragen, Schwierigkeiten, Probleme?

Der Tod

Und der Tod: Ist er nicht auf Schritt und Tritt in der Diskussion? Durch die verlängerte Lebenszeit, durch die Einsamkeit vieler in der letzten Lebensphase. Durch Bilder von Aids- und Alzheimerpatienten. Aber wieder: Wenn es persönlich wird ... Wenn es praktisch wird ... Wenn es z.B. darum geht: Hast Du Dein Testament schon gemacht und Deine Sachen geregelt?

Der persönliche Glaube

Und das dritte: Persönliche Glaubenserfahrungen, persönliche Praxis. Wie machst du's? Was erzählst Du Deinen Kindern? Worüber redest Du mit Deiner Frau? Wie hältst Du es z.B. mit dem Tischgebet? Gar noch in einer Gastwirtschaft mit vielen Zuschauern? Wie steht's mit Deinen Erfolgen und Mißerfolgen?

Rogate – der Gebetssonntag

"Rogate", "Betet" oder genauer "Bittet", so heißt der heutige Sonntag, an dem im Kirchenjahr das Beten zum Thema gemacht wird. Aber damit beginnen die kleinen Schwierigkeiten auch gleich: Wenn das Thema wirklich ernst ist, dann darf es diesem Sonntag "Rogate" ja nicht gehen wie dem Muttertag: daß eine wichtige Frage als Alibi einmal im Jahr auf der Tagesordnung abgehakt wird. "Auf Wiederhören im nächsten Jahr - gleicher Ort und gleicher Sonntag."

Und: Kann man überhaupt über das Beten reden? Muß man es nicht selber erfahren? Und können solche Erfahrungen nicht ganz unterschiedlich und persönlich geprägt sein? Kann man denn über Gefühle reden, die ein anderer vielleicht gar nicht nachempfinden kann?

Paulus und das Gebet

Und so geht es bei den Worten des Apostels Paulus, die heute zu predigen dran sind, weniger um intime Erlebnisse und Gefühle als um ein paar ganz praktische Hinweise und Erinnerungen. Paulus sitzt im Gefängnis und schreibt an seine Gemeindeglieder in Kolossä in Kleinasien, also der heutigen Türkei. Und wie bei allen seinen Briefen kommt am Ende vor den abschließenden Grüßen und Segenswünschen noch eine Reihe von praktischen Hinweisen für das tägliche christliche Leben. So auch hier:

Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung! Betet zugleich auch für uns, daß Gott uns eine Tür für das Wort auftue.

Paulus schreibt an Christen, die das Gebet kennen. Es sollte ihnen selbstverständlich sein, könnte man meinen. Und doch muß offenbar auch einem Glaubenden manches immer wieder neu vor Augen gehalten werden.

Vier Punkte zum Thema Gebet höre ich hier bei Paulus heraus:
1) Beten heißt nicht nur, sich etwas erbitten, sondern heißt immer auch Danken.
2) Zum Beten gehört auch die Fürbitte.
3) Zum Beten gehört Wachheit.
Und: 4) Zum Beten gehört Beharrlichkeit und Regelmäßigkeit.

Egoistisches Gebet

Zum ersten also: Beten heißt auch Danken: "Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!" Es gehört zu unserem Menschsein, manche sagen, zu unserem gesunden Egoismus, erst einmal an uns und unsere Bedürfnisse zu denken. Da bleibt auch ein Christ ein Mensch und wird nicht gleich zum Engel oder Heiligen. Und so ist es nicht verwunderlich, daß Gebet für uns Menschen erst einmal Bitte ist. Ich bete, wenn ich von Gott etwas möchte: Wenn mir etwas Heikles gelingen soll. Wenn eine schwierige Entscheidung ansteht. Wenn ich eine weite Autofahrt vor mir habe. Wenn jemand krank ist in der Familie. ... Jede und jeder kann diese Reihe für sich selber fortsetzen.

Und doch: Gebet als Bitte allein wäre doch bloß wieder der alte Egoismus. Wenn Gebet nur Bitte ist, dann ist Gott kein richtiges Gegenüber, kein Gesprächspartner, sondern eine reine Wunscherfüllungsmaschine. Dann bin ich als Christ auf der Ebene des Kindes stehen geblieben, das von den Erwachsenen hören muß: Es heißt nicht: "Ich will, ich will.", sondern: "Ich möchte bitte." Beten heißt auch, sich darauf zu besinnen, was man Gutes erfahren hat: in der vergangenen Stunde, in der vergangenen Nacht, am vergangenen Tag, im vergangenen Lebensjahr, oder auch in einem zurückliegenden Vierteljahrhundert.

