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Die Predigt vom 26. November 2000: »Laßt uns über den Tod reden«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den Letzten Sonntag des Kirchenjahres, auch Ewigkeitssonntag genannt. Er wird auch als Totensonntag begangen, im kirchlichen Sprachgebrauch "Gedenktag der Entschlafenen". Der zugehörige Predigttext steht im Brief des Paulus an die Philipper Kapitel 1:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  21 Denn Christus ist mein Leben, und Sterben ist mein Gewinn. 22 Wenn ich aber weiterleben soll im Fleisch, so dient mir das dazu, mehr Frucht zu schaffen; und so weiß ich nicht, was ich wählen soll. 23 Denn es setzt mir beides hart zu: ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre; 24 aber es ist nötiger, im Fleisch zu bleiben, um euretwillen. 25 Und in solcher Zuversicht weiß ich, daß ich bleiben und bei euch allen sein werde, euch zur Förderung und zur Freude im Glauben, 26 damit euer Rühmen in Christus Jesus größer werde durch mich, wenn ich wieder zu euch komme.

Predigt

  Über den Tod reden

Lassen Sie uns heute ein wenig über den Tod reden. Jetzt werden einige unter Ihnen vielleicht sagen: "Muß das sein? Können wir nicht über etwas anderes reden? Der Tod war im vergangenen Jahr oft genug Thema." Aber ich denke, es muß sein. Über den Tod muß geredet werden. Warum?

Der Tod macht sprachlos. Er macht stumm. Das haben viele von Ihnen wahrscheinlich erlebt. Und solange der Tod sprachlos macht, hat er Macht über Menschen, hat er sie in seinem Bann. Wenn aber Menschen anfangen zu reden, dann verliert er eine wenig von seiner Macht. Vielleicht ging es Ihnen auch so: Nach einem Verlust - einem plötzlichen oder einem nach quälend langer Zeit - nach einem Verlust muß man reden. Immer wieder neu erzählen, was passiert ist und wie es passiert ist. Zum einen, damit man selber das Unbegreifliche langsam begreifen kann. Zum andern, um sich eine Last von der Seele zu reden.

Über den Tod reden: Vielleicht kann man es noch besser mit ein wenig Abstand. Daß nicht gleich bei jedem Wort sofort alles wieder lebendig ist. Über den Tod reden. Wie macht man das? Man kann nicht theoretisch reden, nicht allgemein, nicht lehrhaft und schulmeisterlich. Der Tod ist etwas Persönliches. Und jeder Tod ist anders. Und: Von sich selber reden, ist nicht leicht.

Da redet jemand über den Tod

Deswegen: Lassen Sie uns über den Tod reden, indem wir jemand zuhören, der selber von sich und seinem Tod offen und ungeschminkt reden kann:

20 Ich hoffe und erwarte voller Zuversicht, daß Gott mich nicht im Stich läßt. Ich vertraue darauf, daß auch jetzt, so wie bisher stets, Christus an mir und durch mich groß gemacht wird, ob ich nun am Leben bleibe oder sterbe. 21 Denn Leben, das ist für mich Christus; darum bringt Sterben für mich nur Gewinn. 22 Aber wenn ich am Leben bleibe, kann ich noch weiter für Christus wirken. Deshalb weiß ich nicht, was ich wählen soll. 23 Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich möchte am liebsten aus diesem Leben scheiden und bei Christus sein; das wäre bei weitem das beste. 24 Aber es ist wichtiger, daß ich noch hier ausharre, weil ihr mich braucht. 25 Darauf baue ich und bin deshalb ganz sicher, daß ich euch allen erhalten bleibe. Dann kann ich euch helfen, daß ihr weiterkommt und die volle Freude erlebt, die der Glaube schenkt. (Brief an die Philipper 1,20-25 nach der „Guten Nachricht“)

Diese Worte stammen vom Apostel Paulus. Er sitzt um seines Glaubens willen und um seiner offenen Worte willen im Gefängnis. In Briefen an die Gemeinden, die er gegründet hat, redet er sich alles von der Seele. So auch in diesem Brief an die Gemeindeglieder in der Stadt Philippi in Griechenland, seiner Lieblingsgemeinde. Er sitzt im Gefängnis. Er weiß nicht, wie die Sache ausgeht. Ein Todesurteil liegt im Rahmen des Möglichen. Vielleicht kommt er aber auch wieder frei.

