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Die Predigt |
Gott in seiner
Schöpfung
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud.“ Dieses Lied von
Paul Gerhard ist wahrscheinlich das bekannteste geistliche Volkslied.
Geistliche Volkslieder bleiben nicht einfach nur bei der Betrachtung
und der Beschreibung der Natur stehen. Sie blicken tiefer. Die Natur
ist eine Art Spiegel, in dem man etwas entdecken kann. Wer Augen hat
zu sehen, der entdeckt Gott in seiner Schöpfung.
Geistliche Volkslieder laden ein, nicht nur über die Schöpfung
zu staunen, sondern über den Schöpfer, der hinter ihr steht.
Sie laden ein, nicht einfach nur dankbar zu sein, sondern Gott danken.
Unsere Waldgottesdienste sind geeignet, uns dafür jedes Jahr
neu die Augen zu öffnen.
Geh raus!
„Geh aus, mein Herz“. Mit einer Aufforderung beginnt das
Lied. Wer etwas entdecken will, muss hinausgehen. Wer etwas entdecken
will, muss sich aufmachen. Wer zu Hause bleibt, entdeckt nichts, zumindest
nichts Neues. Das gilt auch geistlich. Es gilt auch für das Herz:
„Geh aus, mein Herz. Mach dich auf.“
Sie sind heute ausgegangen. Sie haben sich aufgemacht. Und Sie haben
sich sicher nicht nur körperlich aufgemacht, sondern auch mit
dem Herzen. Sonst wären Sie nicht hier.
„Geh aus, mein Herz, und suche Freud". Hinausgehen in Gottes
Natur, so Paul Gerhardt, soll vor allem der, der gerade nach Freude
sucht. Wer betrübt, traurig oder depressiv ist, und gerade gar
nichts findet, woran er sich freuen kann. Geh hinaus aus deiner Enge
in die Weite der Natur. Und wenn du in deinem Leben gerade nichts
Schönes entdecken kannst, dann geh hinaus und lass dir die Augen
öffnen für die Schönheit der Natur. Und wenn du meinst,
Gott kümmert sich gerade nicht um dich, dann geh hinaus und nimm
wahr, dass diese Schönheit ein Geschenk Gottes für dich
ist:
1. Geh aus, mein Herz, und such Freud in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben.
Es gibt sogar eine Auslegung des Liedes, die meint, Paul Gerhardt
habe diese Verse für seine Frau gedichtet, die durch den Tod
ihrer Kinder und andere Nöte der Familie sehr depressiv war:
„Geh hinaus in die Natur, mein Herz, mein Schatz. Verkriech
dich nicht im Haus. Schau dich um. Mach die Augen auf, damit sich
deine Gedanken wieder aufhellen.“
Wir singen die erste Strophe des Liedes.
Eine Einladung zum Hinschauen
Und dann beschreibt Paul Gerhardt die Schönheit von Gottes Natur
um sich herum in sechs verschiedenen Strophen. Zwei schauen wir uns
an: In der zweiten Strophe verweist er auf die Pflanzen und in der
dritten auf die Vögel.
Und er macht eigentlich nicht viel mehr, als unsere Blicke zu lenken:
Hinauf zu den Wipfeln der Bäume, hinunter auf die Erde. Narzissen
und Tulpen passen eigentlich nicht in die Sommerzeit, die er besingt.
Aber er nimmt sie als deutsches Beispiel für die Lilien Israels,
von denen Jesus in der Bergpredigt sagt, sie seien viel schöner
gekleidet als der große König Salomo in seiner Pracht.
Und ist es nicht so: Wenn man sich einmal die Zeit nimmt und die Mühe
macht und ein solches Kunstwerk der Natur von nahem betrachtet, vielleicht
noch mit einem Vergrößerungsglas, dann kann man nur staunen.
Und ähnlich lädt Paul Gerhardt zum genauen Hinschauen und
auch Hinhören im Blick auf die Vögel ein.
Wir singen die zweite und dritte Strophe des Liedes.
Sich den Blick weiten lassen
8. Ich selber kann und mag nicht ruhn, des großen Gottes
großes Tun / erweckt mir alle Sinnen; / ich singe mit, wenn
alles singt, und lasse, was dem Höchsten klingt, / aus meinem
Herzen rinnen, aus meinem Herzen rinnen.
Wenn einer nun auf diese Weise aufmerksam durch die Natur geht: die
Augen aufmacht, die Ohren aufmacht, das Staunen wieder lernt, dann
kann ihn das, so Paul Gerhardt, aus seiner Traurigkeit herausholen.
Er sieht nicht nur die Enge des eigenen Lebens. Sein Blick weitet
sich. Er sieht nicht nur, was ihm fehlt. Er sieht auch, was ihm alles
geschenkt ist. Und er entdeckt hinter der Schönheit der Natur
Gottes Wirken.
