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Die Predigt vom 2. Juli 2000: »Gemeinde: abschreckend oder einladend?«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 2. Sonntag nach Trinitatis. Er hat die Einladung in die Gemeinde zum Thema. Die Auferstehungskirchengemeinde feierte an diesem Tag auch ihre Kirchweihe, so daß das Thema „Gemeinde“ umso mehr im Mittelpunkt stand. Predigttext war ein Abschnitt aus dem 1. Korintherbrief des Paulus im 14. Kapitel:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? 24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig unter euch ist.

Predigt

  Kennen Sie Arthur schon?

Arthur nahm die Hände aus den Hosentaschen; er mußte es tun. Denn einmal war der Kirchenvorraum ganz schön feierlich; und dann gab ihm auch ein Mann ein Gesangbuch in die Hand: „Ich sing, hier keinen Ton“, dachte Arthur, „kann mich keiner zu zwingen!“ Er ging einer älteren Frau nach, die war hier bestimmt jeden Sonntag Kundin, drängte sich hinter sie in eine Kirchenbank und ließ das Gesangbuch fallen. Arthur guckte gerade noch den dicken Kerzen vorn auf dem Tisch beim Brennen zu, als das mit der Orgel losging. Musik von so einem alten Herrn, mindestens fünfunddreißig Jahre alt. Es ging nicht so recht vorwärts mit der Orgel, der Mann an den Tasten wiederholte sich. Arthur stellte seine Ohren ab. Die ältere Frau neben ihm verkleidete sich mit ihrer Brille, spitzte den Mund und fing an zu singen, daß sie ungefähr tausend Zungen haben möchte und dann auch noch einen tausendfachen Mund. „Müßte ganz schön irre aussehen“, dachte Arthur.

Der Gesang fand noch sechs Strophen lang statt, dann kam der Auftritt von Pastor H. Er las langsam was vor, so richtig mit Zittern in der Stimme. Arthur bekam eine Feierlichkeitsgänsehaut. Pastor H. drehte sich um, was ganz schön unhöflich war, und fing an, ausländisch zu singen: „Kyrie eleison“. Die Anwesenden tönten ihm postwendend etwas Deutsches gegen den schwarzen Rücken. Das passierte dann öfter. Man sang wieder einen, diesmal alles aus dem Kopf. Pastor H. drehte sich um und sagte, daß der Herr mit Arthur und dem Rest sein sollte. Die anderen erzählten Pastor H. dann etwas über seinen Geist. Arthur kam sich ganz schön auf Besuch vor, wie im Ausland. Die ältere Frau stand plötzlich stramm neben ihm; eben hatte sie noch gesessen, und nun stand sie, und die anderen alle auch. Arthur schoß verwirrt in die Höhe. Pastor H. las ungefähr die Hälfte der Bibel vor, und Arthurs schlafendes Bein kitzelte fürchterlich. Dann saßen wieder alle, und es wurde davon gesungen, daß die Christenheit hocherfreut sein sollte, nicht nur heute, sondern allerstunden.

(In dieser Form geht es noch ein wenig weiter. Der Pfarrer liest die zweite Hälfte der Bibel vor und vor der Predigt noch die dritte. Es endet dann:) Einen ordentlichen Segen gab es auch noch: Pastor H. schlug mit seinen Händen ein kräftiges Kreuz durch die Luft. Die Orgel spuckte große Töne. Die ältere Frau neben Arthur guckte noch ein bißchen ihre Hände an, Arthur machte es vorsichtshalber auch, dann packte sie zusammen. Arthur drängte dem Ausgang entgegen. Die ältere Frau von nebenan lächelte sich langsam durch das Gedränge. Arthur dachte: „Komisch. Wie kann die nur so lächeln?“

Von der Kerngemeinde und anderen

Aus den Geschichten von Arthur, der als Jugendlicher die kirchliche Welt der Erwachsenen erlebt. Übertrieben natürlich, aber doch mit einem Körnchen Wahrheit. Konfirmanden mögen sich manchmal so fühlen. Oder alle die, die nicht zur sog. Kerngemeinde gehören. Kerngemeinde, damit meint man die, die regelmäßig kommen: in den Gottesdienst, in die Gruppen. Die dann auch die Regeln kennen. Die wissen, wie alles abläuft. Wenn diese Kerngemeinde nicht für sich allein bleiben will, dann muß sie sich fragen: Was denkt und fühlt der, der selten oder der zufällig einmal da ist? Wie ist die Atmosphäre in den Gottesdiensten und Gruppen? Wirken wir einladend? Bekommt jemand etwas mit oder fühlt er sich fremd oder fehl am Platz? Wie verständlich ist der Ablauf und die Sprache des Gottesdienstes und der Lieder?

