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Die Predigt |
In seiner Kirche
bleiben
Auch in der Saas stehen immer wieder einmal die Zeugen Jehovas vor
der Tür. (Am Pfarrhaus waren sie zwar noch nie, aber ich weiß
es vom Erzählen und bin ihnen auch schon begegnet.) Wie wird
man sie am besten wieder los? Wie macht man ihnen deutlich, dass sie
nicht wiederzukommen brauchen? Denn das müssen sie, wenn man
sich einmal auf ein Gespräch mit ihnen einlässt. Mit einem
freundlichen und deutlichen Wort haben die meisten die beste Erfahrung
gemacht: „Ich bin evangelisch getauft, ich bin konfirmiert,
ich habe mich evangelisch trauen lassen. Ich bin zwar kein eifriger
Kirchgänger. Ich beteilige mich auch nicht sehr am Gemeindeleben.
Aber ich bleibe, was ich schon immer war und habe deswegen kein Interesse
an Ihrem Besuch.“
Natürlich kann ich mir als Pfarrer eine intensivere Beziehung
zur Gemeinde und zu Gott wünschen. Aber doch macht ein Mensch
damit auf seine Art etwas von dem wahr, was er bei seiner Konfirmation
versprochen hat: Bleiben. In der Kirche bleiben. Bei seinem evangelischen
Glauben bleiben. So hat vor zwei Wochen die alte Frage gelautet, die
auch den meisten von Ihnen bei der Konfirmation gestellt wurde: „Wollt
Ihr unter Jesus Christus, eurem Herrn leben, im Glauben an ihn wachsen
und als evangelische Christen in seiner Gemeinde bleiben, so antwortet:
Ja, mit Gottes Hilfe.“
Sich nicht von den Wurzeln entfernen
In der Gemeinde bleiben, bei Gott bleiben. Von diesem Bleiben redet
Jesus im Evangelium vom Weinstock, das unser heutiger Predigttext
ist. Bleiben: Die Reben, also die Zweige des Weinstocks, können
nichts dafür, dass sie am Weinstock wachsen. Der Weinstock war
vor ihnen da. Ohne den Weinstock mit seinen Wurzeln und seinem Stamm
gibt es sie nicht. Sie können und brauchen nicht mehr zu tun,
als diese Verbindung aufrecht zu erhalten. Dann wird sich alles andere
finden. Dann wachsen die Trauben von allein.
So auch wir: Die Zugehörigkeit zur Kirche haben wir uns nicht
selbst gegeben. Unsere Eltern haben uns zur Taufe getragen. Den Glauben
haben wir uns nicht selber gegeben. Er ist gewachsen. Er ist geschenkt.
Bleiben sollen wir, mehr nicht. Die Verbindung aufrechterhalten. Uns
nicht von den geistlichen Wurzeln entfernen, durch die wir Kraft bekommen;
uns nicht von dem Stamm entfernen, der uns trägt:
4 Bleibt in mir und ich in euch. Wie die Rebe keine Frucht bringen
kann aus sich selbst, wenn sie nicht am Weinstock bleibt, so auch
ihr nicht, wenn ihr nicht in mir bleibt. 5 Ich bin der Weinstock,
ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel
Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun.
Fruchtbar leben
Ein durchaus frommer Text, dieses Evangelium von Jesus, dem Weinstock.
Es geht um die persönliche Glaubensbeziehung zwischen einem Menschen
und Gott. Eher ein Tabuthema, über das manche nicht so einfach
in der Öffentlichkeit reden können.