Depression und Traurigkeit haben ihn verstummen lassen. Die Kehle
war wie zugeschnürt. Doch nun weitet sich alles und er kann tief
aus seinem Herzen heraus mit den anderen einstimmen.
Sehnsucht nach dem Himmel
9. Ach, denk ich, bist du hier so schön und lässt du’s
uns so lieblich gehn auf dieser armen Erden: was will doch wohl nach
dieser Welt dort in dem reichen Himmelszelt und güldnen Schlosse
werden.
Dass Paul Gerhardt hier so unvermittelt an den Tod und an die himmlische
Heimat denkt, mag uns verwundern. Man kann es nur recht verstehen,
wenn man weiß, dass er mitten im 30-jährigen Krieg aufgewachsen
ist. Sterben und Tod haben zu seinem Alltag als Kind und Jugendlicher
gehört, so wie heute für Kinder und Jugendliche im Gazastreifen
oder im Irak. Dass da eine ganz tiefe Sehnsucht nach Frieden entsteht,
kann man vielleicht ein wenig nachvollziehen: Wenn diese arme Welt
nun schon so schön ist, wie mag es dann erst im Himmel werden.
Und so haben Menschen in dieser schlimmen Zeit damals Trost gefunden,
der uns vielleicht fremd anmutet. Sehen wir es doch positiv und dankbar:
Wir können mit dieser Sehnsucht nach dem Himmel deswegen nur
wenig anfangen, weil es uns im Vergleich zu den damaligen und auch
im Vergleich zu Menschen in anderen Ländern so gut geht.
Wir singen die achte und neunte Strophe des Liedes.
Frucht bringen im Leben
13. Hilf mir und segne meinen Geist mit Segen, der vom Himmel
fleußt, / dass ich dir stetig blühe; / gib, dass der Sommer
deiner Gnad in meiner Seele früh und spat / viel Glaubensfrüchte
ziehe.
Geistliche Volkslieder machen die Natur durchsichtig für ihren
Schöpfer. Die Natur wird zum Spiegel für den Menschen, der
ja auch aus der Natur kommt und zu ihr gehört. Und so deutet
Paul Gerhard in den letzten drei Strophen Dinge aus der Natur auf
den Menschen: der Segen von oben, das Blühen, Früchte bringen.
Und dann in der nächsten Strophe: Der Mensch als Baum.
Die Natur hat den Segen von oben, hat Sonne und Regen im rechten Maß
und zur rechten Zeit nötig. Eine andere Antwort kann man dem
nicht geben, der klagt, das Wetter könne an diesem Wochenende
besser sein.
Und so wie die Natur Segen von oben braucht, braucht ihn auch der
Mensch, um blühen zu können und Frucht zu bringen. Ohne
Früchte bleibt das Leben ohne Sinn. Und eine der Früchte,
die einem Leben Sinn verleihen, ist nach den Worten Paul Gerhardts
auch der Glaube.
Einen festen Stand im Leben finden
14. Mach in mir deinem Geiste Raum, dass ich dir werd ein guter
Baum, / und lass mich Wurzel treiben. / Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum / und Pflanze möge bleiben,
und Pflanze möge bleiben.
Selber schenken kann sich den Glauben niemand. Man kann ihn sich nur
schenken lassen. Wieder mit einem Bild aus der Natur: Gott selber
muss sich und seinem Heiligen Geist Platz schaffen. Nur dann kann
ich zu einem guten Baum werden, der gute Früchte bringt. Nur
dann kann ich die nötigen Wurzeln treiben, die ich brauche, um
wie ein Baum in den Stürmen des Lebens fest zu stehen. Wie lange
stehen diese Bäume hier schon? Wie viele Menschen mögen
sich inzwischen unter ihnen versammelt haben. In seinem Leben so fest
verwurzelt sein, das wäre etwas.
15. Erwähle mich zum Paradeis und lass mich bis zur letzten
Reis an Leib und Seele grünen, so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr hier und dort ewig dienen.
In der letzten Strophe noch einmal, wie vorhin schon, Paul Gerhardts
Blick in die Zukunft: Wenn du, Gott, es mir schenkst, dass ich bis
zum Ende meines Lebens grünen und blühen darf. Wenn mein
Leben Früchte trägt. Wenn ich etwas schaffen darf. Wenn
mir etwas gelingt in meinem Leben. Wenn andere sich freuen, dass es
mich gibt. Wenn ich am Ende sagen kann, ich habe nicht umsonst gelebt.
Dann will ich dir dafür danken und dir dienen.
Wir singen die drei letzten Strophen des Liedes. |
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