Einladende Gemeinde?

Wirken wir nur nach innen oder auch nach außen? Um diese Frage ging es auch dem Apostel Paulus in einem konkreten Fall damals in der Gemeinde in Korinth, wenn er schreibt:

1 Strebt nach der Liebe! Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede! 2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen. 23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen? 24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig unter euch ist.

Also auch hier die Frage: Sollen wir mehr den Zusammenhalt nach innen und den Glauben der Kerngemeinde stärken? Oder sollen wir unser Augenmerk mehr auf die richten, die wir zur Gemeinde hinzugewinnen wollen? Das Reden in Zungen wirkt stärkend nach innen. Die prophetische Rede wirkt eher nach außen. Was ist mit beiden Begriffen gemeint?

Von den Geistesgaben

Paulus zählt beides unter die sog. Geistesgaben oder mit dem Fremdwort Charismen. Geistesgaben sind für Paulus alle menschlichen Fähigkeiten, die sich jemand nicht selbst aneignen, sondern nur schenken lassen kann. Begabung - da steckt dieser biblische Ursprung noch drin! Oder der Volksmund drückt es aus, indem er sagt, sie seien einem in die Wiege gelegt. Gott, der Schöpfer, so versteht es Paulus, schenkt sie einem Menschen durch die Vermittlung seines Heiligen Geistes. Und wie jede unverdiente Gabe sind diese Geistesgaben auch eine Auf-gabe: Sie sollen anderen Menschen zugute kommen. Sie sind nicht zum Selbstruhm und zur Selbstbefriedigung da.

An anderer Stelle zählt Paulus solche Gaben auf, wie er sie bei Gemeindegliedern entdeckt: Weisheit, Erkenntnis, Glaube, die Gabe, gesund zu machen oder Wunder zu bewirken. (1. Korinther 12,1-11) Aber auch die Fähigkeit, anderen etwas beizubringen, ein Ehrenamt oder die Leitung zu übernehmen, für bedürftige oder alte Menschen zu sorgen. (Römer 12,3-8) Und es gibt sie heute noch in dieser oder ähnlicher Form. Jede Begabung kann zur Geistesgabe werden, sobald jemand ja dazu sagt, daß sie ihm von Gott geschenkt ist, und sobald er sie für die Gemeinschaft einsetzt.

Die Insider in der Saas wissen bei bestimmten Problemen und Fragen, bei bestimmten kniffligen Aufgaben und Arbeiten genau, zu wem sie jeweils hingehen müssen: Wenn es um Autos geht, um Gärten, um Bäume, um spezielle handwerkliche Tätigkeiten. Vereine würden endgültig sterben, wenn es das nicht gäbe. Die Betreffenden würden nicht von Geistesgaben reden. Sie wissen nur, sie können etwas, und sie setzen es gerne für andere ein.

„Rede in Zungen“ und „prophetische Rede“

Hier also nun in Korinth die Geistesgabe der "Rede in Zungen": "Zungenrede" ist eine unglückliche Übersetzung aus dem Griechischen. Zunge und Sprache sind im Griechischen dasselbe Wort. Sprachenrede müßte man besser sagen. Oder noch besser, weil es sich beim Inhalt um Gotteslob handelt: Sprachengebet. Gebet in einer anderen Sprache, die im allgemeinen auch nicht einer bekannten gesprochenen Sprache dieser Welt entspricht. Begeistertes Gotteslob von Menschen, denen Herz und Mund übergehen.

Und auf der anderen Seite die Gabe der prophetischen Rede. Auch hier entsteht leicht ein Mißverständnis: Nicht hellsehen oder weissagen ist gemeint. Nicht die Vorhersage künftiger Ereignisse. Nicht: in die Zukunft blicken. Sondern: In die Gegenwart blicken. Spüren, was dran ist. Spüren, was faul ist, und dann auch seinen Mund aufmachen und das rechte Wort zur rechten Zeit sagen. Nicht um den heißen Brei herum reden. Unbequeme Wahrheiten sagen.

