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predigt[e].de

Die Predigt vom 20. Mai 2001: »Ein Gebet wie der Herzschlag«


Kirchenjahr

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  Die Evangelische Kirche beging den Sonntag Rogate (= Betet). Das Evangelium handelt vom Gebet in Jesu Namen, die Epistel ruft zur Fürbitte u.a. auch für die politisch Verantwortlichen auf. Predigttext war das Vaterunser nach Matthäus 6:

Predigttext

Sie können Texte auch online in der Lutherbibel nachlesen.
(Weitere Bibellinks finden Sie unter
Glaube und Leben.)

  7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

Predigt

  Auf der Intensivstation

"Dann kam der Tag der Operation. Ich erinnere mich an die beiden jungen Leute, die mich in den Saal schoben. Ich erinnere mich genau, wie ich beten wollte. Als erstes fiel mir das Vaterunser ein. Danach – vielleicht war es schon beim Hinüberdämmern – erschrak ich, weil ich dachte, jetzt fällt mir nichts mehr ein." – So der Pfarrer und ehemalige Rundfunkprediger Friedrich Walz in seinem Bericht von seiner schweren Kopfoperation. Und dann nach dem Aufwachen in der Intensivstation neben einer Patientin, um die sich die Ärzte bemühen: "In diesen beiden Stunden habe ich etwas verstanden, was mir bis dahin fremd geblieben war. Es ist die katholische Sitte des Rosenkranzbetens. Kann man denn sechsmal oder gar fünfzehnmal hintereinander das Vaterunser beten? Man kann. Ein Mensch ringt mit dem Tod. Man selbst kann gar nichts tun. Nur zuschauen, wie andere versuchen zu helfen. Der Bildschirm über dem Bett zeigt den Herzschlag an. Und ich fange immer wieder an zu beten: Vater unser im Himmel."

In guten wie in bösen Tagen

Das Vaterunser als das Gebet in guten wie in bösen Tagen. Das Vaterunser, wenn einem sonst nichts weiter mehr einfällt. Das Vaterunser, das not-wendige, das not-wendende Gebet. Das Vaterunser, es gehört im Bild gesprochen ins geistliche Handgepäck: Dorthin, wo man es schnell greifbar hat und nicht erste lang und breit auspacken muß. Das Vaterunser: So nahe wie der eigene Herzschlag, so nahe wie der eigene Atem. Nicht viele Worte braucht es, aber die entscheidenden.

So hat es Jesus damals seinen Jüngern beigebracht. Matthäus Kapitel 6 aus der Bergpredigt: 7 Wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viele Worte machen. 8 Darum sollt ihr ihnen nicht gleichen. Denn euer Vater weiß, was ihr bedürft, bevor ihr ihn bittet. 9 Darum sollt ihr so beten: Unser Vater im Himmel! Dein Name werde geheiligt. 10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden. 11 Unser tägliches Brot gib uns heute. 12 Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern. 13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. [Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.]

Alles, was nötig ist

Sieben Bitten. Sieben: die vollkommene Zahl. Das gibt es nichts mehr zu ergänzen. Sieben Bitten: zuerst drei um Gottes willen, und dann vier um unseretwillen. Es geht im Vaterunser um unsere alltäglichen Bedürfnisse, aber es geht doch zuerst um Gott. "Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit, dann wird euch alles andere zufallen." (Mt 6,33) sagt Jesus in der gleichen Bergpredigt. Und vor den sieben Bitten wie in einer Art Überschrift die Anrufung Gottes als Vater, der weiß, was wir brauchen, bevor wir bitten. Und nach den Bitten das Amen als Bekräftigung. So hat es Martin Luther in seinen Kleinen Katechismus übernommen und so hat er es auch in ein Lied verdichtet, das ich jetzt mit Ihnen im Einzelnen anschauen und singen will. Nr. 344: "Vater unser im Himmelreich." Neun Verse nach dem Aufbau des Vaterunsers: sieben Bitten und die Anrede und das Amen.

Ermutigung zum Gespräch

1. Vater unser im Himmelreich, der du uns alle heißest gleich Brüder sein und dich rufen an und willst das Beten von uns han: gib, daß nicht bet allein der Mund, hilf, daß es geh von Herzensgrund.