Auch andere in den Blick nehmen

Zum zweiten: Beten heißt auch Fürbitte für andere tun. Wiederum: So wie jedes Gebet ohne den Dank am Ende kindlich und auf mich bezogen bleibt, so auch, wenn meinem Beten nicht die Bitte für die Mitmenschen folgt. Paulus als Paradebeispiel: Er ruft die Gemeindeglieder in Kolossä gerade nicht dazu auf, für seine Freiheit zu beten, was wohl das erste wäre. Nein, auch im Gefängnis kann er seiner Lebensaufgabe, dem Evangelium dienen. Und das steht im Vordergrund, das ist wichtiger. Auch hier sind Menschen, die das Evangelium nötig haben. Die Türen des Herzens, nicht die Türen des Gefängnisses sollen sich auftun. Menschen sollen offen werden, soll sich öffnen für den Glauben: Betet zugleich auch für uns, daß Gott uns eine Tür für das Wort auftue.

Wirklich effektiv wird Gebet, wenn jemand versucht, die anderen, die ihm am Herzen liegen, nicht zu vergessen, sondern ihre Not vor Gott zu bringen. Wirklich effektiv wird es, wenn einer sich traut zu sagen: "Bete für mich." Oder wenn einer sich traut und sagt: "Ich bete für dich."

Gebet braucht Wachheit

Zum dritten: Zum Beten gehört Wachheit. "Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!" Beten, also nicht nur plappern, sondern mit Gott in Verbindung treten, mit ihm reden, wie mit einem Gegenüber, heißt: ganz da sein. Wachsein vor Gott. Beten geht nicht nebenbei. Entweder man betet, oder man tut etwas anderes. Körper und Seele, Hände und Füße sollen zum Gebet ruhen. Das ist ein Sinn des Händefaltens. Gebet braucht Wachheit, ganz da sein. So ist die Zeit abends im Bett vor dem Einschlafen nicht unbedingt die beste Zeit zum Gebet: Die Gefahr, daß man darüber einschläft, und gar nicht mehr weiß, was man gebetet hat, ist groß. Gebet braucht Wachheit. Das heißt auch: Wer nicht betet, steht in der Gefahr, geradezu zu leben und in seinem Leben überhaupt nicht zur Besinnung zu kommen.

Von der inneren Fitneß

Und viertens und letztens: Gebet braucht Beharrlichkeit "Seid beharrlich im Gebet und wacht in ihm mit Danksagung!" Beharrlichkeit, damit meint Paulus ein Gebet, das nicht auf Notzeiten beschränkt ist. Von einem Festhalten am Gebet spricht er an anderer Stelle oder vom Anhalten am Gebet. Und damit will er nicht sagen, daß man andauernd nur beten soll, sondern er will sagen, daß zum Gebet Regelmäßigkeit gehört, regelmäßige Orte und regelmäßige Zeiten.

Viele sagen: "Ich bete, wenn mir danach ist." Das mag vordergründig richtig sein, daß man Dinge nur tun soll, wenn man sie braucht. Doch die wahre Macht des Gebets ist nur zu erfahren, wenn Beten für einen etwas wird wie atmen, essen oder trinken. Ich atme ja auch nicht, wenn mir gerade einmal danach ist. Atmen gehört zum Leben. So ist das Beten, "wenn einem danach ist", der Totengräber des Gebets. Wie kann man vom einem Gebet, das selten geworden ist, dann genau im rechten Moment die richtige Wirkung erwarten? So auf die Art: "Lieber Gott, wenn ich jetzt schon einmal zu dir bete, könnten du mir aber auch wirklich helfen."

Gegen alle Überforderung gilt: Nicht die Länge, die Menge und die Form sind in erster Linie wichtig, sondern die Regelmäßigkeit. Das weiß jeder, der ernsthaft etwas für seine äußere Fitneß oder Gesundheit tun will. Und für die so oft vernachlässigte innere Gesundheit gilt dasselbe. Also: Lieber einmal am Tag, zu einer regelmäßigen Zeit, die ich mir immer nehmen kann und will, ein kurzes Gebet mit wachen Sinnen. Und dann um Gottes willen dabei bleiben. Und wenn man einmal nicht beten kann, ein Stoßgebet. Und wenn einem die Worte fehlen, ein Gebet ganz ohne Worte, ein Besinnung darauf, daß Gott trotz allem da ist und sich auch aus dem Seufzen einen Reim machen kann.

Und weil das Drumherum so wichtig ist: Eine Zeit und ein Ort, wo vermutlich niemand stört, wo vermutlich nichts anderes dazwischenkommt, wo äußere Ruhe herrscht. Vielleicht hilft auch eine Kerze oder ein Bild oder ein Kreuz oder eine bestimmte körperliche Haltung. Auf einmal kann eine verstaubte Gewohnheit wieder zu einem Abenteuer werden. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de