Aber doch ein Thema, das alle Menschen angeht, auch solche, die Worte
vom Glauben nicht so oft in den Mund nehmen, denn um das Frucht bringen
geht es. Und wer, ob gläubig oder nicht, wer möchte nicht,
dass sein Leben Früchte trägt. Wer möchte nicht, dass
aus der Zeit und der Kraft, die er investiert, etwas Bleibendes entsteht
und wächst. Wer möchte, dass alles Leben und Arbeiten am
Ende gar umsonst gewesen sein soll? Oder wer möchte, dass er
zwar äußerlich durchaus erfolgreich ist, aber innerlich
unbefriedigt und leer? Frucht bringen, das ist ein Lebensthema, auch
wenn nicht jeder es mit solchen frommen Worten formulieren würde.
Entdecken, was einem geschenkt ist
Wie bringt man nun solche Frucht, von der Jesus spricht?
Durch das Bleiben, sagt er, und meint damit: Eigentlich fast von allein.
Frucht bringt man nicht, indem man sich mit Gewalt anstrengt, indem
man mit hängender Zunge seinen Zielen nachhetzt. Bleiben, d.h.
sich bewusst werden, was einem schon gegeben ist, bevor man sich anstrengt.
Das Gegebene erst einmal wahrnehmen. Die Wurzeln erkennen, die einen
tragen.
Das muss gar nicht unbedingt mit frommen Worten geschehen. Es ist
allein schon eine gute Übung, einmal im stillen Kämmerlein
nachzusinnen, wie viel einem doch im Leben geschenkt wird. Wie wenig
allein aus eigener Vernunft und Kraft entstanden ist. Wir können
nichts dafür, in welches Land dieser Erde und in welches Jahrhundert
wir hineingeboren wurden. Wir können nichts dafür, in welcher
Familie wir aufgewachsen sind. Wir können nichts dafür,
wenn wir eine vernünftige Ausbildung bekommen haben. Wir können
für so vieles nichts, es war einfach da und in die Wiege gelegt.
Und genauso auch unser Leben: dass wir atmen, dass unser Herz schlägt,
dass wir überhaupt da sind, das war schon da, bevor unser Gehirn
überhaupt den ersten Gedanken gefasst hat. Das alles ist mit
christlichen Worten ein Geschenk des Schöpfers.
Gott einfach wirken lassen
Wer sich dieser Verbindung bewusst ist, der bringt von allein Frucht,
sagt Jesus. Automatisch sozusagen. Frucht bringen im christlichen
Sinn, das weist hin auf das Glaubensgeheimnis, dass ich eigentlich
gar nicht viel tun muss, wenn ich nur Gott tun lasse. Wenn ich Gott
an mir und durch mich wirken lasse.
Wer früh am Morgen aufsteht und sich sagt: „Heute muss
ich unbedingt etwas Gutes tun." Der hat eigentlich schon verloren.
Der ist so fixiert auf sein Vorhaben, dass er die einfachsten Dinge
übersieht. So ähnlich wie jener Schuster Martin in der alten
Legende, der träumt, Gott wolle ihn am nächsten Tag besuchen.
Er putzt sein Haus, zieht sich die besten Kleider an, setzt sich ans
Fenster und wartet voller Ungeduld. Da kommt ein Bettler, doch er
schickt ihn fort mit den Worten: „Tut mir leid, ich habe heute
keine Zeit für dich, ich habe Wichtigeres zu tun. Gott will mich
nämlich besuchen. Komm morgen wieder.“ Und so ähnlich
geht es noch zweimal. Und als er sich am Abend traurig und enttäuscht
ins Bett legt, sagt ihm Gott im Traum: „Dreimal bin ich heute
bei dir gewesen, und du dreimal hast du mich nicht erkannt.“
Frucht bringen also gerade nicht durch die krampfhafte Bemühung,
sondern mehr oder weniger von allein, wenn man Gott machen und die
Dinge nur mit wachen Augen auf sich zukommen lässt.
Sich zurechtstutzen lassen
Und dann noch das andere Geheimnis: Wer Gott so an sich arbeiten lässt,
der merkt auf einmal, wie etwas vorwärts geht in seinem Leben,
wie er weiter gebracht wird, wie er nicht stehen bleibt in seiner
inneren, in seiner geistlichen Entwicklung:
2 Eine jede Rebe an mir, die Frucht bringt, wird er reinigen,
dass sie mehr Frucht bringe.
