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Die Predigt |
Am Anfang
der Predigt stand eine Bildbetrachtung aus dem Evangelischen Gesangbuch.
Aus Urheberrechtsgründen will ich das Bild hier nicht einfach
abdrucken. Mein Vorschlag: Kaufen Sie sich ein Evangelisches Gesangbuch,
Ausgabe für Bayern und Thüringen. Es lohnt sich!
Der Engel, der befreit
Zur Betrachtung eines Bildes im Evangelischen Gesangbuch lade ich
Sie heute ein: Sie finden es neben dem Lied Nr. 567 (auf der Seite
984). ...
Die Verteilung von Dunkel und Hell fällt zuerst ins Auge. Da
ist ein klarer Aufbau: Von links unten nach rechts oben setzt sich
langsam das Licht durch.
Links unten auf das erste Hinsehen ein unförmiger, konturenloser
schwarzer Fleck. Wenn sich dann die Augen an die Dunkelheit gewöhnt
haben, tritt langsam eine Figur hervor: Ein Mann. Der rechte Fuß
ist zu sehen. Dann Schemenhaft auch der linke Fuß. Der Mann
scheint sich langsam zu erheben. Sein kahles Haupt mit einem zottigen
Bart schaut schon ins Licht.
Das Licht – es kommt von einer zweiten Figur. Zart angedeutete
helle Flügel zeigen einen Engel, so wie ihn sich viele vorstellen.
Die Flügel sind ein Zeichen, ein Symbol: In den Flügeln
brachten die Menschen einer vorwissenschaftlichen Zeit zum Ausdruck,
dass der Engel sehr schnell überall sein kann. Zeit und Ort hindern
einen Gottesboten nicht. Auch der Götterbote der Griechen, Hermes,
hatte kleine Flügelchen an seinen Schuhen.
Der Gottesbote ist die Gegenfigur zu dem Mann im Dunkel: Dort ein
dunkler Körper, hier ein heller. Dort das Gesicht schon im Licht,
hier eher ein dunkles Gesicht, weil darauf der Schatten des Mannes
fällt.
Vom Dunkel ins Licht
Beide sind miteinander in Verbindung: mit den Augen und mit den Händen:
Eindringlich, ja ernst und streng schaut der Gottesbote den Mann an.
Er nimmt Kontakt auf. Er macht sich bemerkbar. Wenn man einem etwas
Wichtiges zu sagen hat, muss man sich in die Augen schauen. Wenn man
mit jemand spricht, darf man dem Dunkel des anderen nicht ausweichen.
Mit seiner linken Hand, die nach den Händen des Mannes greift,
hebt er den Mann langsam aus dem Dunkel hervor. Der Kopf ist schon
im Licht. Bald wird der ganze Körper licht sein. Langsam richtet
sich der Mann auf.
Die rechte Hand des Gottesboten weist den Weg. Einen Weg gehen soll
der Mann, wenn er aufgestanden ist. Sich nicht nur erheben, sondern
sich auf den Weg machen. Nicht in Richtung des Engels soll er gehen.
Er ist nicht entscheidend. Er wird wieder weg sein, wenn er seine
Aufgabe erfüllt hat. Nein: da wo er her gekommen ist, in sein
Leben zurück, soll der Mann gehen.
Wem so etwas in seinem Leben widerfährt, dass er überraschend
aus seinem Dunkel ins Licht gehoben wird, dass die Nacht für
ihn zum Tag wird, der kann nicht stehen bleiben, der muss gehen. Verwandelt
ins Leben zurück gehen.
Gott mehr gehorchen als den Menschen
Das Verzeichnis der Bilder am Ende des Gesangbuches verrät uns
Titel und Künstler. „Befreiung Petri.", also die Befreiung
des Apostels Petrus aus dem Gefängnis, eine Federzeichnung des
großen holländischen Malers Rembrandt. Zweimal wird in
der Apostelgeschichte erzählt, dass man Petrus ins Gefängnis
warf, weil er nach dem Tod und der Auferstehung Jesu öffentlich
den Messias Jesus verkündigte. Und zweimal kam er auf wunderbare
Weise frei. So lesen wir im 5. Kapitel der Apostelgeschichte:
(Text siehe oben)
Diese Erzählung entdecke ist in Rembrandts Zeichnung wieder:
Petrus und die anderen Apostel im Dunkel des Gefängnisses und
im Dunkel der Nacht. Wie mag es ihnen gegangen sein: für eine
gute Sache, für die eigene Glaubensüberzeugung unschuldig
eingesperrt, zum Schweigen gebracht? Als Heilige erscheinen die Jünger
allzu leicht. Die Evangelien beschreiben sie nicht so. Sie zeigen
Menschen, die versagen, die Angst haben, die verleugnen, die den Sinn
des Ganzen nicht verstehen. Und gerade Petrus ist ja der Prototyp
dessen, der erst himmelhoch jauchzend und dann zu Tode betrübt
ist. Petrus – einer der das Dunkel des Lebens und das Dunkel
des Zweifels und des Glaubens kennt.
