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Die Predigt vom 9. Juli 2000: »Lebenslügen«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den 3. Sonntag nach Trinitatis. Sein Thema ist die Versöhnung zwischen Gott und Mensch. Die neue Evangeliumslesung des Tages ist das bekannte Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der diesjährige Predigttext steht im 1. Johannesbrief Kapitel 1 und 2:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  1 5 Und das ist die Botschaft, die wir von ihm gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. 6 Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 7 Wenn wir aber im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander, und das Blut Jesu, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde. 8 Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. 9 Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. 10 Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns.

2 1 Meine Kinder, dies schreibe ich euch, damit ihr nicht sündigt. Und wenn jemand sündigt, so haben wir einen Fürsprecher bei dem Vater, Jesus Christus, der gerecht ist. 2 Und er ist die Versöhnung für unsre Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt. 3 Und daran merken wir, daß wir ihn kennen, wenn wir seine Gebote halten. 4 Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. 5 Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm sind. 6 Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat.

Predigt

  Ein gefährliches Thema

Ein gefährliches Thema hat dieser 3.Sonntag nach Trinitatis, gefährlich vor allem für die, die sich regelmäßig zu ihrer Kirchengemeinde und zum Gottesdienst halten. "Jesus ist gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist", heißt es im Wochenspruch. Also: Jesus geht geduldig denen nach, die im Laufe der Zeit von ihm und von Gott abgekommen sind und bietet ihnen die Hand. Dieses Wort und das Gleichnis vom verlorenen Schaf, aus dem es stammt, verführen einen: Man ist verführt, heimlich einzuteilen, wer zu den Gerechten des Gleichnisses gehört, die sich nicht verlaufen haben, und wer zu den verlorenen Schafen zählt.

Schubladendenken

Gefährlich sind solche Gedanken, weil man in Versuchung ist, Menschen in kirchliche Schubladen zu stecken und einzuordnen. Dabei stellen wir uns selber allzu schnell auf die Seite der Guten und ganz bestimmte andere auf die andere Seite.

Gefährlich sind solche Gedanken, weil es uns nicht zusteht, über den Glauben anderer zu urteilen: Einordnen, ob er sich Gott näher oder ferner fühlt, kann jeder nur selber. Und wie es dann wirklich steht, weiß nur Gott.

Gefährlich sind solche Gedanken auch, weil das Sich-Entfernen von Gott nicht einfach mit Absicht und Schuld gleichgesetzt werden kann: Die Schafe im Gleichnis verirren sich ja auch nicht absichtlich. Die Lebensumstände, der Weg, den man zu gehen hat, vielleicht auch jugendlicher Leichtsinn führen dazu, daß man sich plötzlich unversehens in einer Richtung vorfindet, die man gar nicht bewußt einschlagen wollte.

Und gefährlich sind solche Gedanken auch, weil die Gefahr, sich von Gott und dem vom Grund und vom Sinn seines Lebens zu entfernen, ja alle betrifft: Wir dürfen dankbar sein für unseren Glauben, aber wir wissen nicht, was uns an Prüfungen noch bevorsteht. "Wer da steht, mag zusehen, daß er nicht falle", heißt es bei Paulus. (1. Korinther 10,12)

Gott näher oder ferne sein

Gefährlich ist es also, andere einordnen zu wollen. Aber dennoch kommen wir vom Thema dieses Sonntags her nicht an der Tatsache vorbei, daß die einen mit Gott mehr und die anderen mit ihm weniger zu tun haben wollen, daß die einen eher die Nähe Gottes suchen und die anderen sich eher von ihm entfernen. Und wir kommen auch nicht daran vorbei, daß das Gott ganz und gar nicht gleichgültig ist. Nicht so sehr, daß Gott dadurch in seiner Ehre und in seinem Stolz gekränkt wäre, sondern es geht um den Sinn und das Gelingen unseres Lebens: Wer sich von Gott entfernt, steht in der Gefahr, den Sinn seines Lebens zu verfehlen, sagt Jesus. Wer aber Gott sucht und den Weg zu ihm zurück findet, der findet den Sinn bei ihm.

Im Licht und im Finstern

Mit demselben Ernst sagt es auch der Evangelist Johannes im heutigen Predigttext. Er redet aber nicht wie Jesus von den Verlorenen, sondern er vergleicht Menschen, die im Licht und die im Dunkeln leben:

5 Das ist die Botschaft, die wir gehört haben und euch verkündigen: Gott ist Licht, und in ihm ist keine Finsternis. 6 Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. 8 Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns. 9 Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. 10 Wenn wir sagen, wir haben nicht gesündigt, so machen wir ihn zum Lügner, und sein Wort ist nicht in uns. 4 Wer sagt: Ich kenne ihn, und hält seine Gebote nicht, der ist ein Lügner, und in dem ist die Wahrheit nicht. 5 Wer aber sein Wort hält, in dem ist wahrlich die Liebe Gottes vollkommen. Daran erkennen wir, daß wir in ihm sind. 6 Wer sagt, daß er in ihm bleibt, der soll auch leben, wie er gelebt hat.

Zwei Lebenslügen

Vor zwei Lebenslügen wird hier gewarnt. Zwei Dinge soll man gut beachten, damit man nicht am Sinn seines Lebens vorbeigeht. Und das gilt sowohl für Menschen, die Gott nahestehen, als auch für solche, die Gott fernstehen: Die erste Lebenslüge ist, sich selbst und anderen nicht einzugestehen, daß zwischen Glauben und Leben, zwischen Reden und Tun oft Lücken klaffen:

6 Wenn wir sagen, daß wir Gemeinschaft mit ihm haben, und wandeln in der Finsternis, so lügen wir und tun nicht die Wahrheit. Oder in einer neueren Übersetzung: 6 Wenn wir behaupten, Gemeinschaft mit Gott zu haben, und gleichzeitig im Dunkeln leben, dann lügen wir und tun nicht, was der Wahrheit entspricht.