Jesus vergleicht dabei Gott mit einem Gärtner, der eine Pflanze,
einen Baum, einen Wein- oder Rosenstock immer wieder so zurückschneiden
muss, dass er zwar im Moment kleiner wird, aber im Endeffekt doch
gestärkt daraus hervorgeht und zielgerichtet weiterwächst.
Und ebenso muss, sagt Jesus, ein Mensch immer wieder einmal in seinem
Leben von Gott zurückgestutzt werden, um zu reifen und sich zu
entwickeln. Empfindliche Schnitte und Einschnitte können auch
einen tiefen Sinn haben. Es lohnt sich zumindest, geduldig nach einem
solchen Sinn zu fragen.
Im Gespräch bleiben
Frucht bringen durch das Bleiben, indem man Verbindung hält und
Gott an sich arbeiten lässt. Jesus verdeutlicht das noch:
7 Wenn ihr in mir bleibt und meine Worte in euch bleiben, werdet
ihr bitten, was ihr wollt, und es wird euch widerfahren.
Zwei Dinge braucht es, sagt er, um die Verbindung zur Quelle und zur
Wurzel des Lebens aufrecht zu erhalten: Gottes Wort und das Gebet.
Das Hören und das Sprechen.
Kein Mensch kann am Leben bleiben ohne Zuspruch, ohne gute, liebe,
tröstende und aufmunternde Worte. Kein Christ kann am Leben bleiben
ohne die Zusagen, die Anreden, die Aufmunterungen, ja auch die kritischen
Worte Gottes.
Kein Mensch kann am Leben bleiben, wenn er nicht redet, wenn er nicht
das Gespräch sucht mit einem anderen Menschen, und sei es zur
Not mit seinem Wellensittich oder seinem Hund. Wer nicht mehr reden
kann, wer keinen Zuhörer mehr hat, der muss verdorren.
Kein Christ kann am Leben bleiben, ohne dass er mit seinem Gott im
Gespräch bleibt. Wenn die Verbindung zu Gott abreißt, wenn
der Glaube sprachlos wird, dann wird er auch dürr und kraftlos.
Ernste Worte
Das verschweigt Jesus nicht. Er weist auch auf die Gefahr hin. Das
sind Worte in diesem Abschnitt, die man dann weniger gern hört:
15 1 Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater der Weingärtner.
2 Eine jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, wird er wegnehmen;
6 Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe und
verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer, und sie müssen
brennen.
Auf Deutsch: Leben kann auch misslingen. Leben kann auch umsonst sein.
Die Frucht eines Lebens kann ausbleiben. Müssen solche drohenden
Worte unbedingt sein? Geht es im Evangelium nicht um tröstende,
ermutigende Worte. Vielleicht ist es wie bei einem guten Arzt, der
einem reinen Wein einschenkt und sagt: „Lieber Mann, (oder auch
Liebe Frau), wenn du so weitermachst, dann geht es nicht mehr lange,
dann kann dir keiner mehr helfen.“
Und dieser heilsame Schock hat manchen Menschen wieder zur Quelle
des Lebens zurückgebracht: Da entdeckt dann jemand auf einmal
die kleinen Dinge wieder. Da gibt er sich mit dem Einfachen zufrieden.
Er findet den Zugang wieder zu den Wurzeln, die ihn nähren, und
zum Stamm, der ihn trägt.
Bleiben, die Verbindung zu Gott aufrechterhalten und nicht abreißen
lassen. Ja, wenn es nötig ist, diese Verbindung wieder neu suchen
– in Gebet, Bibellese, Gottesdienst oder Abendmahl. Neue Schritte
wagen. Neue Anfänge. Dazu ist es im Leben nie zu spät. |
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