Und dann in dieses Dunkel des Gefängnisses hinein, kurz und bündig,
fast wie nebenbei berichtet, tritt der Engel des Herrn, öffnet
die Türen und führt die Jünger heraus. Und er rettet
sie nicht, damit sie sich im Dunkel der Nacht davon machen und sich
in Sicherheit bringen. Seine Hand weist zurück. Zurück sollen
sie. Dorthin, wo man sie gefangen genommen hat. Zurück an ihre
Aufgabe:
20 Geht hin und tretet im Tempel auf und redet zum Volk alle Worte
des Lebens.
Nicht ihr Leben ist entscheidend, sondern das Leben der anderen. Ihnen
soll das Wort des Lebens nicht vorenthalten werden. Die Menschen brauchen
Worte des Lebens. Und damit sie gesagt werden, braucht es Menschen,
die sich nicht genieren und keine Angst haben. Und die Engelsbegegnung
hat ganz offensichtlich Mut gemacht:
29 Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss
Gott mehr gehorchen als den Menschen.
Unsere Nächte und Gefängnisse
Immer wieder neu trägt sich diese alte Geschichte zu, dass Gott
in das Dunkel von Menschen hinein überraschend sein Licht schickt.
Spätestens im Advent werden wir dafür wieder empfänglich.
Da ist Hilfe, wo man sie nicht erwartet hat.
Menschen im Dunkel: Verzweiflung, durchwachte Nächte, Schmerzen,
die einen nicht schlafen lassen, Warum-Fragen, Aussichtslosigkeit.
Gefängnisse von Krankheit, von Sorgen, von Einsamkeit ...
Und dann auf einmal ein Licht, mit dem man nicht gerechnet hätte,
eine Hilfe, die man schon gar nicht mehr für möglich gehalten
hat. Ein Mensch, eine Stimme, ein offenes Ohr, ein Anruf, eine Hand,
ein Lichtblick.
Der Engel Gottes ist ein Bild für Gottes tausend Möglichkeiten,
die über unsere Vernunft und Phantasie hinaus gehen. Der Engel,
auf deutsch „Gesandter", „Bote", Gottes rechte
Hand, Gott selber verborgen in den Möglichkeiten seiner Schöpfung.
Der Engel des Lichtes
Einen Engel des Lichtes, einen Engel, der in der Nacht Licht in das
Dunkel von Menschen bringt, beschreibt einer der vielen Texte unseres
Gesangbuches. (Wer mitlesen will: auf Seite 525)
Engel des Lichtes
hast du
den Engel des Lichtes
gesehen
sanft
streift er
durch die Nächte der Welt
legt hier
seine Hand auf ein Stöhnen
blickt dort
voll Erbarmen
der Angst in die Augen
und sagt
in den Schrei der Verzweiflung
sein lichtendes Wort
hast du
den Engel des Lichtes
gesehen
hier war er
und dort
und doch überall
er streift durch die Nächte der Welt
und gräbt
in die Finsternis tief
den Samen des ewigen Morgens
streut
Schweigen
in jegliche Not
hast du
den Engel
des Lichtes
gesehen
er trägt
deine Nacht
in den Händen
du
findest ihn
immer
in dir
Annette Soete
Samen des Lichtes tief in die Finsternis
Menschen, die wie Petrus im Dunkel sind, und auf ein Zeichen und auf
Hilfe warten, werden hier eindringlich beschrieben:
Da ist einer, der stöhnt, vor Schmerzen vielleicht oder vor Einsamkeit.
Er erfährt, dass da jemand seine Hand auf ihn legt.
Da hat einer Augen voller Angst. Er erfährt, dass ihn jemand
anblickt voll Erbarmen.
Da ist ein Schrei der Verzweiflung. Und in diesen Schrei hinein erfährt
er ein Wort, das es Licht werden lässt.
Sanft, lautlos und unaufdringlich: „er streift durch die Nächte
der Welt". Wie mögen diese Nächte aussehen, verborgen
in den Häusern, verborgen hinter Mauern, die nichts nach außen
dringen lassen. Wie viel verborgene Tränen werden geweint, und
der am Gehsteig vorüber geht, weiß nichts davon. Der Engel
aber, der kommt ins Haus.
Der Engel des Lichts: „hier war er und dort und doch überall".
Was da in Worten steht, das sind auf dem Bild die Flügel.
Ein Engel des Lichtes ist er, weil er sich mit der Nacht und der Finsternis
und der Not nicht zufrieden gibt. Hoffnung lässt er in Menschen
aufkeimen, indem er den Samen des Lichtes, den Samen des ewigen Morgens
streut, tief in die Finsternis hinein.
Und dann zum Ende des Gedichts hin die Anrede an die Leserin und den
Leser: Auch deine Nacht ist gemeint. Deine Finsternis. Dein Stöhnen.
Deine Angst. Deine Verzweiflung.
Auch deine Nacht trägt er in seinen Händen. Dich trägt
er in seinen Händen. Du fällst nicht ins Bodenlose. „Hast
du den Engel des Lichtes gesehen?" Hast du deinen Engel schon
gesehen? Er ist da. Gott ist da. „Du findest ihn immer in dir."
Amen |
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