Offen und ungeschminkt reden

Paulus redet von seinem Tod. Er sagt offen, was in ihm vorgeht. Er sagt, wie ihm dort im Gefängnis zumute ist: Ich möchte am liebsten aus diesem Leben scheiden ...; das wäre bei weitem das beste. Wie werden die Menschen dort in Korinth auf diese offenen Worte reagiert haben?

Es ist nicht leicht, wenn da einer liegt und offen heraus sagt: "Am liebsten würde ich sterben." Oder: "Ich spür's: Es ist bald so weit." "So darfst du nicht reden", heißt es dann gleich. "Versündige dich nicht!" Oder: "Ach, Oma, erzähl nicht so ein Zeug. Das wird schon wieder." Das Thema Tod macht hilflos. Es macht sprachlos. Nur nicht darüber reden, weil man nicht weiß, was man sagen soll. Ausweichen. Ausklammern. Auf andere Gedanken bringen. Ein neues Thema anfangen. Drohen: "Wenn du dauernd damit anfängst, besuche ich dich nicht wieder." Und wie gerne würde der Menschen reden, wenn die anderen ihn nur lassen würden, wenn sie ihm nicht dauernd über den Mund fahren würden. Wenn sie auch einmal schweigen könnten. Einfach da sitzen und zuhören.

Nicht Verstecken spielen

Oder auch das andere: Keine von beiden Seiten traut sich so richtig. Alle spüren zwar: Es wird bald so weit sein. Doch der Sterbende auf der einen Seite will niemand belasten und behält alles für sich. Und die Angehörigen auf der anderer Seite trauen sich nicht in der Angst, er seinerseits könnte denken, es gehe ihnen wohl nicht schnell genug. Offen reden. Offen reden, so wie Paulus hier von sich und seinen Gefühlen redet. Offen reden, was könnte das manchmal für eine Erlösung sein!

In allem etwas Gutes entdecken

Das zweite, was an Paulus imponiert: Er kann in jeder Lage etwas Gutes entdecken. Egal, wie es ausgeht, kann er einen Sinn finden. Das beginnt schon ein paar Verse weiter vorne, wenn er sagt: "Daß ich hier im Gefängnis sitze, hat auch einen Sinn, denn es spricht sich herum, daß ich für meinen Glauben eingesperrt bin. Und jetzt hören Menschen vom Evangelium, denen ich vorher nie begegnet wäre." Und was den Ausgang seiner Sache angeht:

20 Ich hoffe und erwarte voller Zuversicht, daß Gott mich nicht im Stich läßt. ... ob ich nun am Leben bleibe oder sterbe. 23 Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich möchte am liebsten aus diesem Leben scheiden und bei Christus sein; das wäre bei weitem das beste. 24 Aber es ist wichtiger, daß ich noch hier ausharre, weil ihr mich braucht.

Wie kann er im Tod Gutes entdecken? Wie kann der nach menschlichem Ermessen schlimmste Ausgang für ihn der beste sein? Egal, wie es hinaus geht, sagt er, läßt Gott mich nicht im Stich. So oder so ist er bei Christus, seinem Herrn. Im Leben ist er in Gottes Hand. Und würde er sterben, würde er auch nur in Gottes Hand fallen. Zusammengefaßt in den Satz: 21 Leben, das ist für mich Christus; darum bringt Sterben für mich nur Gewinn.

Sich fallen lassen können

Was ist das für eine Gelassenheit! Die kann nur jemand an den Tag legen, der sich fallen lassen kann, der loslassen kann. Sich fallen lassen, das ist schwer. Sich fallen lassen kann nur, wer weiß, wohin er fällt.