Würde Martin Luther heute leben, würde er gewiß nicht mehr nur von Brüdern reden, sondern von Geschwistern, von Kindern des einen Vaters im Himmel. Gleich sind wir: Nicht weil wir alle gleich wären – was wäre das langweilig! Gleich sind wir, weil wir einen gemeinsamen Vater haben, der – was leibliche Väter nie schaffen – alle gleich behandelt. Er nimmt uns gleich wichtig, gleich bedeutend; wir sind gleich viel wert. Im Mutterleib oder außerhalb, krank oder gesund, schwarz oder weiß, deutsch oder ausländisch. Gleich sind wir auch, indem wir alle Gott brauchen, indem wir gottesbedürftig sind, ihn anrufen dürfen und auch sollen. Gott will das Gespräch mit uns. Er ermutigt uns dazu. So Martin Luther in anderen Worten in einem der Besinnungstexte unseres Gesangbuchs: „Wenn Gott dich nicht erhören wollte, würde er dich nicht beten heißen.“ Und dann die große Gefahr des Vaterunsers, das uns so nahe sein soll wie der Herzschlag: Es geht ganz von allein. Es geht ohne Nachzudenken. Es könnte zum reinen Lippenbekenntnis werden. Deswegen: Gib, daß nicht bet allein der Mund. Auch das Herz soll mitbeten. Wir singen die erste Strophe des Liedes über Gott den Vater.

So leben, wie wir heißen

2. Geheiligt werd der Name dein, dein Wort bei uns hilf halten rein, daß auch wir leben heiliglich, nach deinem Namen würdiglich. Behüt uns, Herr, vor falscher Lehr, das arm verführet Volk bekehr.

"Geheiligt werde dein Name." Gottes Name wird für Martin Luther in der Zeit der Reformation heilig gehalten, wenn sein Wort heilig gehalten, rein verkündigt und dann auch befolgt und gelebt wird. Wir schreiben das Jahr 1539, sieben Jahre vor Luthers Tod. Es kommt eher wieder zu Rückschlägen im Fortgang der Reformation. Luther hat Angst vor falscher Lehre und Verführung der Menschen. Dann würde auch Gottes Name nicht mehr geheiligt. Wenn wir als Christen Gottes Namen tragen, dann wird Gottes Name auch dadurch entheiligt, daß wir nicht so handeln, wie wir heißen. Nach seinem Namen würdiglich leben, sagt Luther: uns seines Namens würdig erweisen. Und weil wir es nicht allein können, brauchen wir seine Hilfe. Wir singen die zweite Strophe des Liedes.

Der Böse oder das Böse?

3. Es komm dein Reich zu dieser Zeit und dort hernach in Ewigkeit. Der Heilig Geist uns wohne bei mit seinen Gaben mancherlei; des Satans Zorn und groß Gewalt zerbrich, vor ihm dein Kirch erhalt.

"Dein Reich komme." Das Reich Gottes: seine Herrschaft und Gerechtigkeit. Nicht erst eine Sache für die Ewigkeit, später nach dem Tod. Sondern auch schon zu dieser Zeit, jetzt. Gottes Reich kommt, wenn man dem Heiligen Geist einen Platz einräumt. Und Gottes Reich bedeutet, daß dem Bösen Einhalt geboten wird. Den Bösen sieht Luther am Werk durch die Schwierigkeiten beim Fortgang der Reformation. Er will sich Gott in den Weg stellen und die Kirche gefährden. Jede Generation braucht die mancherlei Gaben des Heiligen Geistes. Jede Generation hat ihre Herausforderungen. Wir singen die dritte Strophe des Liedes.

Gottes Wille auch im Bösen?

4. Dein Will gescheh, Herr Gott, zugleich auf Erden wie im Himmelreich. Gib uns Geduld in Leidenszeit, gehorsam sein in Lieb und Leid; wehr und steu'r allem Fleisch und Blut, das wider deinen Willen tut.

"Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden." Wenn Gottes Wille wirklich geschehen soll, dann nicht nur im Himmel, wo es uns nicht stört, sondern auch hier auf der Erde. Wenn Gottes Wille wirklich geschehen soll, dann nicht nur für die anderen, sondern auch für uns selbst. Wenn Gottes Wille wirklich geschehen soll, dann nicht nur im Guten, sondern vielleicht auch im Bösen. Wenn Gottes Wille wirklich geschehen soll, dann kann es Liebe oder auch Leid bedeuten. Und dann braucht es Geduld und Gehorsam. Wir singen die vierte Strophe des Liedes.

Heute leben

5. Gib uns heut unser täglich Brot und was man b'darf zur Leibesnot; behüt uns, Herr, vor Unfried, Streit, vor Seuchen und vor teurer Zeit, daß wir in gutem Frieden stehn, der Sorg und Geizens müßig gehn.