Reden und Tun sollen zusammenpassen

Von Lippenbekenntnissen redet der Volksmund, wenn Reden und unser Tun nicht zusammenpassen. Lippenbekenntnissen folgen keine Taten. Mit ungedeckten Schecks werden sie auch verglichen: Wenn man sie einlösen will, steckt nichts dahinter. Daß unser Reden und Tun immer wieder auseinanderklaffen, gehört zum Leben. Wir scheitern an den Maßstäben und Zielen, die wir uns selbst setzen. Wir scheitern an den Maßstäben und Zielen, die uns andere Menschen setzen. Wir scheitern an den Maßstäben und Zielen, die uns Gott, der Schöpfer und Liebhaber des Lebens setzt. Dieses Scheitern ist nicht so sehr das Problem. Aber unheimlich viel Lebenskraft und Phantasie wird dann verbraucht, wenn man dazu nicht steht, sondern es vor anderen verbergen und die äußere Fassade aufrecht erhalten will.

Gerade Menschen, die sich zum Gottesdienst und zur Gemeinde halten, haben eine große Verantwortung. Ob sie es wollen oder nicht, die Leute sehen auf sie. Wir alle haben ein feines Gespür dafür, ob Reden und Tun bei anderen Menschen übereinstimmen. Deswegen sollten wir alles tun, daß nicht andere an uns Anstoß nehmen. So gut es geht, wollen wir einladend wirken für andere.

Das Auseinanderklaffen von Reden und Tun gibt es überall, z.B. in der Ehe: Wie oft mag da die Liebe beschworen werden, die am Anfang da war. Wie schnell mogelt man sich und den Partner darüber hinweg, daß durch die Last des Berufs, durch den Streß, durch den gesellschaftlichen Aufstieg, durch die erwachsen werdenden Kinder diese Liebe unmerklich kälter geworden ist. Wie schnell wird der Temperaturunterschied zu damals durch etwas teurere Geschenke vertuscht.

Das Auseinanderklaffen von Reden und Tun gibt es im Berufsleben: Was wird da manchmal von Erfolgen und Zufriedenheit geschwärmt. Denn: Wer darf in der Leistungsgesellschaft beruflichen Mißerfolg oder zurückgehende Leistungskraft öffentlich eingestehen? Wieviel seelische und körperliche Kraft wird eingesetzt, das nicht deutlich werden zu lassen?

Von der Ehrlichkeit vor sich selbst

Die zweite Lebenslüge, vor der der Text warnt, ist, sich seine Schuld, sein Versagen und seine Grenzen nicht einzugestehen: 8 Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst, und die Wahrheit ist nicht in uns.

Zum Leben gehört, daß man immer wieder an seine Grenzen kommt, zum Leben gehört das Scheitern, das Schuldigwerden an anderen Menschen und an Gott. Wer das nicht einsehen will, macht sich etwas vor oder er reibt sich an seinen Grenzen auf, in der Hoffnung, sie doch durchbrechen zu können. Alle sind davon betroffen. Doch es ist nun mal nicht leicht, öffentlich von Schuld zu reden, sie vor anderen zuzugeben.

Weil das alle Menschen betrifft, unterscheiden sich Christen und Nichtchristen nicht unbedingt durch ihre Taten. Auch wer nicht an Gott glaubt, kann sehr wohl ein guter Mensch sein. Und auch wer glaubt, hat ständig mit Schuld zu kämpfen. Aber das wünsche ich mir von einem Christen, wünsche ich mir von einem, der sich zur Kirche hält, daß er ehrlicher zu sich selbst sein kann als andere. Das wünsche ich mir von einem Christen, daß er seine Schuld nicht vertuschen muß, daß er seine Vergebungsbedürftigkeit, seine Gottesbedürftigkeit und seine Grenzen einsieht.

Schuld bekennen, um frei zu werden

Schuld gehört zum Leben. Das Schuldigwerden ist nicht eigentlich das Problem. Wichtig ist, wie man mit seiner Schuld umgeht. Sich und anderen Menschen dauernd etwas vorlügen müssen, lähmt. Sich zu seinen Grenzen und zu seiner Schuld zu bekennen, macht frei. Der Apostel Johannes lädt dazu ein: 9 Wenn wir aber unsre Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns die Sünden vergibt und reinigt uns von aller Ungerechtigkeit. Wer so ehrlich und offen mit seiner Schuld umgehen und leben kann, der kann Lebensballast abladen und wird dadurch frei für Neues, der muß sich nicht immer neu an seinen Grenzen reiben.

„Wende dein Gesicht der Sonne zu ...“

Langer Rede kurzer Sinn zuletzt noch einmal in einem Bild: „Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.“ So heißt es in einem Sprichwort, das auch unter den Besinnungstexten im neuen Gesangbuch steht. Es wird üblicherweise so verstanden: Es gibt nun einmal keinen Menschen ohne Schatten. Wo ein Mensch im Licht steht, ist auch sein Schatten zu sehen. Und gerade im Licht Gottes werden alle unsere Konturen besonders scharf abgebildet. Wir können krampfhaft versuchen, diesen Schatten loszuwerden. Es wird nicht gelingen. Eine Möglichkeit nur gibt es, dem eigenen Schatten zu entfliehen: Man muß ins Licht schauen, hin auf Gott. Langer Rede kurzer Sinn zuletzt noch einmal in einem Bild: „Wende dein Gesicht der Sonne zu, dann fallen die Schatten hinter dich.“ Amen

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de