Einen Sinn entdecken oder erahnen, ganz egal, wie es hinausgeht, das habe ich andeutungsweise auch bei vielen Trauerbesuchen in diesem vergangenen Jahr hören können. Daß auch, wenn es anders hinausgeht als gewünscht, ein Sinn und etwas Gutes darin verborgen liegen könnte, das kann der Pfarrer ja nicht mitbringen. Er kann fertige Antworten und Deutungen nicht aus der Tasche ziehen. Er kann nur Wegbegleiter auf Zeit sein. Die Betroffenen selbst müssen sich auf den Weg, auf die Entdeckungsreise machen. Es kann ihn niemand ihren Weg abnehmen.

Hin- und hergerissen

Hin- und hergerissen ist ein sterbender Mensch. Hin- und hergerissen sind die Angehörigen. Hin- und hergerissen ist Paulus in seiner Lage: Gleich sterben. Das wäre schöner. Das wäre einfacher. Doch er ist sich sicher: Er wird noch gebraucht. Beides gibt es: Da raffen sich Menschen noch einmal auf, weil sie wissen, daß sie gebraucht werden. Sie finden heraus aus ihrer Resignation. Sie mobiliseren die letzten Kräfte ihres Körpers und der Seele. Und sie geben vielleicht damit erst dem ärztlichen Bemühen die Chance auf einen Erfolg.

Aber auch das andere: Menschen spüren, es ist soweit. Und sie reden nicht um den heißen Brei. Sie konfrontieren die Angehörigen, die lieber in Ruhe gelassen werden möchten, die dem Thema aus dem Weg gehen möchten, mit ihrer Offenheit. Sie haben sich durchgerungen und nun können sie loslassen. Wenn nur auch die Angehörigen loslassen könnten! Oder manche wissen oder spüren, daß noch Dinge erledigt werden müssen, bevor sie loslassen können. Ein Gespräch noch. Eine Versöhnung. Ein Verwandter, der weiter weg wohnt, und erst noch da gewesen sein muß, damit man in Frieden gehen kann.

Von der einen Hand Gottes in die andere

In jedem Ausgang einen Sinn entdecken. Sich in Gottes Hand fallen lassen. Das imponiert an Paulus. Doch da sind auch zwei Dinge, die dürfen nicht verschwiegen werden: Paulus hat die Zuversicht, daß es noch einmal gut hinausgehen wird. Das ist bei denen unter Ihnen, die einen Menschen verloren haben, nicht der Fall gewesen. Und: Paulus war Junggeselle. Paulus war ein unsteter Wanderer ohne Heimat. Vielleicht kann ein solcher leichter loslassen. Da war nicht Haus und Hof. Da war kein Ehegatte. Da waren keine Kinder.

Zum einen: Vielen von Ihnen ist der andere, der gewünschte und ersehnte Ausgang nicht geschenkt worden. Können Sie vielleicht dennoch die Botschaft des Paulus annehmen? Hilft Ihnen seine Zuversicht und Gelassenheit, die er auch bei einem anderen Ausgang gehabt hätte? Der Mensch, den Sie verloren haben, er ist bei Christus, seinem Herrn, er ist in Gottes Hand.

Und das andere: Das Loslassen ist leichter, wenn man nicht Ehegatten und Kinder loslassen muß. Ja, noch mehr: Wenn man denen nicht das Loslassen zumuten muß. So lesen wir als Besinnungstext nach dem Lied 530 in unserem Gesangbuch:

Vor meinem eignen Tod ist mir nicht bang,
Nur vor dem Tode derer, die mir nah sind.
Wie soll ich leben, wenn sie nicht mehr da sind?
Allein im Nebel tast ich todentlang
Und laß mich willig in das Dunkel treiben.
Das Gehen schmerzt nicht halb so wie das Bleiben.
Der weiß es wohl, dem gleiches widerfuhr;
– Und die es trugen, mögen mir vergeben.
Bedenkt: den eignen Tod, den stirbt man nur,
Doch mit dem Tod der andern muß man leben.

(Mascha Kaleéko)

Was sagt man Ihnen, den sog. Hinterbliebenen, denen genau das widerfahren ist, daß Sie mit dem Tod der anderen leben müssen? Mehr weiß ich nicht zu sagen als das, was damals jener Theologieprofessor sagte, als man ihn fragte, wie er sich mit dem Tod seiner Frau tröste: "Sterben", so sagte er, "das ist: von einer Hand Gottes hinübergleiten in die andere."

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de