"Unser tägliches Brot gib uns heute." Nach den drei Bitten um Gottes willen, nun die erste Bitte um unseretwillen. Und sie ist auch eine Art Überschrift: "Gib uns, was wir heute brauchen. Du weißt, was wir brauchen." Das tägliche Brot ist nicht nur das Brot zwischen den Zähnen, sondern alles, was zum täglichen Leben nötig ist. Frieden vor allem, sagt Martin Luther in seiner damaligen Zeit. Und Zu-friedenheit, die keine Sorgen und keinen Geiz kennt. Damit richtet uns Jesus im Vaterunser aus auf den jeweiligen aktuellen Tag. Er ermutigt uns, heute zu leben. In anderen Worten aus der Bergpredigt: Darum sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen. (Mt 6,34) Wir singen die fünfte Strophe des Liedes.

Den ersten Schritt tun

6. All unsre Schuld vergib uns, Herr, daß sie uns nicht betrübe mehr, wie wir auch unsern Schuldigern ihr Schuld und Fehl vergeben gern. Zu dienen mach uns all bereit in rechter Lieb und Einigkeit.

"Und vergib uns unsere Schuld wie auch wir vergeben unseren Schuldigern." Zum täglichen Brot, zum täglichen Leben, zum Lebensnotwendigen gehört, daß wir einander in die Augen schauen können. Daß wir denen, die uns etwas schuldig sind, gerne vergeben, sagt Luther. Stimmt das immer? Ich bin skeptisch. Aber da ist dann auch der wunde Punkt: Können wir dann selbst Vergebung erwarten? Wenn niemand den ersten Schritt tun will, dann sind wir als Christen, dann sind wir als Gottesdienstbesucher gefordert. Das ist schwer. Deswegen die Bitte: Gott mach uns dazu bereit. Wir singen die sechste Strophe des Liedes.

Aufrüstung gegen das Böse

7. Führ uns, Herr, in Versuchung nicht, wenn uns der böse Geist anficht; zur linken und zur rechten Hand hilf uns tun starken Widerstand im Glauben fest und wohlgerüst' und durch des Heilgen Geistes Trost.

"Und führe uns nicht in Versuchung." Die Versuchung, so sagt Luther, kommt nicht von Gott selbst, sondern vom Bösen. Diesem Bösen sollen wir widerstehen "zur linken und zur rechten Hand". Damit meint er in seiner Sprache beide Bereiche, in der wir leben: Kirche und Welt, Sonntag und Werktag, Glaube und Leben. Auf beiden Gebieten gibt es Versuchung, nicht nur in Glaubensdingen. Ich bin sonst kein Freund von Aufrüstung. Doch da brauchen wir sie: "Im Glauben fest und wohlgerüst'." Wir singen die siebte Strophe des Liedes.

Die größte Not

8. Von allem Übel uns erlös; es sind die Zeit und Tage bös. Erlös uns vom ewigen Tod und tröst uns in der letzten Not. Bescher uns auch ein seligs End, nimm unsre Seel in deine Händ.

"Sondern erlöse uns von dem Bösen." In seiner Gegenwart, in seinen Tagen sieht Luther böse Entwicklungen in Politik und Gesellschaft. Doch das eigentliche und letzte Übel wäre, wenn jemand umsonst gelebt hat, wenn jemands leiblicher Tod auch das ewige Aus wäre. Deswegen die tägliche, die alltägliche Bitte um eine seliges Ende. Wir singen die achte Strophe des Liedes.

Nicht plappern

9. Amen, das ist: es werde wahr. Stärk unsern Glauben immerdar, auf daß wir ja nicht zweifeln dran, was wir hiermit gebeten han auf dein Wort, in dem Namen dein. So sprechen wir das Amen fein.

Amen heißt: So sei es. So soll es geschehen. Wenn, wie Jesus sagt, das Vaterunser nicht zum Plappern werden soll, wenn es nicht nur heruntergeleiert werden soll, dann muß es ernst genommen werden. Gebetet mit dem festen Vertrauen, daß Gott hört. Bekräftigt durch das Amen. So ist das Amen im Gottesdienst die Antwort der Gemeinde. Wenn wir nicht frei beten, sondern, wie es das im lutherischen Gottesdienst vor allem üblich ist, der Pfarrer im Auftrag betet und zum stillen Mitsprechen einlädt, dann darf er der Gemeinde das Amen nicht wegnehmen, und die Gemeinde darf es sich nicht wegnehmen lassen. Diesen Wunsch hätte ich an Sie als Gottesdienstgemeinde, daß sich das Amen als kräftige und vernehmliche Antwort der Gemeinde immer mehr einübt. Wir singen die neunte und letzte Strophe des Liedes. Dazu sammeln wir das Dankopfer ein, das heute für die Vorbereitung und Durchführung unserer Gottesdienste bestimmt ist.

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Michael Thein • Pfarrer • Kaulbachstraße 2b• 95447 Bayreuth • Tel. 0921-65378 • Fax 03222-2426857

mic.thein@t-online.de www.michael-thein.de