Wichtiger ist die prophetische Rede

Das Sprachengebet nun festigt die geistliche Gemeinschaft. Es wirkt festigend nach innen. Es ist aber, was seinen Inhalt angeht, nicht für jeden verständlich. Und wer das Phänomen nicht kennt und von außen kommt, meint vielleicht, sie hätten sie nicht mehr alle. Wenn jemand aber die Fähigkeit hat, eine Sache auf den Punkt zu bringen, das rechte Wort zur rechten Zeit zu sagen, der wird verstanden, da werden auch Außenstehende hellhörig. Paulus:

2 Denn wer in Zungen redet, der redet nicht für Menschen, sondern für Gott; denn niemand versteht ihn, vielmehr redet er im Geist von Geheimnissen. 3 Wer aber prophetisch redet, der redet den Menschen zur Erbauung und zur Ermahnung und zur Tröstung. 1... Bemüht euch um die Gaben des Geistes, am meisten aber um die Gabe der prophetischen Rede!

Paulus ist also nicht grundsätzlich gegen das Sprachengebet. Es ist eine Gabe, gleichberechtigt wie die anderen auch. Alle Gaben sind nötig. Sie bei anderen und bei sich selbst zu entdecken, sie zu fördern, sie für eine Kirchengemeinde fruchtbar zu machen, ist entscheidend wichtig, wenn etwas vorangehen soll. Die Stärkung der Gemeinde nach innen, die Festigung des Glaubens ist im Prinzip genauso nötig wie das freundliche und gewinnende Auftreten nach außen. Nicht prinzipiell, aber doch in dieser konkreten Gemeindesituation in Korinth scheint Paulus das zweitere wichtiger. Er befürchtet anscheinend, die Gemeinde könnte sich vor lauter religiöser Begeisterung zu sehr auf sich selbst zurückziehen, die Gottesdienste könnten Selbstzweck werden. Und wenn dann Zögernde oder Außenstehende oder Menschen, die sich zaghaft einer Gemeinde wieder nähern wollen, dazukommen, sind sie eher abgestoßen oder verwirrt:

23 Wenn nun die ganze Gemeinde an einem Ort zusammenkäme und alle redeten in Zungen, es kämen aber Unkundige oder Ungläubige hinein, würden sie nicht sagen, ihr seid von Sinnen?

Wenn aber ein Gottesdienst oder eine Versammlung oder eine Gruppenabend so abläuft, daß ein Gast das Gefühl bekommt, er ist angesprochen worden, er hat etwas für sein Leben gelernt, es hat ihn getroffen, er kann etwas mitnehmen, dann ist in diesem Moment der Gemeinde mehr gedient:

24 Wenn sie aber alle prophetisch redeten und es käme ein Ungläubiger oder Unkundiger hinein, der würde von allen geprüft und von allen überführt; 25 was in seinem Herzen verborgen ist, würde offenbar, und so würde er niederfallen auf sein Angesicht, Gott anbeten und bekennen, daß Gott wahrhaftig unter euch ist.

Verständlichkeit ist wichtig

Ein Gebot der Nächstenliebe ist es, sagt Paulus, daß eine Gemeinde so redet und lebt, daß man sie versteht. Deswegen steht als Überschrift über dem Ganzen, noch bevor er sagt: "Bemüht euch um die Gaben des Geistes." der einleitende Satz "Strebt nach der Liebe!" Und ein Gebot der Vernunft ist es auch, wenn er sagt:

20 Liebe Brüder, seid nicht Kinder, wenn es ums Verstehen geht; sondern seid Kinder, wenn es um Böses geht; im Verstehen aber seid vollkommen.

Verständlichkeit ist wichtig. Um Verständlichkeit soll wir uns in der Gemeinde bemühen: Die Sprache der heutigen Zeit sprechen. Glaubensdinge mit einfachen Worten sagen. So reden, daß Jugendliche, so reden, daß ferner Stehende etwas mitbekommen.

Und nun?

Was ist also dran? Nicht damals in Korinth, sondern heute bei uns? Was braucht die Gemeinde? Mehr die Stärkung nach innen? Die Festigung der bestehenden Gruppen? Die Vertiefung des Glaubens der Glaubenden? Die Stärkung der Herzlichkeit unter denen, die sich herzlich verbunden sind? Oder mehr die Offenheit nach außen? Eine herzliche Einladung an die, die selten kommen, doch vielleicht öfter zu kommen? Ängste abbauen, die mancher hat, seinen Fuß über eine kirchliche Schwelle zu setzen - hinein in ein Gemeindehaus oder eine Kirche?

Beides braucht sie wohl. Alles zu seiner Zeit. Doch heute, wo wir im Gottesdienst und hinterher miteinander feiern, vielleicht mehr die Offenheit, die Einladung, die freundliche Werbung, das verständliche Wort. Gott schenke es und mache es möglich. Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de